Versuch der Befreiung von der alten Emanzipation

Das Hauptproblem «in dieser Debatte um PoC, Gender usw.» scheint mir zu sein, daß sich ohnehin viel zu wenige Menschen für die Thematik interessieren. Das geht bei der Emanzipation los, mündet in den Mäander der Geschlechterdefinitionen und verliert sich dann sozusagen naturgesetzlich im unendlichen Meer der Ahnungsloskeit, da kein bißchen Horizont mehr in Sicht ist. So lesen sich auch einige Kommentare auf der Seite von DA. Man beharrt gerne auf dem bequemeren Status quo, der kaum neuere Fragen zulassen will.

Erst gestern wieder sah ich mich im kleinen Familienkreis gezwungen, einer jungen Frau erklären zu müssen, welche Bedeutung die weibliche Bewegung vom kleinen Unterschied und den großen Folgen auch für sie haben sollte. Sie hat mir nicht sonderlich gespannt zugehört. Und als ich erläuterte, wie schwierig es für bereits ältere Menschen ist, den neuen Definitionen oder auch Reizwörtern in der Genderdebatte zu folgen, wenn schon die jungen das mit einem schlichten Was soll das überhaupt? abtun, kam es zum Streit. Das auf diese Weise kundgetane Desinteresse der erst in Germanistik und dann in der Juristerei Karriere machen wollenden und dann doch lieber überhaupt erstmal pausierenden Studentin hatte mich aufgebracht, vor allem deshalb, da ich gerade über die Komplexität des Themas gesprochen hatte und ich merkte, daß sie mir gar nicht richtig zuhören wollte, als ich die Zusammenhänge von Befreiung und Emanzipation, wenn ich das mal so wissensfrei erklären darf, versucht hatte zu erläutern. Aber möglicherweise lag's an meiner zweifellos vorhandenen Ungeduld, vielleicht, weil ich an die Fast-Germanistin erinnert worden war, die mir Mitte der Neunziger eine DIN-A-4-Seite mit einem nicht einmal übermäßig anspruchsvollen Text zur Literaturrezeption mit der Begründung zurückgereicht hatte, sie verstehe das nicht. Es mag auch daran gelegen haben, daß ich mal wieder zu Adam und Eva zurückgekehrt war: über PoC zum Farbigen, zum Schwarzen, zum Neger, zur in den USA, in Südafrika et cetera auch heute noch gebräuchlichen Bezeichnung Caucasian, zum Herrchen wahrlich nicht nur in Ländern oder Kontinenten mit überwiegend dunkelhäutiger Bevölkerung, zu Nationalbewußtsein, Kolonialisierung und so weiter.

Noch nicht allzu lange ist es her, daß mich die verärgerte Abwehrhaltung einer jungen Frau sehr irritierte, von der ich aufgrund ihres auf mich südländisch wirkenden Aussehens wissen wollte, wo genau ihre Wurzeln wurzeln, weil mich das von jeher interessiert hat und auch weiterhin interessieren wird, das ich mich mittlerweile aber fast nicht mehr zu fragen getraue, um nicht Gefahr zu laufen, als politisch unkorrekt oder schlicht unhöflich dazustehen. In Frankreich, wo ich solche Fragen immer wieder mal stelle, beispielsweise, weil ich wissen möchte, ob meine bei mir alles andere als rassis(tis)ch orientierten Kenntnisse in der Physiognomik noch in Ordnung sind, ob ich richtig liege mit Tunesien oder Algerien, ist mir das noch nie passiert, daß ich deshalb angegiftet werde. Im Gegenteil, häufig genug ist es geschehen, daß mir jemand freundlich lächelnd erzählend den gesamten Stammbaum mitliefert, etwa die junge Frau in der Kneipe im Butte aux Caille, über deren dunklen und gekräuselten Locken über ihrem fast extrem hellhäutigen Gesicht ich verwundert war und die daraufhin mit mir über ihre berberische Familiengeschichte plauderte, die sie, wie sie es nannte, bis zu ihrer barbarischen Herkunft, also vermutlich zu den Vandalen, zurückverfolgt hatte.

