Herbstlich-zeitgenössische Backsteinarchitektur Hier in der Vorphase, bevor der Kllnker aufgeklebt wird, dann sieht das in etwa so aus:
Herbstliederliches Wer jetzt kein Haus hat,Als Herr Rilke das notierte, ahnte er, wie auch (viel) später Herr Reclam, als dieser dieses Gedicht so preisgünstig band, ahnten beide nicht, wie es die Zeitläufte verschieben würde. Heutzutage ist dieser Herbsttag ziemlich überholt. Nicht nur, weil niemand mehr Briefe schreibt und schon gar keine Bücher mehr liest. Vor allem, weil niemand mehr biblisch angelehnt systematisch nach Anweisungen vorgeht, da zuvor noch zu tun wären: Baum pflanzen, Kind zeugen. Den Baum kauft man nach Fertigstellung des Hauses und später auch des Kindes im namengebenden Baumarkt, also gepflanzt wird auch der nicht mehr, sondern eingesetzt, wenn er bereits ein paar Jahre in der Krone hat. Der Nachwuchs wird gezeugt, auf daß er zur Rente beitrage, die herhalten muß für die Reparation der dann maroden und noch immer nicht abbezahlten Hütte. Ohnehin bauen in erster Linie nur noch diejenigen, die kein Geld haben, weil nicht mehr, wie zu des Dichters Zeiten, erst einmal gespart werden muß. Sparen bedeutet heutzutage ja nichts anderes, als nicht noch mehr von dem Geld auszugeben, das man nicht hat. Wenn also gebaut wird, dann sparsam. Weshalb es auch überall so phantasieverknappt ausschaut. Und diese aufgereihten keller- und gartenlosen Häuslebauerhäuschen vom Fließband will nach der Privatinsolvenz auch niemand mehr verhübschen, will sie doch keiner haben. Ausgenommen Käufer von Kreditpaketen vielleicht. Aber die schauen sich so etwas nicht einmal an, nichtmal übers straßenüberblickende Internet, verpixelt hin oder her, weil sie nicht an der Sache selbst interessiert sind, sondern nur an dem Produkt, mit dem sich die Sache an sich sich versilbern läßt. Es spielt dabei keine Rolle, ob das Bäume, Häuser oder Kinder oder Nahrungsmittel sind, alles wird flüssig gemacht, Hauptsache der Rebbach stimmt; die Religionszugehörigkeit ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Die einen nennen das Geld, die anderen, die solches eher selten in die Hand nehmen oder in der Tasche haben, weil sie es zugunsten unbarer Zahlungsmethoden aufgegeben haben, geben ihm lieber seltsame, ein wenig nach englischer Sprache klingende Bezeichnungen. Es gibt jedoch Menschen, die sich ein Haus kaufen, weil sie sich im Herbst ihres Lebens befinden. In den letzten Jahren waren das gerne deutsche Menschen, die beispielsweise französischen Menschen ein bißchen Angst einjagten, weil sie, erstere, wegen Überfüllung der kanarischen oder anderer Inseln alle zunächst noch nicht ganz so teuren, aber in der Folge für nicht so betuchte Einheimische dann unerschwinglichen Immobilien unweit der Côte d'azur oder überall dort aufkauften, wo man ihren Gebäuden aber auch ansieht, daß sie, die Menschen, über einen gewissen Status verfügen. Der Franzose an sich (der Pariser ist kein solcher) tut so etwas nicht. Der benötigt auch nicht alle fünf Jahre ein komplett neues Schlaf- oder Wohnzimmer oder eine repräsentative Küche (und das, obwohl er sie tatsächlich benutzt und nicht nur beim Kochen zuschaut). Deshalb wohl hat der olle Schwede dort auch zwanzig Einrichtungsstationen weniger als der rechtsrheinische Nachbar, der die Hitliste samt Ausstellungsfläche überhaupt weltweit anführt. Und wenn er denn eine hat, dann versteckt er seine Barock- oder Rokoko- oder Enzo-Renzo-Kate hinter