Frühstücksdirektor wollte ich eigentlich immer werden. Aber nun bin ich dann doch nur Hauptabteilungsleiter geworden. Gestern früh kam mein Stellvertreter vorbei, um mich abzuholen. Er ist Mitte dreißig, erfolgreicher Dramatiker, Essayist und Romanautor, versehen mit zahlreichen Auszeichnungen von internationalem Renommée. Der agile Chauffeur fuhr uns mit dem achtzylindrigen, dezent dunkelanthrazitfarbenen Dienstwagen über Land rasch in die Stadt. Wir betraten das mir bekannte zwölfstöckige Gebäude der Medienanstalt, dessen Aufstockung um weitere vier Etagen für unsere neue Abteilung kurz vor der Fertigstellung stand. Mein mir nicht von der Seite weichender, mich geradezu umsorgender Stellvertreter bat mich, kurz zurückzutreten, und trat uns dann den Weg frei durch falsch eingesetzte Mauern. Laufende Kulturhaltung in den Neuen Medien heißt das Konstrukt, dem ich nun vorstehen werde. Für den Anfang wurden zunächst dreißig neue Mitarbeiter eingestellt, die bei ihrer Bewerbung das fünfundzwanzigste Lebensjahr nicht überschritten haben durften und allesamt in einem geisteswissenschaftlichen Fach promoviert sein mußten. Der mir direkt Unterstehende ist es selbstverständlich auch, und kürzlich ist er an einer Eliteuniversität habilitiert worden. Der Titel seiner ausgezeichneten Habilitationschrift lautet Die nikomachische Ethik im kakophonen Zeitalter. Seine Lehrtätigkeit darf er als Privatdozent beibehalten, dabei allerdings fünf Monatsstunden nicht überschreiten. Es sei kein Problem, meinte er gegenüber dem Rundfunkrat, es käme ohnehin nie jemand zu seinen Vorlesungen. Ich war fünfundzwanzig Jahre in einem Kunstbuchverlag tätig und habe vor einiger Zeit das Rentenalter erreicht. Das letzte Mal in einem Rundfunkgebäude war ich, nachdem man mich als 1985 aus dem Hörfunkleben Ausgeschiedenen gebeten hatte, meinen Essay in der Länge von 1'30 Über den Niedergang der Sprache im Musikfunk unbedingt selbst zu singen. Ich war etwas verwundert über die vielfältige neue Technik. Es war nicht weiter schlimm, da man mir eine Dame zugeordnet hatte, die diese mir völlig fremden, seltsam erscheinenden Gerätschaften im Griff hatte. Sie erklärte mir, daß dies tatsächlich eine ungewohnte Situation sei, da die Beiträge mittlerweile allesamt von den Autorinnen und Redakteuren auch technisch in Heimarbeit fertiggestellt würden, im akuten Zeitalter der Digitalisierung sei das ja kein Problem mehr und würde zudem Platz im Haus schaffen sowie Kosten senken, sie selbst würde demnächst ebenfalls von ihrer fünfundzwanzig Quadratmeter großen und damit völlig ausreichenden Wohnung aus tätig werden. Sie hatte wohl meinen suchenden Blick richtig verstanden, der durch die Räumlichkeit schweifte und fast verzweifelt nach den Schnürsenkeln und den Bobbys Ausschau hielt, auf die mein Radioessay aufgezeichnet beziehungsweise aufgewickelt worden war, der schließlich meine Berufung bewirkt hatte. Es hatte sich alles etwas verändert im Lauf der Zeit. Wie beim Computer auch. Aber von dem weiß ich mittlerweile immerhin, welche Funktion der Bildschirm hat. Da werde ich wohl auch mein Amt als Hauptabteilungsleiter für Laufende Kulturhaltung in den Neuen Medien auszufüllen wissen. Ich sollte über den Kauf einer neuen Matratze nachdenken. Oder liegt's am (zweiten) Frühling, der mich solches träumen läßt? Vielleicht ist's gar die Sommerzeit?
