Beschwingte hanseatische Anglophilie


Bestandteil der russischen ©-Hängung bei Frau Braggelmann


Einen Künstler gab es, den ich nicht nur seiner Malerei, sondern auch wegen seines geradezu ungemein gelassenen (hanseatischen?) Humors oder auch saloppen Mundwerks sehr schätzte; die Arbeit eines Informel-Kollegen, der mich in dessen fortgeschrittenem Alter äußerlich bisweilen ein wenig an einen hart am Aufstieg in die geistige Aristokratie geschuftet habenden Sekundäradeligen erinnerte, bewertete er in einer Kneipe (s)einem Weggefährten und mir gegenüber mal kurz und knapp ungefähr so: Ach hör mir doch auf, das ist doch gotischer Grottenkitsch. Zu für ihn noch fröhlichen, weil wanderungsaktiven Lebzeiten, damals in einem seiner vielen weltweiten Standorte, hier der engen, aber dennoch feinen Wohnung in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, erzählte er mir zum ersten Mal davon, wie bedrückend es doch sein kann, wegen Anglophilie in den Knast gesteckt zu werden (heutzutage wären die Straßen vermutlich menschenleer). Zu der Zeit stand dieser Begriff allerdings primär als Synonym für eine Musik sowie einen Lifestyle, die kurz nach unserem Gespräch als Schallplatte mit ausstellungsbegleitendem Katalogbuch dokumentiert werden sollte: Von den Swingboys plauderte damals Kurt Rudolf Hoffmann, geboren im dänischen Sønderborg, und wie nebenbei von seiner Gestapo-Haft. Noch kurz vor seiner Entlassung war ein Schreiben Himmlers an Heydrich ergangen:
«Anliegend übersende ich Ihnen einen Bericht, den mir Reichsjugendführer Axmann über die Swing-Jugend in Hamburg zugesandt hat. Ich weiß, daß die Geheime Staatspolizei schon einmal eingegriffen hat. Meines Erachtens muß aber das ganze Übel radikal ausgerottet werden. [...] Der Aufenthalt im Konzentrationslager muß länger, 2–3 Jahre sein. Es muß so klar sein, daß sie nie wieder studieren dürfen.»
Hans Platschek, K.R.H. Sonderborg: Eine Vorgeschichte, in: Kat. K.R.H. Sonderborg, XPO Galerie, Hamburg 1985, S. 6ff.

Beim Schürfen in den scheinbar weißen Flecken meiner Kartonlandschaften stieß in nun, ausgelöst nicht alleine wegen der Findungsmaßnahmen aufgrund meines zweiten Festplattendesasters, auf diverse ältere Quellen. Dabei kamen mir ein paar Blätter entgegen, die sich in dem Zettelkasten befunden haben müssen, den mir der freundliche, aber auch bequeme oder auch von Papierkram ziemlich angewiderte Mensch seinerzeit zum Studium seiner Vergangenheit überlassen hatte. Die Mühe kleinerer schriftlicher Hinterlassenschaften hat er sich dann doch nicht nehmen lassen.


In einem Spottvers für die Repressionen gegen die Swingmusik wird Goebbels verantwortlich gemacht:
Der kleine Josef hat gesagt, ich darf nicht singen,
denn meine Band, die spielt ihm viel zu hot.
Ich darf jetzt nur noch Bauernwalzer bringen,
nach dem bekannten Wiener Walzertrott.
Zu Joseph, Joseph gesungen heißt es auch:
Wir sind nicht Juden, sind nicht Plutokraten,
doch die Nazis müssen trotzdem weg.
Aus uns da macht man keine Soldaten,
denn unsere Hymne ist der Tiger Rag.

