Hunde, wollt ihr ewig schnüffeln?



Der Cafétier der Hermetik bringt mich auf die Idee, in meinem bis weit ins vergangene Jahrtausend, bis in dessen siebziger Jahre zurückreichenden digitalisierten Festplattenarchiv zu blättern, denn in meinem Hinterstübchen blinkt etwas wie ein Fliegenfänger auf dem Neusiedler See. Die einen heben jeden rostigen krummen Nagel auf, ich jeden noch so verbogenen Text. Man, besser ich, weiß schließlich nie, ob er irgendwie noch geradezuklopfen ist, um mit einem Schlag Brauchbares daran aufzuhängen. Es gab eine Zeit, in der man noch nicht einfach so das Schleppinternetz auswerfen konnte, um mehr Beifang als leckere Fischstäbchen zu angeln. Da habe ich auch anderer Leute Schrulligkeiten abgeschrieben, nicht zuletzt, um kein Internet-Ausdrucker zu sein oder auch, weil ich mein Gewissen ruhigstellen wollte, das das Umhauen von Bäumen zum Erzeugen von überflüssigem Papier verbietet, weil sie mich amüsierten oder weil ich meinte, sie irgendwann einmal verbraten, sie als Würze meiner Pfanne hinzufügen zu können, sie zur Not, wenn ich als ehemals gar öffentlich-rechtlich agierender Textkoch mal wieder nicht in der Lage sein werde, ausreichend Genüßliches zu kreieren, es zumindest als Sättigungsbeilage anzufügen.

Um die spezielle Art der Vierbeiner geht es, die der trotz aller Hundemüdigkeit ewig junge siebenunddreißigjährige Kid in seinem letzten Bulletin anführt. Was ich dazu schreiben möchte, ist mir bislang noch nicht klar, ich verfahre ohnehin grundsätzlich nach dem paraphrasierten kleistschen Prinzip des Über das Verfertigen der Gedanken beim Reden vulgo schreibenden Plapperns, ich bin mir jedoch sicher, daß ich es möchte, selbst auf die Gefahr der Bedrohung durch vereinzelte Hundeliebhaber und -innen hin. Ich hab's nunmal eher mit freilaufenden Mimis, die allenfalls mal zu ihrer Bildung oder auch mal zum Schimpfen, wahrscheinlich über diesen Biokatzenfraß, der immer noch zu wenig Fleischanteil innehat, am Fenster die Stube aufsuchen und nicht mit, wie's auch in meiner Nachbarschaft trotz aller ländlichen Weitläufigkeit geschieht, daß solch ein freiheitsliebendes Tierchen es sicherlich eher schätzt, auf Bäumen herumzuhüpfen als in einer Wohnung an künstlichen kratzen zu müssen. Kurzum: Ein Streiflicht lief mir in meiner ewigen Suche nach der verlorenen Zeit in meinen vielen unaufgeräumten Schubladen oder Ordnern zwischen meinen Gedanken herum. Wann es verfaßt beziehungsweise gedruckt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, denn bekanntlich ist derjenige, der Ordnung hält, lediglich zu faul zum Suchen. Doch es ist ohnehin zeitlos, dieses Thema, jedenfalls seit der Mensch zwar weiterhin oder scheinbar vermehrt Lust verspürt, aber keine mehr, und sei es zu Reproduktionszwecken, Menschen zu machen und es deshalb vorzieht, offensichtlich bevorzugt im metropolischen Bereich, sich Schoßhündchen zu halten. Manchmal sind die so großartig, daß es anzuraten wäre, sie in einem Schloß und dort hinter Riegel zu halten. Doch wenn ein Herr einen solchen Hund benötigt, weil sein Selbstwertgefühl weitaus kleiner ist als ein Chihuahua oder eine Dame einen Superstar pflegt, weil sie mit den Großen das Beinchen heben möchte, dann ist das nun einmal Bestandteil gesellschaftlichen Lebens.

