Von Gebildeter zu Gebildeten:

Vom «zehnjährigen Jubiläum» von Nine Eleven spricht Tina Mendelsohn in der Kulturzeit vom elften September im Gespräch dem norwegischen Friedensforscher Johan Galtung.
Sie sucht den Augenblick der Wahrheit und macht uns zu Mitwissern:

«Ich habe ein Gespür dafür, wann ich aufhören muß zu fragen.» Ein Live-Interview ist wie Sport. In dem Augenblick davor, wenn die Minuten kurz sind und die Sekunden lang, befällt Tina Mendelsohn eine unheimliche Leere.
Und das hat Galtung eingangs des Gesprächs im Wortlaut nahezu identisch geäußert:
Kulturell ist so gut wie nichts geschehen. Der große Dialog hat nicht stattgefunden.

 
Fr, 09.09.2011 |  link | (2865) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Geld- und andere Sorgen

An Eduard Fechner, Maler, Paris. Paris, 18. Januar 1841.
Allerverehrtester Herr Onkel, erlauben Sie mir, Sie recht höflich zu ersuchen, uns gefälligst morgen, Dienstag, den 19. d. M., abends, die Ehre Ihres werten Besuches zu erzeigen. Außer anderen Delicen werden Sie da einen außerordentlichen Kunstgenuß haben; der über alle Begriffe berühmte belgische Violinvirtuose Vieuxtemps hat nämlich Zutritt zu meinen Soirees erlangt, und wird sich demnach morgen freundschaftlichst bei mir hören lassen. Zum Schluß: spanischer Tanz mit Kastagnetten, ausgeführt vom Unterzeichneten.

Anfang um 7 Uhr.

Ihr ganz unterthänigster Verehrer

Richard Wagner

25, rue du Helder.

An Robert Schumann. Dresden, 28. Oktober 1842.
Verehrtester Freund! Ich schmachte nach Ihrer Gegenwart bei einer der Aufführungen meiner Oper in Dresden. Können Sie nicht zu Sonntag, den 30. d. M., hierherkommen? Die auf diesen Tag angesetzte Vorstellung findet jedenfalls statt. Wollten Sie mir wirklich dies Opfer bringen, so bitte ich, daß Sie mir recht bald schreiben, ob ich Ihnen einen Platz aufbewahren soll, da Sie sonst schwerlich an der Kasse bedient werden würden, denn trotz der immer noch erhöhten Preise sind für die nächsten Vorstellungen meist alle Plätze genommen. Falls Sie also selbst erst Sonntag um 2 Uhr von Leipzig fortführen, hätten Sie sich doch nur an der Kasse mit Ihrem Namen zu melden, um ein für Sie zurückgelegtes Billett zu empfangen — nämlich, sobald Sie mir sogleich schrieben, daß Sie können.

Ich bin ungestüm in meiner Zudringlichkeit; Sie werden aber leicht begreifen, wie sehr mir an der Erfüllung meiner Bitte liegt. Seien Sie mir nicht böse und seien Sie der freundschaftlichsten Hochachtung versichert,

mit der ich bin

Ihr ergebenster Richard Wagner.


An Karl Gaillard, Berlin. Groß-Graupe, 21. Mai 1846.
Gott sei Lob, ich bin auf dem Lande! Eine große Wohltat hat mir mein König durch die Gewährung eines längeren Urlaubs erzeigt. Ich wohne in einem gänzlich unentweihten Dorfe — ich bin der erste Städter, der sich hier eingemietet hat. Nun hoffe ich alle Erlabung meines Gemütes und meiner Gesundheit von meinem Bauernleben. Ich laufe, liege im Walde, lese, esse und trinke und suche das Musikmachen ganz zu vergessen ... Ich habe einen der widerlichsten Winter meines Lebens im Rücken: Neid, Bosheit, Albernheit — und tödliche Langsamkeit in der Verbreitung meiner Wirksamkeit nach außen waren die Feinde, mit denen ich täglich jenen abscheulichen Kampf zu bestehen hatte ... Wissen Sie, was Geldsorgen sind? Sie Glücklicher, wenn nicht! ...
Zitiert nach: Richard Wagners gesammelte Briefe, herausgegeben von Julius Kapp und Emerich Kastner, Hesse und Becker Verlag, Leipzig 1914, 14 Bände in 5 Bänden, hier 1. Band, S. 158, 294, 207

Das war der (heute früh zum dritten oder vierten oder vielleicht zum elften Mal in Radio Hirn will Arbeit wiederholte) Auslöser: Als der Meister die Musik revolutionierte, kannte man eben noch kein Eventmanagement. Die traumberufene Frau Alexia Werner hätte ihm bestimmt mehr als eine Flasche authentischen Champagners — ach, wahrscheinlich überhaupt ein paar Sponsoren zukommuniziert. Denn heutzutage ist der Förderer wichtiger als der Geförderte. Los ging das in der Postpostmoderne der mittleren Achtziger.
 
