Mediales Hoch- und Niederwild Ich wandle meine Antwort auf ein Widerwort um in einen Leidartikel, um in mein Wort zum Montag, da Kommentare erwiesenermaßen Niederwild sind und damit weitaus weniger Beachtung finden als ein kapitaler Bock. Die Rede über Richard David Precht war auch hier schonmal. Und sicherlich mit Recht. Ich halte ihn durchaus für wichtig. Auch ich bin der Meinung, das Feuilleton verdiene nicht den schlechten Ruf, der ihm in letzter Zeit entgegenhallt. In letzter Zeit? Uns war das bereits Anfang der Neunziger Anlaß, als noch nicht zu ahnen war, welche Verbreitung das Internet einmal haben und jeder sein eigener Leidartikler und Kommentator werden würde, zum weiterblättern aufzufordern; drei Jahre brauchte es, um wahrgenommen zu werden, und hätte ich nicht beruflich über entsprechende Verbindungen verfügt, vom Blättchen hätte nicht einmal die Nasenspitze des Mäusleins aus dem Loch herausgelugt, der kleine Berg oder auch das Hügelchen, das es dann doch noch gebar, wäre in der Kulturlandschaft nicht zu sehen gewesen. Als die Kommunikation via Zwischennetz aufbrandete, war Ende der Meinungsstange, die als Mischgebilde zusammengefügt worden war aus Jungem und Altem bis sehr weit hinter die Revolution des achtzehnten Jahrhunderts. Zwar ist an der Argumentation von Georg Seeßlen — da das hier noch einmal ein anderer kleiner Hyde-Park ist als der Ihre, verhyperlinke ich seinen Aufschrei gerne noch einmal — einiges dran, aber insgesamt sollten die Deutschen froh über seine Existenz sein, über die von Precht. Ich schließe mich also an, jedoch weiterhin nicht ohne Skepsis, da es an Gegenreden mangelt, also nochmal: Weshalb werden die von ihm und selbstverständlich anderen angeführten, alle angehenden Problematisierungen nicht im breiten Kreis erörtert? Immer nur Rockkonzert ist doch todlangweilig, tödlich. Für die Gesellschaft. Das ist meines Erachtens dasselbe wie die griechisch-türkisch-deutschen Lieder zur Klampfe, wie sie in den Sechzigern und auch noch Siebzigern sozialdemokratisch für den Hinterhof verordnet worden waren. Ich möchte auch das massenhaft diskutiert lesen. Zur besten, wie Enzoo das nennt, Primelzeit gibt es Sendung über Sendung zur Wirtschaftslage der Nation, die über die kulturelle kommt zur nachtschlafenen Zeit, und die dann auch noch gekürzt zugunsten der anderen Löcher, in die eine Gesellschaft zu fallen scheint und die sich in ihnen endlos suhlt, als ob's nicht anderes gäbe als diese Sauerei Geld. Mir fällt nicht erst seit gestern auf, wie ausgeprägt hierzulande immer die Bemühungen waren, zu trennen zwischen Feuilleton — Seeßlen weist nicht zuletzt berechtigterweise auf den Ursprung hin — und Kultur. Das macht die unterschiedlichen Auffassungen deutlich. Die einen verstehen Kultur im Sinn von Hochkultur, also als etwas von oben Verordnetes, und nennen das dann mehr oder minder verächtlich Feuilleton, die anderen, zum Beispiel das ganz neue elektronische Blatt NEOpresse, schaffen den Begriff Kultur gleich ganz ab, wohl in der Meinung, das sei alles völlig veraltet. Mein Verständnis von Kultur war immer näher an der Definition meines ollen Brockhaus, der da in etwa meint, es sei die Gesamtheit der Lebensäußerungen eines Volkes. Darin geht auch meine Auffassung von Ästhetik auf, die mit Schönheit im Sinn eines Ideals, welchem auch immer, ich höre und lese das neuerdings wieder häufiger, im besonderen klang das über Sportler an, als ob man den winckelmannschen Blick, besser vielleicht den seiner nicht aussterben wollenden ewigen Schüler des Mißverständnisses von außen schön, innen hohl, renaissancieren möchte. Mir drängt sich dabei die Schönheit von Lina Wertmüller auf. Precht gehört