Verlorene Seelen Mit einiger Verwunderung stelle ich fest, wie groß das Interesse an Frankreich hierzulande (entgegen meinen Erfahrungen) dann doch ist. Damit meine ich jetzt nicht unbedingt der Deutschen (und die unter ihr leidenden?) leitenden Dame, die öfter in der königlichen Prachtnähe des Pompadour-Palais' de l'Élysée zu sehen ist als im Berliner Führerbunker; ihr sind die höfisch an sie hingehauchten Handküsse des dortigen Ersten Ungarn unter der Tricolore, dessen Ich küsse Ihre Hand, Madame, ich wollt, es wär' Ihr Mund samt weiterem (angedeuteten!) Austausch von Körperflüssigkeiten sichtlich angenehmer als die militärischen Knickser- und Dienereien unter der britischen Glasglocke des Kaiserreichs. Mir schwebt eher die Literatur vor. Aber auch dabei weniger ein Albert Camus, von dessen Existentialismus offensichtlich sogar das deutsche curriculare System nicht loskommt. Auch nicht, was verständlich wäre angesichts der aktuellen filmischen neueren Geschichtsschreibung, ein RAF-Sympathisant wie Jean-Paul Sartre. Aber wer kennt den überhaupt noch? Und mit dem Niedergang des Feminismus sind in den Bahnhofsbuchhandlung auch die Stapel mit den Büchern von dessen Muse Simone de Beauvoir merklich geschrumpft. Gemeint ist auch nicht das aktuelle Gerenne nach den (in deutscher Sprache kaum vorhandenen und deshalb Druckereinachtschichten fördernden) Produkten eines skandinavischen Preisträgers, der selten zuhause, aber eben Eigentümer eines französischen Passeport ist. Nein, es geht um einen Schriftsteller, den es bei mir hier wegen eines Software-Fehlers (?) von Blogger.de aus den Tiefen des Archivs nach oben gespült (sowie angenehme Begleiterscheinungen mitgebracht) hat und bei dem es die Zählautomatik oben aus dem G 5 rauszuhauen droht. Es ist, als hätte er bei der alljährlichen Literaturlotterie der Stockholmer Dynamit-Schmiede den Sechser plus Zusatzzahl gelandet. Hat's mit der Verruchtheits-Mär vom Sündenpfuhl und Zentrum des südfranzösischen Verbrechens zu tun, das nicht unterzukriegen ist, obwohl es dort seit Jahrzehnten nicht mehr kriminelle Aktivitäten gibt als in jeder anderen vergleichbaren Stadt? Mit ziemlichem Amusement erinnere ich mich an die weitaufgerissenen Augen des Direktors eines großen deutschen Kunstmuseums, mit denen er mir von seinem Erlebnis berichtete, das ihm seine seit den fünfziger Jahren tief in der deutschen Fürchteseele verwurzelten (Vor-)Urteile bestätigte: Da hätten sich doch, in unmittelbarer Nähe zum Vieux Port rund dreißig, es mögen auch vierzig gewesen sein, Männer zu Boden geworfen. Er habe nur noch auf die Maschinengewehrsalven gewartet. Doch dann, welche Enttäuschung, die Touristentruppe aus Arabien hätte dann doch nur in Richtung Heimat darniederliegend gebetet. Man hat doch gar keine Zeit mehr dafür. Wie in Hamburg oder Rotterdam kommen die Container in Europas drittgrößtem Hafen angezischt, werden in elektronischer Kraneseile be- und entladen, und ab geht's in einen chinesischen, um neuen Plastikmüll zu holen, auf daß er in Europa umverteilt werde. Hafen? Romantik? Es ist wie allüberall in diesen großen Hafenstädten. Vielleicht nicht so arg wie an den Landungsbrücken der deutschen Schwesterstadt, wo der Bratfisch aus dessen anderer, fernöstlichen zu kommen scheint, genauer: aus der Kunststoffproduktion von Shanghai und weiterer Umgebung. Denn das, was in unmittelbarer Nähe des überwiegend fremdenverkehrsgenutzten Alten Hafens eingenommen wird, ist dann doch bei weitem nicht so magenstrapaziös wie an seinem Hamburger Pendant. Aber ich vermute ohnehin, daß es den meisten Lesern der Krimis von Jean-Claude Izzo gar nicht um menschliche Leichen geht, sondern um getötetes Getier und die es begleitenden Fruchtsäfte. Und weil sie die miserablen Reiseführer satt haben, deren Autoren allesamt daselbe voneinander und damit den einschlägigen Touristenprospekten abschreiben, was die Aussagekraft nicht unbedingt steigert. Denn wer die Krimis von Izzo liest, erfährt pro Buch mehr über diese Stadt kurz vor Afrika als in jedem noch so hochgepriesenen Nachschlagewerk oder Reportagefilm(chen). À propos: Die Verfilmungen von Izzos Polars sind allesamt derartig niederschmetternd, daß man es tunlichst unterlassen sollte, seine Zeit mit den Klischees zu verschwenden, die da herausgearbeitet wurden, nicht zuletzt wegen des eher rechts und rassistisch denkenden Alain Delon in der Rolle des links fühlenden und immer menschenfreundlich agierenden Fabio Monatale. Interessanter- oder auch logischerweise hat eines der Bücher von Jean-Claude Izzo, die mich tatsächlich ergriffen haben und deren Qualität ich schon literarisch höher bewerte als die Krimis, auch eine um Längen bessere filmische Umsetzung erfahren: Les marins perdu, als Buch in deutsch erschienen unter dem Titel Aldebaran. Da ist etwas Seltenes geschehen: ein Film, der durchaus an die Nähe seiner literarischen Vorlage herankommt, und das, obwohl der Autor nicht mitgerabeitet hat, nicht mitarbeiten konnte, da er zur Erstaufführung des Films auf dem Festival von Locarno bereits drei Jahre tot war. Hier zeigt sich sehr viel ausgeprägter noch als in Total Cheops, Chourmo oder Solea der Izzo, der mit den Verlorenen Seelen leidet. Wenn jetzt also der Blogger.de-Weichwaren-Stolperer auch noch mit dazu beitragen könnte, daß der eine oder die andere auch mal nach dem stillen Izzo greift oder ihn sich, durchaus gerne, ansieht, dann würde das meine Verwunderung sozusagen noch ein bißchen glücklicher machen (daß er auch noch Gedichte geschrieben hat, gehört ja nun wirklich nicht hierher).
Nur ganz kurz: Bisher ist sie, wie erwähnt, ein Volltreffer, die Trilogie. Und wenn Sie schreiben: "... wer die Krimis von Izzo liest, erfährt pro Buch mehr über diese Stadt kurz vor Afrika als in jedem noch so hochgepriesenen Nachschlagewerk oder Reportagefilm(chen)", dann beantworten Sie damit bereits eine Frage, die sich mir z.B. auch schon bei Camilleri und Sizilien gestellt hat. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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