Ich muß annehmen, daß die Tanzerei im Hamburger Stadtteil Barmbek stattgefunden hat:
Wir tanzen Swing bei Meier Barmbeck.
Es ist verboten. Wir hotten nach Noten.
Und kommt die Polizei, dann tanzen wir Tango.
Und ist sie wieder weg, dann swingen wir den Tiger Rag.
Auch diese Notiz lag noch dabei: Frei nach dem ‹Lambeth Walk›, der Churchills Lieblingslied war und daher an oberster Stelle auf dem Index der verbotenen Lieder stand.
Kennen Sie Lamberts Nachtlokal?
Nackte Weiber kolossal
Eine Mark und zehn, liegen oder stehn!

 
Di, 06.09.2011 |  link | (3717) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ohrensausen



 

Ablaßhandel


Der US-amerikanische Automobilhersteller Generelle Motorenwerke baute in den neunziger Jahren mehr oder minder erfolgreich Kraftfahrzeuge, die für die der Wirtschaft unter- und zugeordneten Regierung beinahe weitere Kriege auf fernen Kontinenten überflüssig gemacht hätten, da ihnen sozusagen der wesentliche Antrieb abhanden gekommen war: Erdöl. Die Automobile wurden von Maschinen vorangetrieben, deren Energie aus der Steckdose kam. Vermutlich aufgrund der Tatsache, daß ausreichend atomar betriebene Energiewerke übers Land verteilt sind und man durchaus auch der Natur des Vaterlandes patriotisch wohlwolle, war die Nachfrage nach diesen Beförderungsvehikeln vor allem unter differenziert über städtische Moden nachdenkenden Bürgern der Vereinigten Staaten sehr ausgeprägt. Doch der Hersteller, möglicherweise auf Bitten der Regierung, mißtraute dem Frieden. Trotz des schier übermächtig werdenden Verlangens der intelligent konsumierenden Bevölkerung nach neuester Technik ging das elektrisch getriebene Fahrzeug nicht in Serie, sondern die Geschäftsleitung in sich. Denn das wäre wohl eine viel zu früh umgesetzte utopische Idee gewesen, und schließlich wollte man den Verkauf von Geländewagen für den urbanen Einkaufsbummel und somit zugleich einen Ausflugsgrund nach Nahost nicht gefährden. Also verkauften die Generellen Motorenwerke diese seltsame Art von Automobilen nicht, sondern vermieteten sie, um immer die Besitzerhand darüber halten zu können. Als die Nachfrage dennoch ungeahnte Ausmaße annahm, zog man die offensichtlich allzu antizipativ ausgereifte Technik komplett zurück, stellte den gesamten Wagenpark bei einem Schrotthändler unter und hoffte, der Zahn der Zeit würde ausreichend an ihm nagen.

Nun begab es sich, daß der Befehl zu technischen Neuerungen mal nicht aus dem wilden Westen kam. Europa setzte aus Gründen des effizienteren Handels mit klimatisch bedingter Überproduktion von Nebenprodukten, aber durchaus auch zur Rettung der einheimischen notleidenden Automobilindustrie auf Elektromotoren. Zwar blieb vor allem das deutsche Reich des Altbewährten bei der Praxis der steuerlichen Förderung jener Automobile, die sich durch mehr Umfang auch im Gewinn sowie durch einen höheren Verbrauch von Treibstoff aus versiegenden Quellen auszeichneten. Das hatte unter anderem den Vorteil, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens EUropäischer Gesetzgebung beim Ablaßhandel mit schlechter Luft nicht ganz ins Hintertreffen zu geraten. Bessere Luft ließ man weiterhin die anderen produzieren. Schließlich hatte man an der Freiheit des Bürgers für freie Fahrt festzuhalten und obendrein bereits dem Atom das Licht ausgeknipst.

Ein genialer Schachzug der vor den Türen der Automobilindustrie sitzenden politischen Lobby scheint allerdings die an die US-amerikanischen Kollegen herangetragene Bitte um Hilfe bei der Lösung eines speziellen Problems migrantischer Hintergründe. Um die einst gerufenen und daraufhin übers Land hergefallenen, aber trotz heiliger Versprechen nicht in ihre Heimat zurückgekehrten Geister doch noch zu einer Rückkehr zu bewegen, beschlossen die Generellen Motorenwerke die Verlagerung ihres deutschen Ablegers in die Türkei. Dem entgegen kam die frühere Beliebtheit dieses Fabrikats unter den Urwirtschaftsflüchtlingen. Hinzu war gekommen, daß dort diese neue Hochtechnik preisgünstiger produziert werden konnte und sich darüber hinaus als Made in Germany bestens verkaufen würde. Endlich würde auch die Konstanz in Opel wieder hergestellt sein.


