Hansestädtchenpartie

Abwechslung wollte ich von den mittelmeerischen Pappnasen, wie der Husumer Freund selig die Touristen zu nennen pflegte, denen er grundsätzlich seine ollsten Aale verkaufte, weil sie nix anderes verdienten, da sie nicht einmal einen Anflug einer dezidierten Wahrnehmung des Alten in sich trügen. Abwechslung heißt bei mir grundsätzlich, Wasser muß immer in der Nähe sein und Sand. Diese beiden Elemente unterscheiden sich immer von denen an anderen Waterkanten. Dann blicke ich über die Einförmigkeit dieser Pappnasen, die offensichtlich weltweit so verbreitet sind wie die vom Hinkenden Boten zitierten Gimpel. Wenn man aber ganz viel Glück hat, findet man sogar ein letztes Eckchen der Freiheit für Einheimische, wie es dieser genau hinschauende fränkische (?) Zuzügler in Ostfriesland so fein beschrieben hat (und dessen Seite ich traurigerweise nicht mehr finde), und gesellt sich hinzu. Hat man keines, dann gibt es immer noch das Café Glücklich.

Ja, es war mal wieder das Hafenstädtchen. Und wieder bediente uns eine so hübsch anzuschauende junge Frau. Irgendwie scheint Frau Glücklich nicht nur ihre Gäste glücklich zu machen mit ihren Torten, die oftmals aus gästischen Oma-Rezepturen entstehen, die hier dann neuzeitliche Pâtisserie-Geschichte schreiben, eben so, wie's noch nie anders war unterm Sternenhimmel aller Köche aller Zeiten und in aller Welt. Auch der größte Dichter aller Kulturepochen hat sich ja seine Ingredienzien von anderswo liefern lassen. Und da gab's noch nichtmal Internet; gleichwohl das heutige Urheberschutzgesetz ebenfalls noch nicht erfunden war. Frau Glücklichs Arbeitsbedingungen scheinen zudem eine gewisse intelligente Fröhlichkeit zu fördern, die wiederum den Gast zu erheitern vermag. Mich beispielsweise hat sie quasi köstlich hochgenommen mit ihrem Tortengebot, die junge Frau: «Ungeschliffener Edelstein.» Ja!

Aber ach, ich gestehe — der Anlaß war ein anderer für diese Tour, die ich normalerweise an einem Wochenende und dann auch noch zu der Deutschen liebste Jahreszeit nie und nimmer unternehmen würde. Aber er führte nunmal mittenmang in dieses rentnerische Touristenrefugium. Eigentlich sollte sie ja auch jüngere Generationen interessieren, diese außerordentliche architektonische Vielfalt des alten Hansestädtchens. Aber Geschichte ist ja nicht wirklich spannend. Und für die Alten ist die Hauptsache: alles frisch gestrichen und schön leuchtend. Weshalb man sich in den Seitenstraßen auch nicht so beeilt mit dem (Über-)Tünchen der jüngeren Historie. Hier wie anderswo. Da geht sowieso kaum jemand hin (weshalb man im Café Glücklich auch das Glück der Ruhe hat). Da ist es nicht unbedingt von Tragweite, ob man erkennt, inwieweit einem Gebäude aus der Rennaissance eine klassizistische Fassade vorgeklebt wurde oder die (im 19. Jahrhundert neu aufgelegte) Gotik fröhliche Urständ' feierte, weil das mit den Moden ja auch früher schon nicht unbekannt war, nicht zu vergessen die teilweise verzweifelten oder auch zweifelhaften Versuche der Architekten, Assoziationen aus der Vergangenheit in die sogenannte Moderne zu integrieren. Ich kann die Jugend allerdings verstehen. Sich ständig sich auf ihr Fabrikeis oder ihren ollen Räucherfisch konzentrierende zukunftsfreie Menschen angucken zu müssen, die sich alles angucken, nur das nicht, was ihnen beispielsweise die Architekturgeschichte da erzählen könnte, da würde ich es als Jüngerer auch vorziehen, am und im Wasser und im Sand müßig zu gehen oder sich sonstwie zu bewegen. Und da mir genau das während der erwähnten Zeiten zu hektisch wird, gehe ich eben in das ein paar Schritte nur abgelegene und dennoch oder deshalb pappnasenfreie Café Glücklich und lasse mich von jungen hübschen Frauen einschließlich der mitgebrachten mit prachtvoll anzuschauenden und ebenso schmeckenden Torten bespaßen.

Am Sonnabend nachmittag mußten wir also hin, dann wieder zurück, und dasselbe am Sonntag nochmal. Da's beim ersten Mal rascher gehen mußte, sind wir Autobahn gefahren. Ich weiß das seit Jahrzehnten, weshalb ich sie eigentlich grundsätzlich vermeide: diese von A nach B führenden zwei- oder gar dreispurigen Verbindungsstrecken, auf denen allzu gerne diejenigen ans Steuer gelassen oder dorthin gezwungen werden, die's so gar nicht mit der Fahrerei haben, da sie ansonsten Bahn und Bus benutzen.

