Unter Androhung aller erdenklichen schrecklichen Strafen, bester G., reagiere ich seit Beginn meiner Internet-Teilnahme, also etwa seit 1990, auf jeden Versuch, mich zu belästigen. Wer mich anruft, um mir irgendetwas andrehen zu wollen, muß sich aufs Höllenfeuer vorbereiten. Das scheint diejenigen eher weniger zu schrecken, die das für Aufklärung halten oder es als solche bezeichnen. Aber irgendwas Irrationales scheinen sie dennoch zu fürchten. Da ich das von Anfang an in aller Konsequenz durchgezogen habe und -ziehe, auch wenn es anfänglich mühsam war, scheint sich das gelohnt, herumgesprochen zu haben. Die jeweils sofort ausgeführten, meist juristisch ausformulierten Drohungen haben wohl Früchte getragen (ist es das, was man als «nachhaltig» bezeichnet?). Höchst selten erreichen mich noch Spam-eMails unter meiner privaten eMail-Adresse. Der letzte telephonische Versuch auch im Büro dürfte etwa zwei Jahre zurückliegen; die Telephonnummer hatte mal so ein «Dienst» im Netz angeboten (da war er aber verkauft). Ich bin wohl reihum als für das ungeeignet, was gemeinhin unter Konsum firmiert, und als Widerling aktenkundig. Klopf auf Holz. Das Mobile schalte ich nur noch ein, wenn ich es benötige, etwa wenn ich unterwegs oder im Süden bin, allerdings fürs Private nur noch zu einer festen Stunde, da ich dort keinen Festanschluß habe. Gut, ich kann es mir wegen «Erreichung der Altergrenze» erlauben. Aber ich habe es schon einige Zeit vorher getan, quasi als unterstem Ast auf dem Weg zum Baum der Erkenntnis. Ich will das einfach nicht haben. Früher ging's ja auch ohne. Man hat sich mundgemalte Postkärtchen mit Herzchen geschickt oder Rauchzeichen gesandt. — Das ist das eine. Aber es hängt alles zusammen. Ich habe es schon mehrfach geäußert: Gnade der frühen Geburt. Aber so ganz ohne Berührungspunkte zur aktuellen Situation bin ich ja auch nicht, und eine Zeitlang befand ich mich mittendrin. Zu erwähnen wäre einer unter den Bekannten und Freunden, die im akademischen Betrieb tätig sind, der beklagte schon Mitte der Neunziger, da war er noch promovierter Habil-Student und machte die Arbeit für seinen Herrn Professor und übernahm dessen Lehre gleich mit, aufkommende Erschwernisse. Dennoch ist er heute einer der wenigen, die im Rahmen seiner Möglichkeiten die von Ihnen erwähnte Auffassung von akademischer Lehre vertreten. Bereits die Nachgerückten, vor allem die Nachrückenden bringen offensichtlich die Mentalität mit, die da herangezüchtet wird. Wie auch anders?! Da stimme ich Uferblume absolut zu, diese Art des Studiums bildet das ab, was als Wirklichkeit gewünscht ist. Die Zeiten, in denen ich mich gerne im Hochschulbereich aufgehalten habe, sind vorbei. Jedenfalls in hiesigen Regionen. Es macht einfach keinen Spaß mehr, weil Spaß mittlerweile verboten ist. Ich meine nicht den Partyspaß, sondern die Lehr- und Lernfreude, aus der sich oft genug das anschließende fröhliche Zusammensitzen ergab, aus dem sich «Erkenne dich selbst» oder «Verstehe die Welt» herauskristallisieren konnte. Was bei uns als Lehrlingen früher und auch später als Lehrer noch normal war, scheint nicht mehr möglich zu sein. Ich erinnere mich auch nicht, daß das im April diplomierte Töchterlein derartiges berichtet hätte, allenfalls davon, daß der ältere