Muttermörder Von meiner Mutter hat es mich, soweit ich mich erinnern kann, zum ersten Mal geträumt. Umbringen wollte ich sie bei dieser Gelegenheit. Noch nie waren in mir derartige Gedanken aufgekommen, auch nicht in meinem an sich recht bewegten und durchaus als opulent zu bezeichnenden Traumleben. Sie selbst hatte nie deutliche Anzeichen gezeigt, sich trotz all ihrer sehr lange anhaltenden nachgeburtlichen Schmerzen meiner entledigen zu wollen. Ein einziges Mal in meinen jungen Jahren lief sie, wohl von sich konzentriert habenden Rachegelüsten hinter mir her, um einen Tisch herum, mit einem Fleischermesser in der Hand, immer wieder laut ausrufend, sie bringe mich um. Ich dürfte etwa acht oder zehn Jahre jung gewesen sein, vielleicht auch jünger. Was genau ich angestellt hatte, daran erinnere ich mich nicht. Es könnte das Ereignis gewesen sein, bei dem ich mich gemeinsam mit einem Freund per Fahrrad aufgemacht hatte, dem mütterlichen Alltag zu entfliehen. Man hatte uns irgendwo aufgegriffen und den Elternhäusern wieder zugeführt. Möglich wäre auch eine meiner immer wieder mal abgesonderten kindlichen Erkenntnisse, nach denen sie eine schlechte Mutter und meiner nicht wert wäre. Auslöser könnte auch der Diebstahl einer kleinen Summe Geldes gewesen sein, die ich ihrer Geldbörse oder sonst einem Behältnis entnommen hatte, um davon Süßigkeiten zu kaufen. An Mitschüler hatte ich diese großherzig verteilt. Damit hatte ich mir früh jene Anerkennung erkauft, die mir in der Kindheit bis dahin versagt geblieben war und es auch bleiben sollte. Dieser Vorform der Prostitution meine ich, mich nie wieder hingegeben hingegeben zu haben. Anerkennung an sich sollte erst sehr viel später erfolgen. Aber da stand ich bereits im ersehnten oder, mag es so genannt werden, erträumten Beruf. Im Grunde gab es einen solchen nie. Schon gar keinen derartigen Traum. Den hatte allenfalls meine Mutter, die von mir wohl als einem aufstrebenden Volkswirt visionierte, es mochte auch ein Jurist gewesen sein. Meine Mutter habe ich eigentlich bereits im Alter von etwa Mitte zwanzig abgehakt. Zu diesen jungen Jahren habe ich mich von ihr scheiden lassen. Doch vergangene Nacht hatte ich im Traum vor, sie umzubringen. Wir hatten uns heftig gestritten. Anschließend gingen wir gemeinsam über eine Brücke. Die war von der Erscheinung her eine dieser sträßernen Talüberquerungen der sechziger Jahre ohne jede architektonische Besonderheit. Von dieser wollte ich sie über das Geländer hinweg hinunterstürzen. Es blieb bei einigen gedanklichen Versuchen. Ernsthaft betrieben hatte ich es auch im Traum nicht. In dem befand ich mich mit einem Mal unterhalb der Brücke im Gras sitzend. Das Gesicht meiner Mutter, die oben auf der Brücke entlangging, hatte sich im Lauf des Traumes gewandelt. Jung, fast jugendlich war es geworden. Allerdings hatte es, einer eventuellen Traumlogik folgend, keinerlei Ähnlichkeit mit der jungen Frau, die ich als Anfangszwanziger geheiratet hatte. Mit ihr wollte ich keine gemeinsamen Kinder haben, weil ich meinte, zwei bereits vorhandene seien genug. Sie war eine Weile in guter Hoffnung, ein gemeinsames Kind könne die Ehe retten. Dem hatte ich mich verweigert. Auf die Flucht hatte ich mich schließlich begeben. Vermißtenanzeige war ergangen. Erfahren hatte ich es durch meine Mutter, die ich nach meiner besinnungs- oder auch orientierungslosen Fahrt noch einmal aufgesucht hatte und die mir seinerzeit trotz meiner Obdachlosigkeit kein Heim bieten wollte mit der Begründung, sie verfüge über keinen Platz. Nach zwei Spiegeleiern wurde ich von ihr aus ihrer großräumigen, mehrzimmrigen Wohnung hinauskomplimentiert. An einem Abend kurz vor Weihnachten war es. Bei einem Freund beziehungsweise dessen Eltern fand ich ich für ein paar Tage Unterschlupf. Was sich anschließend ereignete, daran erinnere ich mich nicht. Der Traum von meiner Mutter, die ich umzubringen vorhatte, ließ mir das Gesicht einer jungen Frau hoch oben auf der Straßenbrücke erscheinen, während ich unterhalb derer in abenddämmerndem Licht hockte. Mit einem Mal sprach mich ein vor mir sitzender Junge im Alter von etwa zwölf Jahren an und fragte mich eindringlich, ob ich tatsächlich sein Vater sei. Kopfnickend entgegnete ich ihm, dem müsse offensichtlich so sein. Der Traum ohne jeden Alpcharakter war zuende. In der Nacht vor dem Tag, an dem ich Hans Zengelers dritte Folge der Bloch-Trilogie erstanden und darin angefangen hatte zu lesen, träumte es mich von meiner Mutter. Ich erwähne Zengelers Roman deshalb, da mich bereits sein erster Band wegen der darin abgehandelten Ängste vor dem Sterben recht aufgewühlt und eine gewisse, wenn auch konträr dazu stehende Nähe zum Autor hergestellt hatte. Erwähnenswert mag dabei sein, daß ich davon überzeugt bin, autobiographische Elemente spielten, im Gegensatz zur landläufigen Meinung der die in Schrftstellern frei aus dem Nichts heranschwebende Phantasie verteidigende Literaturkritik, wesentliche Rollen im erzählerischen Schreiben von Autoren. In Das letzte Geheimnis, dem dritten Teil dieser drei Romane, tritt des Autors, nein, des Protagonisten Mutter auf den Plan und bringt ziemliche Wirren in dessen bis dahin recht wohlgeordneten, von keinen übermäßigen Sonderlichkeiten getrübten Mikrokosmos eines schwäbischen Alps, obwohl er nie sonderlich gute Kontakte zu ihr gepflegt hatte und Bloch folgerichtig keine allzu ausschweifende Sehnsucht nach Nähe zu ihr entwickelte. Da gewisse Parallelen zu meiner Vita an- oder aufgezeigt sind, legte mir die Skizze des Erzählten eine Nutzung zur Anmoderation nah, die sich nun in eine Schlußbemerkung gewandelt hat.
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