Umschwung während Damenwahl Der Schmachtfetzen ist zuende. Die fröhlichere Wirklichkeit ist zurückgekehrt, jene, die seit der (kabarettistischen?) Äußerung von Siegfried Zimmerschied in den Anfängen der Achtziger allerdings von der Satire kaum mehr einzuholen ist. Vor der Revolutionskate wurde dieser Tage im Zuge der strikt regionalen Umwandlung von Energie ein Berg an Holzschnitzeln aufgeschüttet, der mit dem Teufelsberg ohne Zweifel zu konkurrieren vermag. Prompt fand sich aus dem Assoziationsarchiv ein junger Mann ein (in den Kommentaren), der sich artistisch übte, bevor er après-ski und damit selbstvergessen, also halbwegs tirolerisch* in der Damen Wahlarme stürzte. * Denn ich hatte seinerzeit festgestellt, daß es auch in Österreich ausdrucksstarke Pistentänzerinnen gab.
Einsteins Formel ist mittlerweile endgültig im Bereich der ikonokryptischen Interpretation angelangt. Seemuse weist mich wohl zu recht sanftironisch darauf hin, daß ich sie ohnehin nie kapiert haben könnte, diese Raum-Zeit-Problematik, die in ihrer Raserei längst die Formel 1 überholt haben dürfte. Immer mehr greifen zu diesem vermutlich auch mir angeratenen Mittel der Auslegung des Schlichten. Nun ja, Albert Einstein selbst hat schließlich einmal geäußert: Wenn das Weltall die Frucht blinden Zufalls sein sollte, so sei das so glaubwürdig wie eine Druckerei, die in die Luft fliege und alle Buchstaben geordnet wieder zur Erde fielen. Manchmal hat auch der Meister selbst es eben dann doch noch etwas vereinfacht und (beispielhaft für alle [Be-]Zweifler der Evolution?) ein Glaubenslöchlein offengehalten. Bliebe als Anregung: irgendwann in einem Café einen trinken gehen und vielleicht dort darüber sinnieren. Es muß ja nicht unbedingt an der Stätte sein, wo die Geistesgrößen Unter den Linden ihre genialischen Ergüsse der Einfachheit haben. Es gibt (nicht nur in Berlin) unter demselben Namen beschaulichere (und wärmere) Orte der Nachdenklichkeit. Schräg gegenüber haben Architektur, Kunst und Design, also nicht immer nur einfach gestaltete Schönheit in Buchform eine Heimstatt. Doch sollten die eigenen Gedanken allzu barfüßig daherkommen — rechts und links vom inneren Einstein werden quasi ohne jede Hemmschwelle, also barrierefrei übergangslos Schuhe angeboten. Beileibe nicht nur für Frauen.
Über das Denken beim SchnellSprech Vom französischen Radio und Fernsehen her bin ich das ja seit je gewohnt, zumindest im Nachrichtensektor. Da lugt eben, wie in anderen Bereichen teilweise auch, etwa der Ärmerenspeisung und manch anderer Gesetzgebung, das nicht wegzuätzende Gras der Revolution aus jeder erdenklichen Ritze hervor. Man muß das alles noch loswerden, bevor das Mundwerk, an dem der Kopf dranhängt, unters Messer gerät. Aber im bedächtigen Land der Dichter und Denker? In dem die Kulturgeschichte mich gelehrt hat, daß alles wohlbedacht angegangen sein will. Aber mittlerweile wetzen sogar deutschredende Gernsehköche ihr Mundwerk derart stakkatohaft, als ob auch sie die Schärfe ihrer Gedanken gegen die Guillotine zurechtschneiden müßten. Als Beispiel bietet sich dieser, mir durchaus nicht unsympathische, mittlerweile nicht nur in die Fernsehjahre gekommene Jungkoch aus Hamburg an. Er kam mir unter, als es eine Woche lang um das Essen ging, das immer mehr Menschen nur noch aus eben nicht zum Garen gedachten Röhren kennen. Da redete er fortwährend in einer Geschwindigkeit, als führe gerade der Zug ohne ihn ab, in dessen Gepäckwagen er gerade sein gesamtes Wissen verfrachtet hatte, das er auf einem internationalen Kongreß für friedliche Küchenrevolutionen einzurühren