Vom Küchenzettel der Comtesse de Schwerin

Mimi, Comtesse de Schwerin (sehr altes Katzenblaublut), ist nicht nur eine quasi Landlordische, sie ist sich auch ihrer Verantwortung als Besitzende bewußt. Denn sie ist aufgeklärt. So weiß sie beispielsweise, daß ihre frühere Königin Marie Antoinette nie gesagt haben kann, wenn das Volk kein Brot habe, dann solle es eben Kuchen essen. Denn die wußte überhaupt nicht, was Brot ist. Deshalb habe sie nicht Brot, sondern Brioche gemeint. So ähnlich jedenfalls. Die Qualität der Quellen ist so unterschiedlich wie die des Futters. Nun ja, ein bißchen gebildet ist sie eben durchaus, die Mimi, schwerinische Gräfin.

Sie diniert in ihrem von ihr über alle Maßen geliebten Latifundium grundsätzlich aushäusig, Innenräume sucht sie nur auf, um beispielsweise in der gemütlichen Bücherecke zu entspannen. Ausnahmsweise war sie neulich einmal mitgefahren in die große Handels- und Hanse-Stadt und hatte sich beim Anblick der städtischen Wohnverhältnisse geradezu schockiert gezeigt.


Das Leben in der Campagne ist Bestandteil ihrer gepflegten Kultur der Freiheit. Dabei wähnt Mimi sich geistig durchaus ein wenig inmitten dieser aristocatrischen, schwedische Königsfarben im Banner führenden deutschen Partei globalen Gedankengutes, die das Aparte und Edle zum Sieg über das Volk führen wird. Als Landlordin pflegt sie demnach ausnahmslos dort zu speisen, wo die Lüfte der Freiheit des Einzelnen und sonstige Genüsse sie umwehen.

Deshalb wird ihr, nachdem sie den ihr dienenden Marder mit ihren jeweiligen Fressenswünschen zur Wunschberichterstattung in die Küche entsandt hat, auf der Terrasse ihres bescheidenen Immeublements serviert. Manchmal, wenn der Koch, trotz aller Erziehung, mal wieder dieser merkwürdigen deutschen Anwandlung des Sparzwangs und dem damit verbundenen Zugriff auf das sogenannte Sonderangebot unterlegen ist oder in seiner vom vielen Träumen verursachten Tranigkeit schlicht mal wieder einzukaufen vergessen hat und deshalb im Dorfladen auf das Übliche zurückzugreifen gezwungen ist, geschieht es, daß ihr Futter mit einem Fleischanteil unter zehn, nicht selten fünf Prozent gereicht wird. Solche minderwertige Kost überläßt sie anderen, häufig dem Protein oder ähnlichen Seltsamkeiten verfallenen Igelfamilien, die sich nächtens, wenn sie also auf die Jagd nach Hundertprozentigem zu gehen gezwungen ist, aus dem Laub herausgetrauen. In besonders sanftmütiger Stunde läßt sie sogar diesen höchst unangenehm kläffenden Köter an ihr schlichtes Porzellan, dem es hin und wieder gelingt, aus seinem nachbardörflichen Gefängnis zu entweichen und der in Folge völlig ausgehungert ist; aber diese ärmlichen Geschöpfe fressen ohnehin alles. Und auch diesem flatternden Getier, das sich Rabe oder Krähe oder Elster heißt, überläßt sie solches Futter. Es mag zwar ein wenig dégoûtant sein, aber hin und wieder holt sie sich dafür eines ihrer Jungen aus einem der vielen in ihrem Revier herumstehenden Bäume. Gehaltvollere Speisen würden denen sicherlich einen sehr viel exqusiteren Geschmack verleihen. Aber den hat sie nunmal selber.


