David und Olympia

Als Entgegnung auf meinen Kommentar zu einer in jeder Hinsicht gesunden Skulptur präsentierte Herr Nnier eine besondere Interpretation der Abbildung von Wirklichkeit. Korrekterweise hätte ich auf der grünen Wiese des Michelangelo Vertarotti darauf antworten müssen, zumal der obendrein die Botschaft durch den Filter der Werbefreiheit gedreht hat. Aber der junge Mann bevorzugt nunmal das knappere Wort, während sich bei mir immer wieder die Assoziationsschraube derart ins Hirn bohrt, so daß die Späne der Endlosigkeit die Insel des Grünen vermutlich zuentsorgt hätten. So müllkippe ich mein Äckerlein zu; möge es Blüten treiben.

Nicht, daß ich jetzt auf Abbildung von Wirklichkeit pochen oder gar Ähnlichkeiten beschwören sowie einer Sympathie für irgendwelche Altherrenbünde Ausdruck verleihen möchte — diese Skulptur, die ja nicht wirklich eine ist, sondern Teilergebnis einer neuen Maltechnik, spricht mich an — auch dann noch, wenn ich dabei assoziativ sofort bei Fernando Botero lande. Sie berührt mich eher als das Schönheitsideal nicht nur der geradezu nachhaltigen oder in gewisser Weise immer wieder erneuerten Antiken-Sehnsucht des 18. Jahrhunderts (man gehe mal sonntags in die Münchner Glyptothek, wo seit langer Zeit sich diejenigen anschauen, wie sie selbst gerne aussehen möchten). Ich bin ja keine Frau und will auch keiner diesen leicht überboteroisierten David zumuten, aber einen solchen, wie die geschätzte Dame Smartass ihn die Tage schmunzelnd präsentierte, bei dem gerate ich dann doch eher ins Glucksen oder muß an Arno Breker oder Leni Riefenstahl oder gar Alfred Rosenberg denken oder lande bestenfalls bei Herrn Winckelmann oder dessen nie dahinscheiden wollenden Gebetsmühlenbetreiber, die es bevorzugen, in die Röhre der Inhaltslosigkeit zu stieren. Als ob es nie einen Alexander Gottlieb Baumgarten oder Karl Rosenkranz gegeben hätte und die Griechen allesamt so gewandelt wären wie sie heutzutage zwar ein wenig lädiert, aber nach wie vor großartig in der Sammlung am Königsplatz herumstehen. Schon vor dreißig Jahren assoziierte ich dabei immer ein wenig estetica, wie die Italiener seit je ihre Haar-, Hand- und Fußpflegedienste nennen und die hierzulande, bevorzugt in den deutschen Ostgebieten, Nail – Beauty – Shop oder so ähnlich heißen, aber mittlerweile bezüglich anderer Körperteile auch in Hamburg und anderen Stätten der Schönheit angekommen sind. Wenn wir nur wollen und auch über die monetäre Energie (auch für entsprechende «Studios») verfügen, sehen wir dann beinahe bald alle so aus wie der antikisierte Herr bei Frau Klugscheißer. Die Bedürftigeren nähern sich dann dem Aussehen des David des olympischen Bundes (nur wenn wir nur noch Obst und nichts kalorienreich sehr Schnelles mehr essen, schaffen wir es in die Nähe der Reduktion des Michelangelo Vertarotti). Allerdings sollten wir als Frauen dann keine drei oder fünf Kinder mehr kriegen oder nur noch welche adoptieren, am besten solche aus Afrika, da wird die Idee fett- und kalorienreduzierter Ernährung quasi mitgeliefert. Auch entsprechend geschulte Kinderfrauchen oder -männchen wären quasi analog zu empfehlen; das Androgyne soll uns ja nach wie vor oder gar mehr noch als früher faszinieren.