gedachte. Oder ist das Schnellsprechen schlicht ein Nachweis für die mittlerweile gar in Betagtere fahrende jugendliche Dynamik, die übers in Eile geratene Land gekommen ist? Immer öfter frage ich beim Zuhören: Weshalb reden die so schnell? Wovor rennen die weg? Haben die Angst, man würde am Ende gar verstehen, was sie von sich geben, und sei es auch nur die Hälfte? In den Siebzigern, zu Beginn meiner Tätigkeit beim Rundfunk saß ich dem Irrtum auf, ich könnte durch schnelleres Reden mehr hineinpacken von dem, von dem ich meinte, es hineinpacken zu müssen. Also schrieb ich immer ein paar Zeilen pro Manuskriptseite mehr und versuchte, durch schnelleres Reden im vorgegebenen zeitlichen Rahmen zu bleiben. Lächelnd wies mich der erfahrene Redakteur beim zweiten oder dritten Versuch, die Zeit niederzureden, darauf hin, es sei unnötig, ich könne rattern wie ein Maschinengewehr, ich würde allenfalls die Hörer damit abschießen. Dreißig Zeilen à sechzig, also insgesamt eintausendachthundert (inclusive Leer-)Zeichen ergeben exakt zwei Minuten, plus minus fünf, allenfalls zehn Sekunden, wobei letztere verlangsamt Luft zum Atmen und Lust zum Hören bringen, in beschleunigtem Tempo bereits Unverstehen und damit Unverständnis ergeben. Jede Zeile mehr bringt somit Verwirrung, im ärgsten Fall schaltet der Adressat ab, im Kopf oder das Gerät. Also lieber streichen. Jedenfalls, wenn's über den Äther soll. Der Vortrag als solcher, ob vorm Mikrophon oder in den Saal hinein, ist etwas künstliches, er will gebaut, rhythmisiert sein, Tempiwechsel weisen den (Zu-)Hörer auf bestimmte Aspekte hin, die zusätzliche Verlangsamung bestimmter Passagen will die Aufmerksamkeit erhöhen, die (gleichwohl erforderliche) Redundanz verträgt etwas mehr Rasanz. Aber in der Plauderei unterläßt man diese dramaturgische Selbstkontrolle, ob da nun ein Tonbandgerät (oder Sauger von Nullen plus Einsen) mitläuft oder nicht. Reden und sprechen sind ohnehin zweierlei. Die Menschen im Off des Radio- oder Fernsehstudios sind, anders als ihre Bezeichnung, keineswegs Sprecher, sondern Reder. Zwar bin ich seit langem nicht mehr aktiv; bereits Mitte der Achtziger habe ich dem attraktiveren Druck nachgegeben, meine Eitelkeit in Holtz gespiegelt zu sehen, und funke seither nur noch sporadisch hinein. Aber ich habe das Äther-Wissen mitgenommen in den anderen Alltag, es dann auch privat umgesetzt. Seit langem spreche ich als der, der ich bin, wie ich auch denke und schreibe: langsam. Und am liebsten sage ich auch nur dann etwas, wenn es (vermeintlich) was zu sagen gibt, ohnehin nur dann, wenn's nicht bereits gesagt ist. Auch, hier mit Kleist: «Ich sehe dich zwar große Augen machen, und mir antworten, man habe dir in frühern Jahren den Rat gegeben, von nichts zu sprechen, als nur von Dingen, die du bereits verstehst.» Das Gequassle um des Quasselns willen war ohnehin meine Sache gar nie nicht. Als Alleinunterhalter in der nächtlichen An- und Absage mehr oder minder melancholischer Lieder oder Wörteraustauscher in einer immerfröhlichen Magazinsendung zur Erweckung anderer wäre ich eine absolute Fehlbesetzung. Zur Talg*-Show am Abend würde man mich einmal einladen und dann nicht wieder. Sie hätten Angst, ich spräche sowohl die heitere Gesprächsrunde als auch das zu unterhaltende Publikum drinnen und draußen in den Schlaf. Unsere Kinnings verdrehen so manches Mal die Augen, weil es ein Weilchen dauert, bis ich auf ihre Fragen antworte. Es dauert eben immer eine Zeit, da ich nunmal lieber vorher das Gehirn einschalte. Aber sicherlich kommt zu deren Leidwesen auch das vor (um nochmal den oldschulen Heinrich zu bemühen): «Ich mische unartikulierte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter in die Länge, gebrauche wohl eine Apposition, wo sie nicht nötig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen.»