fünf Meter hohen Hecken. Da reicht nicht einmal ein drei Meter hoher Sendemast hin. Deshalb und weil er überhaupt ein Freund jedweden technischen Fortschritts ist, ist ihm dieses ganze Gewese um diese Herumfahrfilmerei auch ziemlich schnurz. Er benötigt zudem keinen Datenschutz. Nicht etwa, weil er den nicht kennt, sondern weil er sich ohnehin nicht in die Karten gucken läßt. Wenn er Trümpfe hat, die auzuspielen er in der Lage ist, behält er sie eben im Ärmel. Der deutsche, etwas besser betuchte, aber immer jugendlich-vitale Pensionär hingegen zeigt gerne, was er hat, samt der immer offenstehenden Doppelgarage. Da scheint eine gewisse geistige Verwandtschaft zum türkischen Land(s)mann in der fernen Heimat zu bestehen. Hier im ehemaligen oder, je nach Perspektive, immer noch existierenden, also irgendwie kleinzukriegenden Feindesland vergleichbar ist der den Wünschen von Monsieur le Président nicht immer entsprechend assimilierte ehemalige Araber, der läßt's auch gerne glitzern, wenn er um den Quai des Belges oder sonstwo an der Côte baladiert oder circuitet, ob im (bevorzugt) schwarzen Cabriolet oder höher, auf daß es nicht nur in Nice blitze. Das wird dann auch unverdrossen veröffentlicht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Die wiederum mag sein deutscher Geistesverwandter nicht erleiden. Deshalb geht er, was ihm ansonsten eher nicht unbedingt in den Sinn gekommen wäre, als er noch guter Bürger seines Heimatlandes war, auf die Barrikaden. Aus der Ferne. Er beteiligt sich an der von BILDungsmachern ausgerufenen Revolution. Daß er allüberall ausgekuckt, erforscht und gesammelt wird, erregt ihn nicht weiter. Deshalb behält er seine elektrische Büroverwaltung auch bei, die er diesem unaussprechlichen Konzern komplett überlassen hat. Der hat sich schließlich immerfort mehr als unauffällig gezeigt.
Erinnerungsinseln «Was ist das für ein Land, das den anbrechenden Übergang zur Demokratie mit einem Bildersturm beginnt?» fragte Wladimir Miljutenko, als die Denkmale von den Sockeln gerissen wurden. Und der frühere Chefredakteur von Sowjetunion heute fügte an, in vielen Ländern stünden die Monumente verschiedener politischer Regime und Perioden nach wie vor, in Paris riefe niemand dazu auf, die Place Stalingrad umzubenennen: «In Rom zeigt man den Besuchern außer dem Kolosseum und dem Forum den Stadtbezirk mit der sogenannten faschistischen Architektur, Gebäude einer steingewordenen Parodie auf die Antike. Jeder versteht sofort den Unterschied zwischen Benito Mussolini und Augustus.» Helmut Bucher schrieb in dieser Zeit: «Genosse Uljanow, es soll dir auch nicht bitter aufstoßen, daß Leute wie Bismarck oder Hindenburg oder die unseligen Hohenzollern hier weiterhin verewigt bleiben und sogar der Schicklgruber fröhliche Urständ' feiert, während deinesgleichen verdammt werden.» In seinem 1991 gesendeten Rundfunkbeitrag erinnerte Hans-Ernst Mittig daran: «Zur Zeit wird in Koblenz sogar ein Denkmal für Kaiser Wilhelm I. wiedererichtet, der die letzten demokratischen Aufständischen von 1848/49 in Rastatt hatte zusammenschießen lassen.» Kunstwerk oder nicht Kunstwerk, das ist nicht die Frage dieser Erinnerungsinsel, sondern: Revolutionärer oder restaurativer Bildersturm? Weil der Tenor ein ganz anderer ist, weil die vielfach in die, auch politische (sic!), Diskussion eingebrachte Frage, ob's denn nun Kunst sei oder nicht, darin eher peripher behandelt wird, weil es vielmehr darum geht, was Wladimir