Do, 08.09.2011 |  link | (1689) | 11 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino



 

Beschwingte hanseatische Anglophilie


Bestandteil der russischen ©-Hängung bei Frau Braggelmann


Einen Künstler gab es, den ich nicht nur seiner Malerei, sondern auch wegen seines geradezu ungemein gelassenen (hanseatischen?) Humors oder auch saloppen Mundwerks sehr schätzte; die Arbeit eines Informel-Kollegen, der mich in dessen fortgeschrittenem Alter äußerlich bisweilen ein wenig an einen hart am Aufstieg in die geistige Aristokratie geschuftet habenden Sekundäradeligen erinnerte, bewertete er in einer Kneipe (s)einem Weggefährten und mir gegenüber mal kurz und knapp ungefähr so: Ach hör mir doch auf, das ist doch gotischer Grottenkitsch. Zu für ihn noch fröhlichen, weil wanderungsaktiven Lebzeiten, damals in einem seiner vielen weltweiten Standorte, hier der engen, aber dennoch feinen Wohnung in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, erzählte er mir zum ersten Mal davon, wie bedrückend es doch sein kann, wegen Anglophilie in den Knast gesteckt zu werden (heutzutage wären die Straßen vermutlich menschenleer). Zu der Zeit stand dieser Begriff allerdings primär als Synonym für eine Musik sowie einen Lifestyle, die kurz nach unserem Gespräch als Schallplatte mit ausstellungsbegleitendem Katalogbuch dokumentiert werden sollte: Von den Swingboys plauderte damals Kurt Rudolf Hoffmann, geboren im dänischen Sønderborg, und wie nebenbei von seiner Gestapo-Haft. Noch kurz vor seiner Entlassung war ein Schreiben Himmlers an Heydrich ergangen:
«Anliegend übersende ich Ihnen einen Bericht, den mir Reichsjugendführer Axmann über die Swing-Jugend in Hamburg zugesandt hat. Ich weiß, daß die Geheime Staatspolizei schon einmal eingegriffen hat. Meines Erachtens muß aber das ganze Übel radikal ausgerottet werden. [...] Der Aufenthalt im Konzentrationslager muß länger, 2–3 Jahre sein. Es muß so klar sein, daß sie nie wieder studieren dürfen.»
Hans Platschek, K.R.H. Sonderborg: Eine Vorgeschichte, in: Kat. K.R.H. Sonderborg, XPO Galerie, Hamburg 1985, S. 6ff.

Beim Schürfen in den scheinbar weißen Flecken meiner Kartonlandschaften stieß in nun, ausgelöst nicht alleine wegen der Findungsmaßnahmen aufgrund meines zweiten Festplattendesasters, auf diverse ältere Quellen. Dabei kamen mir ein paar Blätter entgegen, die sich in dem Zettelkasten befunden haben müssen, den mir der freundliche, aber auch bequeme oder auch von Papierkram ziemlich angewiderte Mensch seinerzeit zum Studium seiner Vergangenheit überlassen hatte. Die Mühe kleinerer schriftlicher Hinterlassenschaften hat er sich dann doch nicht nehmen lassen.


In einem Spottvers für die Repressionen gegen die Swingmusik wird Goebbels verantwortlich gemacht:
Der kleine Josef hat gesagt, ich darf nicht singen,
denn meine Band, die spielt ihm viel zu hot.
Ich darf jetzt nur noch Bauernwalzer bringen,
nach dem bekannten Wiener Walzertrott.
Zu Joseph, Joseph gesungen heißt es auch:
Wir sind nicht Juden, sind nicht Plutokraten,
doch die Nazis müssen trotzdem weg.
Aus uns da macht man keine Soldaten,
denn unsere Hymne ist der Tiger Rag.

Ich muß annehmen, daß die Tanzerei im Hamburger Stadtteil Barmbek stattgefunden hat:
Wir tanzen Swing bei Meier Barmbeck.
Es ist verboten. Wir hotten nach Noten.
Und kommt die Polizei, dann tanzen wir Tango.
Und ist sie wieder weg, dann swingen wir den Tiger Rag.
Auch diese Notiz lag noch dabei: Frei nach dem ‹Lambeth Walk›, der Churchills Lieblingslied war und daher an oberster Stelle auf dem Index der verbotenen Lieder stand.
Kennen Sie Lamberts Nachtlokal?
Nackte Weiber kolossal
Eine Mark und zehn, liegen oder stehn!

 
Di, 06.09.2011 |  link | (3324) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ohrensausen



 







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