** Irgendwann muß ich wohl die kleistsche Rezeptur verinnerlicht haben: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden. Vielleicht sollte ich mal mit jemandem darüber sprechen, woran es liegen könnte, weshalb ich schon als Kind immer gerne lieber älter gewesen wäre. Aber ich nehme nicht an, daß ich, auch bei diesem jungen Thema, zum Schnelldenker oder gar -sprecher würde. * «... Talg-Shows (so spricht's der Franke aus, korrekt, wie ich meine) ...», meinte Hans Pfitzinger selig, nicht nur in Blickrichtung auf seinen fränkischen Landsmann Jean Paul. ** Kleist meinte allerdings, ein gutes Gespräch sei der Schreibtischtäterschaft im Hinterstübchen vorzuziehen: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden. Werke in einem Band. Kleine Schriften. Carl Hanser Verlag, München 1966, S. 810 ff. (hier nachzulesen) 24.11.08
Jobs (nicht Steve) Weshalb spricht und schreibt im Deutschen eigentlich nahezu jeder nur noch vom Job, auch dann, wenn er die Arbeit meint? Ich verbinde damit das Ausüben eines erlernten Berufs, nicht unbedingt eine Berufung, die traumhaft über einen hereinbricht, sondern etwas Anständiges wie die Brot- oder Kuchenbäckerei (was jetzt wirklich keine Anspielung auf Niegesagtes von Königsgattinnen sein soll, auch wenn es, vermutlich weil es schön und vielleicht heilsbringend ist, leicht neben der Wirklichkeit zu liegen, sich beharrlich behauptet). Liegt es daran, daß kaum noch jemand eine Arbeit, also etwas Erlerntes im Griff hat, wiewohl kaum ein Bäcker mehr Brot backt, sondern nur noch per Knopfdruck Mischungen in den Fabrikofen schieben läßt, kaum ein Kraftfahrzeugmechaniker mehr ein Automobil repariert, sondern robotergleich an ihm nur noch Computerteile austauscht? (Bereits vor Jahren ist es mir — in Frankreich! — passiert, daß ich in einer Citroën-Werkstatt abge- beziehungsweise auf einen Dorfschmied verwiesen wurde, da selbst der [offenbar zu junge] Meister sich in den Innereien eines Döschwoh nicht auskannte. Und in Deutschland unternehme ich erst gar keinen solch abwegigen Versuch mehr, in einem Fachbetrieb etwas reparieren zu lassen, sondern rufe gleich den Entendoktor an, der dann auch schonmal einen Hausbesuch macht, wenn das Gestell nicht mehr so recht will.) Nun gut, im allgemeinen wird heutzutage ja äußerst berufliche Flexibilität verlangt, gerne von denen, die niemals etwas anderes tun würden als beharrlich die Forderung nach Lohn- oder Gehaltssenkung auszusitzen und niemals auch nur annähernd bereit wären, eine neue Stellung (dazu) einzunehmen. Wer einmal den fixen Standpunkt eines Arbeitsplatzretters und -gestalters eingenommen hat, der beharrt gerne in dieser Position, gleich welchen, auch jugendlichen Alters. Das schafft schließlich jede Menge neue Jobs. In einer solchen, wirkungsvoll erscheinenden Inszenierung spielt es weiter keine Rolle, daß anderen die heimische Wirtschaft verschlossen bleibt. Man muß ja mittlerweile alles können. Anything goes. Auch wenn es manchmal beinahe tödlich ausgeht. Ist das eine meiner üblichen, für mich typischen Nörgeleien? Oder ist das nicht doch eine dieser nicht nur sprachlichen Schönfärbereien, die allüberall alles übertünchen? Mir geht es wie weiland Rainer Candidus: Ich gucke da nicht mehr durch. Wahrscheinlich, weil ich mich bereits auf dem Abstellgleis des Lebens befinde und ohnehin politikuntauglich bin.
Schlechte Aussichten? Frau Moll hat's mir irgendwie angetan. Nun ja, vielleicht eher ihr Schatten, der sich als Vergangenheit assoziierend über mich legt, wenn ich nach längerer Zeit mal wieder Rilke lese. Das habe ich eine Zeitlang getan, und nicht immer nur Herbstliches. Nicht immer habe ich gewacht, gelesen, lange Briefe geschrieben. Es war schließlich auch mal Sommer in meinem Leben. Da gab's dann solche sporterotische Spielereien: «Du Runder, der das Warme aus zwei HändenRainer Maria Rilke: Der Ball, aus: Die Gedichte, Der neuen Gedichte anderer Teil (1908), Frankfurt am Main 1993, Seite 585f. Leicht verführbar war ich einmal. Auch ich konnte mich einst Konsumräuschen hingeben. Aber das erzähle ich ein andermal. Als ich meinen hauptsächlichen Standort noch im Süden hatte, in der nach Meinung vieler, überwiegend aus dem Niederrheinischen oder Oberschwäbischen oder Ostwestfälischen oder Südniedersächsischen Zugezogenen, also vielleicht nicht ganz so autochthonen, aber eben weiterhin tiefprovinziellen Isar-Athenern italienischsten Stadt nördlich der Alpen, da trieb mich möglicherweise deshalb die Wollust ständig in den Norden. Nicht alleine der dort angesiedelten Blondine wegen, die mit mir am Elbstrand lustwandelte und dabei auf die Sonne wies, die hinter Blohm + Voss im nahen Osten unterzugehen drohte. Vielleicht eher wegen des dort behausten Freundes oder dessen zauberhaften Wohnung hoch oben am Eppendorfer Baum, ein paar Schritte nur zum Kaufrausch in der feineren Isestraße. Vor dem schon wohlgeformte und nicht minder -gebildete junge Mütter mit schnittigen dreirädrigen Kinderwagen schausaßen und eine Latte nach der anderen gelangweilt in sich hineinlöffelten, als die Synagoge an der Oranienburger Straße noch das einzige renovierte Gebäude im gesamten Kiez, als das ganze Viertel noch von den herben Granateinschlägen des zweiten Weltkrieges und selbst der vorderste Hinterhof noch von Abfall und nicht so sehr von Datenmüll übersät war. Dort also, wo ich zu so vielem verführt wurde, das ich noch ein- bis zweimal im Leben benötigen würde. Damals, als der Hamburger Flughafen noch aussah wie einer am Wüstenrand oder der Stuttgarter, flog ich noch zum Augenarzt am Klosterstern. Und der sagte mir dann irgendwann: Wenn du dir nochmal was anschauen möchtest, dann geh los, bald siehst du nichts mehr, dann bist du kein Star mehr, sondern hast einen. Dann bin ich los. Mittlerweile sehe ich so gut wie keine Käufe mehr. Nun ja, ich will's nicht übertreiben. Die Weitsicht ist es, die sich und damit mich zunehmend zurücknimmt. Allerdings ist es mit der Nahsicht auch nicht mehr allzu weit her. Deshalb ist es ja auch aus mit der Freiheit der Freiwilligkeit. Ich muß. Denn nur im Internet ist das Gute noch nah. Das sehe ich nämlich nur noch in der Süße dieser Gefangenschaft. Nur der rosarote Blick gewährt mir noch Erinnerung — auch wenn es noch so finster wird um mich. Aber ich benötige eben keine Parkbank mehr. Die Sonne hat sich ohnehin längst hinter Blohm + Voss verabschiedet. Nur mein Bauch denkt noch an sie. Nur das nette Netz läßt den retrospektiven Blick noch zu. Nie mehr gerät etwas in Vergessenheit. Jedenfalls nicht für die Nachwelt.
