DDR-Aufkauf

Als die DDR aufbrach, um sich im Westen güldene Bananen hinter die Scheibenwischer ihrer Trabanten klemmen zu lassen und im Anschluß daran die Zufahrten zu Neuschwanstein und anderen Sehenswürdigkeiten wie städtische Bahnhöfe oder Kaufhäuser et cetera zu blockieren, hatte man dort viel Platz für das eigene Statussymbol. Aber es fiel nicht weiter auf unter den vielen Edelkarossen vor dem Erfurter Bahnhof. Mir ist bis heute nicht klar (oder vielleicht habe ich auch nie darüber nachgedacht), weshalb dort so viele höherpreisige Autos geparkt waren. Meinte manch einer, er könnte sie dort leichter verkaufen? Was dann doch etwas verfrüht schien, war die Währungsunion doch noch nicht vollzogen. Oder waren es diejenigen, die angereist waren, um nach dem zu schauen, was man bald günstig erwerben konnte?

Nun, ich für meinen Teil war ja auch zum Zweck des Einkaufs gekommen. Ein Bekannter hatte mir gesagt: Rasch hinfahren, solange es noch DDR-Bücher gibt. Und tatsächlich hatte man bereits begonnen, selbige nach hinten ins Kämmerlein zu verlagern, während vorne im Verkaufsraum und vor allem in den Schaufenstern der bahnhofsnahen Buchhandlung überwiegend buntbebilderte BRD-Verlagsproduktionen präsentiert worden waren. Und es sollte ja auch nicht allzu lange dauern, bis «der ganze Schrott» tatsächlich auf der Müllhalde landete. Ein ganz vifer, wenn ich mich recht erinnere, kirchlicher Bewahrer des Guten hatte im Anschluß an die drohende Bücherverbrennung Lagerhäuser angemietet, wo man für billiges Geld jene Klassiker kaufen konnte, für die im goldenen Westen ein vielfaches bezahlt werden mußte. Drei, vier, möglicherweise gar fünf Stunden stöberte ich in den lieblos beiseitegeschobenen Stapeln und packte ein und packte ein. (Später sollte ich dann nicht mehr wissen, wohin damit. Aber Hauptsache erstmal: haben. Kulturgut retten. Ja, beispielsweise die zweisprachige Villon-Ausgabe aus der DDR ist zwar nicht so «schön» in seiner Holzigkeit, und auch der Druck erinnert mich bisweilen an Frankreich, aber die Übersetzung samt Kommentar ist um ein vielfaches besser als das, was bis heute im Kulturstaat BRD angeboten wird.)

Derweil die Freundin im Lädchen nebenan einer anderen Art von Konsumrausch verfallen war. Mit sich fast überschlagender Stimme war sie zwischendrin zu mir reingerannt gekommen, ein tiegelartiges Gebilde wie eine Siegestrophäe über dem Kopf schwenkend, irgendwas von Irrsinn krächzend, um dann wieder nach nebenan zu rasen. Einige Zeit später sollte ich dann erfahren, was sie da an Beute in dem mittelgroßen Karton herangeschleppt hatte: Für diese Abschminke made in the German Democratic Republic, produziert für das fahrende Volk europa- oder gar weltweit, müsse sie in Paris das Zehn- bis zwanzigfache hinlegen, wenn nicht mehr.

Eine Bratwurst haben wir dann auch noch genommen. Jeder eine. Dabei mochte ich schon damals keine dieser Brätereien. Aber in Bahnhofsnähe hatte ein schneller Händler einen Stand aufgeschlagen, um das global begehrte Bratgut anzubieten. Wir armen Wessis sollten doch wissen, wie eine gute Thüringer schmecke. Solange es sie noch gebe, meinte der Verkäufer verschmitzt. Ich bin mir nicht sicher, ob das Propheterie oder ein Witzchen war. Auf jeden Fall sollte er recht behalten. Wie auch immer, wir meinten, eine derart rasche Anpassung an das kapitalistische System sollte dann doch belohnt werden.