Diese in Deutschland zunehmende rigide Abwehr gegenüber Fragen nach der Abstammung halte ich für nicht weniger ignorant als das oben geschilderte Desinteresse. Es gibt nunmal Menschen, die unter anderen Bedingungen als den heutigen aufgewachsen sind. Und oft genug frage ich mich und andere dabei, warum die aus anderen Regionen dieser Erde ins Land Gemischten nicht hin und wieder mal über den Tellerrand ihrer Einbürgerung zu blicken versuchen. Von der Problematik der Kolonialisierung wurde Deutschland schließlich lediglich qua Befreiung durch die Befreier befreit. Anderen Ländern wie etwa dem bereits erwähnten Frankreich, aber auch Belgien, den Niederlanden oder Großbritannien hing und hängt das einfach noch länger an. Mir kommt die heutige Diskussion manchmal vor, als ob Hoffmann von Fallersleben gerade das Lied von den Deutschen geschrieben hätte, als es die in der heutigen Form noch nicht gab, weil von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt alles in Kleinstaaterei zerfasert war, was er geändert haben wollte, für das er seinem Verleger Campe von Helgoland aus schrieb Aber es kostet fünf Louisidor! und in dem es heißt: Einigkeit und Recht und Freiheit.

Das sollte fürwahr herrschen (auch hierbei hat ein Wandel in der Begriffsbestimmung stattgefunden). Dazu gehört aber nunmal das Wissen, die Bereitschaft, sich zu informieren und nicht einfach die Geschichte revolutionär in die Luft zu sprengen wie ein lästiges, das Neue behindernde Denkmal. Wer über Geschlechter und Befreiung debattieren will, sollte zumindest annähernd wissen, um was es geht. Aber vermutlich ist es der Vorteil fortgeschrittenen Alters, der die Einsicht beschert, daß man ohne die Bereitschaft, nicht nur nach hinten, sondern auch nach vorn hinzuzulernen, stehenbleibt. Das will auch ich nicht. Also muß ich mich zunächst einmal ausreichend über die Genderdebatte informieren, bevor ich hier weiterhin spekuliere, mich in die Wüste der Logorrhoe begebe und am Ende gar bei Zusammenhängen ende, die zwischen dem einen und dem anderen bestehen könnten, beispielsweise dem bewußten oder unbewußten «Reproduzieren von Herrschaftsstrukturen» bei der Rede über die Geschlechter oder gar Rassen, die es zwar nicht gibt, die aber in einer älteren Sprache nunmal so hießen.
 
Mo, 07.11.2011 |  link | (2512) | 15 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Zeige ihre Wunde

Die nächste documenta dräut.

Gestern rief schrecklich aufgeregt die die Kunst vermutlich ein bißchen mehr als mich schätzende Frau Braggelmann, die als von mir so bezeichnete Doktor Blaulicht ohnehin für Verletzungen zuständig ist, an und erzählte etwas von einem Mordversuch an der Schönheit durch Nichtwissende. Eine Putzfrau habe ein Kunstwerk zerstört. Meine erste Frage: Nordrhein-Westfalen? Sie ging gar nicht darauf ein und ließ weiterhin die Sirene auf dem Kopf via Mundwerk heulend attackieren. Nach ihrer staccatoartigen Schilderung der Berichterstattung aus einem öffentlich-rechtlichen Organ mußte ich annehmen, sie habe vermutlich nicht gemerkt, daß das eine dieser Wiederholungen der fünfundzwanzig Jahre alten Nachrichten war, die immer wieder mal darauf hinweisen, daß früher doch nicht alles besser war. Der Vorfall mit der Fettecke in Beuys' Badewanne war mir nämlich spontan eingefallen, bei der ein Düsseldorfer Saubermann für die Reinheit der deutschen Kunst sorgen wollte, indem er ihr das Zuviel an Cholesterin und Kalorien nahm. Doch der war ihr nicht bekannt, löste allerdings eine ausgeprägte Empörung bei ihr aus, und sie setzte, nachdem ihr lautes Lachen abgeebbt war, mit ihrer meinen Irrtum korrigierende Nachberichterstattung fort und wies auf einen aktuellen Fall hin, von dem sie allerdings nichts Genaueres wisse, da sie nur den Rest mitbekommen habe, weil sie gerade auf der Suche gewesen war für eine ihre Kosmetikseite verschönert haben wollende Freundin, vielleicht eine «klassisch schöne» (das ästhetisch hat sie gerade noch unterdrückt) Darstellung eines Hamam. Da mir bei klassisch immer sofort das Alarmsignal Klassizismus ausgelöst wird, empfahl ich ihr eines der vielen <a href="http://www.ecosia.org/images.php?q=Jean-L%C3%A9on+G%C3%A9r%C3%B4me">Badebildchen eines Künstlers, der von dort stammt, wo nach meiner Meinung Frankreich und damit die Ästhetik des Schönen erst beginnt. Ungefähr ab Vesoul, mit dem Franche-Comté, setzt in südlicher Richtung nämlich beispielsweise die Malerei von Verkehrsschildern auf Felswänden ein, was daran liegen mag, das sich ohnehin niemand mehr um Regelungen kümmert, weil die sinnlichen Genüsse (durchaus auch jüngeren Menschen) immer deutlicher in den Blickpunkt geraten, etwa das Federvieh oder der Wein der Bourgogne.