Herbstliederliches Wer jetzt kein Haus hat,Als Herr Rilke das notierte, ahnte er, wie auch (viel) später Herr Reclam, als dieser dieses Gedicht so preisgünstig band, ahnten beide nicht, wie es die Zeitläufte verschieben würde. Heutzutage ist dieser Herbsttag ziemlich überholt. Nicht nur, weil niemand mehr Briefe schreibt und schon gar keine Bücher mehr liest. Vor allem, weil niemand mehr biblisch angelehnt systematisch nach Anweisungen vorgeht, da zuvor noch zu tun wären: Baum pflanzen, Kind zeugen. Den Baum kauft man nach Fertigstellung des Hauses und später auch des Kindes im namengebenden Baumarkt, also gepflanzt wird auch der nicht mehr, sondern eingesetzt, wenn er bereits ein paar Jahre in der Krone hat. Der Nachwuchs wird gezeugt, auf daß er zur Rente beitrage, die herhalten muß für die Reparation der dann maroden und noch immer nicht abbezahlten Hütte. Ohnehin bauen in erster Linie nur noch diejenigen, die kein Geld haben, weil nicht mehr, wie zu des Dichters Zeiten, erst einmal gespart werden muß. Sparen bedeutet heutzutage ja nichts anderes, als nicht noch mehr von dem Geld auszugeben, das man nicht hat. Wenn also gebaut wird, dann sparsam. Weshalb es auch überall so phantasieverknappt ausschaut. Und diese aufgereihten keller- und gartenlosen Häuslebauerhäuschen vom Fließband will nach der Privatinsolvenz auch niemand mehr verhübschen, will sie doch keiner haben. Ausgenommen Käufer von Kreditpaketen vielleicht. Aber die schauen sich so etwas nicht einmal an, nichtmal übers straßenüberblickende Internet, verpixelt hin oder her, weil sie nicht an der Sache selbst interessiert sind, sondern nur an dem Produkt, mit dem sich die Sache an sich sich versilbern läßt. Es spielt dabei keine Rolle, ob das Bäume, Häuser oder Kinder oder Nahrungsmittel sind, alles wird flüssig gemacht, Hauptsache der Rebbach stimmt; die Religionszugehörigkeit ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Die einen nennen das Geld, die anderen, die solches eher selten in die Hand nehmen oder in der Tasche haben, weil sie es zugunsten unbarer Zahlungsmethoden aufgegeben haben, geben ihm lieber seltsame, ein wenig nach englischer Sprache klingende Bezeichnungen. Es gibt jedoch Menschen, die sich ein Haus kaufen, weil sie sich im Herbst ihres Lebens befinden. In den letzten Jahren waren das gerne deutsche Menschen, die beispielsweise französischen Menschen ein bißchen Angst einjagten, weil sie, erstere, wegen Überfüllung der kanarischen oder anderer Inseln alle zunächst noch nicht ganz so teuren, aber in der Folge für nicht so betuchte Einheimische dann unerschwinglichen Immobilien unweit der Côte d'azur oder überall dort aufkauften, wo man ihren Gebäuden aber auch ansieht, daß sie, die Menschen, über einen gewissen Status verfügen. Der Franzose an sich (der Pariser ist kein solcher) tut so etwas nicht. Der benötigt auch nicht alle fünf Jahre ein komplett neues Schlaf- oder Wohnzimmer oder eine repräsentative Küche (und das, obwohl er sie tatsächlich benutzt und nicht nur beim Kochen zuschaut). Deshalb wohl hat der olle Schwede dort auch zwanzig Einrichtungsstationen weniger als der rechtsrheinische Nachbar, der die Hitliste samt Ausstellungsfläche überhaupt weltweit anführt. Und wenn er denn eine hat, dann versteckt er seine Barock- oder Rokoko- oder Enzo-Renzo-Kate hinter fünf Meter hohen Hecken. Da reicht nicht einmal ein drei Meter hoher Sendemast hin. Deshalb und weil er überhaupt ein Freund jedweden technischen Fortschritts