Lehrstuhlinhaber gelassener und nicht so fahrig und hektisch reagiert habe wie die zwanzig Jahre jüngere Kollegin, die nur den von ihr Bevorzugten Zeit zum atmen zugestehen will. Alles ist derartig auf Schnelligkeit und Karriere ausgerichtet, daß es mich graust. «Und ehe sich», das ist es, lieber Vert, politische Begabungen ausbilden können, ist das Studium auch schon wieder vorbei.» Das ist ebenso mein Eindruck, wenn auch aus der Entfernung. Ich weiß, wieviel näher Sie dran sind. Aber «wir damals! ha!», das meine ich nicht. Das wäre mir zu schlicht. Wir hatten eben völlig andere Bedingungen. Und die hielt und halte ich nunmal für sinnvoller als all das auf Wachstum und Konkurrenz Ausgerichtete. Verbesserungen — durchaus, aber nicht zu Lasten einer Gemeinschaft, die bald nur noch virtuell bestehen wird. Längst löst die sich ja auch außerhalb akademischer (Aus-)Bildung auf. Nun ja, so neu ist das alles nicht. Man erinnere sich sich: Kiesinger war's (oder war's Filbinger?), der mal geäußert hat, schließlich dürfe es nicht nur Akademiker geben, es müsse auch jemand arbeiten? Jedenfalls so ähnlich. Und wie die arbeiten müssen mittlerweile. Wenn sie Arbeit haben (und die Studenten obendrein Zeit). Die anderen also, die der Handarbeit willen eine Lehrzeit absolviert haben? Auch die werden «freigestellt» (ich hasse den Erfinder dieses übelsten aller Euphemismen) oder werden zumindest schlecht bezahlt, unter ständig drohendem Wink mit dem Zaunpfahl der Entlassung. Trotz sowohl qualititativer als auch quantitativer Höchstleistung. Das sind Erfahrungen, die wir zur Zeit direkt machen. Diese Erpressungsmethoden der Großunternehmen haben sich mittlerweile sogar die kleinen Mittelständler zueigen gemacht. Ich habe begonnen, jede (frühere) Achtung vor denen zu verlieren. «Zu gucken, zu lesen, zu diskutieren und daraus etwas zu folgern und sei es auch nur, sich nicht alles bieten zu lassen», das denke ich fortwährend, nicht erst seit heute. Als Anfang, lieber G.? Den scheint das Volk nicht zu wollen. Hier wie anderswo. Sonst würde es sich nicht so erniedrigen und jedesmal dieselben Schlächter seinerselbst wählen. Einer der wenigen, die noch Hoffnung zu haben scheinen, ist Jean Ziegler. In seinem neuesten Buch Der Hass auf den Westen macht er einmal mehr vehement auf Ursachen aufmerksam, verweist allerdings auf Veränderungen, wie sich seit jüngster Zeit in Lateinamerika anzubahnen scheinen. Ich weiß nicht so recht, das ist weit weg, von Europa aus betrachtet. Denn mittendrin in diesem alten Kontinent sitzen altgrüne Barrikadenkämpfer wie Daniel Cohn-Bendit und erklären, wie Europa an der Welt hängt. Die französische Bewegung décroissance beispielsweise hält er für «Schwachsinn» — oder so ähnlich, wie er kürzlich laut und vernehmlich zum besten gab aus dem Fond eines Fahrzeugs heraus, der ausufernd bequem wirkte. Aber wahrscheinlich war es ein elektrisch angetriebener, edelledrig überdachter Rollstuhl. Eine Zeitlang hielt ich es mit dem überaus geschätzten Herbert Achternbusch, der seinen Atlantikschwimmer mal sagen ließ: «Diese Gegend hat mich kaputtgemacht. Jetzt bleibe ich solange hier, bis man es ihr ansieht.» Ich habe aufgegeben. Es käme dem gleich, was Franz Josef Strauß einmal angekündigt hat: Ananas züchten in Alaska.