Also gut. Dieses Blog ist schließlich mehr der Wahrheit und weniger der Wirklichkeit verpflichtet. Es verhielt sich so: Die Bergfrau Braggelmann tauchte bei mir vor Ort auf und begehrte Einlaß, um am Ort zum wiederholten Mal einfahren zu dürfen in die offensichtlich nach wie vor unergründlichen Tiefen meiner Kunstkatakomben. Neben mehreren Kunststücken hatte sie dann das obere ausgegraben und ans Tageslicht befördert. Woher es stammt, kann ich leider nicht mehr nachvollziehen, wie ich auch die Signatur nicht entziffern kann. Auf jeden Fall hat mir die- oder derjenige auch noch im nachhinein eine große Freude bereitet, an der ich gerne andere teilhaben lassen wollte. Aber das geht bei mir bekanntermaßen nunmal nur mit vielen Begleitwörtern.
 
Fr, 02.09.2011 |  link | (2344) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges



 

Revoluzzionäre Kulturauflösung

«Ein Überohr ist kein Überbein. Vielmehr könnte man denken, daß ein Überohr eine Art musiktheoretischer Übervater ist. Etwa der alte Musiklehrer aus der Oberstufe, der als Mann im Ohr in einem fortwirkt. Ein Überohr scheint ein Organ zu sein, mit dem sich über den Musikgeschmack wachen läßt — den eigenen wie den des Zeitgeists.

Ein solches Organ gab es tatsächlich. Es stammte natürlich von keinem Musiklehrer. Schon gar nicht in den frühen 1970ern, wo obrigkeitsstaatlich noch streng zwischen Hoch- und Trivialkultur geschieden wurde, zwischen U und E. Es kam vielmehr aus Hamburg und nannte sich Sounds. Mit Sounds verlor die Trivialkultur ihre Trivialität und wurde zur Popkultur geadelt.»
Wer sich hinter diesem Pseudonym verbarg, erfuhr ich erst Mitte der siebziger Jahre. Das hatte sicherlich damit zu tun, daß ich zuvor zwar auch, aber nicht so intensiv U hörte, da mir die als elterlich-pädagogischer Ernst des Lebens injizierte Droge E kindheitsgeprägt so beharrlich durch die Synapsen floß wie anderen die Rosenkränze aller erdenklichen Religionen. Sounds gehörte demnach nicht unbedingt zu meiner nächtlichen Hotelschubladenlektüre. Das war war eher das Revier solcher Rebellen wie Hans Pfitzinger, der für das Rock'n'Roll-Blatt von San Francisco aus hin und wieder musikalische Depeschen ins östliche Übersee kabelte, wie überhaupt etwa die Beat-Dichter oder Love and Peace sein Thema waren. Aber als der mir eines Tages erklärte, daß dieses überdimensionale Ohr nicht nur Unterhaltung kannte und konnte, sondern für mein Verständnis auch Ernsthaftes äußerte, da war ich dann doch ein wenig überrascht, war mir Helmut Salzinger bereits seit längerem bekannt. Er gehörte mit zu den ersten, die sich mit dem 1967 erschienenen und später legendär werdenden, ziemlich dicken und von mir heute völlig zerlesenen Taschenbuch der Wiener Gruppe beschäftigten. Dort fühlte ich mich eher beheimatet.

