Diogenes

durchwandert die alternden Bits und Bytes meines Zentralrechners da oben, kommt mit einem Mal aus den Verstecken der Langzeitspeicher. Vermutlich seit ich gestern diese nur leicht misanthropische oder lediglich andersperspektivische Bebilderung des Daseins gesehen habe, muß ich ständig an ihn denken. Viel wird ihm ja nachgesagt, ganze Anekdotenansammlungen und -illustrationen haben sich ergeben während der immerzu fortschreitenden Zeitläufte. Die Laterne ist im Lauf der Jahrhunderte zum Symbol geworden für diesen Kulturverweigerer; heute würde man ihn vermutlich Hartzvierler nennen oder, etwas euphemistischer, Aussteiger. Mit ihr soll er alle Ecken der Athener Agora ausgeleuchtet haben und auf die Frage, was er denn suche, geantwortet haben: Menschen. Ich suche Menschen. Vielleicht hatte er einfach Hunger.

Frau Merkel und Herr Steinbrück hätten vermutlich nicht unbedingt zu der Gattung gehört, derentwegen er die Marktplätze zu erhellen trachtete. Mit Armenspeisung läßt sich keine Wirtschaft beleben. Der Betreiber muß schließlich Geld verdienen. Ohne ordentliche Zecher und Schlemmer geht da nichts. Und schließlich hat alles mal ein Ende, auch die Antike. Die zu ihrer Zeit vornehmste aller Tugenden, die Gastfreundschaft, mit der jedem Fremden Tor, Tür und Topf offenstand, solchen präromantischen Kram kann man sich schon lange nicht mehr leisten, schon gar nicht nach den Einstürzen der staatsfinanzierenden Altbauten. Es gibt ja auch keine Götter mehr, die gezürnt hätten. Na gut, den Götzen Mammon vielleicht noch, der könnte zürnen ob der Furcht, man könnte ihm auch noch die paar verbliebenen Villen in der Toskana wegnehmen wollen, nur weil die anderen da nichts Anständiges gelernt haben.

Überhaupt scheint, ausgenommen die städtischen Festivitätsmarktplätze, überall die Bescheidenheit Einzug gehalten zu haben. Mir fiel im Osten Hamburgs auf, wie wenig, im Vergleich zum vergangenen Jahr, Buntes an den Häusern und in den Fenstern hängt. Geradewegs könnte man annehmen, dieser Diogenes schleiche überall herum und suche mit seiner Funzel nach Menschen. Nachgerade finster ist's geworden in den Dörfern des Herzogtums Lauenburg und denen des Nachbarkreises Stormarn. Alles ist zu einer Schlichtheit zurückgekehrt, die mich an seltsame Wunder glauben läßt. An einer Besinnung aufs Urprotestantische kann's kaum liegen, ist die Gegend doch ohnehin anders nicht zu charakterisieren. Hat das Christkind obsiegt? Sind am Ende gar die letzten versprengten Kreuzritter aus Nahost zurückgekehrt und haben mit den restlichen Kräften alles rekatholisiert? Nirgendwo ist mehr einer dieser knallroten Limonadenweihnachtsmänner zu sehen.

Aber vielleicht liegt's ja einfach am höheren Stromverbrauch durch bunte Lichtlein? Hoffentlich verarmen jetzt nicht auch noch unsere Energieversorger. Dunkel genug ist's ja bereits jetzt schon.

Ach, ich weiß so wenig.

Vielleicht sollte ich einfach mal was essen.
 
Mo, 22.12.2008 |  link | (2921) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben


aubertin   (22.12.08, 11:57)   (link)  
Papa Noël –
une vision terrorisme. Er wurde deshalb ausgewiesen nach États-Unis. Und nun sitzt er in Guantánamo.

bises Anne


txxx666   (22.12.08, 18:47)   (link)  
Stimmt schon - ein Bartträger aus dem heute islamischen Ausland (Türkei!) mit undurchsichtigem Gepäck kriegt bei uns heutzutage kaum noch Landeerlaubnis.


jean stubenzweig   (23.12.08, 01:32)   (link)  
Darauf zielte
meine Freundin Anne als historisch Sattelfeste wohl ab. Aber durchaus auch auf diesen Limonadenweihnachtsmann, den sie und ihr Vater wieder in diese blinkende Hölle zurückwünschen, aus der er gekommen ist. Hinzu kommt, daß die beiden so katholisch sind da unten in ihrem tiefen Süden, zumindest kulturell.


bueddenwarderin   (22.12.08, 14:15)   (link)  
die katholiken
kommen? das wäre ja fast ein grund, in die kirche einzutreten. in die andre, wegen trutzen und trotzen. aber ich glaub nicht, dass die wirklich gefährlich werden können. zu schlaff. die amis aber noch viel mehr. wir dulden keine fremdkulturen. wie du ja schon bemerkt hast. wir sind schliesslich protestantisch!!!


kid37   (22.12.08, 19:09)   (link)  
Mir fiel im Osten Hamburgs auf, wie wenig, im Vergleich zum vergangenen Jahr, Buntes an den Häusern und in den Fenstern hängt.

Das ist wirklich so. Bei mir im Hinterhof eine beinahe düstere Tristesse ohne Geblinke und dauerleuchtende Pyramiden. Ich werde es hoffentlich noch auf einen Kontrollgang in die Kleingartenanlage schaffen. Dort gab es in den Vorjahren Lauben, die illuminiert waren wie ein US-amerikanischer Weihnachtsladen.


jean stubenzweig   (23.12.08, 01:21)   (link)  
Hamburger Hinterhöfe
sogar?! Richtig, wo's ansonsten eigentlich immer am fadesten war, kamen die Energieerzeugnismaschinen im vergangenenen Jahr kaum nach mit der Lichtlieferung. Denn, das vergaß ich gestern zu notieren, auf dem Land um Kiel und Lübeck herum verhält es sich ähnlich.

Ja, irgendwas tut sich in diesem Land. Aber mit Konsumverweigerung oder zumindest einer gewissen «Sparsamkeit» kann es eher weniger zu tun haben. Denn die Geschenkeglocken scheinen ja heftig zu klingeln, so jedenfalls die Meldungen der Kaufrauschhäuser. Und das ausgerechnet op'n Dörp die Vernunft eingekehrt sein soll, kann ich einfach nicht glauben, ist man doch dort in solchen Dingen immer gerne städtischer als die Stadt.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6004 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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