Alles friedlich ... Brief in die Ferne Teure, Schöne, schon wieder warst Du in den USA. Es scheint Dir ja gut zu gefallen dort. Bei der Gelegenheit: Mir würde es an Erinnerung mangeln, schreibst Du. Und dann kannst Du Dich nicht an das erinnern, was ich Dir mindestens dreimal erzählt habe, da es mich jedesmal reißt, wenn ich den Begriff USA nur höre oder lese. Aber für Dich wiederhole ich es erneut. Doch zuvor möchte ich Dich zum Ende dieses Textes leiten, wo das steht, was ich Dir auch mal erzählt habe. Die «Freundin» darin wird Dir bekannt vorkommen. Also: der Bruder meines Vaters. Aus den USA. Er und seine Dame wollten mich ja sozusagen adoptieren. Sogar mein mich liebender Erzeuger hatte sein Ja-Wort dazu gegeben. Na ja, es ging auf sein Ende zu. Aber ich hatte laut nein gerufen. Denn ich war ja zweimal ein halbes Jahr in diesem schrecklichen Kaff Miami Beach. Nur besserverrentete Ruheständler. Damals. Später hat es die Jeunesse ja entdeckt. Surfing and riding waves and life. Bei den Amis sollte ich studieren. Alles hätte ich gekriegt — was ein US-Amerikaner eben so braucht. Auto, auch 'ne Harley, zwei Garagen, dreimal Stars and Stripes ff. et cetera. Die Staatsbürgerschaft hätten sie mir dann wohl auch noch auf den Bachelor-Tisch gelegt. Proud to be an american. Selbstverständlich US. Was anderes gibt's ja auch nicht. Sie wollten ein Kind, das ich sein sollte. Ein etwas größeres, bei dem man keine Windeln mehr wechseln mußte, nicht mehr caca de bébé putzen müssen, ein wohlerzogenes in dunkelblauem und edlem Feinstrick mit weißen Strümpfen und passenden Strumpfhaltern dazu, eben so, wie sie mich in Erinnerung hatten. Sie selber hatten keine Kinder. Später hätten sie's intravenös versucht, aber zu der Zeit gab's noch keine extravaginalen Uploads. Und bunte kleine Kinderchen aus Afrika war noch nicht so in Celibritäten-Mode. Es war wohl irgendein Handel zwischen meinem Vater und den beiden. Wahrscheinlich hatte mein guter alter Grigorje es sogar gut gemeint. Aber ich wollte das eben nicht. Meine Tante war genau so eine — eben aufgetakelte Fregatte wie meine Mutter zu dieser Zeit, eher ein ausgemustertes US-amerikanisches Schlachtschiff, nein, ausgeschlachteter Missisippi-Dampfer, der kurz davor war, die high wheels abzuwerfen. Die waren sich sehr ähnlich, Tante Charlotte und die meine. Auch aus dem Elsaß. Na gut, auch das wußte ich damals noch nicht. Da hielt ich meine Mutter ja noch für eine Lorraine. Also, Charlotte, meine Mutter auf US-amerikanisch. Meine nicht eben freundliche Gesinnung dürfte in dieser Zeit wurzeln. Daran haben auch all die großartigen Menschen nichts geändert, die ich später im und auch aus dem Land kennengelernt habe. Als äußerst schwerwiegend empfand ich dabei, daß mein Onkel so ein herausgeputzter Uniformierter war. Ein Soldat. Seit dem Krieg. Ein bißchen ziemlich das Gegenteil seines uniformhassenden Bruders. Er ist, wenn ich mich recht erinnere, 1939 in die USA ausgewandert. Wenn man das so sagen kann. Aus Palästina nämlich. Die sind mit der ganzen Familie dorthin damals. Von Rußland aus. Und es waren ja bereits vierhundertfünzigtausend Juden dort. Er ist also vorsichtshalber abgehauen. Der Konflikt, die Kriegsgefahr. Die Araber eben. Mein Vater ist ja auch rasch wieder weg. Nur eben nicht in die USA. Dieser ehemalige US-Außenminister fällt mir dabei ein. Eine höchst zweifelhafte Figur, dieser Mensch. Jude, 1938 mit den Eltern von Deutschland aus in die USA emigriert. Viele wissen es nicht. Wenn sie im Qualitätsjournalismus nachlesen, müssen sie glauben, er sei ein Friedensengel gewesen. Und als solcher hat er ja auch lächelnd den Friedensnobelpreis entgegengenommen für den Frieden in Vietnam. Aber er hat diesen Krieg