Zwar gab es gegenüber in der HO-Gaststätte auch Broiler, mit oder ohne Sättigungsbeilage. Aber den kannte ich ja bereits von meinen vielen Transitreisen. Einmal pro Strecke Aufenthalt in einer Raststätte war sozusagen Tradition und brachte der DDR Devisen, irgendwas um eine Mark fünfundneunzig West. Außerdem wußte ich zu diesem Zeitpunkt bereits, daß es in nächster Zeit noch viele Gelegenheiten geben würde, diese schmackhaften Hähnchen oder Hühnchen zu essen. In Bergen auf Rügen zum Beispiel.

Aber dazu später. Vielleicht.
 
Fr, 31.10.2008 |  link | (3018) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs


vert   (31.10.08, 06:05)   (link)  
aber holzig war's wirklich, das kann man auch wirklich nicht vergessen.
papier, dass einem beim darüber streichen die finger aufritzen konnte; quasi mit ganzen baumstämmen, die sogar buchstaben ins schleudern brachten...
meinen glückwunsch zum villon, der ja auch vom selbst ernannten kleinen bruder biermann famos besungen wurde


jean stubenzweig   (31.10.08, 06:25)   (link)  
Meine Güte!
Das ist ja wirklich großartig. Da steckt tatsächlich Villon drinnen.

Zwar mag auch ich gute, nicht nur gutgedruckte Bücher auf feinem Papier. Aber wenn nix drinnensteht, dann sind die der Holzweg. Dann lieber Wunden schaffen (da kenne ich mich aus) mittels Kunst.


vert   (31.10.08, 06:36)   (link)  
biermann war mal großartig, bis ihn der zonenkoller überkam und ihn zu einem arroganten, überheblichen fatzke und unversöhnlichem wüterich machte, deutscher als er jemals hatte sein wollen.
er scheint es nie überwunden zu haben, dass die ddr überwunden ist. wenigstens will er sie überwunden haben, drunter macht er's nicht mehr.


nnier   (31.10.08, 09:37)   (link)  
Also das Gedicht da, das finde ich auch ganz toll! Und zu Holzpapier und DDR-Aufkauf muss ich an die kleinen Vokabelhefte à 6 Pf. (?) denken, in die ich einen Teil meines Zwangsumtauschs mal investierte, und noch an vieles mehr, da schreib' ich bestimmt mal was zu.


vert   (03.11.08, 22:50)   (link)  
so empfehle ich den kauf der großartigen cd "chaussestraße 131", benannt nach der heimstatt des dichters, wo auch diese platte entstand, auf der die "autos und bahnen, [...] köter und kinder [...] musikanten sein" durften.
ein großes werk.
die straßenbahn, die man manchmal hört, quietscht heute noch um die ecke; vorbei am dorotheenstädtischen friedhof, auf dem weigel und brecht die gebeine ausruhen.


jean stubenzweig   (04.11.08, 02:36)   (link)  
Mit Biermann
hatte ich's eigentlich nie so. Überhaupt war ich entgegen dem allgemeinen Interesse kein allzu großer Liedermacherfreund. In jeder Kneipe der Siebziger bardisierten sie mich zu. Und er war mir zu nölerig. Das mag aber auch daran gelegen haben, daß er mir eigentlich erst so richtig aufgefallen war, als man ihn aus der DDR rausgeschmissen hatte. Aber nach dem Villon-Gedicht und Ihrem jetzigen Hinweis mag ich mich durchaus mit ihm beschäftigen. Dank dafür.

Die Straßenbahn in Berlin gehört im übrigen zu meinen liebsten touristischen Beförderungsmitteln. Mit ihr habe ich mir durchaus einen Teil Ost-Berlins erfahren, fährt sie doch teilweise kurvig durch Gegenden, in die man sonst vermutlich kaum hinkäme. Auch hat es mich außerordentlich verblüfft, wie sich die Passagiere verändern von Station zu Station auf dem Weg nach Friedrichshain. Aber das liegt jetzt auch schon wieder ein paar Jährchen zurück.


vert   (04.11.08, 02:56)   (link)  
die liedermacherei - ein schwieriges feld (nicht mal weit, wenn dem nur so wäre!), da haben sie sicher recht. und das bezieht sich auch auf biermann.

aber die genannte scheibe ist in meinen ohren einfach sehr kraftvoll und authentisch, schauen sie bei 2001, da gibt es eine mit texten - und bildern noch ohne walroßbart, dafür aber auch mit der schönen marie.

ich war auch seit jahren nicht mehr dort.















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