Eigentlich habe ich nichts gegen diese Tiere oder Tierchen. Aber ich mag es nunmal nicht so gerne, wenn eines dieser zwangsläufig neurotisierten Lebewesen mich von hinten anspringt, wie es mir einmal geschah, ich aber glücklicherweise, auch ich war mal der Mode unterlegen, eine Schaffelljacke trug. Hans Pfitzinger erging es zu Lebzeiten ähnlich, aber der war schon immer verletztlicher als ich.
Mistviecher, diese kleinen krummbeinigen, plattschnäuzigen Kampfhunde mit den vorstehenden Reißzähnen. Wie kann sich eine so atemraubend schöne Frau einen solch hässlichen, bösartigen Köter anschaffen — so dachte ich, als mein Blick eine Viertelstunde nach dem Arztbesuch auf die Hundebesitzerin fiel.
Fast vor allem steht jedoch bei mir dabei das Olfaktorische, das wesentliche Lebenselexier dieser Gattung. Mimi käme nicht auf den Gedanken, trotz aller Frischgewaschenheit zwischen meinen Beinen nach meinen vergangenen Trieben zu forschen. Im erwähnten, zeitlich nicht mehr zuordenbaren Streiflicht heißt es allerdings:
Die menschliche Nase ist ein Sinnesorgan, das technisch noch nicht so ganz ausgereift ist. Die Hundenase etwa ist in puncto Funktionalität, ja selbst im Design wesentlich weiter, und das lassen diese Köter ihren Besitzer in oft demütigender Weise spüren, wenn sie an Bäumen olfaktorische Paradiese entdecken, die dem Menschen verschlossen bleiben. Man wüsste gerne, welche Sensationen so ein Stück feuchter Baumrinde zu bieten hat, das Hunde mit ebenso viel Aufmerksamkeit studieren wie unsereins ein gutes Buch. Offenbar sind es meist Liebesromane, die sich die Tiere da reinziehen, jedenfalls führen sie sich bei der Rezeption entsprechend auf. Daran teilzuhaben, bedarf es sensibelster Sensoren, die in einem Organ, das auch Riechkolben heißt, selbstverständlich fehlen. In puncto Geruchssinn verbietet sich dem Menschen jegliche Hochnäsigkeit, solange er noch nicht einmal in der Lage ist, die Ausdünstungen eines reifen Camemberts von denen eines häufig genutzten Wanderstiefels zu unterscheiden.
Mir ist wohl angeraten, in mich zu gehen. Denn der Autor oder die Autorin mahnt nicht nur menschliche Unfähigkeit an, sondern auch Toleranz und läßt auch, wie das mittlerweile auf gebildet neudeutsch in den Sprachgebrauch übergegangen ist, Empathie mitschwingen.
Um solche Nachteile halbwegs auszugleichen, hat der Mensch das Parfüm erfunden, ein Gemisch aus aufdringlichen Duftstoffen, dessen Odeur selbst der leistungsschwächste Zinken registriert. Im Idealfall wirkt das Parfüm wie ein Liebeszauber, und zwar dergestalt, dass sein Duft den begehrten Partner praktisch willenlos macht. So sind zum Beispiel Männer unwiderstehlich, die ein Rasierwasser auftragen, das sowohl den körpereigenen Männerduft abtötet als auch aufs Betörendste nach Mann riecht, also nach Pferdesattel und Motorenöl. Noch raffinierter sind die Duftnoten für Frauen, die sich gern mit dem unschuldig zarten Duft der Rosen umwölken, aber auch das Aroma eines arabischen Serails nicht verschmähen. Generell ist es so, daß der Mensch dem eigenen Geruch mißtraut. Wer Parfüm aufträgt, folgt einer Botschaft seines Unterbewußtseins: Tja, ich bin eigentlich ein ausgelatschter Wanderstiefel, möchte aber als Camembert rüberkommen.
Aber ich zur Zeit ohnehin ziemlich ausgelatschter Wanderstiefel, der vor lauter Bewegungsun-fähigkeit zur Zeit gedanklich nicht einmal mehr nach einem Serail schielt, habe dennoch Grund zur Landklage. Denn eine hält immer zu mir und ich zumindest meine Gedanken schützend über sie, manchmal sind's sogar Taten. Kürzlich, als ich mich auf den abenteuerlichen Weg des Spaziergangs von Champ de Foulage nach Pokensé machte — würde nicht mittlerweile jeder (noch) tatsächlich ohne industrielle Hilfsmittel Brot backende Bäcker von einer damit verbundenen Herausforderung sprechen, täte ich ihn so nennen, diesen Gang ins Abenteuer — und meine Mimi mich einem Hund gleich mir immerzu vor meinen wackligen Beinen herumspazierend zu begleiten trachtete, kam so ein Köter kläffend angeschossen, und die Katzendame war aller philosophischen Überlegungen zur Widersinnigkeit eines Kratzbaumes ledig und flüchtete in der Tat hoch hinauf. Er schien im Gegensatz zu mir diese friedliebenden Tieren nicht sonderlich zu mögen. Ich Pazifist werde Mimi wohl beibringen müssen, wie man solch einem auf dem Land lebenden Stadtköter die ausgefahrenen Krallen über die Schnauze zieht. Was ist das denn für ein Dorfleben? Da zieht man um eben dieses lieben Friedens willen von der Großstadt aufs Land, und selbst dort ist man vor ihnen nicht mehr sicher. Sogar eine Hundepfeife habe ich mir vor einiger Zeit zulegen müssen. Es scheint jedenfalls eine ruhebringende Investitition gewesen zu sein, denn das Schoßtierlein der benachbarten, vermutlich auch aus der Großstadt hinzugezogenen Tierheilpraktikerin keift nur noch selten, geschweige denn, daß diese Töle es wagen würde, meiner ägyptischen Göttin ans allzeit schmußige Fell gehen zu wollen.

