Wirtschaftssterben



Auch im betulichen Südholstein nur noch geöffnet für die Belegschaft des ebenfalls qualitativ in den Unterhaltungskeller gehenden fernsehischen Volkstheaters Neues aus Büddenwarder. Ein paar Drehtage im Jahr bringen den Wirtsleuten mehr ein als sich der ansonsten vielbeschworenen Gemeinsamkeit. Die lütte Lage findet zuhause statt, vorm Fernseh. Auch beim zweiten Gasthof inmitten des Ortes steht der man seit einiger Zeit vor verschlossener Tür.

Noch geöffnet hat man dort am quasi linken Rand des Savignyplatzes, auch Fritten mit Currywurst gibt's dort, weil's zur Angebotspalette Berlins gehören muß, wenn sich mal ein Fremder aus Mitte oder Bielefeld oder Krefeld oder Stuttgart-Vaihingen dorthin verirrt hat oder schauen möchte, wie das ehemals insulanerische Berlin, das einstige Zentrum langsam vom Westland her verschönert wird. Das ist nämlich international: die belgische Nationalbeilage (zum begehrenswert zartsaftigen, zündholzkästchenhohen Steak am Knochen) an zäher Pelle; die ohne Darm, so mein Eindruck, fällt offenbar auch der allgemeinen Standardisierung der Welt zum Opfer. Aber noch gibt es ein paar derer vom Stamme Methusalem, die Mutterns Kohlroulade als Unterlage für einige Molle mit Korn bevorzugen.


Zum Zwiebelfisch bin ich 1998, da dürfte er sich auf seinen dreißigsten Geburtstag zubewegt haben, von Paris aus durchgeeilt, weil ich mit den Altvorderen der Kneipen- und überhaupt Kultur feiern wollte, des Sieges über sechzehn Jahre pfälzischen Preßsack-Kohls gewiß. Als ich ankam, war bereits alles mit roten und grünen Luftballons geflaggt. Daß die nacheinander platzten oder ihnen zumindest die Luft ausging, sei nur am Rande erwähnt, auch, weil es hinlänglich bekannt ist. Doch nach wie vor kann man dort achtundsechziger Ötzis nicht nur für Langzeitstudien beobachten, man kann sogar mit ihnen sprechen. Wenn man zu Wort kommt, denn für das Alter haben sie nach wie vor viel zu reden. Allerdings haben sie im Zeitalter der lebensverschönernden Parties, auf denen es mehr auf den lärmigen Spaß ankommt und weniger auf das Gespräch, kaum mehr was zu sagen, allenfalls die paar Wenigen, die es fertigbrachten, sich in die Häuser einzukaufen, die sie früher besetzt haben.

Die Kunstszene, der es in Mitte zu turbulent geworden ist, sagte mir ein seit Jahrzehnten dort ansässiger und in diese Kneipe noch hin und wieder einkehrender Galerist, wirft seit Jahren begehrliche Blicke in diesen Charlottenburger Kiez. Früher war's preiswert dort, gleichwohl nicht billig. Aber was nicht viel kostet, hat heutzutage so überhaupt keinen Wert. Und da die alten Preise nunmal dahin sind, kann man sich gut vorstellen, auch dort zu leben. Mittlerweile ist sogar die zuvor in der seitlichen, sich zum einst «revolutionären» Steinplatz hintrödelnden Carmerstraße ziemlich versteckte Autorenbuchhandlung in die immer attraktiver gewordenen S-Bahn-Bögen umgezogen, in die Räumlichkeiten der Galerie Aedes, wo vor noch nicht allzu langer Zeit Entwürfe der Architektur aus nachdenklicher Perspektive gezeigt wurden: Utopie, Nicht-Orte. Das wurde sicherlich nur möglich, da diese Art LPG geistiger Nahrung, das Kollektiv aus Literaten und an der Sache interessierten Gesellschaftern, privatisiert wurde. Ich ahne das nächste heraufziehende Unwetter in dieser nur noch ans Geld, an Gewinnmaximierung und «exclusive Standorte» denken könnenden Gesellschaft.

Warten wir's ab, bis die neuen Eigentümer die Umsätze so weit gesteigert haben, bis dann eine dieser Buchhandelsfabriken zur mehr oder minder feindlichen Übernahme anrückt und sich nicht entblödet, ihre Bestsellerhäufung Manufaktur, am besten mit c geschrieben, auf daß sie in die Nähe von Ottos Individualität manufactisch gerückt wird, zu nennen — und sich in der Folge weitere Weltunternehmensketten der Mode ansiedeln. Dann hat Berlin auch an diesem einst friedlichen Platz seine endgültige Party der an schlichterer Unterhaltung Interessierten: Haupsache, es kostet teuer.

Der Zwiebelfisch ward einst benannt nach falsch eingesetzter Drucktype. Das war allerdings zu einer Zeit, als sich dort tatsächlich noch Autoren samt Kleinverlegern und Setzern beziehungsweise Druckern zu Molle mit Korn trafen. Doch wer liest heutzutage noch Nischenliteratur, am Ende gar lange Aufsätze in dicken Büchern? Wer weiß noch, was ein Sätzer war? Sogar das Kollektivblatt taz scheint ihn in den Endruhestand geschickt zu haben. Doch schließlich macht man auch keine Fehler mehr, die vom Satz korrigiert werden könnten. Man verläßt sich aufs Korrekturprogramm, das es schon irgendwie richten wird. Alles ist eins geworden, nicht einmal mehr einen Sitzredakteur braucht es, als der Manfred Jander geendet ist.

