Ahnungsvolle Lehren

Erzählt mir ein Mensch, seine Familie sei von jeher an diesem einen Ort angesiedelt, werde ich hellhörig. Das mag mit dem kulturell bedingten Wandertrieb meiner Familie zusammenhängen, der mich von klein an und mein Lebtag lang immer irgendwie unterwegs sein ließ und mich bei solchen Äußerungen immer mißtrauisch werden läßt. Etwa bei der Büddenwarderin, die mir ständig was von den sechshundert Jahren erzählte, die ihre elterliche Schmiede in ein und demselben Dorf nahe der Ostsee ansässig sei. Dieses Pochen aufs Germanische und damit Berufen aufs väterliche Beharren machte mich dann doch irgendwie arg stutzig, zumal ich Schmieds Töchterlein hin und wieder (intensiver als sonst) anschaute und sie fragend darauf aufmerksam machte: Sieht so eine Germanin aus? Germanistin ginge ja noch durch, dazu darf man auch kleiner gewachsen sein und dunkle Augen zwischen hohen Jochbeinen haben. Daß die Studiererei längst ergeben hatte, sie sei vermutlich eine mehr oder minder rassereine, vor vielen Jahren mit über das Land hergefallene Ahnin wendischer Marketenderinnen, verkniff ich mir anfänglich um des lieben Friedens in der Liebe willen. Bis ich eines Tages nach der x-ten Wiederholung dieser väterlichen Indoktrination das Wasser des Wissens nicht mehr halten konnte und ihr auf einer Völkerwanderungskarte zeigte, wo sie aller Wahrscheinlichkeit vor dem sechsten Jahrhundert losgelaufen ist damals, als sie noch Ost-Slawin und okkupatorisch unterwegs war in Richtung der Angeln Land, um hier ein bißchen zu rauben und dort ein wenig brandzuschatzen. Nicht dies entsetzte sie, sondern vielmehr die Vorstellung, das könnte an das Ohr ihres gestreng auf germanische Herkunft bedachten Vaters dringen. Erzähl dem das bloß nicht! Doch nicht etwa, weil ihn das umbringen könnte ob des dann zerstörten Glaubens. Sondern weil er mich umbringen würde. Mich Ketzer sozusagen.

Er hat mich nicht nur am Leben gelassen. Sondern er hatte längst selber ein wenig über seine Herkunft studiert, seine Kenntnisse allerdings für sich behalten. Aus welchen Grund auch immer. Vielleicht, um den Mythos vom Germanischen nicht zu zerstören, den sich alle Norddeutschen mühsam aufgebaut haben wie die Bayern, die sich ebenso ahnenvoll für unverwundbar bairisch halten. Ich rannte also nicht nur eine weit geöffnete Tür ein, sondern er verwies gar auf eine hunnische Abstammung. Was ich dann doch für ein klein wenig kokett hielt. Wenngleich eine noch weiter (süd-)östlich gelegene Wurzel mir gar nicht so weit hergeholt vorkam. Denn ich erinnerte ich mich an eine alte Photographie, die den väterlichen Großvater von Schmieds Töchterlein zeigte. Mein lange zurückliegender Ausruf war in Vergessenheit geraten, aber nach soviel Offenheit dann doch wieder in die Erinnerung gespült worden: Ihr kommt ja aus Armenien! Denn der Opa war dem Vater von Charles Aznavour wie aus dem Gesicht geschnitten. Und der hieß noch Aznavurijan.

Aber zumindest waren unverbrüchliche Gemeinsamkeiten hergestellt. Sie wie ich väterlicherseits ganz weit im Osten verwurzelt. Einander kennengelernt vor vielen Jahren im anglischen Land. Lange Zeit danach wiedergetroffen in der neuen Heimat der Armenier.* Und nun lebend in Schleswig und Holstein, den Ländern vieler unechter Germanen. Na ja, ein paar reinrassige, wild mit ihrem Stammbaum rumfuchtelnde Wikinger gibt's schon auch hier. Auf deren Spuren waren wir kürzlich: in Haithabu. Und das hat Spuren hinterlassen. Bei mir zumindest.

Aber davon ein andermal. Denn ich muß mich erstmal erholen.

* Die Armenischstämmigen machen einen Großteil der aus anderen Ländern stammenden französischen Bevölkerung aus (viele davon leben in Marseille). Das hängt mit der Vertreibung und dem Genozid der Armenier durch die Türken zusammen. Neben Charles Aznavour ein paar weitere Namen bekannterer Auswanderer: Jouri Djorkaeff (Fußballer) Alain Proust (Autorennfahrer), Stéphane Kelian (Schuh-Fabrikant), des weiteren: Arshile Gorky (Künstler), William Saroyan (Schriftsteller), Aram Khachaturian (Komponist), Cherylin Sarkissian (Musik: Cher — Sonny and Cher) Kirk Kerkorian, (US-Investor), Artem Mikoyan, (Konstrukteur der russischen MIG).
 
Do, 28.08.2008 |  link | (1464) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Inneres















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5807 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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