Ein anderes, gleichwohl eher städtisches, mich in meiner Landlust zwar weniger berührendes Problem soll nicht unerwähnt bleiben. Aber schließlich gedenke ich irgendwann auch wieder mal weltmetropolischen Boden zu betreten. Aus dem Westen, scheint mir, kommt letztendlich diese ganze Scheiße, von der beispielsweise nicht nur die deutsche Hauptstadt dieser Bewegung voll ist. Was mir meine Mimi ist, ist der Pariserin ihr Cabot, diese Töle, die man sprachlich auch für einen Schmierenkomödianten hernehmen darf, namens Fifien, Filou, Fleurie oder Flofio. Und der deckt mit seiner Losung nunmal allüberall den Stadtraum ein. Very Yu, die neben Berlin auch in Shanghai zuhause ist, empfahl bereits 2002 Hausarrest für Hunde, das Reich der Mitte solle Von Deutschland lernen.
Hausarrest — ein schreckliches Wort, erinnert an schwarze Pädagogik vergangener Tage, verpönt seit der 68er Bewegung in Deutschland. Dort auch eher mit Freiheitsberaubung und Kindern assoziiert als mit Haustieren. Nun stehen in Shanghai laut einer neuen Verordnung Hunde unter Hausarrest. Gassi-Gehen ist seit Anfang dieses Jahres per Verwaltungsbeschluß reglementiert. Damit chinesische Hundehaufen nicht gleichmäßig über den Tag in der Stadt verteilt werden, sondern nur zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten. Pinkeln in Parks und viel frequentierten Gebieten verboten. Bei Verstoß muß ein Vielfaches von dem gezahlt werden, was das Liegenlassen des hundeeigenen Haufens auf einer Berliner Straße kostet.

Den deutschen Tierschutzbund hört man ob der Nachrichten aus dem Reich der Mitte aufschreien, die Hunde-Lobby und der Oberammergauer Schäferhunde-Verein sind entsetzt:

Hunde unter Hausarrest — das ist kein Hundeleben. Recht haben sie, denken die Chinesen, da kann man sie auch gleich essen: Pudel süß-sauer.

