Literarische Völlerei

Die Zeichnung Kurkumaolive von Seemuse hat dieselbe in ihrem Wahrnehmungsfenster ausgestellt, nachdem sie den Eiergenießvorschlag von Abe Opincar gelesen hatte. Sie gefällt mir so gut, daß ich sie im Nachhinein als Chapeau voranstelle.
Und seit heute, dem 11. November 2010, ziert sie — als Geschenk von Seemuse ! — mein Büro.


Mit Hilfe dieses Buches brät man kein Huhn. Man sollte das Huhn, das man ohnehin nach althergebrachter Weise maltraitiert hat, im Rohr vor sich hinschmurgeln lassen und sich mit dem Buch in den Sessel oder, aus aktuellen Witterungsgründen, auf die Bank unterm Pflaumenbaum setzen. Es mag sein, daß darüber das Huhn den letzten Saft verliert. Aber das dürfte einem bald schnurz sein. Denn das Buch an sich ist (geistige) Nahrung, ein ausgiebiges Menu, wie in einem Landgasthof im Périgord. Also lieber am nächsten Tag ein neues Huhn ...

Aber es ist, auch wenn es verkaufsmaschenhaft immer wieder als solches angeboten wird, alles andere als ein Kochbuch. Wenn Opincar kocht, dann gießt er allenfalls Öl in die Pfanne, streut einen Teelöffel Turmerik (Kurkuma) hinein, rührt um und schlägt zwei Eier darüber, die danach auf den Teller gleiten, abschließend übergossen mit dem restlichen, gelb gefärbten Öl. Wie Opincar das erzählt, möchte man vielleicht gar kein Huhn mehr, sondern nur noch dessen Eier.

Es ist eher ein Erinnerungsbuch. Es verbindet Düfte mit Erlebnissen, Ereignissen. Dabei ist Opincar der französischen Literatur sehr nahe, die Begebenheiten des Lebens mit Gerüchen assoziiert, allen voran Marcel Proust mit seinem Hauptwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (À la recherche du temps perdu). Die Kraft der Wahrnehmung (Ästhetik), des Geschmacks bannt sie alle, Proust, Opincar und deren Leser. Sogar Kant blinzelt mit seiner Urteilskraft hinein ins Buch.

Bei Opincar mögen es, beispielsweise, die frisch geernteten Persimonen sein, von denen man erwiesenermaßen Bauchweh bekommt und man sie trotz der mütterlichen Warnung dennoch immer wieder allzugerne vom Baum pflückt. Dabei fällt ihm die Nachbarin und deren von Persimonen überbordendem Garten ein: «Arlenes Großzügigkeit gehört zu den Dingen, an denen ich erkenne, daß Zeit vergangen ist.»

Käse, Persimonen, überhaupt Früchte, Gemüse, Anis, Basilikum, Kümmel, immer wieder Gewürze und Kräuter breiten sich in diesem Buch aus, das weniger im klassischen Sinn Roman ist als eine Reihung literarischer Memorablia (oder anders: die Bezeichnung Roman ist so irreführend wie Kochbuch). Opincar handelt mit witzgewürzter Intelligenz Kulturen, Kulturgeschichten ab. Wie nebenbei liefert er bedenkenswerte Erklärungen, etwa die, weshalb (Süd-)Franzosen (vermutlich) fürs Leben gerne Pastis trinken: Babies, deren Mütter während der Schwangerschaft Anissamen gegessen hatten, wandten sich dem Anis zu. Die anderen mochten ihn nicht. — Ob Mütter aus nordöstlicheren Landstrichen lieber Weizenkörner oder Kartoffeln gekaut haben?

Opincar huldigt ausführlich den Ausdünstungen des Landes, in dem er gelernt hat, «gesittet» zu essen: in einer bürgerlichen Familie im Bordelais. Und ein wenig mag es sich wie Rache lesen, wenn er die chemischen Prozesse französischer Heiligtümer, etwa den Käse Fleur du maquis (auch bekannt als Saveur du maquis) drastisch beschreibt. Napoleon kommt ihm dabei in den «Sinn», der in einem Brief an Josephine schrieb, sie möge sich nicht waschen, er komme (in zwei Wochen) heim. «Unsere Nasen sind besonders empfindlich für Ammoniak und andere Nebenprodukte bakterieller Zersetzung wie etwa diejenigen, die Achselgeruch verursachen. Das Jacobson-Organ — zwei winzige Vertiefungen am vorderen unteren Ende der Nasenscheidewand registriert besonders die von Napoleon so geliebten Düfte und leitet die Informationen an die urtümlichsten Teile des Gehirns weiter.»

Doch Opincar ist nicht nur von Frankreichs Kulturgeschichte des Essens angetan. Der Süden Floridas — wo er heute nach jahrzehntelangen Wanderjahren lebt — und damit das angrenzende Mexiko nimmt einen nicht minder intelligent-komischen Erzählraum ein. Doch ob die USA, Asien, Europa, überall hat er gegessen, weil er dort gelebt hat — und umgekehrt. Immer wieder gerät dabei Opincars Abstammung in die erzählende Erinnerung. Die Küche der Juden, das hat die Geschichte (oder haben die Menschen, die sie hinterlassen haben) so gewollt, hat unfreiwillig eine weltweite Verbreitung gefunden. Beeindruckend schildert Opincar jüdische Essensrituale während der hohen Feiertage und deren Hintergründe, einschließlich familiarer Despektierlichkeiten. Und er tut dies, dem jüdischen Humor gemäß, mit lakonischem Witz.

Doch es wäre falsch, diese Episoden auf das «typische Schicksal» eines der Religion wegen durch alle Erdteile getriebenen Menschen verdichten zu wollen. Zwar läßt Opincar keinen Zweifel an seinen Wurzeln, doch nie spielt er sie in den Vordergrund. Und geht dennoch ins Detail — etwa bei der Erläuterung des Begriffes «Judensau» —, dann tut er das so kenntnisreich, wie es wohl nur ein in die Jahre gekommener und in die Welt geratener ehemaliger Absolvent einer Jerusalemer Talmud-Schule sein kann — als Weiser: Es gelingt ihm immer, durch die Maschen religiöser Ver- und Gebote zu schlüpfen — hinaus ins offene Meer der Genüsse.


Abe Opincar
Am Abend, als ich meine Frau verließ, briet ich ein Huhn
Ein kulinarischer Roman
Titel der Originalausgabe: Fried Butter. A Food Memoir
Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein
SchirmerGraf

 
Do, 29.05.2008 |  link | (5076) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino


seemuse   (24.09.10, 12:18)   (link)  
hach! ist das schön zu schmecken zu riechen zu lesen! !


jean stubenzweig   (24.09.10, 21:36)   (link)  
Als ich den Buchtitel nannte,
sagte mir die Aushilfskraft in der Buchhandlung, Studentin der Germanistik im sechsten Semester, es tue ihr leid, aber für Kochbücher sei der Laden zu klein. Ich hatte Glück, denn justament kam der Altpapierhändler in seinen Minibookstore. Ein Griff zum kleinen Stapel – und eine kleine Rüge an die junge Frau (die mir dann schon wieder leidtat), sie möge sich in Zukunft doch etwas klüger machen, bevor sie Kunden in die Pfanne haue.

Ich lese darin immer wieder mal. Vor allem, weil ich das (höcht empfehlenswerte) Rezept «Spiegelei mit Turmerikuma» nicht im Kopf behalten kann.















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