sicherlich der Fraktion dieses allgemeinen Kulturverständnisses an. Dafür schätze ich ihn allein. Ins Feuilleton, Sie merken es an, gerät er zwangsläufig. Und weshalb nicht Feuilleton?! Das ist ebenso, auch Kultur. Robert Menasse meinte kürzlich: Wir retten spanische Banken, weshalb sollen wir nicht auch einen Rettungsschirm über italienische Opern aufspannen? Man müsse in diesen Zusammenhängen endlich ebenfalls europäisch zu denken lernen. Es sei ein großes Problem, daß dies immer noch Ländersache sei. Ich füge hinzu: Im föderalen System der Deutschen entscheiden darüber auch noch bundesländerische Hinterbänkler, ob ein oder mehrere Theater zugunsten der letztendlich europäischen Schuldenfinanzierung geschlossen werden müsse. Nochmal Menasse: Weshalb sollen wir über unsere Verhältnisse gelebt haben? Es seien Verhältnisse, die von der Gemeinschaft, für die Politiker stehen, geschaffen wurden. Weshalb solle es in einer Zeit des geradezu überbordenden Wohlstands nicht mehr möglich sein, was vor Jahrzehnten, als weitaus weniger Geld zur Verfügung stand, ohne wenn und aber problemlos funktionierte. Es ist eben alles Kultur, die regulierte wie die kon- oder dekonstruktive, dazu gehört auch ein Buch, ein Gespräch über die Kunst, kein Egoist zu sein. Ich schätze Precht so ein, daß er das alles ebenfalls im kulturellen, also gesamten Zusammenhang sieht. Immer wieder scheint mir das Elternhaus durchzublitzen. Das sehe ich positiv, zumal ein eigenes Gedankengebäude, das der jüngeren, der nachfolgenden Generation hinzugekommen ist, das eine unabhängige Architektur darstellt, die über die Postmoderne hinaus- oder vielleicht auch wieder ein wenig zurückweist auf das unvollendete Projekt, durchaus im Sinne Habermas', Gemeinschaft. So gesehen stimme ich Ihnen, seiner Existenzberechtigung innerhalb der Medien vorbehaltlos zu. Meine Befürchtung geht allerdings dahin, daß es nicht unbedingt weiterführen muß, da «kein Diskursbedarf zu bestehen scheint», weil hierzulande eben getrennt wird zwischen Hoch- und Niederkultur, zwischen E und U. Dieses Land will nicht hinaus aus seinen alten, festgefügten Strukturen, man hat keine revolutionäre Tradition. Möge alles beim Gestern bleiben: das Niederwild dem Kleinadel, die kapitalen Böcke dem Hochadel. Dazwischen nichts. Das ist das Leben. Da wird auch ein populärer Precht nicht weiterhelfen. Aber vielleicht irre ich mich. Das wäre dann gut.
Ein Dorf in Aufruhr. Feuerwehr enteignet. Es kann nicht mehr gelöscht werden. Es sei denn, den Kaffeedurst. ![]() Des Dorfes Frauen haben, da hat sich wohl etwas von den matriarchalischen Umtrieben der Antike oder anderer hinterwäldlerischer Lebensweisen aus dem Busch herangeschlichen, sich der Männerlust bemächtigt. ![]() Flohmarkt ist in der Gemeinde mit ihren zugestandenermaßen nicht einmal zweihundert Seelen. Diese fast ostseeischen aber sind, trotz mediteraner Temperaturen, die buschigen rücken erst heute heimlich in der Dunkelheit oder morgen heran, lebendig wie eben am Mittelmeer. Man schlurft durchs Kaff. Hier hinein kommt ohnehin kein Fremder, da er befürchten muß, mit seiner Ruckikawazacki am Rand des Dörfchens im Acker zu landen. Nur Esoteriker wie ich sind in der Lage, sich entenreifenläufig da hinauszupendeln. Der Busfhrer beherrscht das zwar auch noch. Aber der kommt und fährt nur, wenn ein bißchen Schule stattfindet. Und in Schleswig-Holstein sind immer irgendwie Ferien. Das ist fast wie in Frankreich, weshalb ich mich hier auch so wohlfühle, auch wenn ich zur Zeit immer noch behindert bin, weil der Fuß nicht so läuft, wie ich gerne möchte, und auch das kreisunläufige Gehirn nicht, das vermutlich lieber am Alten Hafen die Beine baumeln lassen