Ich begab mich sofort in meine zwar manchmal nicht besonders ertragreiche, aber jedenfalls andere Suchmaschine und gab ihr den Befehl, nach Kunstzerstörung zu fahnden. Nach vielen Seiten über Bildersturm und Beuys gab sie das nach den vielen Fälschungen und fragwürdigen Kunstbewertungen überhaupt etwas ins Hintertreffen geratene Thema schließlich preis. Das einzige, was an meiner Annahme stimmte, war Nordrhein-Westfalen. Gereinigt und damit die Kunstbewertung wieder ins Gespräch gebracht hatte die Kunst eine Putzfrau in Dortmund. Das ist die Stadt, in die ich in den Achtzigern des öfteren gereist war, weil ich den Direktor des dortigen Museums am Ostwall sympathisch fand und ihn unterstützen wollte in seinem Kampf gegen die Vernachlässigung seines Hauses durch die Kommune, die ihre vom Durchschnittsbürger gezahlten Gelder lieber in eine ästhetisch anspruchsvollere Gestaltung des Zentrums investierte, die sich darin zeigte, daß die vorab erbenden Söhn- und Töchterleins der alten Kohle- und Stahlmagnaten nach ihrem wochenendlichen Ausführen der schnieken Cabriolets das abschließende Gläschen Champagner unmittelbarer und quasi, heute würden sie in der Sprache der Fachwelt souverän von alles authentisch plaudern, genießen konnten, während ein paar Schritte weiter unten der Nachwuchs der Verlierer spielerisch Pfennige gegen die Wand warf. Es hat sich viel geändert seither in den Museen des Landes, der Zahn der Zeit hat edle Füllungen bekommen.

Der Ostwall, dessen damals offensichtlich zu antizipatorischer Kunstverteidiger im Verließ der Resignation verschwand, hat nun zum Beispiel einen Kippenberger — wenigstens geliehen bekommen. Der Geehrte ist zwar nicht unbedingt an seinem Ruhm zu Lebzeiten, sondern allenfalls an anderen Elexieren des Teufels zugrundegegangen, aber da ein toter Künstler für die ihn verwaltende Nachwelt ein besserer Künstler ist, weil der sich nicht mehr gegen seine Vereinnahmung wehren kann, ist er mittlerweile dann doch immerhin ordentlich was wert: 800.00 Euro. Das setzt die Inflation, die auch auf dem Kunstmarkt herrscht, ins Bild: Zu Beuys' einsetzenden Hochzeiten kostete die Verletzung einer späteren Reliquie noch 40.000 Mark. Aber immerhin setzt es die Diskussion über den Stellenwert der Kunst außerhalb der feinen Gesellschaft in Dortmunds Zentrum wieder ingang.

Ich als autorisiertes und damit zu einem Urteil fähigen Mitglied des Internationalen Gesellschaftskritikerverbandes (Association internationale des critiques d'societé: aics) rückte mir den Vorfall, bevor ich genauere Informationen hatte, selbstverständlich ins vermeintlich rechte Licht. Ausgegangen war ich von der Tatsache, daß mittlerweile auch Stadtverwaltungen indirekt Billigstlöhne zahlen, indem sie keine steuerträchtigen Festangestellten mehr, sondern bei niederen Tätigkeiten längst Fremdfirmen mit der Sauberkeit auch des Inneren beauftragen. Folglich vermutete ich eine aus dem immer mehr in den fernen Osten rückende beziehungsweise kommende preiswertere Bodenpflegerin, die mit den ästhetischen Urteilen der westlichen Welt verständlicherweise nicht unbedingt vertraut ist. Doch ich habe mich geirrt. Die Werteverletzerin war eine Dame des Hauses, die, entgegen ihrer Anweisung, mit einem Mindestabstand von zwanzig Zentimetern um die Kunst herumzuputzen und diese keinesfalls zu berühren, den ihren Schönheitssinn verletzenden Fleck beseitigte. Damit dürfte der Beweis erbracht sein, daß der Mindestlohn alleine deshalb dringendst erforderlich ist, weil jederman und -frau das Recht haben muß, mehr Geld in seine Bildung investieren zu können.

Aber wenigstens darf der kanalisierte Qualitätsjournalismus namens RTL endlich wieder einmal urteilen: «Darüber lacht die Republik.» Ja, nun auch die anfänglich empörte Frau Braggelmann. Ich auch, und zwar um das Gewese, das sich mal wieder um die Kunst rankt, ohne daß diese Meinungsmacher ihr wirklich nahe kommen wollen. Die Gesellschaft zeigt eine ihrer Wunden. Ob ohne oder mit Beuys.
 