Aber den eigentlichen Schreibanlaß — ein wenig inspiriert durch die Äußerungen von Herrn Nnier —, den erzähle ich beim nächsten Mal, hinter der nächsten Kurve sozusagen. Ich bevorzuge zwar das Mäaandern, aber immerzu am Flüßchen entlang, das langweilt genauso wie das ewige Geradeaus. Ich weiß.
 
Di, 11.08.2009 |  link | (3097) | 12 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs


nnier   (11.08.09, 11:07)   (link)  
Gleich zweimal? Bietet etwa das Café G. keinen 24/7-Service? Und was, wenn man morgens um vier noch Appetit hat? Geben Sie's zu: Ihr Ladevolumen war zu gering, so dass Sie nach der ersten Fuhre ungeschliffener Tortenedelsteine noch einmal zur Mine zurückkehren und Nachschub holen mussten. Oder war doch alles ganz anders?


jean stubenzweig   (11.08.09, 11:27)   (link)  
Bevor ich einnickere,
eins, damit das klar ist: Mit ungeschliffener Edelstein war ich gemeint. Ich! Nicht die Torte. Damit Sie's wissen.

Und außerdem sind die Pflaumen noch gar nicht so weit und die Mirabellen auch noch nicht. Und Pflaumenkuchen ist auch keine Torte. Das ist so, auch wenn Sie mich ständig noch so versuchen zum lachen zu bringen mit Ihrm pflaumigen Frühstyxradiokram.

Und außerdem war doch alles ganz anders. Jedenfalls anders als so wie Sie denken. Aber jetzt muß ich erstmal schlafen. Bevor Frau Braggelmann mich wieder wachklingelt. Und überhaupt.


jean stubenzweig   (11.08.09, 21:03)   (link)  
Ich glaub',
ich muß jetzt ins Café Glücklich ...


caterine bueer   (12.08.09, 09:56)   (link)  
Süß!
Sehr. Und so japanisch. Aber eben auch pariserisch. Merci.


damenwahl   (12.08.09, 11:35)   (link)  
Dieses Foto - Martern aller Arten. Ich habe umgehend Hunger Appetit bekommen. Manchmal weiß ich nicht, warum ich mir dauernd Blogs antue, in denen es um Speisen geht, die ich nicht bekommen kann? Aber hach... das Café Glücklich möchte ich auch besuchen. Irgendwann.


jean stubenzweig   (12.08.09, 14:39)   (link)  
Dabei hatte ich
extra für Sie das Bild ausgetauscht. Und nun kommt meine doppelte Rache: einmal rechts oben und einmal hier.


damenwahl   (12.08.09, 14:44)   (link)  
Oh oh oh. Alles für mich? Großartig! Wo muß ich mich melden, um das alles abzuholen? Air France fliegt vier mal die Woche Paris an...


jean stubenzweig   (12.08.09, 14:48)   (link)  
Leider nicht möglich
ist das. Es sei denn, Sie bringen Air France dazu, täglich zu fliegen. Denn das muß jeweils frisch gegessen werden.


apostasia   (12.08.09, 18:40)   (link)  
Torten-Tag?
Nach all der schlichten Wahrheit hier in letzter Zeit fällt das extrem sozusagen ins Gewicht.


jean stubenzweig   (13.08.09, 04:35)   (link)  
Die Wahrheit
hat sich hinter den Jahren versteckt. Eine etwas andere sinnbildliche Gewichtigkeit, die darin höhepunktisch gipfelt, wie mir immer wieder mal vor allem von jüngeren Menschen vermittelt wird, die Fertig«nahrung» aus der Chemieindustrie discounten: Essen ist der Sex des Alters ...

Aber vermutlich bekamen diese Weisheitenverkünder in allerjüngsten Jahren sogenannten Analogkäse ins Fläschchen gerührt. Mutti kannte nichts anderes.


hanno erdwein   (13.08.09, 09:33)   (link)  
Glücklich kann man auch ...
in Bonn sein. Hier gibt es ein Cafe Göttlich und die dort angebotenen Schleckereien sind auch nicht ohne. Alleine schon der Duft, der einem am Eingang entgegenweht, läßt Herzen höher schlagen und Göttliches erwarten (Nektar und Ambrosia). Glücklich machende Cafes!


jean stubenzweig   (13.08.09, 19:47)   (link)  
Über Bonn und Glück,
darüber muß ich erst noch mal heftig nachdenken. Nein, muß ich nicht. Denn ich säße allenfalls ständig in der Bahn nach Köln. Aber ich muß ja auch nicht, Hauptsache Ihnen geht es gut dort. Doch Café Göttlich klingt lecker. Wahrscheinlich kleines Glück in der großen Weltstadt Bonn.















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