 
Mo, 09.07.2012 |  link | (1795) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Katzenleben



 

Österreich oder nicht Österreich

Das ist eigentlich nicht die Seins-Frage. Wir sind alle Österreicher. Sie, lieber Enzoo, inspirieren mich einmal mehr zu einem Dosenöffner, wie intern im Laubacher Feuilleton das linksspaltige Erstseitige genannt wurde, vor rund zwanzig Jahren angeregt durch das fast immer treffliche süddeutsche Streiflicht, hier als Beispiel herangenommen die zuvor erwähnten Investment-Punks, denen ich süddeutsche Journalisten zur Hilfeseite stelle.

Ein Versuch, den Themenblickhorizont zu erweitern, und doch bleibt er wieder hängen im Engen dessen, das mich sozialisiert hat. So gerne ich möchte, ich bekomme den Schlagbaum nicht richtig hoch, schaffe es nicht, wie die Jungen, für die mittlerweile alles grenzenlos zu fließen scheint, ihn verschwinden zu lassen. Zu sehr stecke ich fest im kleinen Grenzverkehr, der mich sozusagen anhaltend geprägt hat. Ein Zöllner stand mir immer irgendwie im Weg, sogar hoch oben auf den Pyrenäen, der hatte Langeweile und war froh, daß sich endlich mal jemand zu ihm hinauf verirrte, auf ein Gipfeltreffen. Und nun das Wetter.

Monsieur le Président bling-bling hatte ich gestern noch einmal abgehakt. Nun kreise ich den Rest des Volkes ein. Das muß «sparen», was immer das auch sein mag, was andererseits eine der Eigenschaften ist, die die Deutschen bewegt — ich weiß gar nicht, ob das ebenfalls zu den hervorstechenden Mentalitätszeichen der Austriaken gehört, wenn ich hier auch ein wenig an den punkig-libertären Investor erinnert werde —, wenn's ansonsten auch vergleichsweise wenige sind, die den Geldzusammenhalt beherrschen. Beim Sparstrumpfen dürfte es sich allerdings ohnehin eher um die Rudimente der älteren Generation handeln, die ihre mühsam gefangenen und langzeitgepflegten Felle davonschwimmen sehen. Die jüngere hat erst gar keinen Wärmeschutz mehr, die Grenzenlosigkeit hat ihren Tribut gefordert, so sieht der Triumph der Freiheit aus. So geht sie gleich nackt zur Party, und sei es unter dem barmherzigen Kardinalsmantel der kleinen Massenkunst vorm großen, hohen Haus des Gesamtkunstwerks, in dessen Götterdämmerung es sich, wie könnte es anders sein, einmal mehr um den Schatz der Nibelungen, hier im besonderen um den Euro dreht. Das ist es wohl, was den Bewegten bleibt, während sich anderswo die Bilderberge(r) stapeln; nun gut, die drängeln nicht so, bleiben würdevoll auf Distanz. Denen ist auch beim Ananaszüchten in Alaska noch warm genug. Wenn ihnen auch keine radikalfeministische Sarah Palin mehr den Inhalt ihres Dekolleté als republikanisches Transparent vor die politische Balustrade hängt; aber deren teepartytantenhafte Sittenhaftigkeit war ohnehin eher was fürs Volksschaulaufen, das läßt der Blick auf die Verkaufszahlen ihrer Autobiographie zu. Von den Kanzeln hoch oben über den Kanzleien der verdeckt Agierenden, den Volksglauben unterstützt vom naturschützenden und pflanzlichen Schmieröl-Verein mit dem niedlichen Panda-Emblem, wird Kunst für alle gepredigt. Damit meine ich das Wasser, das wird insofern als Kostbarkeit für alle dargestellt, gepriesen durch die Steigerung seines Wertes, durch den Verkauf des Erden- und Volksgutes an eben diese wenigen. Den daraus produzierten Wein trinken sie gleich Preciosen selber. Ob die Proteste letztendlich einiger weniger besser Informierter, die Bildung dahingehend richtig verstanden haben, als die sich nicht in der Steigerung firmenspezifischer Gewinne durch das Auswendiglernen von Daten und Fakten zu erschöpfen hat, ob ich das noch erleben werde, das wage ich anzuzweifeln, geht beispielsweise die deutsche Masse doch allenfalls zur Schau ihrer eigenen Beerdigung, zum Public Viewing nicht nur auf die Straße des 17. Juni, die eigentlich einer anderen Freiheit gedenken soll, der des Volksaufstands in der DDR. Der 17. Juni war einmal deutscher Gedenktag. Er mußte weichen zugunsten des Tages der «friedlichen Revolution». Die Zeiten ändern sich eben, werden geändert von den Vertretern des Volkes, das kann nichts daran ändern.