würde. Aber das Wetter schafft eine ähnliche Atmosphäre. Auch die Jüngeren haben Kuchen und Torte gebacken, ein paar von Ihnen umtanzen allerdings lieber kultisch die Dorflinde mit dem Findling, auf dem (hier leider nicht, weil der Markt nunmal alles im Griff hat) zu lesen ist, seit wievielen Jahrhunderten der Ort bereits existiert. ![]() Wir sind so etwas wie Mittelalter. Das sind auch diejenigen, die über das Privileg verfügen, es eben zu können, zumindest das Backen. Eigentlich wollte ich zum sonntäglich geöffneten Bäcker mit Anschluß an den Geflügelhof und eigener Herstellung sensationeller geräucherter Leberwurst fahren. Doch da stand ich vor Madame Lucette, die doch tatsächlich ihren eigenen Kuchen kaufte. Das war mir Qualitätswertung genug, nun bin ich versorgt. Ich fürchte nur, nicht allzulange. Dann muß ich eben wieder los. Ein Anlaß wird sich finden, etwa der eines Briefes. Den dafür erforderlichen Standpunkt gibt es nämlich auch in der Dorfmitte, gleich neben der Feuerwehr, die mich sonnabends immer pünktlich um zwölf Uhr per Sirene aus meinen antiken Visionen weckt, die ich von Charylla und Charibdis habe. Hier hat die Post nämlich noch nicht modern gebaut, wenn andere das auch versucht haben. ![]() Hier gibt es noch einen Briefkasten, und auch die DSL-Leitung ist von einer Geschwindigkeit, vergleichbar mit der Zeit vor der Revolution, als alle königlichen Botschaften per Pferd tranportiert wurden. Deshalb suchen die vermutlich immer noch die Revolutionskate, in der ich Türmer bin. Und wie weiland Rilke lange Briefe schreibe. ![]()
Gastartikel Eine Londoner Agentur, die Digitales im Schilde führt, schrieb mich und vermutlich einige mehr an mit der Frage, ob ich «Gastartikel akzeptieren» würde. Die freundliche Dame meint damit vermutlich mein kleines elektrisches Tagebuch. Ich muß annehmen, daß es sich dabei um den Versuch handelt, mit völlig neuen Methoden Werbung einzuschleichen, wie wir aus Alters- ergo Zipperleinsgründen Kenntnisreiche in der Medizin das flapsig umbenennen, zumal der Begriff SEO leicht, aber unübersehbar zwischen den Zeilen hervorlugt. Oder haben die nur das Reizwort aus den digitalen, quasi für jeden einigermaßen Versierten sichtbaren Akten herausgeschnüffelt: Verlag? ![]() Lernt man im Marketing nicht, die entsprechenden Seiten seines Gehirns effektiv oder gar effizient einzusetzen? Mit ein wenig Gefühl für die Sachlage müßte einem doch beispielsweise auffallen, daß in meinem Brauser nahezu alles, wie es auf Neudeutsch heißt, deaktiviert ist beziehungsweise nur zum Einsatz kommt, wenn es gar nicht anders geht, ich also gezwungen werde, ansonsten keine Cookies, kein Javascript et cetera lassen die Netzüblichkeiten hinein in mein gemütliches Plauderstübchen. Das wäre doch zumindest ein Anhalts- oder Inhaltspunkt. Doch es wäre sicherlich auch zuviel verlangt, erwartete man von den einen anschreibenden Verantwortlichen, sie schauten bei mir hinein und stellten mit ein wenig Aufmerksamkeit fest, daß ich möglicherweise nicht der ideale Kunde sein könnte, der eben obendrein, da wären wir allerdings bereits einen Schritt weiter, bei dem des ein bißchen genaueren Hinkuckens, sprich Lesens, immer wieder gegen diesen ganzen Konsumrummelplatz donnerwettert. Oder sind mittlerweile diese Gehirnfunktionen völlig außer kraft gesetzt, etwa die, daß sich jüngere und mittlerweile auch mittelalte Menschen ohne diese kleinen kleinrechnerverzierenden Apps und sonstigen elektrischen Navigationshilfen gar nicht mehr frei bewegen können? Hat Manfred Spitzer damit recht, entscheidungstreffende Körperteile könnten, trotz ständigen Muckibuden- und Stöcketrainings der Muskulaturen auch in der freien Natur Schaden