Bibliomanie



Sucht, Bücher zu besitzen und zu sammeln. Descartes hat gesagt, die Lektüre sei eine Unterhaltung, die man mit den großen Männern der Vergangenheit führe, aber eine auserlesene Unterhaltung, in der sie uns nur ihre besten Gedanken enthüllen. Das mag bei großen Männern zutreffen. Da aber die großen Männer sehr selten sind, so wäre es verkehrt, diese Maxime auf alle möglichen Bücher und aller Arten der Lektüre anzuwenden. Es haben so viele mittelmäßige Leute und auch so viele Toren geschrieben, daß man im allgemeinen eine große Büchersammlung, von welcher Art sie auch immer sein mag, als eine Sammlung von Denkschriften über die Geschichte der Verblendung und Torheit der Menschen betrachten kann, und so könnte man über dem Eingang aller großen Bibliotheken die folgende philosophische Inschrift anbringen: Narrenhäuser des menschlichen Geistes.

Daraus folgt, daß die Liebe zu den Büchern, wenn sie nicht von der Philosophie und von einem aufgeklärten Geist gelenkt wird, eine der lächerlichsten Leidenschaften ist. Sie gleicht der Narrheit eines Mannes, der unter einem Haufen Kieselsteinen fünf oder sechs Diamanten aufbewahrt.

Die Liebe zu den Büchern ist nur in zwei Fällen lobenswert: einmal, wenn man richtig zu schätzen versteht, wieviel sie wert sind, wenn man sie als Philosoph liest, um Vorteil aus dem zu ziehen, was darin gut sein mag und über das Schlechte, das sie enthalten, zu lachen; zum anderen, wenn man sie ebenso für die anderen besitzt wie für sich selbst und wenn man sie freudig und vorbehaltslos daran teilnehmen läßt. Man kann in diesen beiden Punkten Falconet als Vorbild für alle hinstellen, die Bibliotheken besitzen oder einmal solche besitzen werden.

Ich habe einen der großartigsten Geister unseres Jahrhunderts sagen hören, es sei ihm gelungen, durch ein sehr sonderbares Mittel eine recht auserlesene und umfangreiche Bibliothek zusammenzustellen, die dennoch wenig Platz einnähme. Wenn er zum Beispiel ein zwölfbändiges Werk kauft, von dem nur sechs Seiten gelesen zu werden verdienen, so trennt er diese sechs Seiten von den übrigen los und wirft das Werk ins Feuer. Diese Art, eine Bibliothek einzurichten, würde mir sehr zusagen.

Diese Leidenschaft, Bücher zu besitzen, führt zuweilen zum schmutzigsten Geiz. Ich habe einen Narren gekannt, der von einer übersteigerten Leidenschaft für alle Bücher über Astronomie besessen war, obgleich er kein Wort von dieser Wissenschaft verstand; er kaufte sie zu einem ungeheuerlichen Preis und schloß sie in eine Kassette ein, ohne jemals einen Blick hineinzuwerfen. Er hätte sie Halley oder Monnier nicht geliehen, ja nicht einmal gezeigt, wenn diese das Bedürfnis danach gehabt hätten. Ein anderer ließ sich seine Bücher sehr sauber binden, lieh sie aber aus Angst, sie zu beschädigen, wenn er sie brauchte, von anderen, obwohl sie in seiner Bibliothek standen. Er hatte über den Eingang seiner Bibliothek geschrieben:
Ite ad vendentes! (Geht zu den Buchhändlern!) Auch er lieh niemandem Bücher.

Im allgemeinen verhält es sich mit der
Bibliomanie — bei wenigen Ausnahmen — wie mit der Leidenschaft für Gemälde, Raritäten, Häuser: Die, welche sie besitzen, erfreuen sich ihrer kaum. So könnte ein Philosoph beim Betreten einer Bibliothek sagen, was ein Philosoph einst beim Betreten eines prächtig eingerichteten Hauses sagte: Quam multis non indigeo — wie viele Dinge gibt es doch, mit denen ich mich nicht zu beschäftigen brauche!
Jean Baptiste le Rond d'Alembert