Lieber Jean Stubenzweig,
herzlichen Dank für ihre ausführliche Antwort. Zunächst vielleicht noch einige erklärende Worte zu meiner Empörung über gewisse Werbebotschaften. Das, was mich an diesem Gespamme im öffentlichen Raum so aufgeregt hat, war, dass diese Werber sich herausgenommen haben, einen ehrwürdigen und im 18. und 19. Jahrhundert als politische Losung gegen Fürstenwillkür und Obrigkeitsstaat benutzten Begriff, für ihre Zwecke und das empfinde ich als eine denunziatorische Verwendung, verballhornt zu haben. Oder kurz: Was erdreistet sich so ein Werbemensch, Redefreiheit für sein Biziness einzuspannen? Können sich die Leute nicht benehmen? Diese Schamlosigkeit finde ich erbärmlich und leider auch symptomatisch für diese Gegenwart, das ist ähnlich dreist und ekelerregend wie Herrn Henkels jüngste Bemerkungen zum ‚Missbrauch des Armutsbegriffs’. Es ist diese ignorante Herrenreitermentalität, die sich Raum verschafft und der Raum gegeben wird, der eine ‚Normalität’ zugebilligt wird. Anscheinend glauben viele, es handle sich dabei um eine Meinung unter vielen und nicht um eine ganz bestimmte Haltung, eine Vorstufe zu etwas, das einen ängstigen sollte. Der rote Dany ist, wie so viele, da angekommen, wo er wohl immer hin wollte. Als Jugendlicher hatte ich ja die Hoffnung, dass das anders wäre, aber ein Gefühl sagte mir damals, dass ich mir da vielleicht doch etwas vormache. Nun gut, man irrt so lange man lebt und strebt und ich dachte ja auch mal, dass Alice Schwarzer unter Emanzipation mehr versteht als den Zugang von Akademikerinnen zu den Fleischtöpfen. Insofern ist es auf der Steuerbordreling der Gesellschaft auch nicht verwunderlich, dass ein gegeltes Bürschlein, das herrschaftstechnisch perfekt, eine Politik exekutiert, die Krieg als ein ganz normales Mittel der Politik ansieht, öffentlich bewundert wird und dass kaum jemand widerspricht, wenn die BWL-Bubis das Gesundheitswesen endgültig zur Plünderung freigeben wollen. Es ist dieser gleiche Geist, der da überall wütet. Von Freiheit schwadronieren und lediglich das unbehinderte Greifen in die Taschen anderer Leute meinen. Früher war alles besser, vor allem die Zukunft, sagte mal Karl Valentin. Das hört sich paradox und unsinnig an, man kann den Satz aber auch ernst nehmen, wenn man möchte. Ganz banal: es gab sehr viel mehr vermeintliche und tatsächliche Chancen, die man nutzen konnte. Als ich Anfang der 80er studiert habe, konnte man sich am Morgen noch entscheiden, ob man in die Vorlesung geht oder lieber den ganzen Tag in der Bibliothek verbringt (oder sich mehr fleischlichen Genüssen hingibt). Solche Freiräume stehen heute nicht mehr zur Verfügung. Man mag mit einem gewissen Recht dagegenhalten, dass ein Studium vielleicht doch etwas anderes sein sollte, als zu tun und zu lassen, was einem in den Sinn kommt und in der Tat gab es damals eine Menge Studiosi, die orientierungslos zwischen den Hörsälen und Lehrmeinungen herumirrten. Insofern spöttelt vert zu recht über die alten Männer, die vom Krieg erzählen, aber mir deucht, zwischen Verdursten und Ertrinken gibt es doch noch einen Mittelweg, den man beschreiten könnte. Einen Mittelweg muss es auch zwischen Resignation (nicht das ich ihre letzte Bemerkung nur in diesem Sinne aufgefasst hätte) und blinder Hoffnung geben, wie sollte man sonst das Leben tragen können? Matthias Greffrath schreibt in seiner Einleitung zu ‚Montaigne heute‘ von dem wachsenden Interesse an Montaigne und führt das auf die Sehnsucht nach einem Leben in Würde („halbwegs anständig, mit Vernunft und Spaß“) und darum geht es. Aber wem sage ich das. Verzeihen Sie, das war jetzt ein allzu großer Bogen. Da braucht es doch noch etwas Musik zur Abrundung.
