Proud to be ...

Während meiner Promenaden durch die virtuelle Welt der Gleich-oder-Nicht-Gleichgesinnten falle ich immer wieder über die tiefen Gräben, die die US-Bejubler angelegt haben und anlegen. Die Armee der Religionsfanatiker, die das Bush-Land nachgerade für den Vatikan des Kapitals halten, scheint sich tagtäglich zu vergrößern. Der nächste Papst wird ohnehin aus dem Land der Evolution(stheorie) kommen. Es muß ja endlich mal ein bißchen Farbe rein.

Hoffnungsträger werden solche Menschen gerne genannt, wohl in erster Linie von denen, deren Wunsch nach US-amerikanischen Verhältnissen hier in In diesem unserem Lande (gerne ja auch in anderen) extrem ausgeprägt ist. Da dürfen die Schamanen des Kapitals ihre Finanzen noch so wenig im Griff haben: ein bißchen was (an Hoffnung) bleibt eben immer hängen. In anderen Sportarten als den politischen werden die Hoffnungs- Wasserträger genannt: diejenigen, die hoffen, irgendwann doch noch anzukommen, vielleicht sogar auf dem Treppchen. Deshalb lassen diese Wanderprediger des Götzen Mammon (von dem sie inständig hoffen, er möge auch in sie fahren) ihre Mitmenschen es gebetsmühlenhaft wissen: Es lebe die (eigene) Freiheit! Wer kein Geld hat, ist selber schuld. Lieber buy als high. Und wer sich kritisch gegenüber bestimmten Geschäftsmethoden äußert, erhält eine wie aus der Schublade geschossene Antwort: Antiamerikanist!

Davon mal abgesehen, daß diese ganzen Bank-, Versicherungs- oder Agenturangestellten mit ihren Bachelors und sonstigen Kurzstudien, in deren Lehrplänen das Denken über den eigenen (Sushi-)Tellerrand hinaus nicht mehr vorgesehen ist, sondern nur noch das Geldzählen zählt und damit den nicht einmal leicht angehobenen Bildungsgrad bestätigen: Amerika besteht nicht nur aus den USA! Es scheint sich immer weniger herumzusprechen, daß es noch ein anderes Amerika gibt. (Da sei, kleinlaut, Europa vor.) Für dieses Wissen bleibt offenbar keine Zeit in Studiengängen, die auf die rasche Anhebung des Bruttosozialproduktes ausgerichtet sind.

Um so erstaunlicher ist es, daß ein Mensch (s)ein Weblog mit dem bemerkenswerten, heutzutage geradezu selbstzerstörerischen Namen Der Antiamerikaner versieht. Im Titelzusatz erklärt Hans Ulrich Gresch allerdings, was er damit meint: Blog für alteuropäisches Denken.

Das ist ein Satz, mit dem ein alter Europäer gut leben kann, einer, der alleine deshalb nicht in den USA leben möchte, weil er sie kennt und der genügend US-Amerikaner kennt, die nicht (mehr) in den USA leben möchten, weil sie sie kennen, die einen anderen Weg gehen möchten als den durch diese politische Schlucht, durch die sie, wahrlich nicht nur in den letzten Jahren, getrieben worden sind und weiterhin getrieben werden sollen. Daran wird vermutlich auch ein neuer Papst nichts ändern.

In seinen Seiten liefert Gresch eine Vielzahl an stichhaltigen Argumenten, die gegen die zunehmende US-Amerikanisierung sprechen. Dabei untermauert er die eigenen, wohlbedachten und -gesetzten Gedanken durch eine Vielzahl an Fakten, Wahrheiten und Wirklichkeiten. Man wird im einzelnen nicht immer seiner Meinung sein, doch das dürfte ohnehin nicht sein Anliegen sein (sicherlich nicht alleine deshalb, da Adorno ein solches zum Unwort erklärt hat).

Dennoch dürfte er ein Problem haben: Wer das Denken nicht gelernt hat, den es nicht gelehrt wurde, der wird sich kaum der Mühe unterziehen wollen (oder können?), längere Texte zu lesen, die die geistige Leere und banalideologische Fülle seines US-Egoversum bloßstellen. Die anderen — doch darüber ist Gresch sich wohl im klaren — erreicht er ohnehin nicht. Denn selbst gutwillige, aufnahmebereite Studenten im vierten Semester der Geisteswissenschaften haben mittlerweile Probleme, über zwei Seiten eines etwas anspruchsvolleren Textes hinauszugelangen. Oder aber sie haben die Zeit dazu nicht, weil sie entweder prüfungsgestreßt sind oder/und unbedingt noch auf die Party oder zum Shoppen müssen. Und das eigene Internet-Poesiealbum will ja auch noch bebildert und vollgeschrieben werden. Komme mir jetzt keiner mit: Du mußt das ja nicht lesen! Diese Dinger springen einen mit Bildchen voraus ja ständig direkt ins Gesicht.