Ob der oben erwähnte und über die Jahre etwas dicklicher gewordene, als Ästhetik nicht kleinzukriegende David des anderen — also nicht des ostwestfälischen — Michelangelo Kunst ist, darüber ließe sich mal wieder debattieren. Ist er keine, um es weiterhin mit Paul Klee einzukreisen, da er Wirklichkeit abbildet? Ist er's, da er sichtbar macht? Aber das genau sollte der Digital-Kreateur vermutlich nicht erreichen, als er die Statue in seine Computer-Werkbank einspannte und mittels Weichware sozusagen eine zweidimensionale Plastik daraus schuf (Eduard Trier: der Bildhauer «nimmt weg», der Plastiker «baut auf»). Mir scheint, es ging wohl doch eher in Richtung einer dringend erholungsbedürftigen Sportartikel- und Nahrungsmittelindustrie sowie der daran hängenden sponsorisierenden Investitionsgesellschaften oder sonstigen Professionalitäten (die mein sauer verdientes Geld via Krankenkassenkosten in irgendwelche sportlichen Aktivitäten stecken, mit denen sich Menschen zu Tode oder zumindest in teure Kliniken hetzen). — Womit wir wieder bei der anderen Auseinandersetzung wären, die ich für genauso fadenscheinig halte, da sie in derselben Kerbe landet. Es geht gar nicht um dick oder dünn und auch nicht um Kunst kommt von Können oder von Kunst, sondern um dringend benötigten neuen, ein bißchen mehr Wert erzeugenden Glamour.

Nun soll das hier ja kein Aufruf zur Bewegungslosigkeit oder gar zur freiwilligen Verfettung werden. Aber man kann sich auch bewegen, ohne irgendwelchen vereinsmeierischen und vielleicht gar pharmazeutischen Anleitungen zum Selbstmord zu folgen. Außerdem bin ich nicht sicher, ob der Dicke, um den ich mich hier drehe, sich nicht längst schlanklacht ob meiner Unwissenheit.


Die Photographie des Gemäldes von Fernando Botero aus dem Museo Botero in Bogotá, die ich leicht beschneiden mußte (was sich grundsätzlich nicht gehört, aber mir ging es um das Original), um sie geradestellen zu können, stammt von P_R_ und steht unter CC.
 
Mi, 25.11.2009 |  link | (6602) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges


nnier   (26.11.09, 12:58)   (link)  
Da kommt man ja auch ohne Bewegung ins Schnaufen, wenn man diesem Rundumschlag und -ritt folgen will; und nachdem ich auch all die Bilder hinter den interessanten Links angeschaut habe, bleibt mir nur, mit Heinz Strunk zu sagen: Ein Wahnsinn, alles.


jean stubenzweig   (26.11.09, 15:24)   (link)  
Meine Art Bewegung
(moving art?) ist das – alles, was mich so bewegt eben. Vermutlich werden sie mir die Beine geradebiegen müssen, wenn ich mal vom Hocker direkt ins für die Hohe See bestimmte Leichenlinnen falle. Sport ist eben fort. Vermutlich bin ich vom früheren Übermaß geschädigt. Nun gut, es liegt schon einige Tage zurück, aber ich entwickle seit einiger Zeit häßliche Erinnerungen daran. Wobei ich normales Gekicke oder ähnlich vergnügliches Betreibe durchaus als sympathisch empfinde. Und würde ein generelles Helmtrageverbot (für Spieler) beim Eishockey eingeführt, möglicherweise ginge der alte Esel wieder aufs Eis (mit Gehhilfe auf Kufen?). Nur bei diesem oktroyierten Wahn auch noch des Schicken, am Ende gar sogenannte Muckibuden, dabei assoziiere ich Mord.

Aber daß ich Sie dabei im Sitzen schwitzen lasse, das erfreut (amüsiert?) mich dann doch sehr. Sie wissen ja: Bewegung kommt von innen und will draußen als (stille) Anmut ihre Ruhe haben. Strunk hat sowas von recht! – Ab in die Horizontale. Allerdings muß ich zu meinem Leidwesen vorher noch die Mülltonne zu Abholung bereitstellen. Und die verlangen dafür auch noch Geld. Meins. Wie im Supermarkt. Man nimmt ihnen die Arbeit ab und bezahlt sie dafür. Service wird das dann genannt. Können die das Zeug nicht hier abholen? Die Deutschen wollen Dienstleister werden. Ha. Irgendwie ruft das nach (Schreib-)Bewegung.















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