Im Sand gehen

Das verstehe ich gut (leider macht mein Gestell das nicht mehr mit). Die Waldeslust hingegen habe ich nie so recht verstanden, etwa die von Joseph Roth, der sich das Tannendickicht irgendwie sogar in die Provence hineingesehnt hat, herum um seine weißen Städte (in Unterschiedliche Ansichten habe ich das mal angerissen). Nun gut, vermutlich ist es für die meisten Menschen entscheidend, in welche Umgebung sie hineingeboren wurden. Und sei es in die des «Vagabundierens», das ich ein Leben lang zu unterbinden versuchte, aber nie ankam dabei, auch wenn es mich fast dreißig Jahre in einer Stadt festhielt, aus der ich jedoch von Anfang an durch ständiges Reisen immer nur geflohen bin. Ich kannte von ganz klein auf nur Städte, und ich konnte mir auch lange nichts anderes vorstellen, als in ihnen zu leben. Aber an den Sand, irgendein Vorfahr muß es mir mitgegeben haben — ja doch: wir sind schließlich alle Afrikaner —, hat es mich immer gezogen, allerdings weniger in den der Wüste, eher an den des Meeres. An dem ist die Unendlichkeit ersichtlich, nach der ich mich offensichtlich immer gesehnt habe. Und ich habe dort am Strand das Wasser, das dieser Sehnsucht Halt gibt. Darin möchte ich auch einmal begraben, vielleicht besser versenkt sein. Begründet habe ich es vor langer Zeit damit, daß ich so viele von seinen Bewohnern gegessen habe, daß ich ihnen dann zustehe, sie auch etwas von mir haben sollen.

Und ja, das Wasser — möglicherweise mochte ich das letzte Buch der See-Leben-Trilogie — Jenseits des Sees — von Werner Koch so sehr, da sein Protagonist tot auf dem Grund des Sees liegt und über die Hektiker da oben nachdenkt. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob meine Wassersucht nicht letztendlich von ihm herrührt, mit dem ich ein langes Gespräch darüber hatte Anfang der Achtziger. Dabei scheint es mir unerheblich (oder sogar naheliegend), daß es das schwäbische Meer war, nach dessen (Heimat-)Grund er sich so sehnte.

Bei mir also Sand immer in Verbindung mit Wasser. Ich habe gehen in der wüste von — im übrigen von mir sehr geschätzten — Otl Aicher nicht gelesen. Vielleicht sollte ich es nachholen, weniger der Wüste eben, sondern des Gehens wegen. Wunderschön: die «allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Gehen»! Es muß also Kleist gewesen sein, der mir so oft aus einem kleinen Spaziergang ein stundenlanges Flanieren hat werden lassen: «l’appétit vient en mangeant», möglicherweise also: Die Idee kommt beim Gehen — welcher Gedankengang auch immer ...

Ich bin, im Gegensatz zu Ihnen, nicht unbedingt ein Freund der Reiseliteratur. Selber sehen und Erleben war mir immer wichtiger, nach Austausch hat es mich nie gedrängt. Bei Ihnen allerdings lese ich immer. Ein paarmal habe ich schon versucht, die Gründe dafür zu finden. Sie könnten darin liegen, daß es bei Ihnen nahezu ausnahmslos um Länder, um Landschaften «geht», in denen auch ich mich wohlgefühlt habe und von denen ich vermute, mich dort auch weiterhin wohlfühlen zu können. Meine Liebe zu Frankreich führe ich auf Vererbung zurück und möglicherweise darauf, daß ich mir einbilde, es müsse (m)eine Heimat sein, die der Mensch nunmal benötigt; zudem ist es fast von Meeren umgeben. Marseille hat seine Wurzeln in der Liebe (und der Nähe zum afrikanischen Sand? — auch heißt es dort: Die Kanonen waren immer gen Festland gerichtet ...) Die Liebe ist also schuld, nicht zuletzt die zur Familie. Und damit auch die Nähe zum Mare Balticum.
 