Täglich grüßt
das Doktor-Murke-Tier (mit seinem gesammelten Schweigen).Doktor Murke, ach
du meine Güte, da bringen Sie mich aber drauf, der wird's gewesen sein, der mir durch den (Lebens-)Traum gegeistert ist. Ich weiß gar nicht mehr, hat da nicht Dieter Hildebrandt den Protagonist gegeben? Das sollte man mal wieder vortragen im Hörfunk, auf daß die Welt erfahre, wie das mal war mit dem schnürsenkeligen Dampfradio. Es war mal meins, das Hörspiel. Aber es ist entschwunden, dieses köstliche Stückchen Traum(a).Ja,
den Titelhelden spielte Dieter Hildebrandt. Grandios. Habe ich in jungen Jahren gesehen, lange bevor sich abzeichnete, dass ich mal "was mit Medien" machen würde. Wahrscheinlich hätte es dieser Prägung aber nicht bedurft, um mich wirksam vor einer Karriere als Anstalts-Hierarch zu bewahren.Gänzlich konfus
bin ich nun: Gesehen? Film? Ich kenne das als Hörspiel. Oder will ich nur den Funk akzeptieren (aber eben dämmert mir etwas in schwarz-weiß).Ich kenne nur
das Fernsehspiel aus den späten 50ern oder frühen 60ern - und nehme ein bisschen überrascht zur Kenntnis, dass es davon auch eine Hörspielfassung gibt (was eigentlich so fern gar nicht liegt).Sicher bin ich
nun überhaupt nicht mehr. Oder so: Ans Fernsehen erinnere ich mich mittlerweile. Vorsichtshalber bleibe ich zunächst dabei, das als Hörspiel kennengelernt zu haben. Ich werde mich auf die Suche machen. Aber vielleicht habe ich, haben wir das Glück, auf einen Wissenden zu stoßen, der hier im Netz herumtaumelt. Im Zweifelsfall wende ich mich an die ehemaligen Kollegen, sofern sie noch unter den Lebenden weilen.
Ja, in S/W habe ich's auch mal gesehen, nachdem ich es zuvor (merkwürdigerweise als Kind) gelesen hatte. "Jenes höhere Wesen, das wir verehren" in seinen verschiedenen Kasus, das hat sich eingeprägt - und der Paternoster. Och, menno, das steht ja sogar hier bei Wikipedia, und außerdem: "Die Geschichte wurde 1963/64 mit Dieter Hildebrandt als Dr. Murke für das Fernsehen vom Hessischen Rundfunk verfilmt, eine Hörspielfassung entstand 1986 als Koproduktion von Südwestfunk und Saarländischem Rundfunk.", wir alle haben also funktionierende Gedächtnisse.
Mein Gedächtnis
funktioniert dennoch nicht korrekt. Es hatte das Hörspiel vor den Film gesetzt. Und das mit dem Produktionsjahr 1986 bringt mich völlig durcheinander, weil's fast identisch ist mit meinem Abschied vom Rundfunk, den Traumdeuter Mark indirekt identifiziert hat. Dann wird's wohl so gewesen sein, daß ich's zuvor gelesen habe. Wie auch immer – ein starkes Stück, das ich gerne mal wieder aufgeführt sähe. Aber vielleicht sollte ich's einfach mal wieder lesen; ich muß nur den Böll-Karton finden auf dem Dachboden der Erinnerung oder auch der einstigen Moral.Eine kleine Ergänzung zur Praxis des herausgeschnittenen und in einer Schachtel oder ähnlichem aufbewahrten Schweigens: Ich gestehe – nach so langer Zeit, meine Güte, da traue ich mich aber was –, je nach Sympathie geschnitten zu haben. Wen ich nicht mochte, dessen Ähs und Öhs und sonstiges Gestammle habe ich ungeschnitten gesendet, während mir genehme Menschen, auch wenn sie schonmal fürchterlich Unausgegorenes herausgestottert hatten, durchaus damit rechnen konnten, quasi druckreif über den Äther zu gehen. Sogar der Mühe habe ich mich unterzogen, dabei (be)wundernd zuzuschauen, wie die Tontechnikerinnen auf meine Bitten hin grammatikalische Korrektheiten hergestellt, ja sogar einzelne Wörter umoperiert haben, bis sie die gesprochene Schönheit in Vollendung wiedergaben (wie bei Bazon Brock im Originalton). Soviel zur Objektivität. Und vielleicht auch zur Zeit, die wir damals hatten. Ein wenig Sehnsucht habe ich manchmal danach.
bei jenem höheren wesen, das wir alle verehren - welch eine geburt!
