Roman(t)isch ruinös

Der Flaneur erinnert sich? An den Herrn, der auf den Hügeln nördlich von Béziers roman(t)isch ruinös gebaut hat? Mit ruinös sind hier nun nicht unbedingt diese ganzen hohlen Architekturen der gerade zurückliegenden Hochphase gemeint, die kein noch so artistischer Dentist mehr zu retten vermag, da nun auch noch die restlichen Außenmauern in die innere Leere gefallen sind, die diese Kultur des Edlen und Feinen und Erhabenen des schönen Scheins hineingefressen hat. Ruinös meint hier, daß der Bauherr sein Ich aufzufüllen gedachte, indem er eine vielleicht doch etwas mißverstandene Romantik romanisch ummanteln ließ, dabei aber nicht bedachte, daß südfranzösische Arbeiter und Handwerker ein anderes Verhältnis zur Realität haben. Romanik, die kennen sie zur Genüge, die steht wahrhaftig reichlich herum in dieser Gegend, in der sich bereits die ollen Römer architektonisch ausgetobt hatten und von deren Hinterlassenschaften sie so manch ein Stückchen gerettet haben, seit die Teutonen übers Massif Central gezogen sind, um sich einzurichten im, wie Richard Graf Rappoldstein schrieb, «gemütliche[n] Frankreich, in dem man es nicht so genau nimmt». Aber der Kenner beider Länder hatte auch angemerkt: «Und dann auf der anderen Seite das Frankreich, das man in Deutschland nicht kennt: Das Land, das hoch modern ist, dessen Handwerker zuverlässig und präzise sind, das Land, das in Infrastruktur investiert hat und dessen Postboten auch in der France profonde noch regelmässig kommen.» So ließe sich das auch auf diesen Nenner bringen: Die Romantik drängte sich hier eben nie so recht auf, in diesem Landstrich, in dem man früh- oder auch ein bißchen später historisch ganz andere Schlachtereien gewohnt war.

Ich hatte ja erzählt vom Abgang des Bauherrn nach zehn Jahren mühseliger Abarbeitung des südfranzösischen Alterstraums, der Rückkehr in die rheinnähische Heimat, wo's zwar auch viele Hügel gibt in diesem bergischen Land, dessen Häuslein aber nicht das flirrende Licht des Südens reflektieren, sondern die sich einschiefern gegen die Unbilden eines doch ziemlich regnerischen, bisweilen nicht unbedingt romantischen Windes, der da pfeift so kalt. Aber er paßt vermutlich auch besser hinein in diese Gegend, in der die Handwerker sich nicht anpfeifen lassen müßten, weil's an den vierzig oder mehr Grad im Schatten der Olivenbäume mangelt, unter denen sie ein wenig von dem Ärger vorwegschlafen könnten, der sie überkäme, wenn sie am Spätnachmittag einen französischen LKW zu entladen und anschließend die reimportierten sanitären Anlagen aus deutscher Produktion zu installieren hätten.

Fast wie zuhause war's (in Deutschland nennt man eine solche sensation gerne déja-vu): Den kenn ich doch, dachte sich wohl der Patron des Cafés, sah mir nickend ins Gesicht, aber weniger, um herauszufinden, wohin er mich stecken solle, sondern fragend und zugleich antwortend, ob's denn dieselbe Chose sein dürfe wie beim letzten Mal. Klar, einen Einundfünfziger, dazu die Karaffe mit Wasser aus dem Kühlschrank, mit Eis im Behältnis, nicht im Glas, denn das läßt den Pastis unschön flockig werden. Da so viele Fremde hier nicht um die paar romanischen Ruinen herumschleichen, weil die meisten doch unten in Béziers romantisch um die mittelmeerischen Fischbuden kurven, um den via Paris aus Norwegen herangekarrten Kabeljau äußerst preiswert zu erstehen, kennt man sie eben, die Figuren, die zwar zurückhaltend und höflich, aber doch insistent nach bestimmten einheimischen Immobilien fragen. So schließt das Gespräch nahtlos an an das letzte. Nein, es sei noch nicht verkauft. Aber der agent immobilier, der Häuserverticker aus dem Städtchen unten habe ihm verraten, ein Interessent habe sich gemeldet. Man kennt sich eben. Offenbar noch so ein von der Romanik besoffener Romantiker. Diesmal einer aus État-Unis, aus Boston oder so. Er soll eine Zeitlang in Toulouse gelebt haben.