Nein, Herr g., zumindest was mich betrifft war das kein zu großer Bogen, sondern einer, den ich mitgehe.
>> kommentieren Einen Dirigenten
bräuchten wir jetzt nur noch für unser Trio. Ach, nein, wir kennen die Partitur so gut, da geht's auch ohne Führer (und wenn's doch sein muß, dann ließe ich mich gerne von einer leiten). Was die großen Bögen betrifft, zumindest von meiner Seite aus die langen, die haben hier ohnehin ein Zuhause.Ja, der Henkel. Er läßt mal wieder – und damit stellvertretend für den Freundeskreis – alles weg, das allzu nahe an der Wirklichkeit sein könnte. Und richtig, das klingt nach Vorstufe zu dem, was da vermutlich noch kommen wird. Und Mathias Greffrath, der brillante, da schließe ich mich mit Nachdruck an und ergänze Ihren kleinen Hinweis als Anreiz zur Lektüre. 1998 war's*, im erwähnten Vorwort zur Neuausgabe des 1984 bei Wagenbach erschienenen Buches, da hatte er geschrieben: «[...] junge Menschen haben Sehnsucht nach Lehrern, nicht nach Lernmaschinen. Aber sie mißtrauen dem organisierten Betrieb und der Beratung: Was haben die schon zustandegebracht, die ihnen einen Großautor, einen Sektensinn, eine ‹Schule› andrehen wollen? [...] Systematiker sind aus der Mode. Nicht Weltenbauer sind gefragt, sondern ad-hoc-Theoretiker, Gelegenheitsfromme, Lebenskünstler. Sinn leuchtet im Lampenlicht des Privaten, und Stoikerinnen im Seitenflügel, Epikuräer mit kleinem Budget, Buddhisten mit BMW und Skeptikerinnen mit Festanstellungen plagt weniger die große, die ganz große Frage nach ‹dem› Sinn, sondern viele kleine: Wie komme ich durch, halbwegs anständig, mit Vernunft und Spaß und Würde – nein, Würde sagen sie nicht, eher schon: so, daß ich mich ansehen kann. Die kleinen, nahen Fragen, die nächsten Schritte werden wichtig, wenn nichts Großes da ist, dem ich mich anschließen kann, und so ist es kein Wunder, daß auch Montaigne Konjunktur hat. [...] Meine Begegnung mit Montaigne entstammt einer reinen Liebhaberei; weder bin ich Philologe noch Fachhistoriker oder -philosoph. Montaigne habe ich gegen Ende meiner Schulzeit entdeckt. [...] Es war eines dieser zufälligen Bildungserlebnisse, wie sie in diesem Jahrhundert dank sozial-demokratischer Bildungsreformen möglich und üblich geworden sind: unbeschwert von Tradition und ohne tiefere Kenntnis. Und meist ohne Folgen.» Die (Spät-)Folgen* sind hier angerissen. Aber vielleicht legt sich trotzdem jemand alle Essais von Michel de Montaigne zu, diesen schönen Band beispielsweise. «Montaigne ist einer der Autoren», so Greffrath, «die man nach ein paar Seiten duzt.» *Ich war der Bundestagswahl wegen eigens von Paris nach Berlin gefahren, um im Zwiebelfisch die Ergebnisse zu verfolgen. Schön war's. Aber lang ist's her ... >> kommentieren Ein Leidensgenosse