Dieser Tage ließ sie in kleiner Abendrunde mit dem eigentlich ganz passabel anzuschauenden, aber doch leicht einfältigen schwarzen Nachbarn diesen wissen, die handelsüblichen Produkte, die den Menschen in deren seltsamen Guckkästen, mit denen sie sich einbilden, in die Ferne zu sehen, vermeintlich tierliebhaberisch angepriesen würden, hätten jedoch oftmals nicht mehr als fünf und häufig noch weniger fleischige Teile von hundert anderen durchweg undefinierbaren. Das aber mache ihre Species spätestens nach zehn Jahren nierenkrank. Eine Katze sei nunmal keine Vegetarierin. Seit Jahrtausenden sei das so und überall nachzulesen, das hätten schließlich bereits die alten Ägypter gewußt, von denen sie sicherlich bereits wegen ihres guten Geschmacks heilig gesprochen worden waren. Ein klein wenig Bildung, zumindest aber die Bereitschaft zur Grundinformation täte diesen Menschen hin und wieder gut. Dann müßten sie auch nicht mehr den Tierarzt oder die -Klinik der hohen Rechnungen wegen beschimpfen, die anfielen, wenn ihre Katzen litten, da deren Innereien versagten und ihnen Spendernieren transplantiert werden müßten.

Aber glücklicherweise habe ihr Leibkoch nur höchst selten solche Rückfälle in deutsche Freßkultur, nach der Nahrung möglichst wenig kosten darf, was angesichts der enorm hohen Preise für sogenannt hochwertiges Futter ohnehin nichts sei als eingedoste Lüge. Deshalb also serviere er ihr in der Regel über Sechzigprozentiges. Außerdem fräße sie von den vielfleischdosierten und suchtstoffenfreien und deshalb wohlschmeckenden, eben nicht naturnahen oder -identischen, sondern tatsächlich natürlichen Gerichten nicht so bekannter, weil nicht unter Werbesperrfeuer stehenden Köche wesentlich weniger. Was sie rank und schlank und somit schön bleiben ließe. Von dem mal gar nicht zu reden, was der Mensch Milchmädchenrechnung nenne.

Nahezu konsterniert zog der der kleine Schwarze ab nach nebenan, als ob sie ihn beleidigt hätte. Aber wahrscheinlich gelüstete ihn lediglich nach seiner gewohnten deutschen Hausmannsdosenkost. Die ihn nicht eben zu einem sonderlich attraktiven Liebhaber macht. Weshalb sie die Ihren schließlich auch mit dem entzückenden Gestreiften habe, dessen geballte Kraft des grauen Tigers zur Gänze behauptet hat. Wobei einer von ihnen besonders wohlig geraten zu sein scheint.



Ihr Tiger von Esch-en-Bourg schaut nach wie vor gerne auf ein tête-à-tête vorbei, wenn seine intensive Reisetätigkeit ihm das erlaubt, und das, obwohl er sich im klaren darüber ist, daß sie sein Erbgut nicht mehr in sich reifen lassen kann. Aber er ist eben ein Gourmet und weiß deshalb zwischen Brot und Brioche zu unterscheiden, was ihn am echten süßen Kuchen naschen läßt.
 
Sa, 03.10.2009 |  link | (4339) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Katzenleben


mifasola   (08.10.09, 10:58)   (link)  
... und da wage noch einer zu behaupten, Katzencontent sei niveaulos...
Einer meiner Kater zu Kinderzeiten hieß übrigens so. Brioche.


jean stubenzweig   (08.10.09, 14:45)   (link)  
Brioche le matou !
Das klingt wahrhaftig distingué. Aber Sie kennen sich ja auch dort aus, wo man dem Feineren nicht nur gedanklich viel Platz einräumt. – Um so mehr hat es mich bereits vor ein paar Tagen erstaunt, daß Sie nach einem dieser eher doch wohl leicht katzenunfreundlichen Allesfresser Ausschau halten.

Im übrigen hat mich Ihr freundlicher Kommentar zu einem kleinen ergänzenden Einschub (unter dem ersten Bild) angeregt.


jean stubenzweig   (08.10.09, 17:00)   (link)  
Brioche bringt mich
auf eine Idee: Ich werde Mimi entkastrifizieren lassen, und dann werden sie und ihr Tiger sicherlich nochmal solche unvergessenen Liebestänze aufführen. Einer wie der oben abgebildete Untere wird sich dabei sicherlich noch einmal durchsetzen. Den werde ich Brioche nennen, und er wird nicht weggegeben werden, sondern zuhause bleiben in Mamans Latifundie. Wenn er dann ausgenuckelt hat, weg ist vom immerselben Milchgesöff und sich ebenfalls dem Genuß der Vielfalt hingibt, werde ich ihn, wie seine Madame Mère, immer laut rufen. Das wiederum wird die Gutsherrin Madame Lucette auf den (Küchen-)Plan rufen, die als exilierte Ardennaise schon aus Heimwehgründen nicht nur eine bessere Brioche backt, als sie zuhause je erhältlich wäre, sondern auch noch die Konfituren dazu so anrührt, wie ihre grand-mère sie das im tiefen Ardenner Wald gelehrt hatte.