nehmen? Apps, das ist die Kurzform eines Begriffes, den ich näher kennenlernte, als eine der Hauptdarstellerinnen des Schauspiels Das Opfer Helena, eine hochgewachsene feine Frau wie vom Hofe eines Sonnenkönigs der Nachkriegszeit, von Strass-Applikationen redete, also nicht von der aktuellen und akuten Volkskrankheit Stress, sondern von billigen Klunkern, die Ersatz sind für Diamanten, die die Damen lieber trügen, die sie aber auf Geheiß ihrer ihnen gebietenden Gatten nicht tragen dürften, da sie Gefahr liefen, geklaut zu werden, die Edelsteine, wie man sie auch kennt von Jeans oder den Hundehalsbändern, die heutzutage die Millowitsch-Töchter der Nation schmücken. Die Landlordgattin, deren einzige Besucherin und ich sprachen während unseres sitzenden Austausches im Rahmen des Golfballs über das Reisen. Meinte diese eine, später dann weglaufende zu mir, ich kennte mich anscheinend recht gut aus in der Welt. Sicher, meinte ich, denn ich sei grundsätzlich auf Nebenstrecken unterwegs gewesen, und zwar ziellos, allenfalls einen Kompaß zuhilfe nehmend. Sagt mir doch, hier muß ich mich korrigieren, was meine Bemerkung zur weiblichen Zurschaubesetzung des Golfturniers betrifft, die aus der unmittelbaren Nachbarschaft beisitzende, noch lange nicht an die Dreißig hinreichende, recht gütlich erbende Tochter von Madame und Gutsherrn, die nichts zu tun hat, als ihrem Gatten abends das Essen hinzusetzen und hin und wieder ihren zwei über die Koppeln hoppelnden Kindern einen Blick nachzuwerfen, die jungen Menschen hätten aber auch heutzutage nicht die Zeit wie die Alten. Sind mittlerweile eigentlich alle junge Menschen so reduziert auf das Wesentliche, das keinen Blick mehr nach dem Prinzip der rechts- oder linksdrehenden Gedanken zuläßt? Funktionieren die alle nur noch mit den Krücken der Navigation? Ist längst alles in dieser unsäglichen Masse unter-gegangen, die selbst dem schlichtesten Denken Fremdbestimmtheit zuweist? Oder haben die einfach tatsächlich nur keine Zeit? Welche Zukunftsvisionen. Hatte der ehemalige deutsche Bundeskanzler damit recht, als er sagte: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen? ![]()
|
![]() Jean Stubenzweig motzt hier seit 6253 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00 ... Aktuelle Seite ... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis) ... Themen ... Impressum ... täglich ... Das Wetter ... Blogger.de ... Spenden
Zum Kommentieren bitte anmelden.
AnderenortsSuche: Letzte Kommentare: / Echt jetzt, geht noch? (einemaria) / Migräne (julians) / Oder etwa nicht? (jagothello) / Und last but not least ...... (einemaria) / und eigentlich, (einemaria) / Der gute Hades (einemaria) / Aus der Alten Welt (jean stubenzweig) / Bordeaux (jean stubenzweig) / Nicht mal die Hölle ist... (einemaria) / Ach, (if bergher) / Ahoi! (jean stubenzweig) / Yihaa, Ahoi, Sehr Erfreut. (einemaria) / Sechs mal sechs (jean stubenzweig) / Küstennebel (if bergher) / Stümperhafter Kolonialismus (if bergher) / Mir fehlen die Worte (jean stubenzweig) / Wer wird schon wissen, (jean stubenzweig) / Die Reste von Griechenland (if bergher) / Richtig, keine Vorhänge, (jean stubenzweig) / Die kleine Schwester (prieditis) / Inselsommer (jean stubenzweig) / An einem derart vom Nichts (jean stubenzweig) / Schosseh und Portmoneh (if bergher) / Mit Joseph Roth (jean stubenzweig) / Vielleicht (jagothello) «Ist Kultur gescheitert?» ? «Bitte gehen Sie weiter.» Suche: Andere Worte Anderswo Beobachtung Cinèmatographisches + und TV Fundsachen und Liebhaberstücke Kunst kommt von Kunst La Musica Regales Leben Das Ende © (wenn nichts anders gekennzeichnet): Jean Stubenzweig |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |