Das Schmuddelkinder-Problem Weil's zu wesentlich ist, um in den (häufig nicht beachteten) Kommentaren vor sich hinzudümpeln. Das gab's allerdings bereits (oder noch?) Anfang der achtziger Jahre. Eine Dame von irgendwas mit Medien, verheiratet mit einem, ebenfalls vom Film, der heute wegen seiner Herkunft aus Nahost und seinem Äußeren unter ständiger Beobachtung von einigen Millionen Deutschen stünde, die beiden hatten ein Kind, und deshalb wollten sie sich bei mir behördlich anmelden, weil die Tochter in eine bessere Lehrversorgung — na, Sie wissen schon. Sie durften nicht, auch nicht um des Peppermint Friedens willen, den diese Produktion durchaus erbracht hatte, nicht nur, weil ich ein solches Verfahren zu dieser Zeit bereits abgelehnt habe. Sie wohnten selber in Schwabing, nur eben im falschen Sprengel. Die Ablehnung beendete eine ohnehin schon getrübte Freundschaft endgültig. Nun ja, mittlerweile werden solche Leute von anderen «angeschwärzt». «Lichtenberg lässt mit Hilfe der Polizei Klingelschilder überprüfen und Nachbarn befragen.» Bislang kannte man das eher von Schwarzfernsehfahndern. Wenn sich das so weiterentwickelt, sind wir bald wieder in den dreißiger oder vierziger Jahren, von denen dieser Film teilweise erzählte, an dessen überaus friedliche und freudvolle Dreharbeiten ich mich sehr gerne erinnere, nicht zuletzt, weil er eine (religionsfreie) Botschaft transportierte, die bis heute die meine ist und in der damals Neunjährige auch noch keine Vorstellungsgespräche zu absolvieren hatten — auch wenn sich das, siehe oben, bereits abzeichnete. Konservativ? Bereits zu Beginn der Siebziger kam ein Begriff auf, der denjenigen ins Mundwerk geriet, die sich nicht zu sagen trauten, daß sie mit alldem nicht einverstanden sind, der da lautete wertkonservativ. Dabei hätte es dieses letztendlich pleonastischen Ablenkungsmanövers gar nicht bedurft. Recht ins Grübeln brachte mich, was mir der Vater des deutschen Verteidigungsministers, dem mit der medienfortschrittlichen oder auch fernseh(un)tauglichen Gattin, mal ins elektrische Notizbuch sprach: Es sei im Grunde absurd, daß gerade die Konservativen immer von Fortschritt reden und dabei aber «nicht konservativ sind, sondern zerstörerisch». Es war die Zeit, als die Grünen sich formierten, wenn sie in ihrem Streben auch noch eine Weile von ihren heutigen Zielen entfernt waren und sich noch nicht bei Freunden anmeldeten, um ihre Kinder in eine bessere Schule zu entsenden. Gerne will ich denn auch zugestehen, daß wahrhaftig nicht sie es waren, sondern die in Hamburg sich als liberal-konservativ bezeichnenden Hafencity- und Wirtschaftswachstumsbefürworter et cetera, die eine Verlängerung der Grundausbildung verhindert haben. Mir sind hinreichend Fälle bekannt, in denen Menschen es schulisch weitergebracht hätten, möglicherweise gar bis zum Studium mit Abschluß, wären sie mit der vierten Klasse nicht ein- für allemal in die Hauptschule eingesperrt worden. Wir hatten es ja bereits einige Male, aber es gibt Sachverhalte, die gar nicht oft genug wiederholt werden können: Ständig ist von Integration die Rede, wenn Assimilation gemeint ist. Multikulti haben wir allüberall seit, mal als Hausnummer, die cimbri teutonique gen Süden aufbrachen und, lange bevor da ein Jude die Grundlage heutiger gemeinsamer christlicher Werte auslösen sollte, von den damaligen wirtschaftsglobal- und zivilisationsgesinnten Römern überlistet und übel verprügelt wurden. Geholfen hat es ihnen nicht, eine Schlacht zu gewinnen, bis nach Nordafrika schwärmten sie aus, die, die später unter Germanen firmieren sollten und heute wieder zurückwollen auf den nördlicheren Kontinent. Es gibt zwar Afrikaner, aber keine Deutschen oder Franzosen und so weiter. Wir sollten sein ein einig Volk von Brüdern und Schwestern — denen es nicht schwerfallen würde, trotz unterschiedlicher Ansichten des einen oder anderen, sich zu integrieren, ließe man ihnen denn durch frühzeitige schulische Maßnahmen die Möglichkeit, in diese gesellschaftliche Mischbatterie zu hüpfen. Die einen schaffen oder wollen das nicht unbedingt, möglicherweise weil sie bereits im Elternhaus daran gehindert werden, wie sich das links- oder rechtsrheinisch und so weiter ebenfalls nicht anders verhält, weil das Mädchen ohnehin irgendwann heiratet und der Junge einfach rasch Geld verdienen soll, wie es bei den Alten auch nicht anders war. Einige schaffen es trotzdem. Einer aus der hiesigen Bloggergemeinde weist immer wieder mal darauf hin, und ich halte seinen leichten, durch Ironie abgemilderten