Diese wundersame Geldvermehrung treibt immer ärgere Blüten, als ob ihr System sich ein letztes Mal aufbäumen würde, bevor es sein Leben endgültig dahinhaucht. Auch wenn der Boden längst ausgelaugt, kaum noch Früchte hervorzubringen scheint, wird er weiterhin heftig künstlich, fast künstlerisch oder auch «kreativ» gedüngt von Politikern aller Länder, die darin einig sind wie ein Volk von Brüdern. Es lebe der Kapitalismus — nur noch in seinen schlimmsten Auswirkungen. Da bereitet die bundesdeutsch republikanische Regierung ein Gesetz vor, das den Verkauf von in behördlichen Amtsstuben gesammelten privaten Daten anstrebt. Was die Unternehmen der Datenkrakerei können, meinen die Politiker wohl, das können sie allemale, wen interessiert denn heute noch so etwas wie Datenschutz oder auch informationelle Selbstbestimmung, man muß schließlich im internationalen Wettbewerb bestehen. Wie das Wasser wird des Volkes Gut verhökert, Tafelsilber gleich zur Schuldentilgung, Privatisierung genannt, sollen die Griechen doch ihre Akropolis, überhaupt ihre Inseln verscherbeln, also beileibe nicht nur in den unterentwickelten Ländern der von Erstklassigen so genannten dritten oder vierten Welt.

Und auch der Völker Sparguthaben geht den Weg alles Irdischen, nämlich hinab wie die achteckige Fleischkiste, auf deren Inhalt gefräßige Würmer warten. Wer vor dreißig Jahren im herkömmlichen Verständnis des Begriffes, also tatsächlich gespart hat, die ganz Klugen beispielsweise über seinerzeit noch sichere deutschstaatliche Schatzbriefe oder auch Bundesanleihen, vergleichbar dem französischen emprunt à l'état, der schaut heute nur noch in die tiefe Grube. Von einst bis zu zehn Prozent oder gar noch höheren Zinsen etwa für die geschätzten Briefe sind allenfalls noch ein Zehntel und weniger übriggeblieben. Eine 1982 abgeschlossene Lebensversicherung, zu der Zeit war noch nicht die Rede von dringendst notwendiger Altersversorgung, da versprach ein Politiker in blümigen Worten noch deren Sicherheit, die am Ende zweihunderttausend Mark erbringen sollte, wurde nicht nur durch den abnehmenden Euro-Wert halbiert, auch die zunehmende Geldentwertung nagt mehr als heftig an dem Haufen Nahrung, den der nach der Theorie der Aktion Eichhörnchen handelnde Hamster angelegt hatte. Wer will denn heute tatsächlich noch sparen? Man muß doch bereits dafür zahlen, wenn man den Banken Geld leiht.

