Blumenkohl und Pannekoeken

Per Anhalter ins Paradies, Fliegend über die Berge, Anhalters Bahnhof, Grabungsvolle Hymnen, Anhalters goldener Käfig, Anbahnungen, Unter Eulen, Die Behütete. Der Reise achter Teil.


Nein, verhungert bin ich wahrlich nicht während meines Aufenthaltes in den belgischen Sumpfgebieten. Zum einen war Jonkvrouw Mutter, besser Mutter Jonkvrouw*, denn in der Rolle einer Glucke ging sie eher auf als in der einer Retterin eines Adelsgeschlechts, sie war geradezu Sinnbild eines treusorgenden Weibes. Fürs Frühstücksdirektieren eignete sich ohnehin eher der zwar bürgerliche, aber bereits in der Erscheinung blaublütig wirkende Gatte. Vermutlich lag es an seinem gesellschaftlichen Aufstieg, man kennt es: von ganz unten. Andererseits ihm mit einem solchen Anwurf Ungerechtigkeit widerfahren könnte, trieb er sich doch wahrhaftig nicht redenschwingend auf einschlägigen Veranstaltungen herum, sondern widmete sich allabendlich der Familie. Die Jonkvrouw schien mit Ende des familiaren Streit um die Hochzeit, die in dieser schlössigen Einsamkeit der Großimmobilie endete, sämtliche adelige Attitüde abgelegt zu haben. Wenn sie sie je innehatte. Sie wirkte auf mich immer wie ihre Dienstmagd; dort ist die Jonkvrouw umgangssprachlich mittlerweile unter anderem gelandet. Möglicherweise hat sie auch den Kindern die Distanz zum eigenen Geschlecht derer von anerzogen. Besonders deutlich wurde das ja an der Tochter, der Behüteten. Allerdings hatte die so gar nichts Arbeitssames. Vielleicht konnte sie ja stricken und häkeln, am Ende gar Spitzen klöppeln. Aber wann auch immer ich sie sah innerhalb des riesigen Gebäudes, dann saß sie in der Mutter Nähe und schaute ihr zu, wie sie arbeitete. Nahezu alles fand in der Küche statt. Zwanzig, dreißig oder noch mehr Zimmer, dennoch die Reduktion auf diesen einen Raum; und am Abend eben der blaue oder grüne Salon, wo man sich vermutlich aber auch nur hinbegab, um mir während des suchtfrönenden Verzehrens meiner Boyard Gesellschaft zu leisten. Und tatsächlich kam ständig eines der acht Kinder in die Küche gerannt und holte sich irgendwas zum futtern. In endloser, grenzenloser Güte stopfte sie ihre Brut; selbst ein Kuckuck hätte sie nicht aus der Ruhe gebracht.

Irgendwann konnte ich das nicht mehr mit ansehen, daß sie immerzu am werkeln war und keiner auch nur eine Hand rührte. Ich schlug vor, einen kleinen Beitrag zu leisten, wenigstens einmal zu kochen. Dieser Vorschlag rief eine außerordentliche Überraschung hervor. Vermutlich war ihr das noch nie untergekommen. Daß ein Mann Hausfrauenarbeit verrichten wollte. Freiwillig. In den Siebzigern gehörte es noch nicht zum weltmännischen Ton des Mannes, sämtliches Kücheninventar in einem Arbeitsgang einzudrecken. Zu der Zeit konnte Sarah Wiener ja auch gerademal über den Tisch gucken. Aber, na ja, immerhin hatte deren Vater Oswald nach seiner Verbesserung Mitteleuropas und seiner Flucht nach Berlin erstmal ein Restaurant eröffnet. Und Isaac Feinstein war bereits kurz davor, das seine in Düsseldorf wieder zu schließen, nachdem er sozusagen die Kunst an den Nagel gehängt hatte. Ich hingegen verfügte über ein kulturwissenschaftliches Reservoir, das an anderer Stelle mit Romantischer Gastronomie etwas beschönigend betitelt worden sein könnte. Vielleicht war's aber auch nur die Küche, die's mir angetan hatte. Bei einer solchen Ausstattung mußte sich manch ein professioneller Koch wie im Himmel fühlen, dafür mußte zwei Jahrzehnte später die Macht des Essens viele Kilometer an Naturalienregelung bewältigen. Geradezu zwanghaft nahm ich gut ein Drittel des Kücheninstrumentariums einzeln in die Hand. Eine erstaunliche Leistung angesichts des schlichten Blumenkohlauflaufes, den ich produziert hatte. Nun gut, ich war mir des etwas überzogenen Geräteaufwandes wohl bewußt geworden, was mich zum Ende hin noch zu einer Crème brûlée antrieb. Die meiste Bewunderung der Hausherrin dürfte vermutlich die Tatsache hervorgerufen haben, daß ich jedes Teil fein säuberlich abgespült hatte, jeweils sofort nach Gebrauch. Das lerne man in einer vier Quadratmeter winzigen Küche mit bis zu hundertfünfzig mittäglichen Menues und präge sich ein, erklärte ich. Daß ich damals schon ein Töpfe-, Pfannen-, Messer und sonstwas -fetischist war, den man nie in die Nähe einschlägiger Ladengeschäfte wie später diese traumhafte Halle voller Spitzsiebe, Passiermühlen und Weinpumpen et cetera im Hamburger Chancenviertel lassen durfte, verschwieg ich dezent.