Schaum vorm Mund für mehr als berechtigt. Auf der rechten Seite des Rheins sind es die kriegerischen Osmanen, bis hin zu diesen ganzen billigen Spargelstechern und Erdbeepflückern, auf der linksseitigen, bis hinauf an die Nordsee, wo der Afsluitdijk das flache Land abschirmt, die Mauren oder Mohren oder wie diese ganzen Anderspigmentierten auch heißen mögen, die in die Schranken oder hinter sie ge- beziehungsweise zurückgewiesen werden müssen. Lenin kam nur bis Lüdenscheid gerät mir in den Gedächtelfuß. Und im Film tritt der Schmuddelkinder-Poet ja auch ständig auf. Obwohl Richard David Precht immer wieder um Distanz bemüht ist, habe ich den Eindruck, daß seine auf diese Weise verbrachte Kindheit ihm nicht allzu sehr geschadet hat, scheint mir das Bild dieser Zeit jedenfalls nicht ganz so arg neben die Spur geraten zu sein, wie andere das sehen, vor allem dann, wenn man als achtundsechziger sogenannter Erwachsener Einzelheiten etwas dezidierter in Erinnerung hat und meint, das sich heute ebenfalls im Rückzug befindliche Stilmittel dieser Zeit, die Ironie, nicht nur als Überbleibsel «antiautoritärer» Erziehung herauszuhören, vor allem für diejenigen, die sich so gar nicht vorstellen können, was seinerzeit tatsächlich los war. – Ich will es nicht unterlassen haben, darauf hinzuweisen, daß es auch andere Blicke auf dieses Thema gab. Unterm Strich gelange ich nach diesem Buch oder auch dem Film nicht unbedingt zu der Ansicht, «die Menschen scheinen nichts voneinander ‹haben› zu wollen». Die alten Prechts dürften allein mit der Tatsache, anderspigmentierte Kinder adoptiert zu haben (heute eine der hinlänglich bekannten weltweiten Moden, neben der des in Dörfern und Städten gleichermaßen an- oder nachhaltigen DauerbeSUFFs) auch in ihrem selbsterzeugten Nachwuchs ein differenzierteres Verständnis vom Miteinander versenkt haben. Der Autor Precht weist unter anderem darauf hin, ein bundesdeutscher Minister der Sechziger habe davor gewarnt oder abgeraten, Kinder aus fremden Kulturkreisen zu adoptieren. Mit Vehemenz entgegnet der damalige Adoptivvater: Was für ein dummer Satz! Ein Kind, das noch nicht einmal eine Sprache spräche, gehöre keinem Kulturkreis an. Und genau so verhält es sich: Wer seinen Nachwuchs von klein an mit dem impft, was man ihm selbst bereits ins Gehirn implantiert hat, der schafft eben jene Kulturismen, die zu diesen immer wieder aktualisierten Auseinandersetzungen führen. Würde Bildung als das verstanden, was ich (und andere) darunter verstehe, von wieder anderen jedoch schamlos als raschere Integration in den Wirtschaftsverwertungskreislauf auf den Kopf gestellt wird, bildete sich ein Unterscheidungsvermögen heran, das auch in Intellektualisierung genannt werden kann oder darf, würde mit dem Schmuddelkinder-Problem aufgeräumt. Es würde hinfällig von diesem Augenblick an, in dem der eine Mensch dem anderen die Achtung zukommen ließe, die ihm gebührt. Dann wäre ein Schulsprengel wie das andere. Dazu muß man, ob jünger oder älter, nicht unbedingt Kommunist sein — gleichwohl der Begriff an sich ja abgeleitet ist von Gemeinsamkeit, egal ob Kibbuz, Kindergarten, meinetwegen auch Kirche oder eben großstädtische Kommune.
Ach, Caterine aus Swerdlowsk Im laizistischen Frankreich hat man quasi religions-, genauer: catholiquechangierend den Geburtstag sozusagen zum heiligen Tag erklärt. An ihm, ausgenommen vielleicht am Revolutionstag 14. Juli, wird, wie vermutlich in keinem anderen Staat, gefeiert, als hätte ein Heiland das Licht der Welt erblickt oder die Rénaissance wäre ausgerufen worden. In zunehmendem Maß ist das mittlerweile auch in den anderen Ländern zu beobachten, in denen Wirtschaftswachstum zur neuen Religion umgestaltet wurde. Das nimmt teilweise Formen an, daß der eine oder andere darüber nachdenkt, dem Atheismus adieu zu sagen und tief in den Katholizismus einzutauchen, um nur noch am Namenstag Huldigungen entgegennehmen zu müssen. Da kann ein ritualitätsverweigender, sich schlicht nach weniger Rummel sehnender, am 24. Dezember geborener Mensch geradezu froh sein über seinen Geburtstag. * Jede gute Küche wird bestimmt von ihren einheimischen Zutaten beziehungsweise den Ahnen der Rezepturen. So, wie die vielgepriesene französische Cuisine aus Italien stammt (wie der gute italienische Café aus Frankreich). Der grand maïtre hört es zwar nicht so gerne, aber die Florentinerin Medici war es schließlich, die sie eingeschleppt hatte, die nämlich gesagt haben soll: Diese gallische Bauernfraße iche nixe fresse. Nein, hier gibt es keine Geburtstage.