Miljutenko mit «Wir dürfen nicht geschichtslos werden» überschrieben hat. «Hier ging es nicht um den Abriß von Kunstwerken», so Robert Halbach in Demontage ..., «hier wurde tatkräftig mit einer Ideologie abgerechnet.» Halbach, einer von dreiunddreißig Autorinnen und Autoren, die sich in dieser Dokumentation mit der Denkmalstürmerei in der ehemaligen DDR und anderen sozialistischen Staaten auseinandersetzen, sieht im Fall des geköpften Friedrichshainer Lenins «eine Form des rituellen Mordes» und verbindet dies mit dem Erfurter Vorfall, bei dem, sozusagen im Gegenzug, dem Christentum gegenüber nicht eben Wohlgesonnene eine Jesus-Statue vom Kreuz gerissen hatten. «Köpft ihr unseren Lenin, reißen wir euren Christus vom Kreuz», auf diese Formel bringt er, nicht ohne Bitterkeit, der Gegenradikalen Stimmen. Ute Raßloff geht noch einen Schritt weiter, indem sie die Abrißwut, von der offensichtlich mehr die Politiker denn die breite Bevölkerung befallen sind, «eine Art neuzeitliche Inquisition» nennt. Ihrer Meinung nach ist es «möglich», diese massenweise im Osten herumstehenden mehr oder minder monströsen Gebilde «als Objekte der bildenden Kunst zu betrachten», denn: «Die bildende Kunst blieb bis in die Neuzeit, bis in unsere Gegenwart hinein Zutat eines (religiösen) kopierfähigen Rituals und damit Hilfsmittel einer ideologischen Indoktrination ...» Daß es von historischer Bedeutung sei, die Zeit der totalitären Systeme nicht nur in Büchern zu reflektieren, sondern durchaus beispielsweise in Bildnissen von Lenin, dessen Philosophie pervertiert wurde von den Stalins, Ulbrichts und Honeckers, oder aber mit seinem Denkmal als Wächter gegen seine eigene Wiederkehr zu operieren, dafür wird in Demontage ... plädiert. Auch Lenins Lager des Künstlers und Kunsthistorikers Rudolf Herz weist darauf hin. Sein im Buch aufgegangenes Projekt ist eine «ketzerische Kritik an den staatspolitischen Aufarbeitungsritualen nach dem Fall der DDR, ein anstößiges Erinnerungsstück mit politischen und ästhetischen Reibungsflächen ...» Ausgangspunkt war: «Die Dresdener Stadtverordneten haben am 3. September 1991 entschieden, ihr unliebsam gewordenes Lenin-Denkmal aus dem Stadtbild zu entfernen und zu verschenken. Die Folgen der Säuberungsaktion sind evident. Das geschmähte Denkmal wird dem Blick entzogen, ein Ausgangspunkt für kontroverse Diskurse über die jüngste Vergangenheit ist beseitigt.» Von «Erinnerungsinseln», etwa beim Münchner Abel-Plan, wurde in der westlichen Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gesprochen, als es um den öffentlichen Raum in den Städten ging. Damit sollte auch denkmalerisch Geschichtsschreibung betrieben werden. Aber die Deutschen wollen lieber ihren alten Kaiser Willem wiederhaben. Nur noch Älteres mögen sie noch lieber, ob das nun echt oder falsch ist, das ist ihnen dann egal. Gut ausschauen sollte es eben, die Blicke auf häßlichen Vergangenheiten verstellen. Ursprünglich verfaßt für Orte. Zeitschrift für Plastik — und hier aufpoliert wieder aufgestellt, da es kaum noch Erinnerungsinseln gibt, auf die man sich retten könnte. Ausgelöst wurde die Wiederaufstellung durch eine gestern verfolgte TV-Diskussion, in der unter anderem einmal mehr versucht wurde, der Idee eine möglichst tiefe, nicht mehr sichtbare Grabstätte zu errichten, Sozialismus oder schlicht Sozialdemokratie und Wohlstand für alle sei eine conditio sine qua non.
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