Seltsame Polyglotterie

Die Frau spricht französisch und italienisch wie deutsch. Sie spricht aber nur mit Franzosen französisch und Italienern italienisch. Oder vielleicht mal mit einem welschen Schweizer. Aber Französisch den Franzosen. Und Italienisch den Italienern. Das Spanisch nicht zu vergessen, das sie mit mit den Spaniern, und das Spanisch, das sie mit den Latinos des lateinischen Amerika spricht. Auch mit den Brasilianern weiß sie sich zu verständigen. Wie sie dort übehaupt grundsätzlich in diesem singenden Portugiesisch angesprochen wird, weil sie vom Typus und den Bewegungen her wie eine im Land Geborene und Aufgewachsene wirkt, also mit dieser eigenen Art, die irgendwie mit Südeuropa zu tun haben könnte, auch dann oder weil Blond sich kringelt.

Wie das überhaupt immer sehr rasch geht: Kaum ist sie in einem Land, in dem Ureuropäisch gesprochen wird, beherrscht sie den jeweiligen Dialekt bald darauf soweit, daß man sie zu sich nach Hause einlädt, um sich mit ihr zu unterhalten. Englisch spricht sie, weil es ohne Englisch eben nicht geht. Aber die sonstige Leidenschaft ist nicht zu spüren. Es sei denn, die Bewohner Bostons hätten eine solche. Dann schätzt man sie als eine Indigene der letzten gut zweihundert Jahre ein. Das liegt wohl am Resteuropäischen, das man sich dort erhalten hat. Wie die Canadier sich ihre französischen Rudimente des 18. Jahrhunderts.

Im Deutschen verhält sich es sich etwas anders. Nicht, daß man heraushörte, wie sehr sie sich in diesem Land über viele Jahre bemüht hat, die Spuren ihrer anderssprachigen Herkunft zu verwischen. Das ist ihr nämlich durchaus gelungen. Nur der Geübtere nimmt wahr, wie sehr da immer etwas sperrt. Das ist einfach nicht der Sprachgesang, der ihr Französisch zum Pariserischen, ihr Italienisch zum Florentinischen macht. Dann nimmt das Oberbayerische oder das Berlinische immer wieder mal versuchsweise Platz, weil sie sich dort aufgehalten hat und dort und eingeborenes Sprechen nunmal jeweils sofort aufgenommen wird, aber man spürt doch deutlich, daß es auf Besuch ist. Und nur wer genau hin- beziehungsweise wer einmal hineingehört hat in dieses Phänomen, der vernimmt diese frappierende «ursächliche» Sprachverwandtschaft zum alten Griechenland. Homers Odysee wurde von Albert Meyer ins Bärndütsch übertragen: «Loset guet, syner Värse sy schöni Hexameter!

Wie sie ansonsten so konsequent alles Fremde aus einer jeweils gesprochenen Sprache heraushält, erstaunt mich immer wieder und nötigt mir allen erdenklichen Respekt ab. Immer wieder habe ich darüber nachgedacht, woran das liegen könnte. Ich vermute, es liegt am Respekt, den sie mehr oder minder unbewußt den Sprachen erweist. Sie, die wahrhaftig in der Welt Herumgekommene, muß einen Anglizismus, einen Fremdeinfluß nicht vermeiden, er gerät ihr einfach nicht hinein in eine andere Sprache. Sie spricht entweder englisch oder französisch oder italienisch oder portugiesisch oder spanisch oder eben bärndütsch (und damit quasi altgriechisch). Vom Verdacht irgendeiner nationalen Tümelei ist sie frei, da sie keiner Nation angehört, auch wenn sie einen «Rotkreuz-Paß» besitzt, wie familienintern gewitzelt wird. Sie hat wohl immer sofort die kulturellen Wurzeln der jeweiligen Sprachheimat verinnerlicht.

Lediglich ins Deutsche schleichen sich ständig fremde Einflüsse ein. Da gewinne ich bisweilen den Eindruck, sie wäre in eine Kunstsprache hineinerzogen worden, die keine eigene Kultur hat. Dann kauderwelscht sie, als sei ihr das ansonsten vorhandene Sprach- und Selbstbewußtsein gänzlich abhanden gekommen. Als ob sie immer noch versuchte, das Fremde zu vertuschen.


Für RatloseFür Geschichtsinteressierte
 
Di, 13.10.2009 |  link | (2068) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca


apostasia   (14.10.09, 01:11)   (link)  
Eine «reine» Sprachidentität
dürfte es nirgendwo mehr geben, trotz aller Schutzbemühungen wie z B. in Frankreich, dagegen arbeitet bereits die Globalisierung. Dennoch ist dieses Verhalten ein wenig sonderbar. Wofür oder wogegen spricht die Dame, wenn sie Deutsch spricht?


jean stubenzweig   (14.10.09, 15:52)   (link)  
Ja, sonderbar ist das.
Deshalb grübele ich ja ein wenig. Wobei das nichts neues bei ihr ist, mir aber jetzt erst durch den Kopf ging. Möglicherweise hat sich der Kauderwelschanteil in ihrem Deutsch erhöht und fällt mir deshalb verstärkt auf. Ich habe eine Vermutung, aber die hier preiszugeben, wäre unfein. Bei Gelegenheit werde ich sie mal in Ruhe darauf ansprechen.

Vielleicht ist es ja ein Phänomen, das dem postpostmodernen Deutsch immanent ist ...


tropfkerze   (15.10.09, 21:33)   (link)  
Falls es Sie beruhigt, dass wir Deutschen inzwischen hoffnungslos DEnglisch sprechen: Bei amerikanischem Jugendlichen ist nicht nur Rammstein der letzte Schrei (schaudern Sie nicht!), auch das Wort uber (= über = hyper) hat diesen Kultstatus. Das lässt doch hoffen auf eine deutsche Sprachinvasion in den USA!


jean stubenzweig   (16.10.09, 04:51)   (link)  
Die Jugend
macht vor nichts Halt. Aber die Vorstellung hat ihren Reiz: D-Day an der US-amerikanischen Ostküste, am besten bei Boston, dann wäre man rasch in Quebec und könnte das Französische gleich miterledigen. Mit den säuselnden Klängen von Rammstein – von denen ich allerdings bislang nur gehört, sie noch nicht selbst vernommen habe. Ich stelle mir das vor wie unter Richard Wagners hubschrauberischem Walkurenritt unter Coppola. Der entlullende Untergang jetzt oder so ähnlich.















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