Langsame Fortschreitung Sport ist Mord (des Versuches erster Teil) «Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit [...] Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen ..., ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.»So kopflos wie die griechische Dame von gleichermaßen Krieg und Frieden, die sogar noch etwas älter ist als das Buch zum Film des tolstoischen Stoffes zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Großschlachterei und die sich im französischen Kolonialgefängnis Louvre befindet, liest sich dieser Satz. Aber er ist von derart aktueller Brisanz, daß er wie auf DIN-A-0 aufgezogen oder hochplakatiert wird in allen öffentlichen wie privaten Kanälen. Denn solch ein geradezu mythischer Sturmwagen fuhr durch ein Städtchen an der immer zuallererst blühenden lieblichen Bergstraße kurz vor der in Heidelberg du Feine aufgehenden, also absolut historikfreien Romantik, darin einer sitzend, der einem Volk einstiger Erfinder angehört, das nach wiederholter Aussage sehr, sehr vieler Politiker mittlerweile von Fortschrittsverweigerung gekennzeichnet ist. Vermutlich hat er sich deshalb noch vor seinen kommenden Siegen bis hin zum Endsieg über die, besser mit der Technik aus seiner Heimat in so eine gute alte Mühle eines Nachbarlandes abgesetzt. Das interessiert allerdings die wenigstens der den jungen Helden frenetisch Bejubelnden, von denen ansonsten nicht wenige am liebsten alljene sofort in den Knast stecken würden, die auf dieser Insel der Glückseligkeit inmitten Europas ein Konto haben. Aber wer zu den heiligen Celebritäten zählt, der ist von diesem Urteil selbstverständlich ausgenommen. Hauptsache, er ist Deutscher. Das ist wie bei Flugzeugunglücken in Südostasien, zu denen es am Ende der allenfalls zweimal aufgelegten Meldung dann heißt: Fünfhundert Tote, aber zum Glück keine Deutschen. Hauptsache, Deutschland ist mal wieder Weltmeister. Nun, dieser Streitwagen, der da mit behördlicher Sondergenehmigung langsam durchs beschauliche Heppenheim gleich der Anrufung Thors donnern durfte, hat zwar nach wie vor explosiven Atem, aber auf Kartätschen scheint er nicht mehr zu laufen. So etwas kennt heutzutage kaum noch jemand. Nike, ja, der ist bekannt, dieser in der Shoppingtour in der Elektrobucht günstig geschossene Sportschuh, der hauptsächlich beim abendlichen Balztanz auf dem Laufsteg getragen wird; aber, nun ja, auch Schach oder Autorennen gehören schließlich zu den Leibesübrungen. Eine Kartätsche, das ist mal wieder so'n oller Kram aus der Vergangenheit, der bereits Auslaufmodell wurde, als sich massenweise Deutsche freitodwillig in den ersten Weltkrieg stürzten, um die Franzosen und noch ein paar andere wegzukartätschen. Unter ihnen befanden sich nicht wenige Künstler. Auch Intellektuelle werden dabei benannt, wobei ich diese Art von geschichtsschreibender Begriffsauslegung ablehne, denn welcher Fachmann für Unterscheidung läßt sich fürs sogenannte Vaterland oder gar einen Kaiser freiwillig totschießen? Aber diese Sätze da oben, die hat schließlich ein Italiener geschrieben, in dessen Sprache das natürlich noch viel rasanter klingt: «Noi vogliamo cantare l'amor del pericolo, l'abitudine all'energia e alla temerità. [...] Un automobile da corsa col suo cofano adorno di grossi tubi simili a serpenti dall'alito esplosivo ..., un automobile ruggente, che sembra correre sulla mitraglia, è più bello della Vittoria di Samotracia.»Und bereits einige Zeit vor dem erwähnten Krieg hat er das geschrieben, dieser Filippo Tommaso Marinetti, und zwar in seinem 1909 in der französischen Tageszeitung Le Figaro veröffentlichten Manifesto del Futurismo. Daran erinnert wurde ich durch eine Fernsehserie, die zu denen gehört, die im Gegensatz zu den vielen Wiederholungen gar nicht oft genug wiederholt werden kann, nicht nur, weil sie dem zwar vielzitierten, aber letztendlich doch arg vernachlässigten Bildungsauftrag entgegenkommt. Die 1994 eingestellte Sendereihe trägt den Titel 100(0)Meisterwerke. Darin wurde ein Gemälde von Giacomo Balla titels Velocità astratta vorgestellt. Aber jetzt wird mir diese abstrakte Geschwindigkeit zu rasant. Meine Muse lahmt wie mein Döschwoh, der diese novembrigen Feuchtigkeitstemperaturen überhaupt nicht mag und sich an die südlich beschienene Sommerbadewanne sehnt. Also lege ich mich erstmal in die Hängematte und denke später darüber nach, wohin das führen kann, wenn der Fortschritt zurückschreitet.
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