Sprach's, drehte sich um und zog einen Umschlag aus einer Schublade. Ob ich mir's anschauen wolle. Der Makler habe ihm ein paar Bilder überlassen für den Fall, daß sich noch so ein Überseeischer melden sollte, der noch ein bißchen was retten konnte oder einfach noch was übrig oder behutsamer angelegt oder einfach von Haus aus was in der Patte hatte als all die anderen. Oder vielleicht ein Deutscher, der lieber mit einem Deutschen Geschäfte machte als mit einem dieser unzuverlässigen Franzosen. Ironisch? Böse? Gar wütend? Keine Miene verzog er dabei.

Richtig französisch hat er's saniert. Restauriert! Französisch insofern, als das verarbeitete Material, wie erwähnt, aus dem Land kommt. Aber wohnen würde so kein Franzose, nicht einmal ein höherer Ministeriumsangestellter mit ENA-Abschluß (den Link nimmt blogger.de leider nicht, vermutlich weil's wieder mal eines dieser ruinös-seltsamen französischen Sonderzeichen hat, also selber schauen: École Nationale d'Administration, immer noch die Elite-Universität) oder gar einer aus der École de guerre économique, die den (Wirtschafts-)Krieg gegen die US-Amerikaner lehrt (jene, von denen Frankreich in den Sechzigern die Supermarché-Idee übernommen und nach Europa eingeführt hat). Diese Assoziation hat insofern ihren Reiz, als der Patron im Lauf des Gesprächs verlauten ließ, der Herr aus Boston hätte gemeint, man müsse aber wohl erstmal ein bißchen umbauen. Das wäre verständlich. Denn ich habe bei den in Old-Europe vernarrten US-Amerikanern — und ich kenne einige — noch keinen kennengelernt, der sich letzten Endes nicht doch irgendwie ein Stückchen Las Venice in die Alte Welt geholt hätte. Zumal das, was hier auf diesen Photographien zu sehen ist, dann doch ein wenig arg an eines dieser in Deutschland behutsam und unter (äußerer wie äußerlicher) Berücksichtigung sämtlicher Denkmalschutzauflagen in zeitgenössische Museen umgewandelte Privathäuser erinnert.

Das findet sich überall, ob im Sauerland, am Ostseestrand oder an der Waterkant: radikal entkernt, ein paar Eichenbalken frisch und schwarz geölt, weil tragend, sammlergattinnenträchtiger White Cube. Wie in Schleswig-Holstein, wo man Reetdachhäuser nur verkauft bekommt, indem der Dorfbürgermeister sein Ja-Wort gibt zur Radikalsanierung, dabei die Gestaltungssatzung ein wenig interpretierend, wenn's darum geht, das alte, schwere Holztor durch eine drei Meter breite butzenscheibige Glasfront zu ersetzen. Wenn's denn genehmigt würde, lägen auch durchaus die rund dreißig- bis fünzigtausend Euro für das neue Dach aus polnischem Reet bereit, und das Landschaftsbild wäre zudem gerettet, als kein Sindelfinger oder Münchner Renn-Lieferwagen für balletteusende oder violinierende und rudernde oder hockeyspielende sechs- bis zehnjährige Elevinnen und Gelehrtenschüler den Platz vor der Tür oder im seitlich versetzt montierten Carport verunzierte, sondern einer schwedischer. Daß letzterer eine US-amerikanische Mutter hat, fiele nicht weiter ins Gewicht des schönen Scheins, da sich in diesen schlampigen, sogenannt globalistischen Patchworkverhältnissen ohnehin keiner mehr auskennt. Stünde da eine englische Katze, wüßte der lübeckische Lieferant des grönländischen Mineralwassers ja auch nicht, daß dieses andere britische Elend längst an einem Dollar-Tropf hängt, dessen Quelle selber eine Infusion ganz gut gebrauchen könnte.

Aber der Einundfünfziger, der ist immerhin noch französisch. Auch wenn er längst zu dem Verein gehört, dem ohnehin fast alles gehört, was nicht nur den Magen in Vorfreude anisisch betört. Auch das, was die Deutschen am liebsten trinken, wenn sie an Frankreich denken in der Nacht. Es lebe der Nebel.
 
Sa, 20.09.2008 |  link | (1912) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches


jean stubenzweig   (20.09.08, 07:46)   (link)  
La Route
Albi – Béziers

Es ist mir unerklärlich, weshalb das gestern problemlos funktionierte mit dem Michelin-Routen-Link und es heute überhaupt nicht geht. Das ist schon ein Ärgernis. Tut mir leid.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5813 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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