Heimatliches Fachgewerk

Jochen Hoff meinte zum Thema Nationalität(en) im allgemeinen, darin zum Nestbau im besonderen:

«Was macht eigentlich ein Deutscher, der in Deutschland Heimat finden möchte? Meinetwegen sogar in Fachwerkbiederkeit. Nein, Fachwerk war nie bieder. Es ist der kleine Schmuck, dieses winzige Aufbegehren, das uns sagt, daß sie nicht bieder waren. Aber ist Fachwerk Heimat? Gibt es Heimat? In Deutschland?»

Heimat — als Synonym für ein Zuhause — was spricht dagegen? Nichts. Die eine oder andere Biographie gibt dem Begriff allerdings eine unterschiedliche, individuelle Les- beziehungsweise Sprechart. Die meine artikuliert sich dabei über einen Deutschen. Sicher bin ich nicht, aber ich meine, es war Christian Morgenstern, der notierte: «Heimat ist überall dort, wo man Freunde findet.» Dabei ist es also nicht weiter von Belang, ob das ein Dörfchen irgendwo im Sauer- oder Feuerland, ein Stetl bei Swerdlowsk (für die etwas später Geborenen: Jekaterinburg) oder ein Städtchen wie Kiel, La Paz, Paris, Papeete, Rovaniemi oder Wellington ist. Nach dieser Definition gibt es auch in Deutschland Heimat. Manche sollen sogar Kleinbloggersdorf dafür halten.

Mit dem Lied der Deutschen meinte Hoffmann von Fallersleben («Aber es kostet fünf Louisdor!») die Abschaffung der damaligen Kleinstaaterei. Ausreichend belegt sein dürfte, daß er damit nicht ein Großdeutsches Reich meinte, dessen Propagandisten sein prädemokratisches «Deutschland, Deutschland über alles» in ein faschistisches Kriegsgeheul überführten — und ein paar geistige Tiefflieger daraus noch heute eine ballkampfsportartige Schlachtenstrophe («Heute Polen und morgen ...») oder «Du bist Deutschland» machen.

Doch zum obigen Kritikpunkt: Fachwerk ist zunächst einmal nichts anderes als Fachwerk: eine frühere bauhandwerkliche Erforderlichkeit. Zwar haben bereits die Römer mit Beton gebaut, aber die Zivilisation ist an vielen Orten ja nie angekommen, oder auch: Wenn ein Reiter von weither sie ankündigte, sah man ihn als den der Apokalypse und zog ganz schnell die Städtchentorzugbrücke hoch.

Nun, gegen Fachgewerk ist wahrlich nichts einzuwenden. Wogegen sich alles in mir sträubt, ist Fachwerk als historisierendes «Stil»-Mittel, dieses Herausputzen einer Puppenstube, etwa wie lüneburgisches mittelalterliches Häkeln oder Klöppeln in bunten Kleidchen bei Zentralheizung oder Heizpilz und fließend Wasser, aber nicht etwa wie zu dieser Zeit als durchs Städtchen rauschende Kloake. Fachwerk wird meist so verstanden, wie man Romantik versteht: Die Gläser mit dem australischen Rotwein aus 07 auf dem Gesims des russengasbetriebenen Kamins, dazu leise Barockmusik aus dem KlassikRadio, er hat sich sein bestes Seidenhalstuch von Otto Fabricantum oder das hundertprozentig Polypropylenische von Clamotten & August umgeknotet, fällt vor ihr auf die Knie und und säuselt ihr einen Antrag auf Hochzeit unter der Rialto-Brücke in Las Venice ins Ohr, die elektrisch rollende Kutsche ganz in weiß und mit einem Knopf in jedem Ohr oder so ähnlich.

So, wie Fachwerk heutzutage präsentiert wird, dient es — nicht immer, aber überwiegend — der sinnfreien Behübschung des tristen Da-Seins in den Städtchens oder Dörfchens, für Touristen oder des eigenen, meinethalben: Heimatseelchens willen. Ich empfinde die Plastiktütenträgermassen, die beispielsweise im elsässischen Colmar stündlich von Bussen ausgespuckt werden, zum spucken. Das Ornament fällt mir parallel dazu noch ein: Es hat als Bedeutungs- und somit Kommunikationsträger seit Ewigkeiten schon ausgedient, kann von niemandem mehr gelesen werden. Aber es wird immer öfter eingesetzt. Man muß sich diese Häuser mal anschauen. Nicht nur in Deutschland! Aber am liebsten dort. Und in der Alsace eben. Aber hinfahren tun die Deutschen. Was wunder! Rothenburg und Heidelberg und wie sie alle heißen sind ja von den Amis und den Japanern und wie sie alle heißen belagert. Wie zu Zeiten, als die Horden im Böhmisch-Pfälzischen, Dänisch-Niedersächsischen, Schwedischen und Schwedisch-Französischen Krieg in die gerade frisch gebauten Fachwerkhäuser einfielen.

Wie's da drinnen aussieht, in den Dörfern, wie sie entstanden sind und so weiter, das weiß doch der Mensch nicht (mehr). Eigentlich interessiert es ihn auch nicht wirklich, weshalb er tatsächlich heimatlos ist. Seine (Dorf-)Mitte hat er ohnehin längst verlassen, er hat Platz genommen: im Neubaugebiet am Ortsrand, keller- und somit haltlos, hat gebaut nach den Billigheimer-Kriterien der betonverblendenden Bauindustrie, die ein wenig Handwerk antäuscht. Deshalb dekoriert er sich zuhause auch ein bißchen Heimat zurecht. Sie könnte auch Gemütlichkeit heißen.
 
So, 15.06.2008 |  link | (3393) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5813 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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