Erinnerungsgewerk «An Geschichte», lese ich in den Kommentaren zu Käthe Feinstricks feinfühligen Erinnerungen, «bin ich nicht so sehr interessiert, aber an den Geschichten, und so hab ich viel mit den Leuten geredet, wie sie diese Zeit und die Wende erlebt haben. Diese ganz persönlichen Geschichten erzählten mir weit mehr als sämtliche Geschichtsbücher das konnten.» Da ist es wieder, wozu der Historiker Wolfgang Ruppert, als er noch mehr dem alltäglichen Alltag und weniger den Künstlern oder der Gestaltungsgeschichte auf der Spur war, 1980 aufgefordert hat mit seiner Ausstellung Lebensgeschichten am Nürnberger Centrum Industriekultur, die später in das Buch Erinnerungsarbeit mündeten, ein Begriff, der heute sozusagen zur Alltagssprache gehört: In Kellern oder auf Speichern nämlich lagern Spuren: Photographien oder Briefe. An ihnen läßt sich, bei entsprechender Aufmerksamkeit, die Geschichte der eigenen Familie rekonstruieren. Verknüpft mit den Biographien von Nachbarn kann man «demokratische Identität» herstellen. Die Keller oder Speicher dürften leergeräumt sein, die meisten Erinnerungsstücke tauchen, wenn überhaupt, bezugsentwertet auf Flohmärkten auf und schlagen dort nostalgische, allenfalls erheiternde Purzelbäumchen. Nostalgie, hierzu hat Ruppert seinerzeit eine einprägsame Formel geschaffen: Verklärung der Erinnerung. Mir fallen dazu die vielen wunderschönen sogenannten Mittelaltermärkte ein, auf die kein Städtchen mehr verzichten mag, das noch irgendwo ein bißchen herausgeputztes, meist entkerntes Fachgewerk herumstehen hat, und in denen es immer so schön bunt zugeht, obwohl das Volk damals in grauem Sack zu gehen hatte und die Zentren eine einzige Kloake waren. Die historische Auseinandersetzung mit der «Aufbruchsepoche des Mittelalters», so Ruppert in den Achtzigern, würde mit Klischeebegriffen wie «kulturelles Erbe» aufräumen. Aber das scheint nicht mehr das Problem. Es macht sich eben fröhlicher, bei fließend warmem und kaltem Wasser ein bißchen an der Geschichte herumzuklöppeln. Dabei muß der Faden nur weitergesponnen werden, und aus den Geschichten wird die Geschichte, an der «sie nicht so sehr interessiert» ist ... Auffallend ist, daß zur Zeit im Zusammenhang mit der «DDR» soviel Geschichten wiederholt erzählt werden, auf allen Kanälen, auch immer wieder in Blogs. Dabei ist doch noch nichtmal Jubiläum zum Tag des hochgegangenen Schlagbaums. Woran liegt's, daß der Erinnerungsgeschichtenkarren so vollgeladen wird? Befürchtet manch einer, die eigene Geschichte könnte untergehen im großen Haufen, wenn die Kiste nächstes Jahr zusammenbricht ob der Last der Rückblicke auf zwei Jahrzehnte Grenzöffnung (und 2009 dann auf die Eröffnung der blühenden Landschaften)? Ich sehe schon, auch ich werde ranmüssen mit meinen Geschichtchen zur Geschichte. Schließlich habe ich zehn Jahre (Grenz-)Verkehr gehabt mit den stramm Uniformierten, häufig unterwegs in Richtung Saßnitz auf Rügen, um nach Skandinavien zu entfliehen, meistens jedoch zwischen Dreilinden und Helmstedt und wieder zurück, weil's trotz der vernünftigerweise strikten Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen am schnellsten ging, eine Zeitlang so häufig, daß ich das eine ums andere Mal geradezu durchgewunken wurde von den DDR-Grenzern, manchmal gar von einem leichten Lächeln begleitet. Wobei das vermutlich weniger meiner grenzüberschreitenden Zuverlässigkeit galt als vielmehr meiner jungen hübschen blondäugigen Ehefrau (dieser Dame zum Verlieben nicht unähnlich). Vermutlich habe ich sie alleine deshalb geheiratet, weil sie mir so über meinen Mauerkoller hinweghalf. Damals fuhr man eben mit dem Auto, weil man gerne autofuhr, es dann hinter Marienborn endlich krachen lassen konnte. Der Liter Benzin kostete nach Abebben der Achtundsechziger an der freien Tankstelle irgendwo im Wedding 49 Pfennige. Daran erinnere mich genau, weil nämlich die Flugpartie nach Langenhagen und wieder zurück nach Tempelhof, wo man vom französischen Flieger aus den Anwohnern in den Suppentof gucken konnte, 49 Mark kostete, oftmals für zwischendrin auf die Schnelle gebucht bei der Lufthansa unterm Romanischen Café im Europacenter. Das war 1969, als meine hübsche blondäugige Ehefrau wieder zu ihren Eltern gezogen war. Sie wollte nicht mehr ständig vor einer Mauer stehen.
apostasia (12.10.10, 18:18) (link) Darauf gestoßen –
nach kürzlicher Durchfahrt: Es gibt sie, die blühenden Landschaften. Aber vermutlich sind es andere Bilder, die unser Kanzler des Friedens und der Vereinigung vor Augen hatte. Profitiert haben dürfte ausnahmlos die Natur. Allerdings blühte die noch herrlicher, gäbe es den Fremdenverkehr nicht. Denn der treibt schon wieder komische Blüten.Das ist keine Antwort!
Und so wie's aussieht, hält das Heute noch eine Weile an. Die Zeichnung stammt aus dem spitzen Stift von Harry Mink. Sie zierte das Laubacher Feuilleton 15. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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