Sa, 01.08.2009 |  link | (4953) | 19 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs


nnier   (01.08.09, 23:21)   (link)  
Sand am Meer ist mir auch sympathisch, wenngleich nicht zum Rumliegen und Sonnenbaden. Aber darauf langspazieren, den Wellen lauschen und ihn, den Sand, unter den Füßen spüren, selbst wenn er aus friesischem Watt besteht, aus Kieseln oder aus grünem Gras. "Am Meer" könnte man's vermutlich nennen, wo es mir ähnlich gut gefällt wie aber auch im Wald, wo es Bäume gibt wie Sand am Meer.


mark793   (01.08.09, 23:27)   (link)  
Rumliegen und Sonnenbaden
ist mir irgendwie auch zu wenig, wenngleich lange Strandwanderungen auch nicht mein Ding sind. Die Folge: Ich schippe unseren Liegeplatz zu einer derartig mächtigen Trutzburg auf, dass es meiner Frau fast schon ein wenig peinlich ist...


vert   (02.08.09, 03:15)   (link)  
ich mag das spazieren ebenso wie das rumliegen.
und morgen fahr ich genau da hin.

(jetzt ist mir doch glatt noch etwas eingefallen.)


jean stubenzweig   (02.08.09, 01:09)   (link)  
Stundenlang habe ich
mal die der Hugenottenmetropole vorgelagerte Île de südlich durchwandert, meist den Blick aufs weite Meer bis rüber nach Bordeaux gerichtet, ab und an mal auf die Rebstöcke geschaut, aus denen mal ein schlichter, aber angenehm süffiger Wein werden würde. Zugegeben, anfänglich hatte ich mich verlaufen, dann aber kam dem friedlichen Flâneur der Appetit beim Gehen. Hätte sich jedoch ein einziges Stück Wald blicken lassen (den es, in Maßen, dort auch gibt), ich garantiere, er hätte mich nicht nur stocken lassen, er wäre ein Schlagbaum gewesen – keinen Schritt weiter: Sie verlassen den freien Sektor! In den Wald bekommt man mich nur, wenn sich garantiert ein (nicht allzu weit entferntes) Wirtshaus (altdeutsch: Restaurant) darin befindet. Aber meist ist mir der Aufenthalt dort bereits durch den Gedanken an den Rückweg durch den Wald vergällt.

Am freien Strand hätten diese hinterlistigen Germanen damals die Römer nie und nimmer ... Womit zudem die Chance vertan wurde, oberhalb der zweiten Lautverschiebung eine bratwurst- und somit limesfreie Kultur sich entwickeln zu lassen. Im übrigen: Ist die Forderung nicht überhaupt römisch: Nieder mit den Alpen, freier Blick aufs Mittelmeer?

Mark – habe ich nicht unlängst irgendwo in den deutschen Ostgebieten gelesen, es sei wegen Gefährdung der Sicht auf ein freies Land nicht unter drei Jahren verschärfter Haft (Bautzen?) verboten, Schutzräume aus Sand zu bauen? So muß ich annehmen, Sie urlauben dort, wo diese Trutzburgansiedlungen nicht weiter auffallen.

Nein, auch heute und in Zukuft gibt es hier keine Lächelhieroglyphen; das sind Barrieren für frei assoziierende Gedanken.


mark793   (02.08.09, 03:00)   (link)  
Also auffallen
tun meine megalomanischen Trutzburgen mit ihren Wall- und Grabensystemen durchaus ein wenig, da wo wir die letzten beiden Sommerurlaube verbrachten. Aber es ist dort nicht verboten, solche Strandbefestigungen aufzuschippen. Den Holländern sind ambitionierte Projekte noch größerer Art ja nicht fremd, ich sage nur: "Abschlussdeich Ijsselmeer" oder dieses Monsterding an der seeländischen Küstenlinie. An deutschen Stränden kriegen sie ja immer gleich die Panik, die Schippe könnte einen Schlickwurm verletzen oder gar den Lebensraum umgestalten, was weiß ich. Ich habe da jedenfalls wenig Lust drauf, zumal ich das Wattenmeer eh für völlig überschätzt halte. Oder sagen wir so: Toll, dass es dieses einzigartige Ökosystem gibt, lassen wir es also in Ruhe und fahren irgendwohin, wo Meer mehr Laune macht.