Gresch bietet eine Fülle an Texten. Sie dürften ausreichen, einem geneigten, aber schreib-, vielleicht sogar denkfaulen Lehrer für zwei Jahre Unterrichtsstoff zu liefern. Darauf einzugehen, würde den hiesigen Rahmen sprengen. Selbst ist der Leser.

Doch auf einen Punkt muß ich eingehen, da es mich jedesmal aufs neue aus meiner mittlerweile (eigentlich) eingetretenen Gelassenheit reißt, wenn ich davon höre oder darüber lese: Nationalstolz.

In seinem Bemühen um eine moderate, das Verständnis für alle anrufende, ja stellenweise fast volkshochschuldidaktische Erklärung des Phänomens Nationalstolz in — na ja — Ehren, er läßt allerdings ein Argument aus, das gegen Du bist Deutschland oder andere, ähnlich gelagerte (wirtschafts-)politisch verordnete, mittlerweile sogar Kinder hirnwaschende Dümmlichkeiten spricht: Wir alle sind mehr oder minder zufällig in England, Frankreich, Spanien, China, Cuba, USA et cetera geboren. Es ist gemeinhin bekannt, daß in verschiedenen Ländern Gesetze existieren, die einem im Land oder dessen Hoheitsgebiet (Schiff, Flugzeug) aus Maman Gekrochenen automatisch die jeweilige Staatsbürgerschaft zuspricht. So hätte es durchaus geschehen können, daß — nehmen wir mich als Beispiel — ich, der ich wegen des extrem ausgeprägt nomadischen Triebs meiner Eltern heute ein Amerikaner des anderen Amerika oder gar, je nach metereologischer Lage, — bewahre! — des «richtigen» Amerika geworden wäre. So bin ich glücklicherweise ein alter Europäer geworden.

Darüber hinaus: Wie kann ich stolz sein auf etwas, das andere geleistet haben? Ich kann nicht einmal stolz darauf sein, in der Lage gewesen zu sein, für Nachwuchs zu sorgen, da das wohl kaum als Leistung eingestuft werden kann. Geschweige denn, stolz darauf zu sein, daß eben dieser Nachwuchs den Doktor der Natur- oder Geisteswissenschaften gemacht, sich als Journalist mit einem zwar geforderten, aber immer schwabbeliger werdenden Qualitätsbegriff abmüht oder eine Tischlerlehre absolviert hat und dann schwedisches Unterwäschemodell und dann als Balladensänger oder als General oder Fußballer Bundestagsabgeordneter mit Pensionsanspruch geworden ist. Nicht einmal darauf, daß ich ein bißchen denken kann und dafür auch noch Geld bekomme, kann ich stolz sein. Das haben andere mir ermöglicht. Stolz erkläre ich hiermit feierlich zum Unwort. Aber eine Flagge wird dabei nicht gehißt (die obige blendet sich bei solchen Themen immer selbst ein, und wenn nicht die, dann die hier).


Hans Pfitzinger (9. November 2011: dieser Link stammt nicht von mir, irgendwelche Leutchens, die auf meine Fragen nach Hans' Wiederaufstehung partout nicht antworten wollen, haben ihn ungebeten installiert) kommentiert mit ein paar Zeilen aus William Kotzwinkles Novelle Schwimmer im dunklen Strom von 1975, die er übersetzt hat:
«Laski hockte am Boden, Sägespäne an den Knien und einen Bleistift hinter dem Ohr, drehte langsam die Schrauben ein und trieb sie tief ins Holz. Er schmirgelte die Ecken der Kiste ab, in der Luft hing feines Sägemehl, ein Geruch der Erinnerung stieg in seine Nase. Ich habe ein Haus für uns gebaut, mit einem Zimmer für ihn, und jetzt baue ich einen Sarg. Alles dasselbe. Wir müssen nur mitgehen, mit offenen Augen, und sorgfältig auf unsere Arbeit achten, ohne Nebengedanken. Dann fließen wir mit der Nacht.

Die kleine Kiste nahm Formen an, und Laski wehrte sich gegen den Stolz des Handwerkers, denn Stolz war hier fehl am Platz. Ich mache es in aller Stille, für niemanden. Nicht einmal für ihn, denn er ist längst meiner kleinen Kiste entwachsen.»

 
So, 13.07.2008 |  link | (3831) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten















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