Denken und mahnen Der OberMotzer erwachte allmählich aus seinem seligen Traum der zurückliegenden Nacht, in dem er Achternbusch sein durfte, dem es ein leichtes ist, beim Gehen den Boden zu berühren. Es existieren mich schon höchst beschwerende, arg irritierende Formulierungen. «Diese Forderungen haben aus dem Wettbewerb für ein historisches Denkmal einen Wettbewerb für experimentelle Kunst gemacht, mit der Kunstszene als Adressat. Ein an das Volk als Adressat gerichtetes Denkmal wendet sich aber an die Allgemeinheit und die Nachkommen.» Entnommen habe ich das dem Tagesspiegel. Das läßt mich schlußfolgern, es könnte mit der Kunst und der ihr eigentlich zugewandt sein sollenden Erziehung etwas faul sein im Staate Deutschland; faul vielleicht im Sinne einer Anleitung für das Volk in ein rückwärts, in vergangene Jahrhunderte hineinreichendes Kunstverständnis. Weshalb sollten Denk- oder Mahnmale geistig nicht aufgebrochen werden, das meines Erachtens immer mitschwingende Gestrige nicht herausgebrochen werden? Es könnte neue Perspektiven auf das Geschehene eröffnen. Es folgte im Austausch ein Hinweis auf das alte Paradox der Kunst. Die Denkmalkultur sei es in diesem Zusammenhang seit je, weil das, was zu bedenken wäre, zumeist moralischen und ästhetischen Ansprüchen geopfert werde. Denn wie solle, so mein Gesprächspartner weiter, die Schönheit mit dem Schrecken kompatibel werden? Die Form adle und/oder entschärfe den Gegenstand, so daß die Kunst letztlich — so sehr Künstler das bestreiten mögen — an das Grauen nicht herankommte. Auf Maurizio Cattelan, aber auch Otto Dix oder George Grosz und zahllose andere wurde dabei hingewiesen. Dem hielt ich entgegen: Meines Erachtens habe Kunst auch nicht Schönheit an sich abzubilden. Nehme ich zudem den vielzitierten Paul Klee, in etwa: Sie bilde nicht die Wirklichkeit ab, sie mache sichtbar. Daß der Wettbewerb via Ausschreibung der, nenne ich's mal so, radikaleren Kunst zugewandt ist, wirft der Autor ohnehin dem Wettbewerb vor. Dennoch: Die Gerzens haben es beim Harburger Mahnmal vorgemacht mit dem Denk mal, das im tiefen Gedenken verschwinden könnte, genauso auch Jochen Gerz' Saarbrücker Beispiel der 2146 Steine. Im übrigen oder nebenbei: Gerz ist im Berliner Wettbewerb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas Peter Eisenman unterlegen.
Von Aurelia in den Sonnensturm Von Aurelia träumte es mich, dieser hochintelligenten und humorigen Blondgelockten mit dem graziellen, tiefdunkelpigmentierten Äußeren einer Gazelle, wie es vermutlich nur im durch-bastardisierten Brasilien geboren werden kann. Sie gehörte zu jenen bezaubernden Geschöpfen aus aller Welt, in die ich permanent gezwungen war, sie verzückt anzuschauen, ich gar nicht mehr wußte, wem ich meine dauerhafte Verliebtheit konkret zuwenden sollte, als das Schicksal ein Signal davon gab, aus mir könnte eines Tages doch noch etwas Anständiges werden, ganz so, wie meine Frau Mutter sich das ersehnt hatte. Die Stufe zum Hilfslehrer hatte ich erklommen, in des Geheimraths Diensten (es dürfte bekannt sein von meiner Reise Per Anhalter ins Paradies), im Oberbayerischen zwar lediglich, aber nun, in dessen geologischen Formationen liegen die Höhen bereits näher. Doch der Traum entfernte mir Aurelia, die sphärisch singen konnte. Nahezu verzweifelt suchte ich nach ihr, wollte ich sie doch nicht verlieren. Das Erwachen aus dem sich anbahnenden Alp machte meiner Suche ein Ende. Also schaltete ich das irdische Fernsehen ein, um mit dem altbewährten Einschlafmittel des Stimmengemurmels wieder zurückzufinden in Morpheus Umarmung. Wohl unausweichlich tauchte prompt eine gewisse Aurora auf. Nein, nicht etwa die römische Göttin der Morgenröte. Solch ein seltsames grünliches Geflimmre war's, hoch oben im Himmel, oberhalb der Hundertkilometergrenze, wo dieser ganze Raumfahrtmüll herumtaumelt, teilweise Überreste dessen, das der Menschheit technisch das ermöglicht, was früher einmal Sprache hieß und nun Kommunikation heißt. Irgendwelche, alles aufs banal Erklärbare hinunterziehende Physiker nennen dieses Göttliche so. Und dann wollen sie auch sie auch deren Stimme erforschen. Da bin ich hilfs brabbelnder Stimmen dann doch lieber wieder eingeschlafen, bevor sie Aurelias Gesang zutode erforscht hatten. Aber sie kam nicht mehr zurück. Und nun sitze ich da in meiner morgenrötlichen Trauer und versuche zu kommunizieren.