jean stubenzweig   (02.08.09, 19:47)   (link)  
Ja, am Afsluitdijk
da kann man sich so großartig fast waagerecht in den Wind legen, eine andere Art Natur genießen. Das andere «Monsterding» habe ich noch nicht gesehen (ist das überhaupt schon gebaut?).

Und, nochmal ja und ach dazu, in die Dünen darf man auch nicht mehr. Eingraben möchte man sich, wie der deutsche Wurm ins deutsche Watt.


mark793   (02.08.09, 21:34)   (link)  
Lückenlos verwirklicht
ist der ursprüngliche "Deltaplan" wohl nicht, die Oosterschelde wurde nicht wie zunächst vorgesehen, völlig vom Meer abgetrennt wie anderen Teilstücke zwischen den zeeländischen Inseln. Stattdessen wurde hier ein riesiges Sturmflutwehr hingestellt, das 1986 fertiggestellt wurde.

Selbst in Augenschein genommen habe ich das gewaltige Bauwerk noch nicht, die letzten Male verschlug es uns an weiter nördliche Küstenabschnitte. In dem schönen Dünenreservat rund um Egmont und Bergen aan Zee darf man auch nicht mehr überall rumstapfen und radeln wie man lustig ist, aber der Erhalt dieser einzigartigen Landschaft sollte diese Einschränkung wert sein. Es bleibt auch so noch beeindruckend, und da die Wege nicht überall stringent markiert sind, kann man sich da durchaus verlaufen in den Sandhügeln.


herzbruch   (03.08.09, 22:07)   (link)  
ich habe ja in zuid-holland gewohnt, nicht in zeeland, aber die zwei oder drei mal, dass die oosterscheldekering wegen sturms geschlossen wurde, ging mir schon ein bisschen der popo auf grundeis. immerhin befand sich meine wohnung 4 meter unter dem meeresspiegel...


jean stubenzweig   (05.08.09, 04:54)   (link)  
Geht's in den Städten
auch so tief runter (denn ich tippe ja auf Lugdunum Batavorum)? Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie (ohne Beebie und Beebiepapa) auf dem Dorf hinterm Deich gelebt haben. Aber vermutlich ist meine geologische und städteplanische Kenntnis dieser Gegend von Ahnungslosigkeit überflutet.


herzbruch   (07.08.09, 10:55)   (link)  
Lugdunum Batavorum, richtig.

jetzt, wo ich seit geraumer zeit wieder in der echten welt lebe, kann ich es mir auch nicht mehr vorstellen...


kid37   (02.08.09, 02:39)   (link)  
Besser als auf Sand zu bauen, ist auf Sand zu gehen allemal. Vor den Wellen davonhüpfen oder sich umspülen lassen, wie es Laune und Tidenhub zulassen. Ich war zu lange nicht mehr am Meer, Zeit einen Urlaub zu planen.


jean stubenzweig   (02.08.09, 16:27)   (link)  
Haben Sie deshalb
Ihren Beachclub eröffnet? Wozu also Urlaub? Laune und Tidenhub gibt's doch auch am Elbsandstrand, ein bißchen wenigstens? Und zur Not auch Menschenmassen, falls es allzu hermetisch werden sollte. Aber wer weiß das besser als Sie?!