Denis Diderot, Jean Baptiste le Rond d'Alembert (et coll.): Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers par une société de Gens de Lettres. 28 Bände, 1751 bis 1772; hier zitiert nach: Artikel aus Diderots Enzyklopädie, Auswahl und Einführung von Manfred Naumann, aus dem Französischen von Theodor Lücke, Röderberg-Taschenbuch, Band 4, 1985, S. 212; © Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1984; siehe auch: Diderots Enzyklopädie

 
Mi, 16.07.2008 |  link | (3105) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen


chat atkins   (16.07.08, 13:11)   (link)  
Um diese sechs Seiten zu finden, musst du aber - nolens volens - alle zwölf Bände mit ihrem Meer von Nonsense erst einmal durchqueren. Ein typischer Fall von 'Denkste!' also, der bei unseren Großklempnern des Geistigen gar nicht so selten ist.

Ein Buch kann übrigens gar nicht so schlecht sein, dass sich nichts Fruchtbares dabei denken ließe ...


jean stubenzweig   (16.07.08, 14:12)   (link)  
Seit einigen Tagen
suche ich nach ebendiesen sechs Seiten.

Aber: Muß es nicht furchtbar heißen? Ich nehme an, das war ein Verdreher.


hap   (17.07.08, 23:07)   (link)  
Furchtbar
Na klar muss es furchtbar heißen, allein die Vorstellung, Bücher ins Feuer zu schmeißen! Das geht grade noch an, wenn Gottfried Keller davon berichtet, dass er den Rest der Erstauflage des "Grünen Heinrich" dazu benutzt hat, um im Winter nicht zu erfrieren.
Ansonsten: Schluss mit Bücherverbrennungen! Und möge bitte niemand den Feuilletonisten aufsitzen und weiter verbreiten, dass Arno Schmidt ein (vielleicht auch noch unzugänglicher) "Großer des Geistes" ist. Das überlassen wir doch bitte den kleineren Geistern wie Drews und Reemtsma, die geglaubt haben, Schmidt zum Großgeist erwählen und damit unschädlich machen zu müssen. Arno Schmidt ist, wie die von ihm verehrten Karl May und James Fenimore Cooper, von Jean Paul ganz zu schweigen, ein Volksschriftsteller im besten Sinn. Dass ihn die Bildungsbürger ins Feuilleton entführt und für sich vereinnahmt haben, um ihn dem Volk ungenießbar zu machen, dafür kann er nun wirklich nichts.
Ich wette mit jedem, dass Arno Schmidt durchaus vom interessierten Leser ohne Abitur oder Hochschulabschluss mit großem Vergnügen gelesen werden kann - man muss nur die Klappentexte der germanistisch blödstudierten Lektoren entfernen.


jean stubenzweig   (18.07.08, 01:56)   (link)  
Volksschriftsteller?
Dreimal Ja! Mit einer Einschränkung. Ich unterstelle Jörg Drews und Jan Philipp Reemtsma nicht, aus Arno Schmidt einen Feuilleton-Schriftsteller gemacht haben zu wollen. Zumindest von Drews — der ohnehin selten in den Rezensentenspalten auftauchte — weiß ich, daß er ihn schlicht für einen großen Autor hielt und das gewürdigt wissen wollte. Von Drews weiß ich's, und von Reemtsma nehme ich es an.

Und, ach ja, Volksschriftsteller, Volkstheater. Die alten großen Griechen, Aristophanes beispielsweise. Das ist nicht nur Weisheit auf der Bühne, sondern er liest sich auch höchst amusant. Molière! Brecht (der ja auch verklappentextet wurde). Und. Und. Und. Ruth Drexel, die von mir überaus geschätzte niederbayrische Jean d'Arc des Volkstheaters (Hans Brenner nicht zu vergessen), hat mir mal laut geflüstert:

«Sicher hat der Shakespeare eine ganz große Tradition aus dem Volkstheater in sich aufgenommen. Ich würde doch nicht so weit gehen, zu fragen: Was ist eigentlich nicht Volkstheater? Sie können sicher einige Gründe beiführen, zu sagen, der Woyzeck ist für mich ein Volksstück. Es spielt im Volk, also nicht in der herrschenden Schicht, und es hat also von daher die Nähe zum Zuschauer, da sind die kleinen Leute drin, da dampft es, da dampfen die Leiber ...»

Also lediglich Deiner Empfehlung folgen und einfach die Klappentexte entfernen.















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