ist, ist ihm dieses ganze Gewese um diese Herumfahrfilmerei auch ziemlich schnurz. Er benötigt zudem keinen Datenschutz. Nicht etwa, weil er den nicht kennt, sondern weil er sich ohnehin nicht in die Karten gucken läßt. Wenn er Trümpfe hat, die auzuspielen er in der Lage ist, behält er sie eben im Ärmel. Der deutsche, etwas besser betuchte, aber immer jugendlich-vitale Pensionär hingegen zeigt gerne, was er hat, samt der immer offenstehenden Doppelgarage. Da scheint eine gewisse geistige Verwandtschaft zum türkischen Land(s)mann in der fernen Heimat zu bestehen. Hier im ehemaligen oder, je nach Perspektive, immer noch existierenden, also irgendwie kleinzukriegenden Feindesland vergleichbar ist der den Wünschen von Monsieur le Président nicht immer entsprechend assimilierte ehemalige Araber, der läßt's auch gerne glitzern, wenn er um den Quai des Belges oder sonstwo an der Côte baladiert oder circuitet, ob im (bevorzugt) schwarzen Cabriolet oder höher, auf daß es nicht nur in Nice blitze. Das wird dann auch unverdrossen veröffentlicht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Die wiederum mag sein deutscher Geistesverwandter nicht erleiden. Deshalb geht er, was ihm ansonsten eher nicht unbedingt in den Sinn gekommen wäre, als er noch guter Bürger seines Heimatlandes war, auf die Barrikaden. Aus der Ferne. Er beteiligt sich an der von BILDungsmachern ausgerufenen Revolution. Daß er allüberall ausgekuckt, erforscht und gesammelt wird, erregt ihn nicht weiter. Deshalb behält er seine elektrische Büroverwaltung auch bei, die er diesem unaussprechlichen Konzern komplett überlassen hat. Der hat sich schließlich immerfort mehr als unauffällig gezeigt.
Im Holsteinischen Rechenzentrum wurden gestern mit althergebrachten Mitteln die gestrigen Rechnungen des Herrn in sein ihm offensichtlich gegebenes, allerhöchstes Amt die Überbleibsel solange hin- und hergerechnet, bis die Welt wieder richtig schön war und endlich wieder gelächelt werden durfte. Abgelichtet hat die natürliche Großrechenanlage das nicht minder großartige und feine Töchterlein von Frau Braggelmann. Ob die junge Frau in ihrer Eigenschaft als stammzellforschende Wissenschaftlerin im besonderen (Aus-)Maß mitgewirkt hat an den Rechenergebnissen, war bei Redaktionsschluß (Nickerchen) nicht bekannt.
Um eine Kommentarbreite wäre dieser ballerische Kosmos in meiner Weltordnung entschwunden. Bei Licht betrachtet war er das bereits. Er lag unter einem Stapel. Die Dame hatte ihn trotz des ausdrücklichen Gebotes oder auch der allerärgsten Androhung schlechthin, bei mir nämlich nie wieder auch nur annähernd irgendetwas anfassen zu dürfen, während dieses manischen Prozesses, der sich mit der Bemerkung Wie sieht's denn hier aus! ankündigt, dann doch anders positioniert, trotz des Wissens, daß Papierberge bei mir den Status jüdischer Grabsteine haben. Aber so kommt es dann doch noch zur Geltung, das Mahnmal FC Supervova. Es handelt sich um eine Ausstellung, die am 10. Juli endet. Ich bin also quasi aktuell. Und ich konnte nochmals der allgemeinen Ballerei zu seiner Irrsinnsgeltung verhelfen. Jetzt reicht's aber mit dieser Rumputzerei! Julia Bornefeld, FC Supervova Galerie Klaus Benden 4. Juno bis 10. Julei 2010
Es wird Nacht über Deutschland
