Abschaum Da ich seit Jahrzehnten aktiver Köchler bin, weiß ich, wie man Suppen und Fonds herstellt, weiß ich, daß der nach oben kommt, wo man ihn abschöpft, um die Brühe zu klaren, obwohl es sich um fast reines, also im Prinzip wertvolles Eiweiß handelt. Die dicken Brocken kommen nicht hoch, Fleisch und Knochen denken nicht daran, sich abschöpfen zu lassen. Gesellschaftlich unten zu sein, ganz tief unten, geschätzter, weit von uns und allem entfernter, von Asien aus die andere Sicht der Dinge bietender Einemaria, und was das ist, ja, wer weiß das überhaupt? Ich kann mich als nicht aktiver politischer Mensch, als nur noch im Elfenbeinturm hockender Privatier, als nicht an den Fronten des Daseins Kämpfender allenfalls auf das berufen, was ich den Medien entnehme, wozu bestimmte Ausformungen des Internets gehören, also Hörensagen. Es ist eine Weile her, daß ich Erscheinungsbilder in der Öffentlichkeit wahrgenommen habe. Manchmal habe ich sie sogar wie zur Erklärung gesucht, beispielsweise mit Straßenbahnfahrten vom Hackeschen Markt weg hinauf in den Norden, wo sich mit jeder Haltestelle ein anderes Publikum einfand. Damit kam ich durchaus in Situationen, in denen ich wider meine Erkenntnisse oder besseres Wissen nach Äußerem be- oder empfunden habe. Genelon hat das jüngst in seiner ohnehin immer wieder beachtenswerten und eindringlichen, mich jedoch dieses Mal aus meinem eremitischen Dösen rüttelnden Ausführlichkeit geschildert und beurteilt. Er betitelt seine, die ich mir im nachhinein erlaube, auch meine zu nennen, Nachdenk-lichkeiten Ideologie vs. Analyse: «Im Angesicht dieses Menschenschlages, den ich seit über zehn Jahren aus nächster Nähe erlebe, entfahren mir bisweilen böse Gedanken wie:Dieser Schilderung nach ließe sich Burmesien auch in Deutschland (Frankreich et cetera) vermuten. Wirklich beurteilen kann ich das nicht. Anzunehmenderweise ist dieser Vergleich auch unzulässig. Aber Armut gibt es, siehe oben, auch innerhalb Europas, nicht einmal nach Griechenland fahren müssen wir deshalb, bleiben wir in den blühenden Landschaften von Herrn Kohl. Als erschreckend empfinde alleine den Gedanken daran, vor allem angesichts der Tatsache, daß es häufig die sich rechtsaußen und nicht minder geographisch auch westlich bündenden «Kameradschaften» — war da mal was? — sind, die sich meines Erachtens in nichts von anderen religiösen, ebenso dogmatisch geprägten Bruderschaften unterscheiden, die sich der «Unterschicht» annehmen, ihr Heimatgefühle angedeihen lassen. Womit wir wieder bei den immer freundlichen Mitmenschen wären, die sich wenigstens um die quasi Hinterbliebenen kümmern. Es ist die Mehrheit der Großgemeinde namens Bundesrepublik Deutschland, die nun, kaum hat sie einen neuen Pfarrer gefunden, über ihn und dessen Vorstellungen von Moral und überhaupt herfällt, ohne zu wissen, was Sache ist (auch hierzu hat Genelon sich nachdenkenswert geäußert). Mir behagt weder der alte wie der vermutlich neue Präses; letzterer alleine aufgrund der Tatsache, daß er seinen oder, wie er vermutlich meint, aller, also auch der erklärten Athetisten lieben Gott in einem Satz mit einem parlaments-demokratischen Wahlentscheid auf eine Stufe stellt. Und ich bin sicher, ein Volks-entschiedener erlebte nicht minder ein Desaster wie das in Stuttgart geschehene. Wäre ich Zyniker, ich gönnte es diesem Volk, das in weiten Teilen, zu denen auch oder eben diese Thierses gehören, ein potentielles