Auf kleinem Fuß Wir kennen sie ja, die kleine Stadt, so öd und leer. Im Sommer jedenfalls, wenn alle Studenten mit Maman et Papa in der Campagne sind, um dort wenigstens für eine Weile wieder mindestens zweimal täglich kostenlos verköstigt zu werden. Oder die anderen, die weit unten im südlichen Spanien oder dessen îles Canaries sich die Unterstützung für notleidende Hautärzte einbrennen lassen. Die französische Nationalbadewanne ist für den gemeinen Franzosen viel zu teuer, und außerdem ist die Gefahr zu groß, denjenigen zu begegnen, denen man das ganze Jahr über begegnet und bei denen man möglicherweise gar Schulden hat. Ein paar benachbarte Schweizer kaufen, wie immer, günstig ein. Oben auf der Festung der übliche Touristenrummel, ansonsten geht's schon sehr gemächlich zu in dieser sommerlichen Nieseligkeit. Le Diga-Diga-Doo trauere ich immer noch nach, auch nach so vielen Jahren. Da sind einfach diese Augen, die in meinen Ganglien herumgeistern. Aber Le Comptoir ist besetzt. Auch hier reduziert, denn die jungen Damen vom gegenüberliegenden Lycée halten's nicht anders als die anderen. Es ist nunmal die heilige Zeit, heure d'été, in der man sogar sehen muß, wo man was zu essen herbekommt, man für ein gutes Baguette mühsam weite Wege gehen muß, da jeder zweite Bäcker das Schild an die Tür hängt: Bonnes vavances ! Der Patron schaut mich an, bekommt einen fragenden Blick, intensiviert die Suche in sich nach mir, nickt dann leicht und mit sich zufrieden, schiebt lächelnd Femmouzes T in die Musiklade und einen 51er Pastis über den Tresen. Wunderbar. Das ist Erholung. Restauration meines heiß- und wundgelaufenen Gestells, das nicht nur das Fremdenführerprogramm bis hinauf zur Citadelle und in ihr herum zu absolvieren hatte, sondern auch noch das fürs Städtchen Obligatorische: die Einkaufsmeile zweimal abschreiten, ein paar Seitengäßchen mit niedlichen Lädchen noch dazu. Wie überall in diesem Land ein Paradies für Kleinfüßige mit gewissen geschmacklichen Vorstellungen: Endlich Schuhe ohne Ende, vor allem in Formaten, die es zuhause da oben bei den Angeln und eingewanderten Slawen einfach nicht gibt, weil die allesamt ab Schuhgröße 38 aufwärts aus dem Bauch heraus in die weite Welt hineinwandern. Hier darf Frau noch Frau sein, auf kleinem Fuß lebend wird sie hofiert. Die Auswahl ist größer als die des Käses und der Früchte in der schönen alte Markthalle an der place de la Revolution. Selbst so weit nördlich in diesem Land zieht sich niemand verächtlich schnaubend und anschließend wortlos hinter seine Kasse zurück, fragt man nur nach Größe 35, 36 ginge auch. Und selbst wenn eine Büddenwarderin das fünfunddreißigste oder sechsunddreißigste Paar ausprobiert hat, lächelt die junge Frau nicht etwa gequält oder gar aufgesetzt wie in der Lübecker König- oder der Hamburger Mönckebergstraße. Sie geht gelöst freundlich sogar noch in den historisch bedeutsamen tiefen dritten Keller und schaut nach, ob da nicht doch noch ein anderes seltenes Schuhgewächs seit hunderten an Jahren unentdeckt darauf wartet, jemanden glücklich zu machen. Sogar eine Barbarin. Die sitzt freudestrahlend neben mir, streicht sanft immer wieder über ihre drei Paar Neuerwerbungen und bestellt mir zuliebe und zu Ehren sogar eins von diesen gelblich-grünlichen Teufelselexieren. Na ja, sie weiß ja, daß bei mir nichts verkommt. Eben auch sie nicht. Irgendwas von umziehen grummelt sie unter konstanten sanften Streicheleien (des frisch erworbenen Leders). Dafür würde sie sogar in Kauf nehmen, daß es hier so gut wie keine Bratwurst — bloß nicht dieses provençalische Gekröse! — und schrecklich viele Fische und Frösche gäbe. Wenn der Kleine mit seinem Meter neunzig richtig groß ist und richtig alleine zur Arbeit fahren und die Wäsche selber waschen und sich auch was kochen kann, meinst du, brabble ich schicksalsergeben in mich hinein kommentierend. Dann darf ich also in etwa zwanzig Jahren wieder nach Hause. Nun bekommt meine Kopflederhaut die Streicheleinheit, begleitet von einem milden Lächeln. «Sei doch nicht eifersüchtig. Der wird schon. Ich roll Dich dann auch persönlich hin. Im Rollstuhl.» Garçon ! La même chose encore, s'il vous plaît.
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