Schwäbische Aufklärung Gestern hatte ich dem geschätzten hinkenden Boten eine Empfehlung hineinkommentiert, der heute eine Verlängerung folgte. Das löste einmal mehr ein paar Erinnerungen aus. Da ist die Angelegenheit mit den Schwaben. Kennengelernt habe ich in meinem ja nicht mehr so kurzen Leben einige. Aber sie sind ohnehin überall. Es ist völlig egal, wo ich aus einem Flugzeug, einem Bus oder der Bahn oder einem Fahrzeug welcher Art auch immer aussteige, sogar an einem Parkplatz an irgendeiner Autoroute im tiefsten Südwesten Frankreichs, sie sind bereits da. Ich der Hase, sie die Igel. In Berlin soll es mittlerweile eine Igelsiedlung geben. Ach was, auch in den Sechzigern besiedelten sie die Insel bereits. Die Schwaben sind einfach überall. Sogar in Schwaben gibt es noch welche, obwohl man meinen könnte, soviele könne es doch gar nicht geben, daß die zuhause auch noch welche haben. Aber es ist so, das habe ich das eine oder andere Mal selbst erfahren. Zum Beispiel in Stuttgart, wohin ich eigentlich nie so fürchterlich gerne hingefahren bin, weil mir die Metropole der Schwaben nie so recht behagte. Doch hin und wieder geriet auch ich in die Situation des Müssens. Zum Beispiels ins Remstal. Da ich mich im dortigen Hauptbahnhof nicht auskannte, fragte ich an einem der Brezelstände im zentralen Bereich, von denen es fast so viele zu geben schien wie Schwaben, einen Herrn nach der S-Bahn, die mich nach Eßlingen fahren sollte, wo ich abgeholt werden würde. Er hub an, loszuschwäbeln, daß mir ganz anders wurde. Das mußte er mir angesehen haben, weshalb er mich sozusagen am Händchen nahm und in die Unterwelt entführte, dabei schier atemlos ohne Unterbrechung weiterschwäbelte, bis die S-Bahn mich in ihre Obhut nahm. Ähnliches habe ich noch des öfteren erlebt, nicht nur im Ländle selbst. Aber man sieht ihnen die sprachliche Herkunft schließlich nicht an, wenn man ihnen nichtsahnend eine Frage stellt. Sie sind von einer geradezu entwaffnenden, ungeheuerlichen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Beinahe alle, die mir begegnet sind und mit denen ich beruflich oder auch privat zu tun bekam, waren mir sympathisch. Sie können alles. Nur eben kein Hochdeutsch. Und so schwäbeln sie unentwegt. Da komme ich mit dem Fränkischen eher klar, das mir ebenfalls nicht so wohl klingt in den Ohren, aber die sind wenigstens etwas maulfauler. Einen gibt es, und um den geht es hier und heute eigentlich, der ist ein flammender Laudator, ein Apologet des Schwäbischen. Sogar mit kleinen Kindern spricht der so, verborgen unter der Tarnkappe eines Clowns. Er war es auch, der mir seit Anfang der Neunziger ein wenig die Tür zu dieser für mich rätselhaften Welt des schwäbischen Geistes aufstieß; und mir bei der Gelegenheit mit zu einer unakademischeren, vielleicht sogar schwäbischen Betrachtungsweise von Geschichte verholfen hat. Ich denke dabei zum Beispiel an seine Geschichte vom Joseph Süß. Haasis hat früher, da er, vermutlich seiner Streitbarkeit wegen, häufig keinen arrivierten Verlag mit verkaufsträchtigerem Vertrieb fand oder auch einfach keine Lust hatte, sich mit allzu gelehrten Lektoren verbal zu prügeln, einen Teil seiner Schriften in winzige Häuslein verlagert, quasi selbst verlegt, und das auch noch bibliophil beachtenswert. Seine 1999 erschienene Biographie von Georg Elser — das ist der Auslöser der heutigen Zeilen — wurde zehn Jahre später wieder neu aufgelegt, um viele Seiten erweitert und verlegt von der ebenfalls (immer noch) leicht verqueren Edition Nautilus. Erwähnt sei noch: einige seiner von mir nach wie vor gerne gelesenen Geschichten sind in weiterblättern ausgestellt.
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