Von Schulden ist allenthalben die Rede, die die Völker, ob deutsch, französisch oder sonstwie, abzutragen hätten, und das, obwohl sie die im wesentlichen nicht einmal angehäuft haben, sieht man einmal davon ab, daß die einen oder anderen mit in den Genuß eines Schwimmbades oder eines superben Autobahnkreuzes gekommen sein dürften, das letztlich zur Lagerhaltung nicht nur der PKW-, sondern auch der Billigheimer-Produktion dient, das die einen oder anderen Lokal- oder auch Regionalpolitiker zur eigenen Heiligsprechung haben errichten lassen und auf deren für das öffentliche Publikum veranstalteten Sektempfängen sie herumstolzieren. Die Feierlichkeiten für ihrer Länder Banken will ich nicht vergessen, während derer es auch schon einmal Gesöff aus der Champagne gibt, das sie oftmals nicht von dem aus dem Billigheimer unterscheiden können, weil sie's nicht wirklich mit dem internationalen Austausch haben, den beispielsweise ihre Geldhäuser ziemlich verlustig veranstaltet haben und für deren Niedergänge der wackere Demokrat nun auch noch löhnen soll, in Österreich oder anderswo.
 
Fr, 06.07.2012 |  link | (3955) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Meerbuschschaumsauce

an linksrheinischem Kaviar, hinuntergespült mit Moëtschangdong. Da fehlt tatsächlich nur noch Verona, la colonne commémorant une victoire, die Siegessäule des gesellschaftlichen Aufstiegs. Hoch das Bein, die Markenliebe winkt, die Luxusgüterindustrie braucht Soldaten. Der Lachs im Rhein fällt (mir dabei) ein. Der war, wie andere Fische auch samt deren Eier, früher, aber allzu lange ist das noch nicht her, mal ein Arme-Leute-Essen.

Das läßt mich ausschweifen. Von Jochen Gerz hatte ich einst einen Vorläufer seiner sozial anmutenden, jedenfalls das Gesellschaftliche plastizerenden Bilder im Büro hängen. Bis mir jemand die Revolution klaute (leider darf ich es, obwohl ich's gerne täte, hier nicht abbilden, da es sich nicht mehr in meinem Besitz befindet und ansonsten der Nachfolger von Herr Pfennig von Bild-Kunst böse mit mir würde). Der Diebstahl geschah zu der Zeit, als die vom Geld Beseelten in der Kunst allen Unkenrufen zum Trotz verstärkt Mehrwert zu sehen begonnen hatten.

Auf der Suche nach einem anderen Bild in den vielen Schubladen (meiner Schränke) immerhin eine Photographie gefunden, aufgenommen, als die Revolution noch nicht verschwunden war.

Auf eine Verbindung zum Leben, gar auf einen Blick zum Hintergrund der Straßen von '68, auf die Idee wäre der Dieb wohl eher weniger gekommen. Mich treibt das allerdings jetzt zur geradezu gnadenlosen Ausschweifung, abseitig den Titel eines der gerzschen Kunststücke zu paraphrasieren: Der Stein will zurück zur Schleuder. Die Brut will zurück ins Nest. Oder vielleicht auch so: «Der Stein ist viel zu groß (geworden), um je wieder zurück zur Schleuder zu finden.» In verdrängter Kenntnis einst gar nicht so fröhlicher Urständ' niederen Standes essen sie (wieder) das, was in ihrer Mutter Bauch auf den Tisch kam. Und sie nehmen es dort zu sich, wo das herkünftig schlichtere Volk sich während der Eiszeit versammelte: an der Bierbude, die ich in Frankfurt am Main als Wasserhäuschen kennenlernte, allgemein Kiosk genannt. Aber mit solchen massenhaft auftretenden Geröllhaufen wollen die von der neuen Liberalität hochpolierten Findlinge nicht verwechselt, in Verbindung gebracht werden.