der US-Amerikaner maßgeblich mit entfacht. Nein, er hat dafür gesorgt, daß die Flammen nicht ausgehen. Er war der Kriegstreiber schlechthin. Er hat sich über die Militärs hinweggesetzt. Wohl mit allen Vollmachten ausgestattet. Er hat die Außenpolitik entscheidend — ach was, er hat sie bestimmt. Sonst hätte das ja vermutlich nicht funktioniert. Er hat, gegen die Ratschläge seiner engsten Berater — die er Freunde nannte und sie wohl deshalb abhören ließ —, den Rolling Thunder befohlen. Weihnachten 1972: dreitausend vollgeladene Bomber gegen die Zivilbevölkerung. Alles killen, was zappelt, was sich bewegt, war wohl der Tagesbefehl. Kleinkindern haben allein die Druckwellen der Bomben die Eingeweide implodieren lassen. Rolling Thunder nennen die Vietnam-Veteranen auch ihre — wenn ich richtig informiert bin — immer noch stattfindenden Motorrad-Demonstrationen gegen diesen Krieg, in dem von drei Millionen getöteten Vietnamesen zwei Millionen Zivilisten waren. Gezielt. Mehrmals hintereinander. Aber gegen solche Bomben, auch Weihnachtsbäume genannt, helfen keine hundertfachen Rosenkränze oder Varianten aus anderen Religionen als der katholischen. Dem gegenüber standen achtundfünfzigtausend US-Soldaten, die in diesem Krieg umkamen, in dem es um nichts anderes ging als um Macht. Ein US-Bürger, von dem ich jetzt nicht mehr weiß, welche Funktion er innehatte damals, meinte, eine Begründung für solches Handeln sei einzig und allein bei Machiavelli nachzulesen. Der Harvard-Professor für politische Wissenschaften. Falls Du, wie früher bereits, wieder fragen solltest, woher ich das alles wisse. Ich hatte es aus einer WDR-Dokumentation. Ich meine von 1999 (heute läßt sich das überall nachlesen, beispielsweise in lettre international). Also 2002, als ich Dir das erzählt hatte, war das nicht so neu, als daß der Herr Außenminister zum entsprechenden Zeitpunkt noch nicht hätte dagegen klagen können. Vor allem gegen die Bemerkung eines anderen Befragten, der meinte, nach den heutigen Kriterien — also beispielsweise wie bei dem serbischen Henker Milošević — würde unser Friedensnobelpreisträger wohl als Kriegsverbrecher angeklagt. Und er war zu dieser Oberbefehlszeit nicht mal beim Militär. Wie etwa mein Onkel, der US-amerikanische Hochglanzsoldat. Der war beim CIC. Counter Intelligence Corps-Fachleuten behilflich sein. Wie beispielsweise dem Sänger, der nicht zu den Wagnerianern auf den Grünen Hügel wollte, weil dort geschossen würde. Beirut und Bayreuth liegen aber auch sehr nahe zusammen — in US-amerikanischer Geographiekenntnis. Aber ein Spitzenopernsänger muß schließlich nicht wissen, daß in Beirut damals eher weniger Wagner gespielt wurde, nichtmal der Walkürenritt. US-amerikanische Geographie- und Geschichtskenntnisse. Freiheit der Interpretation. Mit Schrecken denke ich an ein ins Deutsche zu übersetzendes Buch zurück, für das ich verantwortlich war und das mich mit einem Institut in Los Angeles zusammenbrachte, mit der Frau Direktorin und deren Interpretationen deutscher Geschichte. McCarthy kurz vor dem Übergang ins 21. Jahrhundert. Wie schrieb Robert Menasse so treffend: Im Grunde bewundern alle diejenigen die Vereinigten Staaten, die noch Reste von archaischen Reaktionsweisen in sich verspüren. Er meinte damit den Grad der militärischen Aufrüstung, die militärische Gewalt. Die Anzahl der Keulen sei aber ein Steinzeitargument. Und er verweist mal eben auf einen anderen 11. September, nämlich den des Jahres 1973, als «die Amerikaner» — völlig richtig in Anführungszeichen gesetzt, weil's ja in unserem Sprachgebrauch keine anderen Amerikaner gibt —, einen demokratisch gewählten Präsidenten niederputschten. Den eines anderen Amerika eben, den von Chile. Da hatten