Ein letztes Lächeln in die Ermitage Rund dreißig Jahre ist es her, da ging ein guter Bekannter, heute würde man ihn bei Gesichtsbuch einen Freund nennen, ein Kollege in den Ruhestand. Ich schätzte ihn sehr, er war der einzige Sachse, dessen Dialekt in meinen Ohren keinerlei Mißklang erzeugte, wohl auch deshalb, da er ihn konstant mit diesem Mutterwitz seiner Region sprach, dessen Schwester eine köstliche Ironie zu sein scheint. Lange Zeit war er zentrale Anlaufperson eines Unternehmens, das sich der Kunst- und Kulturförderung, ein Begriff, der heute ausnahmslos in dem des Sponsoring aufgegangen ist, das den Mäzen nicht mehr kennen will, da der nicht ausreichend Werbewirksamkeit erzielt, verschrieben hatte. Ein außerordentlicher Fachmann war er, der in jungen Jahren nach seiner Übersiedlung aus der DDR sein kurz vor der Vollendung stehendes Studium der Kunstwissenschaften dann in der Fakultät Kunstgeschichte in der BRD fortsetzen wollte. Es kam aber über die Immatrikulation nie hinaus, wurde er doch quasi in eine berufliche Laufbahn als Vermittler und Berater hinausgeschossen, auf Umlaufbahn geschickt wie ein Satellit, ein Sputnik eben, einer aus dem Osten mit einer geradezu herausragenden Ausbildung, reich an Kenntnissen der Kultur, dem keine Verbindung zwischen den Disziplinen verborgen blieb; es war noch eine andere Zeit, in der im Westen der Anschluß an die Welt der Arbeit rascher vonstatten ging als heutzutage. Sein Werdegang nahm seinen Anfang als Berater von Galerien und Kunstsammlern, das in Deutschland ansässige US-Unternehmen versicherte sich bald seiner Dienste. Fortwährend reiste er durch die Lande, es gab kaum eine Veranstaltung, zu der er nicht eingeladen worden wäre. Er nahm sie allesamt an, soweit es seine Zeit zuließ. Auffällig war dabei, daß er nicht allzuviel Freude an den begleitenden Partyplappereien hatte. Bereits bei Vernissagen fiel er, in kleiner Runde ein ungemein unterhaltsamer Plauderer und auch Diskutant, durch Zurückhaltung auf. Das dort übliche Herumgereichtwerden war ihm unangenehm. Wirklich wohl fühlte er sich lediglich unter Künstlern, welcher Art auch immer, am liebsten saß er mit anderen am Tisch, gerne in einem Restaurant, im Wirtshaus, in der Kneipe. Das persönliche Gespräch, beileibe nicht nur unter Gleichgesinnten, erfüllte ihn weitaus mehr als seine im Lauf der Zeit ihn immer mehr beanspruchende Aufgabe seines Auftraggebers, zu vermitteln zwischen Leihgebern, welcher Art auch immer, und Geldmachern. Die obere Etage der Sponsoringgesellschaft behagte ihm nicht sonderlich, die dächte, meinte er einige Male, immer nur an eines, an die sogenannte Erotik des Mammons, der dekorierenden Umgebung, an Innenleben zeige sie kein wirkliches Interesse. Der bekannte Tabakwarenhersteller zog sich aus der Förderung der bildenden Kunst zurück und wandt sich zukunftsorierentiert jüngerem Publikum, der populäreren Musik zu. Da sah er sich bereit für den Ruhestand. Versorgt war er, seine Lebensart war keine des ihn umgebenden Luxus und Moden, die verdienten Honorare waren gehortet worden, seinerzeit nannte man solches Sparen, der Strumpf war gut gestopft, Zukunftsängste kannte er nicht. Lediglich eines fürchtete er über alle Maßen: abgeschnitten, ausgeschlossen zu werden von dem, das Kunstbetrieb genannt wurde und wird, er suchte sein Heil in einem für seine leicht unterkühlte Art, heutige Weltkenner würden sie vielleicht als very british erkennen, nahezu leidenschaftlichem Engagement für Berlin als Bundeshauptstadt, als künftige Metropole Europas. Als ein wenig wehleidig belächelte ich ihn, es war mir nicht vorstellbar, daß ausgerechnet er aufs Abstellgeleis geschoben würde. Doch tatsächlich sparten die zuvor übereifrigen Gastgeber von Veranstaltungen nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses geradezu schlagartig die Einladungen ein. Als Bindeglied zwischen Kunst und Geld war er ausgesondert worden. Als Gefährten, die ein Stück des beruflichen Wegs gemeinsam gegangen waren, trafen wir uns noch hin und wieder, wobei ich ihm darüber zu berichten hatte, was sich so tat am Rand des Laufstegs um die Künste. Auch mir, der ich mich, wenn auch sehr viel später gänzlich freiwillig aus diesem oberflächlichen Gewusel, das ich ohnehin als artverwandt mit Freundschaften nach den «modernen» Kriterien des Gesichtsbuchs gleichsetze, zurückgezogen habe, war er, ein wenig dieser Logik unterlegen, ebenfalls aus dem Blickfeld geraten. Nun wurde mir in meine Eremitage weitab der Kulturevents zugetragen, er sei völlig vereinsamt dahingegangen. Vergessen auch von mir. Aber sein sächsisch humoriges Lächeln ist mir geblieben.
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