Der Mund der Rhône

Das Grau der Silos

Albóndigas waren mein Begehr, zumindest sowas ähnliches (nach Rezept kochen heißt, der Kreativität eine Capote anglaise überzuziehen). Und bloß — wie so oft unwissend empfohlen — kein Schwein! Albóndigas sind ursprünglich arabisch (al-Bundiqa). Viel Knoblauch in die einstmals glückliche Kuh, auch anderes Gewächs aus fröhlich grünen Gärten, abgelöscht (die Urschrift der sicherlich nicht ganz so vermögenden bisbuela, der Urgroßmutter aus der Mauren Land, etwas arg verfremdend) mit einem gut siebzehnprozentigen und vierundzwanzigjährigen Vin Doux Naturel (zu dem auch der gestern erwähnte Banyuls gehört) der Vignerons de Maury aus dem Roussillon und aufgefüllt mit einem kräftigen Roten aus der Region (Wasser — und mag es noch so hochgelobt aus kriminaltechnisch rundumdieuhrüberwachten Quellen stammen —, mit so etwas werde ich Saucen nie verunstalten.) Dazu Reis einer Provenienz, die weit, sehr weit abgelegen ist vom Urland gewinnmaximierend genetischer Fortpflanzung. Aus derselben Ecke das Salz, das zuhause am Meer blumig als DeliusBlüte bezeichnet wird.

Eine filmische Reportage über Arles, über Martigue, über die Camargue gab's da mal. Welch Landschaft! Tagsüber weidet man als durchschnittlicher TV-Hornochse das frische Gras. Und setzt sich dann abends gemütlich ins Städtchen zu den anderen vor der gelb leuchtenden Fassade und guckt mal, ob es die von Daudet, Mistral oder Pagnol besungene schöne Arlesierin vielleicht doch gibt, von der der andere, Joseph Roth nämlich, behauptet, sie sei eher herb, langnasig, schmalmündig, römisch-provençalisch. Provençalisch. Was denn anderes? möchte man den k.u.k-Korrespondenten fragen. Nach ihrer römisch-provençalischen Gestalt und nicht nach einer Laura aus Avignon schaut man ja da unten, und ob sie zufällig irgendwo in der Nähe weilt oder gar nach einem persönlich Ausschau hält.

Nun denn, natürlich, Fréderic Mistral, der Dichter der provençalischen Heimat. Van Gogh (den sie gar nicht mochten in Arles, als er seine Gemälde noch nicht für neunzig Millionen Dollar an Japaner verkaufte). Die vielen Pferdchen, die Stiere, die unwilligen weißen und die wilden schwarzen, die dort auch ohne Tierschützer nicht final ersäbelt (erdegt?) werden (absolut lesenswert dazu das Funk-Feuilleton Das Fest der Gardians von Sigrid Brinkmann im DeutschlandRadio). Selbst-verständlich diese ganze provençalische Schuhplattlerei für Touristen, die als Tradition bezeichnet wird in den vielen und sehr bunten Faltblättchen oder Webseitchen der Offices des Tourisme. Der Mund der Rhône, das Salz des Meeres, Etang de Vaccarès, les Tsiganes oder Gitanes, nein, ist ja politisch unkorrekt (obwohl sie sich überwiegend selbst so nennen), also die tagelang dauerguitarre- und cimbalspielenden, singenden und betenden gens du voyage in Sainte Marie de la Mer. Dann: Aigues-morte ...

Genau: Aigues-morte — die schöne alte Stadt, romanisch, römisch eben, wie überall im Süden des Landes. Das wird gezeigt. Romantisch empfinden, auch wenn das eine mit dem anderen eher weniger zu tun hat. Und das andere, nicht ganz so romanesk-pittoreske Aigues-morte, wen interessiert das schon?! Mit jahrhundertealter Kultur, mit der schönheitserhaltenen Restummantelung eines hohlen Zahns werden sie gelockt, da sollen sie alle hin, um die europäische Einheitswährung abzuliefern. Was ist aber, wenn sie mit dem Auto kommen, nicht über Paris und Clermont-Ferrand oder via Limoges–Toulouse, sondern über Lyon gefahren sind oder gar aus der Schweiz kommend via Grenoble und Valence die Autoroute du sud genommen und die Abfahrt bei Avignon oder die vorletzte Möglichkeit bei Cavaillon oder die wirklich allerletzte Kurve bei Salon-de-Provence verpaßt haben und so die letztendliche Biege vor Marseille in der Le Pen-Bastion Mariagne nehmen müssen? Also in Richtung Westen via Arles und sich dort auch noch verfahren oder vielleicht noch ein bißchen Zigeuner gucken wollen? Wo's schon losgeht mit den lieblichen Urlaubsarchitekturen, etwa im mittelalterlichen Fos-sur-Mer (wo man schon weit hinaufsteigen muß in die ältere Baugeschichte, um die Zone Industrielle zu entdecken). Möglicherweise wieder hinunter auf der D 570 und dann eben durch diese Touristenstädte mit ihren zwanzig Stockwerke hohen Silos: Le Grau du Roi, La Grande Motte, Port Camargue oder wie sie sonst noch alle heißen.