Zur Belohnung bekamen wir beide am nächsten Tag was ordentliches zu essen. Papa hatte dem Töchterlein wieder ein Kuvert zugesteckt. Das hatte es nach meinem sprintigen Einstieg in den Mini — es kam gelassen hinterher, nachdem es zunächst Sankt Bernhard vor mir geschützt hatte — mir direkt auf den Schoß gelegt. Von Pfannkuchen war nach dem nicht allzu variantenreichen Gastmahl die Rede, über das sich bis auf die Kinder alle lobend ausließen. Aber nicht von diesen dünnen, der französischen, also wallonischen Cuisine entlehnten papierdünnen Flädchen, sondern von handfester flandrischer Kost. Pannekoeke hieß das Haus in Damme, in dem es, wenn ich mich recht erinnere, rund hundertfünfzig verschiedene Arten dieses Fladens gab, genauer: etwa soviele unterschiedliche Füllungen. Allesamt richtige Sattmacher. Derart satt machten diese drei oder vier oder nochmehr Fladen, von sehr deftig bis sehr süß, die junge Frau, daß an weitere kulturelle Bewegung nicht mehr zu denken war. So gab ich mich meinem Vorwärtstrieb einmal mehr am Volant des spritzigen Mini hin. Sie berührte das Tempo nicht mehr weiter, war sie doch mittlerweile daran gewöhnt und überdies kurz nach dem Einstieg in ein Verdauungsschläfchen übergegangen. Erst als der heimatliche Kies unter den Pneus knirschte, erwachte sie wieder, schaffte es gerade noch, den Heiligen Bernhardus vor meinen Lefzen in den Keller zu retten, um dann direkt neben Jonkvrouw Mutter auf das Höckerchen zu sinken und ihr Schläfchen fortzusetzen. Ihr Vater erzählte mir dann am Abend, was ich in Damme alles an Eulenspiegeleien hätte anschauen können (die mir Jahrzehnte später unweit der Ostsee begegnen sollten), wäre die Tochter von den vielen Pannekoeken nicht so erschöpft gewesen.

Am Wochenende aber, sprach er in meinen papier maïs-Nebel hinein, führen wir über Land und schauten ein wenig Cultuur. Zuvor jedoch würde sein ältester Sohn mit mir eine Partie Tennis spielen. Das habe er ihm versprochen. Gleich morgen früh würde er den Platz hinterm Haus herrichten. Ich solle doch ein wenig Spaß haben während meines Aufenthaltes im Kasteel. Ich hatte wohl mal wieder etwas leichtfertig von meinen sportlichen Vorlieben geplaudert. Denn die Freude würde ich tatsächlich haben. Schließlich war die Liebe des Sohnes mir gegenüber etwa der von Sankt Bernhard gleichzusetzen. Und nun sollte er auch noch auf sein tägliches Rundstreckenrennen mit seinem Käfer um den Park verzichten, den seit der letzten Jahrhundertwende vermutlich nicht mehr benutzten Tennisplatz säubern und mit mir Altherrensport treiben.

Aber davon erzähle ich das nächste Mal.

* Immerfort falsch geschrieben als Jonkfrouw, so ist das, wenn man sich im Adel nicht auskennt, zumal ich nichtmal weiß, ob sie nicht doch einen Titel trug; aber hiermit ein für allemale korrigiert.

Und das ist immer noch nicht mein Gast-Kasteel, sondern lediglich ein beispielhaftes.



Per Anhalter ins Paradies, Fliegend über die Berge, Anhalters Bahnhof, Grabungsvolle Hymnen, Anhalters goldener Käfig, Anbahnungen, Unter Eulen, Die Behütete, Blumenkohl und Pannekoeken, Adeliges Tennis, Nationalgericht, Das Süße und seine Fährnisse, Fluchtgedanken, Gnadenmahl oder Reiche Stunden. Der Reise vierzehnte Folge.
 
Mo, 16.03.2009 |  link | (4653) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Belgischer Adel















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