mifasola   (08.10.09, 17:23)   (link)  
Ein Ausruf, zwei darauf folgende Genüsse - weiser Plan.
Und interessanter Einschub :-)

Dass im Hause Mifasola erstmal keine stolzen Feliden einziehen werden, hat ja leider einen einfachen Grund: nicht mehrheitsfähig. Der LaLag möchte, Zitat, nicht noch mehr Mitbewohner haben, die ihn schief angucken, Zitat Ende. Mir ist ja schleierhaft, wer der schon vorhandene schief guckende Mitbewohner sein soll. Aber ich muss nicht alles wissen müssen, glaube ich.
Ein Hund ist ein Kompromiss, um überhaupt mal wieder einen vierpfotigen Mitbewohner zu haben - wobei angesichts der Quote scharf bekrallter und kampferprobter Katzen im übrigen Haus der potenzielle neue Liebling im Interesse der eigenen Unversehrtheit besser nicht katzenunfreundlich sein sollte, wie leicht auch immer. Und zum Thema Allesfresser - mein letzter Hund hat es geliebt, in unbewachten Momenten den Kühlschrank zu öffnen. Der Chaource war danach meist weg, der langweilige Hollandgouda noch da. Und Discounter-Hufu wurde nicht mal mit Leberwurst goutiert...


jean stubenzweig   (09.10.09, 00:52)   (link)  
Möge Ihnen also
ein Genießer zulaufen, der Sie auf Trab hält. Aber am besten nicht so ein weiteres Wunderwesen, das Kühlschränke zu öffnen und am Ende gar zwischen fabrikischem und literarischem Fleur du maquis oder auch Saveur du maquis zu unterscheiden und das zu genießen weiß. Denn dann dürfte es tatsächlich jemanden geben, der schief schaut (schiefgelaufene Assoziation – solch edlen napoleonischen Düfte gehören ja wahrlich nicht elektrisch weggekühlt).

Übrigens: Käse hält aufrecht.


mifasola   (09.10.09, 10:51)   (link)  
Und bitte
auch nicht wieder so ein Wunderwesen, dass selbst verschlossene Türen zu öffnen weiß, sofern der Schlüssel steckt. Statt der Klebebandindustrie subventioniere ich doch lieber den einen oder anderen Affinateur. Oder sonstige Köstlichkeitenmanufakturen meines Vertrauens.

Sieh an, der Herr Wickert. Hätte ich ja nicht gedacht.


jean stubenzweig   (09.10.09, 13:22)   (link)  
Gar ein wenig unheimlich
mag einem da werden. Ein menschgekreuzter Hund?

Was, bitte, hätten Sie nicht gedacht, was Herrn Wickert betrifft?


mifasola   (09.10.09, 13:39)   (link)  
Dass er was von Käse versteht.

Reden konnte er nicht, der Hund. Immerhin.


jean stubenzweig   (09.10.09, 16:02)   (link)  
Käse erzählen
ist ihm sozusagen Passion. So despektierlich das klingen mag, ist es jedoch nicht gemeint. Er weiß sozusagen natürlich einiges über Käse, wie er vor längerem in einem spätnächtlichen Feuilleton mal belegt hat. Wenn ich mich recht erinnere, wurde er danach – nicht deshalb – sogar zum Ehrenmitglied derer von Saint Uguzon ernannt, wurde zum Mâitre Fromager gekürt, der edle Hengst der ARD. Seit seiner Verrentung, wenn man das so profan bezeichnen darf, scheint er allerdings auch nicht mehr nur als ehemaliger Korrespondent zugange zu sein, sondern Erfahrung mit richtigen Menschen zu machen. Vor einiger Zeit hat er Quartier in der Provence bezogen.

Ich mag ihn übrigens; nicht nur, weil er Käse mag.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6036 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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