sie Allende sozusagen ge-, na, sag ich mal, gekippt. Da war Heinrich Alfred, späterer US-Außenminister, übrigens auch federführend beteiligt. Als Allende gewählt worden war, wollte Nixon ihn gleich von der Bühne nehmen. In seinem Arsenal befand sich die großkalibrige Waffe aus dem deutschen Fürth, seinerzeit dessen Sicherheitsberater. Denn nach den Friedensabsichten für Vietnam von Nixons Vorgänger Lyndon B. Johnson kippte die Stimmung des US-amerikanischen Wahlvolkes hin zu Humphrey, Johnsons Vize. Das machte Nixons Mitarbeiter so kirre, daß sie erst einen liberalen, zu Allende stehenden General ins Abseits ließen — und dann, an besagtem 11. September 1973 eben auch Allende. Tod dem Kommunismus. Während der 11. September ohne Jahreszahl, also auf ewig, meint Manesse, als Synonym für einen Angriff auf unsere Zivilisation festgeschrieben stünde.* Wenn ich nur daran denke, meine Allerbeste, daß Du, Deine Geschwister, Deine Eltern, ihr alle bei einem Wochenendtrip zum Shopping in die USA gut hättet verhaftet worden sein können und jetzt immer noch in einem auf Cuba gelegenen US-Taule vor euch hinschmurgeln würdet wie weiland so viele zuhause. Ohne Anklage, ohne Grund. Weil ihr arabische Namen tragt. Na gut, Mister Black-People-President würde euch jetzt so langsam in die Alte Welt verschiffen lassen. Wenn die Europäer sich geeinigt haben, wohin man euch auf Halde legt. Sei froh, daß Du auf Deiner Blumeninsel hockst, Europa so weit ist. Ich erinnere mich recht gut, was Du mir geantwortet hattest: Du trügest keinen arabischen Namen, Du hießest Risacher. Aber es stünde Dein Geburts-, Dein Mädchenname im Paß! hatte ich entgegnet. Den allein hielten die Amis vermutlich schon für eine hochgefährliche Waffe. Wer soll den sowas aussprechen? Al Arfaoui. Da bricht man sich ja die Zunge. Also ab ins Lager, zur besseren Konzentration aufs Wesentliche. Terrorismus-Prophylaxe. Aber vermutlich sähe es man Dir aufgrund Deiner eierkohlenfarbenen Augen sowie Deinem olivischen Teint sicher an, daß Du aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem elsässischen mittleren Westen kommst — alleine die blonden Strähnen ... * Robert Menasse, in: Süddeutsche Zeitung v. 22. Mai 2002, Feuilleton, S. 13 Zwei Tage • Eine sentimentale Reise • Erzählung
Zuhause. La taule
«Ja, es zieht durch die kleine Luke, und wenn man den Kopf an die Eisengitter legt, kann man auch ein Stückchen vom Meer sehen, in dem die freien Fische wohnen. [...] Der Boden ist ausgemauert, schwärzliche Spuren an den Wänden deuten auf ehemalige Kamine. Es muß höllisch kalt gewesen sein, damals ... Da saßen sie also. Meistens waren es politische Häftlinge, die hier gesessen haben, alles Leute, die die Regierung nicht töten konnte oder wollte, und deren Freiheit ihr höchst unbequem war. Damals war das recht einfach: man benötigte nur die lettre de cachet, um etwas zu erreichen, wozu man heute ein ganzes Volksgericht auf die Sessel setzen muß [...]. Manchmal ließen auch hochmögende Eltern ihren Sohn ein bißchen einsperren, bloß so. [...] Auf der anderen Seite hat Dantès gesessen, eben jener, dessen Schicksal Dumas in seinem Schmöker benutzt hat. [...] Dann liegt da noch zu ebener Erde ein cachot, dem Publikum nicht zugänglich. Darin saßen im Jahre 1871 einhundertundsechzehn Gefangene. Communards. Einhundertsechzehn — das ist keine Zahl für uns andre ...»Kurt Tucholsky: Vierzehn Käfige und einer, in: Gesammelte Werke, Reinbek 1993, Bd. 4 (1925 — 1926) Exakt diese Beschreibungen
sind es, die mich stets mit Freuden hier lesen lassen. Hab dann immer alles in "Griffweite" vor mir und bin total dabei. Danke!>> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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