Die Russenmafia in der Tatort-Dramaturgie drängt sich mir im weiteren auf. Die hatte ursprünglich auch kein Geld, kam dann irgendwie doch dazu, wenn auch weniger über den Handel von Versicherungen. Der hat seinen Ursprung vermutlich in der niedersächischen Landeshauptstadt. Nein, die heißt nicht Großburgwedel (wo sich übrigens mittlerweile auch der kleine Bürger dringend eine Kunsthalle wünscht; nun ja, auch die neuere Jungbäurin würde nicht in ein altes Haus hineinheiraten). Wenngleich sich das aufdrängt, geht es doch um Meerbusch, offenbar vergleichbar mit Pulheim, «Ministerpräsidentenheimstatt und Wohlstands-Kommune». Überhaupt dräut über mir der Verdacht, im Land der Unterirdischen könnte es noch mehr Emporkömmlinge nicht nur aus dem Bergbau geben als im Land, das vor einigen Jahren angetreten war, die Republik zu dirigieren. Doch der eine zog sich zurück nach Rußland, womit ich selbstverständlich keinerlei Assoziation zu exkommunistischen Triaden herstellen möchte, also solchen Führungskräften, die die Sozialisierung von Banken eingeleitet und deren Schuld den Glaubenden an das Gute in den Politikern überlassen haben. Und ein anderer zog es vor, sich bei schmaler Vorruhestandsrente in sein schlichtes Heim einmauern zu lassen, das Abbild seiner formalästhetischen Utopien, auch seinen geistigen, seinen spirituellen Fähigkeiten entsprechend. Mein Haus ist mein Schloß, wie der an die Immobilie glaubende Engländer zu sagen pflegt, oder auch Burg, wie der dem Mittelalter offensichtlich nicht auskommende Deutsche das übersetzt, da mag's noch so gezogen haben im Wohnturm neben dem Bergfried oder der Kot stinkend durch die, das Reinheitsgebot noch ignorierend, niedlichen Baden-Badens oder Rottenburgs und der Oos' und Neckars geflossen sein.

In einer der von Deutschen sehr geschätzten, mit Intellektuellen besetzten öffentlich-rechtlichen Gesprächsrunden entgegnete einer, der sich als Investment-Punk darstellte, einem anderen, der für ein Anhalten des Wirtschaftswachstums, für ein gesellschaftliches Umdenken, für eine Rückkehr zur Kleinteiligkeit auch des Werkens und des Handels, partiell auch in überschaubaren Währungen plädierte, diese Ansichten seien mittelalterlich, und er vergaß nicht anzufügen, überdies rechtsradikales Gedankengut. Der wirkliche Punk sei die Freiheit der Geldvermehrung. Sie allein mache die Menschen frei. «Ich tue all die Dinge», äußerte er in Der Aktionär, «von denen die meisten von euch nicht einmal zugeben, dass sie von ihnen träumen. Ich wohne an den feinsten Adressen von Frankfurt und Wien, besitze Luxusautos mit insgesamt mehr als tausend PS, esse in den besten Restaurants, tanze in den angesagtesten Clubs und treffe die schönsten Frauen der Welt. Ich bin 34 Jahre alt und gehöre zu den Leuten, die ihr Finanzjongleure nennt.» Irgendwie habe ich Punker anders in Erinnerung, wie auch die Skinheads mal alles andere als national, sondern eher links, also richtig soziale, um den bösen Ausdruck sozialistisch in diesem Zusammenhang zu vermeiden, Wesen waren, da mögen sie noch so komisch ausgesehen haben. Aber so ist das eben: Wen die Mode einholt, der kommt in ihr um.

Die spezifischen Wasserhäuschen von Meerbusch sind ihr unterlegen. Der asoziale Mob im kleineren Format hat sich ihr bemächtigt, jetzt hält er punkig Hof. Der heißt jetzt Party, und aus dem fidelen Hüpftanz Gaillarde wurde auseinander getanzter Rock'n'Roll in quasi analog gemäßigter Form, vermutlich weil der mit Überwurf ein allzu proletarisch-revoluzzerisches Gefühl aufkommen lassen könnte. Auch Lieschen und Fritzchen wollen mit dabei sein, wenn die Hofpost abgeht, wenn das Haupt wie zu des Sonnenkönigs Zeiten höfisch erhoben wird. Da die sich den von Film und Fernsehen erleuchteten Glanz und Glimmer jedoch nicht leisten können, pumpen sie sich ihre Louis d'or für ihren Tanz um die goldenen Kälber, für ihre Karossen und Hofkostüme eben zusammen.