Das will aber keiner sehen, sagt die Fernseh-Redaktion zur freien Filmemacherin, nennen wir sie Lisa Hobel-Ulbricht. Und sie muß den Befehl wohl sogleich an die Suchmaschinen übermittelt haben, denn auch dort wird man kaum fündig, die Sucherei will schier kein Ende nehmen (unsereins unterläßt auf Reisen ja die Produktion von noch 'nem Bild). Nichts als Schönheit, fast traumwandlerisch leere Strände, nur ein paar wenige Menschen. Wie im Fernsehen eben.

Hinter dem stillen Sand von Narbonne-Plage liegt es, das Pflaster, auf dem man sich so träumerisch-idyllisch bewegen kann. Es photographiert sie also tatsächlich jemand, diese architektonischen und städtebaulichen Anschläge im Namen des mehrwerterzeugenden Tourismus' — in denen die Freunde des südfranzösischen Meeres dann tatsächlich «leben», drei Wochen lang, jeden Morgen für acht Stunden an den Strand trabend, ein paar hundert Meter nur durchs autogerecht versiegelte Gelände. Niemand von diesen ‹Urlaubern›, die dorthinfahren, kaum jemand hat dieses Elend in unmittelbarer Nähe von Martigues oder Aigues-morte abgelichtet (zumindest nicht ins Netz gestellt). Das wollen sie nicht sehen. Da mußten ein paar die Kamera in die Hand nehmen, die offenen Auges durch die (Urlaubs-)Welt gehen. Und nach dem Sonnenbraten ‹flanieren› sie dann beispielsweise in Gruissan: «Ein altes Fischerdörfchen, gelegen zwischen dem Meer und einer Lagunenlandschaft, umgeben von der ‹Garrigue› (eine Heideart), am Fuße des ‹Massif de la Clape›. Es ist ein Ort, der seine Traditionen des Landes Occitane beibehalten hat. Die Erde der Fischer und Weinbauern, die mit ihrer Freundlichkeit wissen, wie Touristen unter der Sonne des ‹Midi› mit Wärme, Geselligkeit und Herzlichkeit empfangen werden.» (Der Ferienort Gruissan) Hier wird sie sichtbar, die Erde der Fischer und Weinbauern, die Geselligkeit.

Errichtet und eingerichtet wurde das alles seit den siebziger Jahren, um die Urlauber davon abzuhalten, nach Spanien, an die Costa Brava oder die Costa del Sol, nach Torre de Mar oder Marbella weiterzubrettern. Es scheint gelungen, zumindest was die Architektur betrifft. Aber auch dieses andere schöne Stück Baukunst von Martigues hat die öffentlich-rechtliche Fernsehdame in ihrem feinen Filmchen zu zeigen vergessen, la Mairie de Martigues (die zuvor hier verlinkte sehr viel ausdruckstärkere Photographie wurde leider gelöscht).

Vorschlag: Beispielsweise nach Perpignan reisen, sich einfach ein wenig im Altstädtischen dieser zauberhaft wusseligen, bereits oder immer noch sehr katalanischen Stadt tummeln. Die Vignerons de Maury mit ihrem Stand sind leider nicht (mehr) da, haben sie doch gerade mächtig zu tun mit dem Nachschub. Und alles ganz ohne sandige Plage in Saint Cyprien oder sonstwo. Und wenn es regnen sollte, was auch dieser Landschaft wohltut, einfach ein bißchen sozusagen submarin spazieren oder im Hotel bleiben und sich den Film La Têt von Cyril Tricot anschauen. Denn auf dem Bildschirm ist die Natur ja doch am unberührtesten. Das wird im Fernsehen immer wieder nachgewiesen.

Der Beitrag war hier Anfang Juni bereits einmal veröffentlicht, als Kritik an einem Film über die hiesige Gegend, die ich aus dem flirrenden Licht deutsch-französisch-freundschaftlicher Fernsehfremdenverkehrswerbung in die korrekte Beleuchtung gerückt hatte. An der Situation hat sich in situ nichts geändert. Deshalb habe ich ihn überarbeitet und stelle ihn nun neu ein. Auch, um beim Thema und in der Route zu bleiben. Und die zu bedienen, die später eingeschaltet haben.
 
Di, 23.09.2008 |  link | (7426) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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