Rückmeldung mit Erhellung Ich war mal eben eine Weile weg, weg von alldem, das mir meine Lust an veröffentlichter Meinung verargte. Es waren nicht alleine die Trollos. Ich fühlte mich ausgebloggt. Das ist zwar immer noch der Fall, aber ich will wenigstens ein Lebeszeichen gegeben haben, nicht zuletzt, da es freundliche Anfragen nach meinem Status gab, quo oder nicht quo. Ich tu's mit dem leicht abgewandelten Fazit eines meiner Lehrer: Kultur ist die Gesamtheit der Lebensäußerungen eines Volkes. Meine heute etwas späteres Frühstücksfernsehen führte mich zu ‹Westart›. Es wird womöglich am Moderator gelegen haben, der ansonsten wegen seiner schnoddrigen und zugleich fast liebesdienerischen Nähe zur Kohlenpottkultur nicht eben zu meinen Lieblingen zählt. Aber dieses Mal hielt er mich als zum Ost-West-Fernsehen zurückgekehrten Zuschauer frisch und am Bildschirm. So erheiterte es mich zunächst, wie er seinem Gesprächspartner zu recht dessen missionarische Rede abschneidend infragestellte, ob man mit Skateboardfahren in Nahost die Kriegsgedanken Jugendlicher verändern könnte. Seine Anmoderation zu einem Beitrag über die Kölner ‹Troerinnen› war geradezu köstlich theaterlustmachend, aber allem voran seine einführenden Worte zu dem neuen Film von Margrethe von Trotta über Hannah Arendt hätten mich um ein Haar motiviert, zu früher Stunde meine persönliche Frau Doktor Blaulicht anzurufen und sie zu bitten, die Sackkarre zu polstern und mich darauf ins Kino zu karren. Allerdings könnte es auch ein wenig daran liegen, daß ich Frau von Trotta schätze und es sich bei Barbara Sukowa um eine Schauspielerin handelt, der ich nicht nur wegen ihrer Darstellerei, sondern auch wegen ihrer eigenständigen und aufrechten und gleichermaßen intellektuell bestimmten Lebensweise — die meines Erachtens Schönheit gebiert — nach wie vor fast ein wenig zu Füßen liege. Sie scheint mir die Idealbesetzung für diese wegen ihrer Auseinandersetzung mit Adolf Eichmann von der breiten Masse bis hinein in innere Zirkel abgelehnten, ja verteufelten Philosophin zu sein. Für mich paßt dieser Film auch zur gerade stattfindenden Debatte über alten und neuen Antisemitismus. Hannah Arendt wurde seinerzeit ebenfalls vorgeworfen, sie als Jüdin — Kulturjüdin würde ich sie heißen, war sie doch von religiösen Bestimmungen durch die Eltern frei — hätte ihr Volk verraten. Ja, ihr Volk. Als sei man durch das Hineingeborensein in eine Religion gleich Israelitin. Oder wie immer man das nennen mag. Überhaupt mag ich als der quasi geborene Kritikaster, ohne zugehörige Nationalität, unter der Prämisse, Kultur kenne keine Grenzen, mal loben, und zwar die gesamte Ausgabe von Westart. Sogar mit einem Moderator könnte ich mich mittlerweile anfreunden.
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