Staatsoberhaupt zunächst einmal in eine Zwangsehe befördern will, bevor er es repräsentieren darf. Damit hätte es seine politische Untauglichkeit als sich modern nennende Gesellschaft vorbildlich unter Beweis gestellt. Ich bin aber allenfalls Sarkast, also Ironiker, weshalb ich bei dem witzelnden Vorschlag bleibe, das Volk möge «bis zum Rockzipfel einer Opposition» beim Alten bleiben, weil es darin am zutreffendsten gespiegelt wird. Also spöttele ich weiter, jedenfalls für die gute Hälfte des Volkes: Aus meiner Perspektive ist und bleibt es eines des Kadavergehorsams, weil es in seiner Charakteristik zumindest die Nähe zur geistigen «Unterschicht» darstellt. Es gebärdet sich als satisfaktionsfähig, kennt jedoch die Regeln und Gesetze der herrschenden Klasse nicht, die ihm Brot und Spiele bietet, womit es sich letzten Endes zufrieden gibt. Denn anders kann ich mir es nicht erklären, daß es immer wieder dieselben politischen Mehrheiten schafft, ob sie nun Opposition oder Regierung et vice versa heißt. Es ist besagte Hälfte. Es ist gläubig. Es braucht immer irgendeinen Führer. So es eine Hoffnung geben sollte, ein Begriff, den ich, Bloch aus der Heimatperspektive hin- oder herbetrachtet, mittlerweile nur noch wie Glück oder Schicksal ebenso mit Glauben oder Gläubigkeit assoziieren mag, auch weil er historisch stark mit dem Judenchristentum, zu dem nach Worten des geflüchteten Schafs im Wulffspelz eben auch noch die Muslime gekommen sind, verwurzelt ist, dann liegt sie in der Jugend. Sicher, in ihr schimmert sie immer vor sich hin. Aber ich habe in letzter Zeit den Eindruck, daß sie nicht nur endlich einmal Fehler nicht nur summiert, zumindest innerhalb der bestehenden Gesellschaft subsummiert oder auch analysiert, sondern tatsächlich Änderungen herbeizuführen versucht. Ob sie so schnell aufgibt, sich korrumpieren läßt, wie wir sogenannten Achtundsechziger das getan haben, das weiß auch ich nicht. In den Siebzigern haben wir gewitzelt: Bin ich Jesus, bin ich Prophet, wächst mir Gras aus den Ohren? Was auch heißt, daß ich keineswegs an irgendetwas zu glauben bereit bin. Amen, ןאָמֵן, آمي, wirklich; so sei es; ließ es sein. Am Rande, aber zu meinen Kochidealen passend, zum von mir nach wie vor befürworteten Multikulti ein Filmtip.
Hoch auf dem Grünen Hügel Von der Salzburgisierung der Kunstvermittlung am Beispiel Beuys Angesichts der Hilflosigkeit, die sich allenthalben in unserem Medienpluralismus (oder auch: innerhalb unseres populistischen Geraunes) breit macht, ließe sich sagen: Die nach Breitenwirkung schielende Kunstkritik läuft immer mehr Gefahr, sich von sich selbst zu entfernen, sich mit dem Bauch zu äußern; anders gesagt, sich ihrer eigentlichen Bedeutung zu entledigen: der Beurteilung. Die Kunstkritik beurteilt immer weniger, ergeht sich entweder immer häufiger in mehr oder minder wohlmeinender Beschreibung unter Zuhilfenahme von sprachlichen Allgemeinplätzen, wobei allzu oft die Journalistenpoesie kreist und ein Lüftlein gebiert. Auf der anderen Seite, der der informierteren, aber deshalb noch lange nicht wissenenden Minderheit, durchschleicht sie ihr Opfer in qualvoll schwadronierenden Be- und Umschreibungen, mit denen die Autorinnen und Autoren oftmals eher ihr akademisches Dasein zu belegen trachten, dabei allzu häufig der Faden der Ariadne aus Gummi zu sein scheint, zieht er sich doch schier endlos durch das ‹Labyrinthische› eines Kunstwerkes, weil den Urhebern darob die Orientierung abhanden zu kommen droht. Positionen werden in der öffentlichen oder auch offiziellen Kunstkritik — also nicht in den Weblogs, die ohnehin meist von persönlicher, auch extrem subjektiver Natur geprägt sind — nur noch selten bezogen, fundierte Stellungnahmen kaum mehr geäußert. Der Platz des Allgemeinen, auf dem die Mehrheit sich wohlig aneinander kuschelt, bietet eben Sicherheit; immer mehr warten lieber ab, was andere dazu festgehalten haben. Die Aufgabe der Kunstkritik, nämlich die, das Kunstwerk in dessen Kontext zu erfassen, zu beurteilen und vermittelnd erläuternde Informationen zu einer Hörer- oder Leserschaft zu transportieren, scheint einem Phänomen geopfert zu werden. Es ist ein Phänomen, in dem — es scheint mir erheiternd, gerade in der Zeit der Versuche, jedweden Ansatz marxistischer Theologie in den Orkus der offensichtlich endgültig verblichenen Moderne, was auch immer das sein mag, stoßen zu wollen, diesen Namen zu nennen: Herbert (nicht Ludwig) Marcuse. Dessen Bewertung der bürgerlichen Kultur scheint in exorbitanter Weise auf: nämlich als eine affirmative, die Lebenswelt ästhetisierende. Gerade wird wohl im Zusammenhang mit der mittlerweile alles beherrschenden oder in ihrer Einfallslosigkeit alles Alte wiederbelebenden Mode, also der Markt, die Diskussion der siebziger Jahre um den Ich-Bezug, die Ich-Suche, vor dreißig Jahren auch Ich-Seuche genannt, wieder hochgefahren. Man möchte meinen, die Avantgarde wäre zugange. Die Halbwertzeit des Wissens ist zur Führung des Volkes auserkoren worden. Die Rezeption der Kunst schlägt quer durch weite Teile der gesellschaftlichen, heutzutage sich gerne selbst als gebildet bezeichnende Mittelschicht bisweilen abenteuerliche Kapriolen in ihren ästhetizistischen Äußerungen, die das Kunstwerk aus seinem Umfeld, aus seiner Ursache herauslösen und daraus eine anbetungswürdige Reliquie machen, obwohl sie, die Bewunderer der Religion als solcher längst abgeschworen haben, aber so ganz ohne Gebet und Heiligsprechung dann doch nicht leben können. Damit wären wir, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, schließlich doch dort angelangt, was einst die, vielleicht gar nicht so böswilligen, Auguren als antiaufklärerisches Schreckensbild gemalt hatten: daß die Künste, insbesondere die bildende Kunst samt der wiederbelebten genialischen Umgebung in ihrer partiellen Eigenschaft als mythisches, mystisches oder einfach rätselhaftes Chiffre auf die Ebene der Ersatzreligion gehoben würden. Wesentlich dazu beigetragen haben der Der Makler und der Bohémien, um eine der bekannt ironischen Formulierungen von Hans Platschek aus den siebziger Jahren heranzuziehen. Platschek war alles andere als ein Freund des Schaffens von Joseph Beuys. Dessen konzeptionelles, aus Urinstinkten herrührendes Denken war ihm ein Greuel. Wir waren darin uneins, denn ich sah die Kunst immer im gesamtkulturellen, also auch historischen Zusammenhang, den ich mit Beuys teilweise hergestellt sah, für mich war (und ist) er ein Synonym deutscher Kunst, wenn auch aufgerieben vom allfälligen Globalisierungsgetriebe. Für Platschek hatte die Autonomie des jeweiligen Kunstwerkes Vorrang, wobei er eine interdisziplinäre Betrachtungsweise durchaus zuließ. Die Wertung des einzelnen Bildes mag hier unbeachtet bleiben, zumal die beuyssche Kunst- und damit Kulturprojektion längst auf den Kopf gestellt wurde und in dieser verkehrten Form dazu beigetragen hat, das Gesamte zurückzudrängen zugunsten der Solitäre. Ich meine Platschek allerdings so gut gekannt zu haben, daß er sich heutzutage, über zehn Jahre nach seinem Tod, vor Beuys stellen würde, um ihn vor jenen Freunden zu schützen, die aus ihm ein Denkmal prosperierender Kunst gemacht haben, ihn quasi auf dem Grünen Hügel von Salzburg geschleift haben. Auf Joseph Beuys komme ich beispielhaft zurück, auf dieses Beispiel aus der bereits Geschichte gewordenen künstlerischen Zeitgenossenschaft, an deren Umkehrung die Kunstkritik oder deren Rudiment ein gerüttel' Maß Anteil hat, weil sie sich überwiegend der Mode angepaßt hat und Wertungen vornimmt, vor denen seit den Sechzigern und bis hinein in die Siebtiger, aber auch noch in den Achtzigern gewarnt worden war: Die Wa(h)re Kunst. Beuys führt zwar nicht die Preisliste an, das ist Gerhard Richter; der im übrigen glaubhaft über diese Entwicklung den Kopf schüttelt, gestaltet schließlich er nicht die Preise, sondern der Markt. Aber Beuys' Zeichnungen, die er vor und in den Anfängen seiner Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Kunstakademie ins Volk warf wie Kamelle im Dauerkarneval oder teilweise, jedenfalls die kleineren, für fünf Mark verkaufte, weil Kunst eben nicht teuer sein sollte, wechseln heutzutage kaum unter zwanzigtausend Euro die Besitzer. Beuys steht nach wie vor als Syonym für die bildende Kunst der Aufklärung: für alle. Wer beginnt, sich für sie zu interessieren, aus welchen Gründen auch immer, sei es, daß die Schöne Kunst ihn gestreift hat wie eines Frauenkleides Saum oder meint, mit ihm in ein neues Wirtschaftswunder einsteigen zu können, der wird von diesem einstigen, ursprünglichen Erneuerer nicht unberührt bleiben. Selbst gänzlich Unbeteiligten ist sein Name schon einmal irgendwie untergekommen, und sei es verbunden mit der Frage Und das soll Kunst sein? Wahrscheinlicher ist jedoch der Kontakt zu ihm über die volksbildenden Halbsätze: Jeder Mensch ist ein Künstler, Wer nicht denken will, fliegt raus. Man konnte sagen und schreiben, schreiben und sagen, was man wollte: diese sinnentstellende Zitierei war nicht auszumerzen. Sie war, trotz häufiger Ablehnung jugendlicher Definitionen, auch unter sogenannten Erwachsenen, besonders gerne unter pädagogisch fortschrittlich orientierten, die auch für die «Vereinfachung» von Sprache mitverantwortlich zeichnen dürften, Kult geworden. Doch das ist nicht weiter verwunderlich, waren sie als Sprüche-Kultur doch längst durch Kunstpostkartendruck geweiht und in den Museums-Shops verkauft worden. Es ging zunehmend um den Charakter der Vermarktung, Inhalte kamen unter die Räder von Slogans, die Schlachtrufe der Produktwerbung, die seit den Neunzigern geradezu ungeheuerliche Ausmaße annahm. Zwangsläufig kamen sie auch im Internet weltweit in Umlauf. In den siebziger bis weit in die achtziger Jahre witzelten wir, immer ein Massenblatt im Visier, das mittlerweile offensichtlich auch in höchsten Geisteswelten als kulturell meinungsbildend geschätzt wird: Millionen von Fliegen können nicht irren. Bereits am Tag des Todes von Beuys habe ich als öffentlich-rechtlicher Nachrufer, zu Zeiten, als ich «Kulturbeutel», wie mich der Redaktionsleiter des aktuellen tagespolitischen Magazins gerne nannte, wenn er mal wieder wütend geworden war, weil ich auf die mir vertraglich zugesagte Sendezeit bestand, in einer Zeit also, in der die ausführlich erklärte Kunst noch in die Nacht verinsuliert war und Namen von Privatgalerien tabuisiert waren wie der Begriff Prostitution oder das Wort Scheiße, seit je also habe ich begonnen, darauf hinzuweisen, was er nie gemeint hatte: Jeder Mensch sei Maler oder Bildhauer et cetera, sondern immer: Jeder Mensch habe kreative Fähigkeiten, die er innerhalb der Gesamtheit des Lebens einbringen könne beziehungsweise solle. Und dieses Wer nicht denken will, fliegt raus, das von manch einem immerhin noch, wissend oder ahnend, vor allem auf seinerzeit den Verkaufserfolg versprechenden ‹Kunst›-Postkarten, mit ahnungsvollen Auslassungspünktchen ... versehen wurde, bezog sich schlicht auf einen Studenten, der nicht begriffen hatte, was Beuys meinte, als er sich schlicht in Rage geredet hatte: Jeder Mensch ist ein Künstler, aber du bist keiner. In anderen Worten: Jeder mag etwas von Kunst verstehen, aber du siehst sie erst gar nicht. Das hat seine Ursache mit Sicherheit darin, daß Kunst, siehe oben, als mythisches, mystisches oder einfach rätselhaftes Chiffre, auf die Ebene der Ersatzreligion gehoben wird, in der die Aufklärung als Widerpart der Romantik dasteht, von der heutzutage allerdings nur noch das klägliche Überbleibsel geblieben ist, das in Dinner at candlelight oder Valentinstag aufgeht. Beuys hingegen, das weiß mangels ästhetischer Schulung kaum jemand, war einer der kämpferischen Romantiker, die es durchaus mit den anderen weltgeistig illuminierten Größen aufnehmen konnten. Hier tut sich unter anderem auch das Dilemma auf: das ganz offensichtlich zunehmende Spezialisiertwerden bereits durch die curricularen Systeme aber auch aufgrund des enormen Zeitdrucks, der nicht zuletzt durch die wirtschaftsfreundliche Nachplapperei, den Aktualitätenwahn der Medien entsteht. Das meint auch den Konkurrenzdruck der Journalisten, die auch aus beruflichen Nöten aus allen erdenklichen Bereichen zur Kunst stoßen oder dorthin gesandt werden, weil es sich ohnehin nur noch um einen Event handelt. Die Berichterstattung läßt sich sich vor den Karren der eigenen Hilflosigkeit spannen und bedient sich der vorformulierten Sprache des Hofes. Die eigene ist ihr genommen worden. Die Kunstvermittlung hat aber als erfahrene Erkunderin sich vor die vorderste Reihe zu begeben und dort die Feder, die in der ruhigen Nachbetrachtung gewetzt zu sein hat, zu schwingen; das will heißen: aus der Gesamtsumme der Informationen Herausgefiltertes, in die Wesentlichkeit der Aussage Gebrachtes in die hinteren Reihen zu transportieren. Die Kritik hat also als Vermittlerin integrierter Bestandteil der künstlerischen Avantgarde zu sein und nicht — die Zeiten haben sich nun mal geändert — wie weiland im 19. Jahrhundert Katalysator einer sich gebildet gerierenden Gesellschaftsschicht, die damit rechnet, daß sich auf Dauer die Seele als Organ des Kunstverstandes in einem geheimnisvollen Prozeß und trotz aller Irrungen durchsetzt. Irrungen oder das Gegenteil von Avantgarde: Für viele sehr weit hinten, also arrière-garde, in der Nachhut, um im Militärischen zu bleiben, aber für mich eben nicht so lange zurück liegt das Beispiel, das heute noch Gültigkeit haben darf, weil es (auch) die Fehleinschätzung des in den falschen Film geschickten Experten belegt: die Debatte um den Ankauf der beuysschen Arbeit zeige deine Wunde durch die Münchner Städtische Galerie im Lenbachhaus. «Nicht das Gebastelte», schrieb der nicht nur in München angesehene Theater- und (ergo) Kulturkritiker Armin Eichholz, «ist das Ärgernis [...], sondern der schmuddelig investierte Intellekt.» Eichholz hätte es damals, 1980, lieber gesehen, «der Beuys-Rummel wäre eine grandios aufgezogene Satire von Pardon, und das ganze endete nicht, wie freilich zu erwarten, in einem neuen Kapitel vom Wesen der deutschen Kunst, sondern einem Weltgelächter für den bisher erfolgreichsten Narren des Kunstjahrmarktes». Einmal davon abgesehen, daß Armin Eichholz als führwahr gebildeter Kunst- oder auch Kulturkritiker die Rolle des Narren bei Hofe — möglicherweise rhetorisch-manipulativ — nicht näher erläutern wollte: Zu einem Weltgelächter wurde Beuys nie, erfolgreich indessen sehr wohl, jedoch nicht als Narr eines Jahrmarktes, sondern, zu Lebzeiten, als Künstler, der, ebenfalls zu Lebzeiten, auch auf dem Markt erfolgreich war, obwohl er in seinen Intentionen damit alles andere als etwas am Hut hatte. Beuys hat selbst, wie oben erwähnt, immer versucht, die Preise für seine Arbeiten so niedrig zu halten, daß sie, im Kontext seines anderen Kunstbegriffes, für jeden erschwinglich waren. Genaue Beobachter des sich ankündigenden Marktes haben, als Eigentümer oder auch als Besitzer Beuysscher Arbeiten diese wohlweislich markttypisch verknappend zurückgehalten. Einer meiner Bekannten verfügte gar über ein großes Paket mit Zeichnungen. Aber ihm war an ihnen, nicht am Marktwert gelegen; über zwei Jahrzehnte hatte er sie leidenschaftlich gesammelt und gebündelt. Heute allerdings erfährt beispielsweise das Multiple als einstmals verklärender Träger des ursprünglich demokratrischen Gedankens vom vielfach zu verbreitenden Kunstwerks eine neuerliche, diesmal jedoch alleine vom Monetären geprägte Renaissance. Für fünfundvierzig, es mögen auch fünfzig Mark gewesen sein, aber nicht teurer, wollte Beuys eine im Remscheider VICE-Verlag angebotene multiplizierte Arbeit verkaufen, was in einer Auflage von 12.000 Exemplaren auch geschah. Kurz nach seinem Tod ging dieses Holzkästchen auf einer einen unvergleichlichen (Jahr-)Markt ankündigenden Auktion für über 70.000 Mark über den Tresen; heute wird die Intuitionsbox für einen «Preis auf Anfrage» immer noch und immerhin für tausend Euro und mehr verkauft. Auf jeden Fall hatte der Markt den Avantgardisten gefressen. Damit hatte sich auch eine Entwicklung abgezeichnet, die die Ausstellungspolitik der Museen verändern sollte. Waren die Museen zuvor darauf konzentriert, was in der Natur ihrer Konstruktion liegt, konservativ (im Sinne von conservare, also: bewahren) zu agieren, hielt zusehends die zeitgenössische Kunst Einzug in den Musentempel. Die Ankäufe durch die Museen im Bereich der Gegenwartskunst irritierten kaum mehr (mittlerweile auch nicht mehr die Verkäufe); wenn nicht ein Groß-Händler ohnehin den «Vorzug» bekam oder solch ein gutes Stück beim Auktionator über den Tresen ging, getrieben von einem telephonischen Preisflüsterer, der sich oft genug als Aktienhändler erwies. Das mag auch an den immer kürzer werdenden Intervallen liegen, innerhalb denen die Be-, manchmal auch Aufarbeitung der Moderne, weiters Postmoderne ff. oder auch, analog dieser Entwicklung, der neuerlichen Götzenanbetung Post-Postmoderne geschieht: Halbwertzeit des Wissens. Der Museumsbedienstete namens Konservator heißt zwar immer noch so, doch seine Tätigkeit als Wissenschaftler gerät seit den Achtzigern zusehends ins Hintertreffen, nicht zuletzt angesichts der eben frisch von der Kunstakademie oder