Sa, 05.11.2011 |  link | (2015) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges



 

BiBook oder EiFrau?

Wunderbar war das tatsächlich, was man linksrheinisch da zusammengestellt hat, das war höchste fernseherische Qualität. Wunderbar war es sicherlich auch im Hinblick auf mein Wundern, das seit meiner Kindheit anhält: das über die Frauen. Eine Phase gab es in meinem Leben, in der ich, wohl angeleitet von der ideologisch motivierten Einswerdung der sechziger, siebziger Jahre, straff behauptete, es gebe keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Letztere hat mich eines Besseren gelehrt, hinzu kamen die ersten eigenen Gedanken, die die zeitgeistigen Fehlstörungen anderer korrigierten. Eins bin ich mit mir, daß sie etwas Wunderbares sind, aber bis heute uneins darüber, was sie treibt, nicht alle, aber sehr, sehr viele, ausgerechnet uns Männern gefallen zu wollen, die wir alles andere als sanft und liebreizend mit ihnen umgegangen sind und das nach wie vor auch nicht unbedingt tun. Selbst wenn ich den Geist der Zeit in Zolas Au Bonheur des dames* ausblende und mich auf die heutigen Gegebenheiten konzentriere, komme ich nicht umhin, mir darüber im klaren zu sein, daß es nichts als eine perfide Erfindung der Männer ist, Geld zu machen beziehungsweise zu scheffeln. Dann werde ich wieder unsicher, frage mich, ob da die männliche Ichbezogenheit nicht doch von ihrem Zwillingsbruder, dem eineiigen, bisweilen auch altes Ego genannt, angetrieben wird, sich für seine miesen Taten auch noch belohnen zu lassen, indem er sich sozusagen zweiseitig am Anblick erfreuen und das alles dann Verführung nennen darf.

Da ist sie wieder, die berühmt-berüchtigte Frage, was zuerst da gewesen sei: die Henne oder das Ei. Hat Steve Jobs seine Produkte später wohl deshalb so benannt, weil ihn die Erkenntis vom Apfel im Paradies der Dame(n) übermannte, die ihn schließlich dem Herrn überrreicht hatte? (Bi[ddy]Book wäre allerdings auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei gewesen.) Es waren nach meiner Beobachtung nämlich zuerst die Frauen, die, als das feine EiBüchlein ins Kaufhaus der äußerlichen Verführung ausgeliefert worden war, damit hantierten. Ich erinnere mich recht gut an die leicht hochgezogene Augenbraue einer Dame, die mir alleine wegen ihrer schlichten, also eher edlen, ergo applikationsfreien Gewandung aufgefallen war. Sie hatte anfangs des neuen Jahrtausends leicht naserümpfend ihr eigenes edles Rechteck aus der großen Damenhandtasche geholt und es auf den Tisch der schnellen Bahn gen Buchmesse gelegt, um damit vermutlich einen Vortrag über die frauenspezifische Literaturrezeption zuende zu bringen (während all die Männer um sie herum mit Gerätschaften herumfuhrwerkten, und sei es, daß sie sich damit schlechte, irgendwelche computeranimierte Streifen aus der Nähe von Los Angeles anschauten, deren Aussehen ihrer funktionalen Eindimensionalität unterworfen war: Einsen und Nullen kämpfen aktionsreich gegeneinander). Eine Münchner Freundin, die ich nicht nur ihres feinsinnigen und -sinnlichen Äußeren wegen gerne anschaute, war eine der ersten, die ihre Aufsätze zur Pädagogik der Flickerlteppichfamilie zwischen Tür zum Kindergarten, der immer freundlichen Studentenbegrüßung im Hörsaal, nachmittäglichem Besuch samt quengeldem Nachwuchs in der Eisdiele und der spätabendlichen Angel des Intellektualisierens in ein EiBuch fließen ließ, während der ständig müde Gefährte die ihn einzig beschäftigende Vorstufe seiner mediologischen Studien zum optischen Wissen über Maler und Dichter, über Wege zur Kultur wohnungstechnisch abgeschirmt in einen nüchtern genannten pränordkoreanischen Schlepptop hackte. Mit Wonne erinnere ich mich des Eindrucks, den die junge Dame in ihrem unauffällig schönen Sommerkleid auf mich machte, als ich ihr souverän männlich den guten Rat gab, es sei nicht nur der Funktion, vielleicht auch der Schönheit ihres süßen kleinen EiBüchleins möglicherweise abträglich, die Tasse mit dem Kaffee darauf abzustellen, selbst wenn der von Einstein persönlich produziert worden sei. Die dennoch freundlich oder höflich geblieben war und gar ein paar Sätze mit mir austauschte, selbst dann, als ich sie auch noch ablichtete, daß ich mich beinahe in Frankreich wähnte, wo man Damen in der Regel (ohje, aber das bleibt jetzt so stehen) ablichten darf, ohne Gefahr zu laufen, inhaftiert zu werden.


Und da muß ich schon wieder an Schuhe denken. Barrierefrei geht das ineinander über. Nicht nur in meinem Kopf, der von einem Virus namens Schuh-Tick befallen ist. Das ist der rechte Platz für einen wie mich. Während man im Bon Marché später den Männern sogar einen Lesesaal einrichtete (heute würde man vermutlich EiMäcks installieren, weil die bürgerliche Welt auch animierte Eins-gegen-Null-Spiele gerne in elegantem Äußeren ausführt), habe ich im Einstein nur einen Schritt in das Paradies, nach rechts in das der Damen, nach links in das der Herren. Mir ist in dem zu recht erstgenannten wohler. Die Schuhe der Männer sehen nahezu ausnahmslos aus wie die von ihnen konstruierten und ver- sowie gekauften Automobile oder das, was sie ansonsten noch sinnvoll nennen. Wobei der anzunehmenderweise von ihnen geschaffene Begriff High Heels eine mich neuerlich spaltende, in meinen Ohren obendrein nicht unbedingt reizvoll klingende Bedeutung bekommt.

Womit ich endlich bei der Emanzipation angekommen wäre. Auf Rädern dahergerollt scheint die mir immer wieder zu sein, wie auf einem Laufband der Lehre von der industriellen Evolution. Das eine ums andere Mal werde ich den Verdacht nicht los, dem Erfindergeist des schöpfenden Herrn Gott könnte die einmal mehr ensprungen sein, um aus einer scheinbaren Befreiung reichlich Kapital zu generieren, wie das mittlerweile heißt. Nicht zuletzt beim neuerlichen Lesen von Monsieur Émiles Roman stoße ich mich immer wieder an Ecken und Kanten, wie sie offensichtlich bevorzugt von Männern konstruiert und produziert werden. (Es erinnert mich an die Antwort eines Studenten der Münchner Kunstakademie auf die Frage einer Kommilitonin, weshalb seine Plastiken allesamt so unharmonisch und scharfkantig seien: Rund seid ihr doch schon! Er ging später in der Tätigkeit eines Kunsterziehers auf.)

Aber ich verstehe ohnehin zu wenig von Gender und so. Gestern habe ich zum ersten Mal das Kürzel PoC gelesen. Was ein Kaukasier ist, das wußte ich noch, wurde ich lange genug als ein solcher bezeichnet. Staunend bestätige ich auch den Anwurf des Altherrenwitzes, obwohl ich vermutlich selber einer bin. Da geht überhaupt etwas ab, in dessen sich ständig verändernden Kryptographie ich trotz zunehmender Weisheit einfach nicht hineinkomme. Am Ende ist's gar so, wie beim Anhalter durch die Galaxy, daß wir Männer die weißen Mäuse sind und die Frauen aus dem Überirdischen kommen. Wer weiß, vielleicht hat auch Zola das nicht nicht gemerkt. Denn Véronique Cnockaert kriecht dabei in meine verkalkten Windungen, die in etwa geschrieben hat:

Dieses neue architektonische System, das Eisen und das Glas, folglich der feste Körper und die Kraft, verbunden mit der Leichtigkeit der Grazie und der Transparenz. Diese Kombination der Kontraste mußte dem Romancier gefallen. Dieser Dualismus des aufleuchtenden Modernismus im zweiten Reich: über die gewagten Verkaufstechniken, über diesen erobernden Materialismus hinaus bietet dem naturalistischen Schriftsteller die Mittel, gleichzeitig die Physik und die Moral des Individuums des 19. Jahrhunderts zu behandeln.

Sag' ich's mal mit Rainer Candidus Barzel: Ich gucke da nicht mehr durch. Zwar gebe ich mir alle Mühe, im dritten Jahrtausend anzukommen. Aber bisweilen beschleicht mich das Gefühl, noch nicht einmal aus besagtem 19. Jahrhundert herausgekommen zu sein.


* Ich würde den Buchtitel übrigens oder ohnehin näher am Original übersetzen und das Ganze Vom Glück der Damen nennen.

Jetzt dringendst Mittagsheia.

 
Do, 03.11.2011 |  link | (4273) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 







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