(ich kenne auch nur den kurzfilm, denn allerdings müssen sie sehen! wenn sie den noch irgendwo erwischen können! ich flehe sie an! [hüsch]) Ich wähnte Sie
beim Plakatekleben (oder magistrieren?). Erst habe ich «husch» gelesen, also schnell zurück an die Arbeit. Aber dann: den guten alten Hüsch. Der hat einen Kurzfilm dieses Titels gemacht?>> kommentieren Ich tippe auf die Uhrumstellung, ich war in dieser Nacht Rita (Hayworth). Ach. Uhr- oder Zeit-
Umstellung? Auch in diesem Bereich bin ich mir nicht mehr sicher, ob es dabei noch Unterschiede gibt.Wobei das wesentliche für mich allerdings vordringlich bedeutet, Sie mir als Frau Rita auszumalen; ich habe andere, nun ja, zumindest ein anderes Bild von Ihnen.
Für mich ist das Uhrumstellung, weil man mit der Zeit Derartiges nicht anstellen kann. Ich
Warum ihr Kerle uns Mädchen immer traurig machen müsst. Traurig machen
will ich Sie nun wirklich nicht. Aber ich Kerl kriege Sie schlicht nicht nach Hollywood, das ergreift mich nicht. In einem Film von Eric Rohmer sähe ich Sie schon eher. So ist das eben mit meinem (virtuellen) Leben.
Den habe ich nicht mal namenstechnisch parat (Diese Jugend! Keine Bildung! Verlottert!), aber ich werde mich kundig machen. Das ist ein kleiner Trost, nach meiner herausragenden Leistung als Mutter Courage mit 12 und diversen Loriot-Männern mit 13 auf der Schulbühne der erste Lichtblick. Aber so ist das mit den virtuellen Wesen, die sich nur ganz schlecht verstellen können, "schau-"spielen ist dann schwer.
Dahingegangen ist er
leider unlängst, aber er war ja auch schon ein bißchen älter, der durfte. Für mich war es allerdings Anlaß, den von mir überaus Geschätzten bei mir unter Andererseits zu verewigen. Dort befindet sich eine Seite, die Ihnen bei Eric Rohmer mit Sicherheit weiterhilft. Ich habe mich zu seinem Wintermärchen aus dem Zyklus Erzählungen der vier Jahreszeiten auch mal geäußert. Sowas ist mein Anti-Hollywood, ach was, Quatsch, das brauche ich nicht, weil ich kein Hollywood brauche. Ich kann (mag) nämlich auch keine Schau spielen. Mir ist das Reduzierte lieber. Dann kommt die Opulenz der Viefalt besser zum tragen.>> kommentieren Ich weiß gar nicht, was Sie haben. Das klingt doch alles recht realistisch. Von der "Aufstockung um vier Etagen" abgesehen. Das sind natürlich frühlingshafte Bubenträume. Den promovierten 25jährigen werden wohl Cubicles reichen müssen. Leichten Sarkasmus
meine ich da herauszuhören. Also gut – die wahrscheinlichere Wirklichkeit: Meine neue Hauptabteilung wird demnach vermutlich nicht bei freiem Blick bis über die Alpen, sondern eher von einem Center für Boys und Girls – liberalitas bavariae* – aus callen, das seinen Sitz in einem Gewerbegebiet der Gemeinde Bad Gottleuba-Berggießhübel im Freistaat Sachsen unweit der tschechischen Grenze hat. Das läge tatsächlich irgendwie näher. Einmal wegen der Autobahnanbindung, und zum anderen auch die geistige Nähe zu Bayern, die bis heute bzw. bis 2015 durch die MDR-Intendanz von Udo Reiter gewährleistet ist.Die Erwähnung des Herrn Reiter erscheint mir besonders wichtig, da dessen Werdegang meinem insofern ähnelt, als er ein Beleg dafür sein könnte, daß Träume wahr werden können. Man könnte ihn allerdings auch für eines der Wunder halten, wie sie meines Erachtens nur im tiefsten Süden vorkommen (Altötting, Compostela, Lourdes, Rom). Auf jeden Fall erstaunlich war es, wie er damals beim Bayerischen Buntfunk, wie er gerne auch genannt wurde, in traumhaft behender Sicherheit die Karriereleiter hinaufzukraxelte und letztendlich eine saupreißische Intendanz erfensterlnte: vom anfänglich ruhigen Gang in den siebziger Jahren als Wissenschafts-Redakteur dann ohne Zwischenstation, quasi mit einem Mal zum Abteilungsleiter Familienfunk (1980) zum Chefredakteur Hörfunk (1983) zum stellvertretenden Programmdirektor Hörfunk (1984) zum Hörfunkdirektor (1986). Mit ziemlicher