Anis-Infusion

Betrachtete ich mich selbst, ich sähe mich in einem dieser Werbefilme, in denen die Männerwelt noch in Ordnung ist. Zumindest die des wohlen materiellen Mittelstandes. Ich liege in einer sogenannten Wirklichkeit — in einem lichtdurchfluteten sogenannten Designerbett, inmitten eines großen, nahezu dekorationsfreien, in der Sprache der klitternden Werbetexter und ihrer journalistischen Nachplapperer also minimalistischen Zimmers, das folglich lediglich von hochwertiger Unterhaltungselektronik illustriert ist und auf dessen gleißend weißen Wänden sich eindeutig die Mittelmeersonne bricht. Wie die Gestalter diese symbolhafte Ausleuchtung zuwege gebracht haben, ist mir quasi nicht ganz einleuchtend. Und als Eyecatcher haben sie noch eine riesige, halb heruntergebrannte, scheinbar an Baudelaire gemahnende umbrafarbene Kerze installiert, die zweifelsohne den sakralen Charakters dieses Raumes betont. Sehr publikumswirksam. Und es ist ein Duft, den man meiner leicht bewegten Nasenspitze ansieht und der sehr langsam, aber mit ausreichender Geschwindigkeit, demnach kosten- und zuschauergerecht mein linkes Augenlid nach oben fahren läßt. Der verbale Spot kommt von einer zauberhaft französisierenden Stimme, die engelgleich, aber denoch mit dem erdennahen Ton der zumindest Polyglotten, also vermutlich Stewardess oder Fremdenführerin, in deutscher Sprache verkündet, er sei fertig. Das Werbefilmchen endet mit dem Eintreten der Person, die zu den Flötentönen gehört, denen ich etwas entgegensetzen muß.

Selbstverständlich ist sie mit einem weißen Slip und einem T-Shirt gerade noch gewandet. Hierbei muß dem Requisiteur allerdings ein Fehler unterlaufen sein, der ihn den Job kosten könnte. Es sei denn, eine andere Firma hat sich an den Produktionskosten beteiligt. In unübersehbaren Kapitälchen auf den augenfängerischen leichten Wölbungen des bis zum Bauchnabel reichenden Hemdchens wird in einer Variation der Immunschwächenwarnung verkündet: Gib GATES keine Chance! Wie auch immer — es muß sich um eine unvergleichliche Nacht gehandelt haben. Der Fernsehzuschauer kann gar nicht anders denken. Und ich nicht minder.

»Möchten Sie eine Infusion de menthe, Monsieur? Ich sehe, es geht Ihnen wieder besser. Und französisch sprechen Sie auch. Sie klingen angenehm heimatlich in meinen Ohren. Diese Töne. Es freut mich sehr. Aber ist das hier etwa ein Hôtel?! Indem die Abteilungsleiterinnen persönlich den Morgen-Pastis servieren. Wie im Kino. Par exemple.»

Der Beginn einer seltsamen und langen Geschichte. Mal sehen, ob sie weitergeht.
 
Di, 16.09.2008 |  link | (1308) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5812 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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