Anderslinksrheinisch werden die gehobenen Lieschen und Fritzchen Marius et Jeannette genannt. Deshalb komme ich auf Louis d'or; er habe ein Lied für die Deutschen geschrieben, teilte einst Hofmann von Fallersleben von Helgoland seinem Verleger Campen mit, aber es koste vier «Louisdor. An Bord des Schiffes spielte die Kapelle für die Franzosen die Marseillaise, für die Engländer ertönte ‹God save the King›, für die Deutschen aber blieben die Bläser stumm. Diese Situation empfand der politisch engagierte Passagier schmerzlich.» So steht's im Bildungswerk. Marius et Jeannette scheinen mir allerdings noch ein wenig mehr als anderswo einem Bewußtsein anzuhängen, ein anderes Verständnis von Freiheit als das unseres Neopunk dürfte als Rudiment des Wissens in deren Köpfen dümpeln. Es mag am linksrheinisch tiefergehenden Unterricht gelegen haben, der die Erleuchtung durch Aufklärung stringenter oder überhaupt thematisierte. Die führte zur Moderne, und die wiederum verhieß in der Folge Reichtum, zumindest Wohlstand für alle. Ingang gesetzt wurde das zu Zeiten, als das Volk sich dank Denis Diderot und dessen Mitstreiter seiner Unzufriedenheit bewußt geworden war. Der König meinte irgendwann, das solle ihm doch die Gründe dafür mitteilen. Sie ließen ihm massenhaft Carnets zukommen, Hefte voller Sorgen. Die viele Post wurde dem Herrn zuviel, so ließ er alles beim Alten. Da heraus entstand die Anekdote, nach der es wider besseres Wissen der Geschichtsschreibung immer wieder auch in öffentlich-rechtlichen Bildungsprogrammen heißt, die aus Österreich eingewandert wordene Antoinette hätte gesagt: Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie eben Kuchen essen.

Etwa dreihundert Jahre nach den Anfängen der Moderne beherzigen sie das. Nur noch Kuchen wollen sie, aber nicht etwa Brioche, was, hätte sie's gesagt, die Königin damit gemeint haben dürfte, sondern lauter leckere Törtchen, am liebsten mit edlem, zart perlendem Wein gefüllte. Erweitert könnte die Metapher auch Kaviar an Meerbuschschaumsauce an der Moëtschangdong-Bude heißen. Wasser am Häuschen ist aus.

Sie haben es zu etwas gebracht. Und das sollen alle sehen. Mein Haus, mein Auto, mein Konto, das gehört allenfalls zum Niederadel. Dem kuckt aber doch keiner zu. Sie wollen hochadelig sein. Ihnen soll der Zwölfender gehören, der sich bei ihnen als der mit zwölf Zylindern und hunderten vorgespannten Edelpferden zeigt. Wo auch immer sie sich die zusammengehandelt, wenn nicht gar -geklaut haben. Die anderen, denen sie das gerne zeigen würden, zu welcher Pracht auch sie es gebracht haben, die bleiben allerdings zuhause oder unter sich, trinken, wenn auch lediglich zu besonderen Anlässen richtigen Champagner und nicht solch eine Allerweltsplempe, wo kein Inhalt drinnen ist, sondern nur ein Markenname die Äußerlichkeit kennzeichnet, und die essen auch nicht nachhaltig Biokaviar und spenden anonym für die Tafel. Sie sitzen an ihr. Manchmal treffen sie sich mit anderen, um sich auszutauschen.Und sie behalten ihre Louis d'or im Trésor, haben diese Münzen ohnehin nicht in Ecu umgewandelt, wie der Euro beinahe mal geheißen hätte. Und sie tun vor allen Dingen eines nicht: Sie sprechen nicht darüber.
 
Di, 03.07.2012 |  link | (4161) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 







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