Sicherheit hätte es nicht allzu lange gedauert, bis er im Haus auch in der allerobersten Etage angekommen wäre. Aber dann ereignete sich die Revolution: «Als nach der Wende das öffentlich-rechtliche System auf Ostdeutschland ausgedehnt wurde», so das über jeden Zweifel erhabene journalistische Qualitätsprodukt BZ, «meldete sich Reiter sofort zum Dienst.» Das Verantwortungsbewußtsein hatte wohl gerufen. – Ich rätsele bis heute, wie diese Blitzkarriere zustande kommen konnte. Ob er damals in die Partei eingetreten ist, ist mir nicht bekannt. * Für Menschen nördlich des Weißwurstäquators: Die liberalitas bavariae bedeutete ursprünglich lediglich die Freigiebigkeit der Herrscher, die die Künste gefördert haben. Heute ließe sie sich auch so auslegen: «Bei uns hat jeder das Recht, sich der Meinung der Mehrheit anzuschließen.» Bayerische Volksweisheit Ich habe die damaligen Konstellationen
an der Spitze des BR zu Wendezeiten nicht mehr parat, meine mich aber zu erinnern, im Flurfunk öfters Zweifel gehört zu haben, ob es der Hörfunk-Direktor in einigermaßen absehbarer Zeit auf den Intendanten-Sessel schaffen würde. Ob Mangel an Hausmacht oder fehlendes Wohlwollen in der Staatskanzlei, irgendeinen Makel hatte man ihm zugeschrieben (und es war definitiv nicht das körperliche Handicap). Grade sehe ich bei wikipedia, dass Albert Scharf 1990 das Amt antrat, entsprechend muss Reiter klar gewesen sein, dass es ganz schön dauern kann, bis die Intemdanz vakant wird. Scharf war vorher schon der Vize gewesen und EBU-Koordinator, ich bin nicht mal sicher, ob Reiter überhaupt kandidierte für die Nachfolge von Vöth, aber wenn, dann war er mit Sicherheit ein Außenseiter ohne echte Gewinnchance.Aber das ändert nichts daran, dass der Mann ein Phänomen ist. Ein Phänomen durchaus,
aber was für eines? Ich war schon einige Zeit raus aus diesem Betrieb, als der Reiter aufstieg aufs Intendantenpferd. Er kam mir gestern lediglich wieder in den Sinn, als die Verbindung zum Bayerischen zustande kam. Ob es irgendeinen Makel gab, der ihn möglicherweise ferngehalten hätte von diesem Sessel, kann ich nicht einmal beurteilen. Eines weiß ich aber gewiß: Immer wenn ich ihn sah, und das war bis 1985 zwangsläufig des öfteren der Fall, gingen in mir die Alarmsirenen los, spätestens seit man ihm die Leitung des zu dieser Zeit s ungewöhnlich liberal und offen, eben nicht im Sinne von Mehrheitsmeinung geführten Familienfunks übergab. Das war eine mir unverständliche Personalentscheidung, nicht zuletzt, da sie aus dem Nichts zu kommen schien, da er sich bis dahin keinerlei sonderlich (mir und anderen) bekannten Meriten erarbeitet hatte. Persönliche schlechte Erfahrungen mit ihm hatte ich keine. Aber wann auch immer er angerollt kam, sah ich in diesem Gesicht nichts als verbissenen Ehrgeiz. Nie habe ich ihn gelöst plaudern sehen mit anderen. Selbst wenn er mal lachte, hatte ich den Eindruck, es käme nicht von innen; das geht mir bis heute so, wenn ich Photographien von ihm sehe. Für mich gehörte er eher in die Kategorie verkniffener Jungpolitiker in Warteposition. Als aufstrebender Manager konnte man ihn später dann auch sehen. Und in gewisser Weise wurde er das ja auch. Beides.Über das Programm, das unter seiner Regierung entstanden ist und entsteht, lasse ich mich besser nicht aus. Dafür bin ich nicht kompetent genug, möglicherweise, weil mir die Ost- oder auch Mehrheitenperspektive fehlt. Ich habe den Eindruck, daß Sie näher damit befaßt waren als ich damals; aber die Medien sind schließlich Teil Ihrer Profession. Scharf, ach du meine Güte, den Namen lese ich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder. An dessen Glanzlosigkeit erinnere ich mich kaum noch – ich relativiere: er war jedenfalls unspektakulär, was auch sein Gutes hat. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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