von sonsther Gekommenen, die endlich ihre Retrospektive haben möchten. War die Kunstkritik zuvor, im Hinblick dessen, was in Kunstvereinen, später in Kunsthallen ausgestellt wurde, Projektion zukünftiger Museums-Inhalte, hatte sie sich dann, jetzt als Bremser zu betätigen, da ihr die Urteilskraft abhanden gekommen war. Ich habe dabei keine Erhaltung des Hierarchischen zum Ziel. Mir ist lediglich die einstmals bedächtige Entwicklung verloren gegangen. Zu viele junge, besser: noch nicht bekannte Künstler versuchen, Stationen schlicht zu überspringen. Manch einer wird dabei von Kunstverkäufern zum König ausgerufen. Dieser Atemnot Tribut zollend geht die Kunstkritik, eine weitere Folge, nicht mehr ins Atelier (viele behaupteten voller Stolz, sie seien nie dort gewesen), sondern in die Galerie; wo sie das eine ums andere Mal die Konservatorin trifft, die sich gerade hat von der Galeristin erzählen lassen, wohin de Zoch jeht. Galerien gibt es seit den neunziger Jahren bald mehr Boutiquen in den Siebzigern. Der Preis für eine künstlerische Arbeit eines jüngeren Künstlers wird seit langem kaum noch von ihm selbst bestimmt. Den übernimmt die Galerie. So der Künstler denn eine findet, die sich seiner annimmt. Meistens lautet die Absage: Paßt leider nicht in unser Programm. Das Programmatische an diesem Programm der Nachfolgerinnen der Boutiquen ist jedoch allzu oft das rein Markttaugliche. Und markttauglich ist nunmal das Massentaugliche. Davon abgesehen, daß die sogenannten Kleinen da ohnehin nicht hinreichen, aber häufig gerne so tun, als ob sie's täten, weshalb sie sich an der Dogmen der Päpsten der Religion Markt orientieren. Wie der Journalismus eben, der ohnehin zum verlängerten Arm der Öffentlichkeitsarbeit von Anzeigenkunden degeneriert zu sein scheint. Wer für bunte Blätter schreibt, der darf sich auch für fähig halten, ins Interview mit dem größten, weil teuersten aller zeitgenössischen Künstler zu gehen, es wird ohnehin nur noch als Event wahrgenommen. Da verwundert es nicht weiter, daß es nicht mehr zu fundamentalen Aussagen, sondern fast nur noch zu allgemeinplatzigen, zu jedermans Schönschreibereien kommt. Der einst tiefschürfende oder auch vielsagende Jedermann ist zum Musical verkommen, zur Schmierenkomödie, zum sogenannten Volkstheater.
Der Mensch ist des Menschen Wulff Oh weh. Aber das mußte sein. Ich führe es auf meinen Zustand zurück. Trotz aller Schlaffheit raffe ich mich angesichts der laufenden Ereignisse zu dem Gedankengang hin: Was wäre gewesen, wäre das Faß nicht übergelaufen? Es wäre beim alten geblieben. Bei genauer Ausleuchtung sehe ich, er wäre nach wie vor der weniger rechte, aber richtige Präsident der Deutschen, exakt in der Waage zwischen Recht und Unrecht. Ich gehe davon aus, daß seine Lebenspraxis die «seines» Volkes in entsprechender Befürwortung spiegelt. Es verschafft sich Vorteile, wo es nur geht, die Nachteile mögen die anderen haben, die sich dagegen nicht wehren können. Die Haltung gegenüber der «Faulheit» Anderslebender ist exemplarisch. Die sich scheibchenweise distanzierenden Politikerkollegen sprechen die gleiche Sprache. Auf einmal herrscht, wie es soeben bei Phoenix hießt, «sprachloses Entsetzen». Menschen anderer Länder wird vorgeworfen, was im eigenen Land unter den Teppich gekehrt wird. Es regt mich fürchterlich auf, wie alle so tun, als ob das nicht längst der Normalzustand wäre.
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