Andererseits waren die Entfernungen dann doch wieder nicht allzu groß, oder aber: Die Grenzen zwischen Unterhaltung und Ernst hatten begonnen, zu zerfließen, hatten auch bei mir bereits Auflösungserscheinungen gezeigt. Die Wiener um den gleichnamigen Vater einer heute so erfolgreich das Fernsehen bekochenden Tochter mit alttestamentarischem Namen hatten spätestens seit Mitte der Sechziger die Trampelpfade der eindimensionalen Menschheit verlassen, waren mit Vorbereiter dessen, was ab '68 endgültig als Muff aus tausend Jahren aus den Talaren gedampft werden sollte. Gemein war alldem der jeweils schlechte Einfluß auf junge Menschen, die schließlich arbeiten oder studieren sollten und nicht revoluzzern oder gar revolutionieren. Was letztlich daraus werden sollte, ist bis heute sichtbar am Beispiel der sich innerhalb der Grenzen Europas hartnäckig haltenden Kriminalitätsvorbeugung titels Schleyerfahndung.

Ernsthafter Kinderkram also. Und selbst der ist ursächlich zurückzuführen auf die Wiener Gruppe, die es nach Friedrich Achleitner als solche nie gegeben hat, war sie es doch, wie mir mal ein Jazzmusiker aus deren Umfeld nächtens bei anderen Drogen ins Unterohr balladierte, die die alte Revolution nach- und die dann kommende quasi vorspielte. Auch den hier kürzlich erwähnten Niedergang einer Illustrierten hatten die Wiener bereits vorgezeichnet. Ein Reporter des Bildblattes wurde seinerzeit tief unten in den Kellern der Kaiserlichen und Königlichen Metropole wegen seiner Verbreitung von wirklichen Unwahrheiten von einem Volksgerichtshof zum Tod durch das Fallbeil verurteilt. Man ließ ihn zwar wieder frei, aber die Revolution war immerhin eingeläutet. Jedenfalls als Terminus technicus der Werbeindustrie. Nicht nur der Popokultur.
 
Di, 30.08.2011 |  link | (3169) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ohrensausen



 







Werbeeinblendung

Jean Stubenzweig motzt hier seit 6420 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



... Aktuelle Seite
... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis)
... Themen
... Impressum
... täglich
... Das Wetter

... Blogger.de
... Spenden



Zum Kommentieren bitte anmelden

Suche:

 


Letzte Kommentare:

/
Echt jetzt, geht noch?
(einemaria)
/
Migräne
(julians)
/
Oder etwa nicht?
(jagothello)
/
Und last but not least ......
(einemaria)
/
und eigentlich,
(einemaria)
/
Der gute Hades
(einemaria)
/
Aus der Alten Welt
(jean stubenzweig)
/
Bordeaux
(jean stubenzweig)
/
Nicht mal die Hölle ist...
(einemaria)
/
Ach,
(if bergher)
/
Ahoi!
(jean stubenzweig)
/
Yihaa, Ahoi, Sehr Erfreut.
(einemaria)
/
Sechs mal sechs
(jean stubenzweig)
/
Küstennebel
(if bergher)
/
Stümperhafter Kolonialismus
(if bergher)
/
Mir fehlen die Worte
(jean stubenzweig)
/
Wer wird schon wissen,
(jean stubenzweig)
/
Die Reste von Griechenland
(if bergher)
/
Richtig, keine Vorhänge,
(jean stubenzweig)
/
Die kleine Schwester
(prieditis)
/
Inselsommer
(jean stubenzweig)
/
An einem derart vom Nichts
(jean stubenzweig)
/
Schosseh und Portmoneh
(if bergher)
/
Mit Joseph Roth
(jean stubenzweig)
/
Vielleicht
(jagothello)






«Ist Kultur gescheitert?» ? «Bitte gehen Sie weiter.»



Suche:

 




Anderenorts

Andere Worte

Anderswo

Beobachtung

Cinèmatographisches + und TV

Fundsachen und Liebhaberstücke

Kunst kommt von Kunst

La Musica

Regales Leben

Das Ende

© (wenn nichts anders gekennzeichnet): Jean Stubenzweig





pixel pixel
Zum Kommentieren bitte anmelden

Layout dieses Weblogs basierend auf Großbloggbaumeister 2.2

pixel pixel