Heutzutage gibt's ringsum um diese Kneipe immer mehr Café latte nach Kreuzberger Kleinfamilienrezeptur und abends die Welt verbreiternde Cocktails oder Null-acht-Fuffzehn-Champagner. Das ist eine Variante des Kneipensterbens. Alles fließt.
 
Mo, 25.06.2012 |  link | (3411) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Wirtschaftliches


jochen hoff   (25.06.12, 13:17)   (link)  
Vergiss bite nicht den Diener, den es immer noch gibt und das Terzo Mondo. Einiges ist eben noch nicht SchickiMicki.


jean stubenzweig   (25.06.12, 14:33)   (link)  
Sicherlich gibt es
das eine oder andere Etablissement noch, teilweise sogar in alter, einladender Form der zeitlosen Kommunikation. Aber da ich nunmal nicht der geborene Optimist bin, fürchte ich den aufziehenden Geldsturm um den, um «meinen» geschätzten Savignyplatz. Der war mal so gemütlich heterogen. Nun aber scheint auch er mir schleichend gentrifiziert, zwanghaft monokulturell, also mainstreamig modernisiert zu werden. Allzu viele wurden aufgrund steigender Mieten vertrieben, selbst durchaus Bestallten, nicht am Tropf kommunaler Sozialsicherung Hängenden ist der Rummel zuviel geworden. Stilwerk rückt Adolph offensichtlich unaufhaltsam auf die Pelle.





kopffuessler   (29.06.12, 22:40)   (link)  
C.Adolph darf nicht sterben!


jean stubenzweig   (30.06.12, 10:57)   (link)  
Wie die Hoffnung,
irgendetwas könnte der Gentrifizierung Einhalt gebieten. Aber erstere geht letzlich auch dahin. Die neuen Berliner wollen besser sein, also wird auch dort vermutlich irgendwann so etwas Manufaktorisches einziehen, als Appendix eines höherwertigen Lebensstils.

Ich wähnte Sie im Urlaub, also fernab irgendwelcher Rechenmaschinen. Das macht mich so schweigsam.


jean stubenzweig   (30.06.12, 12:55)   (link)  
Impressionen der Neuzeit
Als Charlottenburg den letzten, endgültigen Schritt in die Postpostmoderne tat.



Vernunft wird aufregend.



Noch am Ku'damm kommt das Morgen, und Sie sitzen am Steuer.



Der Blinker nach rechts ist schonmal gesetzt.

In der Uhlandstraße wird der unterführende Geist allerdings noch beschworen.




jean stubenzweig   (30.06.12, 18:54)   (link)  
Zu Uhlands Zeiten
war der Hörer noch kein Künstler. Und die Seelsorge keine Kunst. Das tat auch keine romantische Noth, als ein paralleler Weg zur ewig bleibenden Treue vom sakrilegischen Volksmund in Bleistreustraße umgetauft wurde.



Noch wacht die Spiritualität hoch über dem Geist der Neuzeit.




jean stubenzweig   (01.07.12, 15:20)   (link)  
Der Kirche Hütegüte
schwandt jedoch dahin. Da hinten links



befand sich einst die Weihestätte architektonischer Träume, die Galerie Aedes. Dort eingezogen ist nun die nach Auskunft der Alten vom Alter als Kollektiv aufgelöste Autorenbuchhandlung.


jean stubenzweig   (02.07.12, 18:59)   (link)  
Die Autorenbuchhandlung
in der Carmerstraße war das übrigens, jedenfalls die Fassade, als die LPG des Geistes noch nicht in den postkohlblühenden Landschaften auch des Westens aufgegangen war.




jean stubenzweig   (09.07.12, 10:08)   (link)  
Die nette Carmerstraße
führt auch heute noch zum Steinplatz. Dort in der Filmbühne ruhten sich viele von dem aus, was sie in den Endsechzigern trieben, das nach der friedlicheren Revolution der Endachtziger von einigen Schriftgelehrten als Aufruhr studentischer Linkskräfte bezeichnet werden sollte. Heutzutage spürst du davon noch kaum einen Hauch. Aber die gegenüberliegende Hochschule der Künste, von der aus der eine oder andere Krawall gezündelt wurde, ist schließlich längst zur Universität aufgestiegen, an der mittlerweile auch artig dissertiert wird. Und selbst die ersten Lehr-Revolutionäre der allerneuesten Zeitrechnung verfrühstücken ihre Rente fast durchweg in ihren umliegenden gemütlichen Immobilien der vorletzten Jahrhundertwende, die sie, nachdem sie sie als Herrschaftsssymbole zunächst boykottiert, torpediert und teilweise gar okkupiert hatten, dann höchst preisgünstig geschossen haben. Über allen Wipfeln ist Ruh'.

















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