ulfur grai   (02.08.09, 17:09)   (link)  
... und hätte der Liebe nicht
"Marseille hat seine Wurzeln in der Liebe..." Ja, ja, ganz recht, die Liebe ist schuld. Oft. Sie bringt einen sogar dazu, (für begrenzte Zeit) nach Holland umzuziehen, oder wie die Franzosen treffend sagen: Pays ba!
Über Wälder, die es in den Niederlanden (außer um Arnheim) ebensowenig gibt wie überhaupt Natur, können wir vielleicht noch einmal reden schreiben, wenn ich aus den sumpfigen Wäldern des Baltikums zurück sein werde. Auch da haben Sie vermutlich recht, die Landschaften unserer Kindheit prägen uns fürs Leben und graben unauslöschliche Vorlieben in uns ein. Ihr "wir sind schließlich alle Afrikaner" im sandigen Konnex zwar in allen Ehren, aber zu den Zeiten, in denen wir alle Afrikaner waren, konnte man in der Sahara noch schwimmen, und phylogenetisch sind wir wohl alle auf offene Savanne geprägt; daher die stille, aber unbezähmbare Freude an weiten Parklandschaften mit offenen Wiesenfluren zwischen weit auseinanderstehenden Einzelbäumen.


jean stubenzweig   (02.08.09, 21:26)   (link)  
In Pays-Bas, là-bas,
da drüben, da unten, da hinten, in den Niederen Landen oder pays bas, im Tief- oder Unterland, da gibt's auch schön viel Sand, wie Herr Mark mit rechter Begeisterung trutzburgenplanerisch feststellt, jedenfalls am Wasser. Und in dem afrikanischen, das muß ich Ihnen selbstverständlich zugestehen, in dem bin ich ins Schwimmen geraten. Wahrscheinlich weil ich so sehr ans Wasser dachte und überhaupt nicht an Erdgeschichte. Aber an Parks, an die die dächte ich dabei zuallerletzt. Denn mit dem Widerspruch von «gestalteter freier Natur» kann ich noch weniger anfangen. Dann lieber Dschungel. Bis ans Wasser.


prieditis   (02.08.09, 22:14)   (link)  
Ich bin eher der Waldkauz... Vor einigen Jahren noch hab ich dort mal zum gruseln übernachtet... sehr gut gelungen! da glaubte ich fast dem Herrn von Schwindt mit seinen Fabelwesen...


jean stubenzweig   (03.08.09, 04:24)   (link)  
In die Bretagne
fahren Sie aber nicht wegen Moritz von Schwind?

Ich muß da an Eduard Mörike denken, der an ihn schrieb:

«... Von Blatt zu Blatt, nicht rascher als ein weiser Mann

Wonnige Becher, einen nach dem andern, schlürft,
Sog ich die Fülle deines Geistes ein und kam,

Aus sonnenheller Tage Glanz und Lieblichkeit

In Kerkernacht hinabgeführt von dir, zuletzt

Beim Holzstoß an, wo die Verschwiegne voller Schmach

Die Fürstin, ach, gebunden steht am Feuerpfahl:

Da jagt's einher, da stürmt es durch den Eichenwald: ...»

An den dunklen Wald. In dem's mich kerkert eben ...

Eduard Mörike: Sämtliche Werke. hrsg. v. Herbert G. Göpfert, Hanser-Verlag, München 1972, 4. Aufl., S. 270 f.


prieditis   (03.08.09, 19:22)   (link)  
ganz genau
damals gings mir auch nicht so gut... da bin ich öfter mal in den wald

die Bretagne hatte kunsthistorische Gründe...na gut, nicht nur.
Gruselig wars dort manchmal auch, weil die Straßen nur zwischen 22.00 und 23.59 Uhr beleuchtet waren.


famille   (16.09.10, 15:13)   (link)  
»Objektivität ist Schweinerei«
»Ich konnte das Glück der Menschen verstehen, die sich sorglos einem Weg überlassen dürfen. Nichts Schreckliches konnte sie unterwegs treffen. Ihnen fehlte nur eines: der Wald.« Joseph Roth in "Die Weißen Städte" (Avignon).


jean stubenzweig   (16.09.10, 19:52)   (link)  
Schweinerei gehört eher
unters aktuelle Hirn. Allerdings dürfte Roth solches kaum genossen haben. Und wenn doch, dann erst später, nach der katholischen Suche nach einem bißchen heimatlichen Wald in der Provence.















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