Wie schön.Ich habe mich bei jeder Art von zudringlichen Rückgriffen auf meine Person auch zwischenzeitlich als weiblicher Kotzbrocken derart isoliert, dass mich kein Schwein mehr anschreibt. Und auch vom Handy habe ich mich privat völlig verabschiedet, beruflich ist es Pflicht. Auf dem Mobilteil haben mich eh nur Anrufe meiner Kinder gestresst, während ich in Grenzsituationen war. (Besuch beim Frauenarzt, Einkaufen unter Akkordbedingungen etc.) Die beschauliche Unerreichbarkeit für jedermann ist eine Schrulle, die auch ich mir als Luxus meines Alters erlaube. Wir haben die geistige Elite im dritten Reich erfolgreich vertrieben (oder deportiert und Schlimmeres). Was ist danach gekommen? Die Studentenbewegung, die sich leider selbst ins Unrecht gesetzt hat - durch ihre Radikalität, trotz ernst zu nehmender Ansätze - und zumindestens in den Geisteswissenschaften ein übervorsichtiges Quartier im Elfenbeinturm, mit Fußbodenheizung, Angepasstheit. Schleiermacher und Hermaneutik, wo man hinschaut. Politisch gesehen haben wir uns zu Huren gemacht, hinter dem eisernen Vorhang und uns nicht getraut in die Gefilde zu begeben, die wirklich innovativ wären: Die der Physik und Mathematik, Medizin mit unserem philosophischen Auftrag zu verbinden. Diese Art von Trennung /Säkularisierung hebt das Internet teilweise auf. Das scheint den hiesigen Politkern auf dem Flokatiklöchen jedenfalls ein riesiger Dorn im Auge. Auf dem Mobilteil - ein Zwischenruf
Also, meine allererste sms, vom WC aus: "Papier"Herr Prieditis
War ja klar, dass Sie da freischaffend auf alles ähm. Na, ja. Also hier: Papier.Verschwendens net und malens was Scheenes drauf. Papier?
Ich kenne den Begriff, Herr Prieditis, aber ich bin ja auch kein Künstler, vorwiegend als Name, vornamens Hans Jürgen. Das ist der Herr Präsident des BGH, der im Namen des Volkes den evangelischen und katholischen Kirchen der BRD das alleinige Recht zugestanden hat, sonntäglich den Herrn an- und seine Schäfchen zusammenzurufen. Da muß sogar der westlichen Welt liebstes Spielzeug, das SonntagsShoppingHopping, zurückstehen. Von anderen Bedürfnissen war nicht die Rede. Für die nutze ich auch keine Bäume, allerdings ebenso keine Elektronik, sondern einen leider mittlerweile sogar in Frankreich vom Aussterben bedrohten und deshalb zu bewahrenden Gegenstand. >> kommentieren Leidensgenosse?
Als solcher möchte ich mich in diesem Zusammenhang nicht unbedingt bezeichnen. Denn auf solche Art von Mitteilung verzichte ich nur zu gerne. Ich hatte es ja angedeutet: Mundgemalte Postkarten. Es wird nicht lange dauern und die Volkshochschulen werden dieses aussterbende Kunsthandwerk in ihre Programme aufnehmen.Nicht so recht übereinstimmen möchte ich mit einer «Studentenbewegung, die sich leider selbst ins Unrecht gesetzt hat». Hermeneutik – das eine um andere Mal wünschte ich mir, es würde mehr über Zusammenhänge nachgedacht, Bedeutung reflektiert. Ich, der ich mich mittendrin befand, möchte diese Zeit nicht missen. Sie hat mir – der Gesellschaft überhaupt – doch einige Erleichterungen gebracht. Was von vielen Jüngeren heute gar nicht mehr gesehen, für selbstverständlich gehalten wird. Kuppeleiparagraph. Eltern, Vermieter oder Verwandte, die unverheirateten Räumlichkeiten zu Behufe des Geschlechtsverkehrs zur Verfügung stellen. Als ich unserem Jüngsten mal davon erzählte, nachdem er sich aus seinen vier Freundinnen herausgeschält hatte, da war er noch nicht ganz sechzehn, schaute er mich an, als ob ihm ein Geist des Wilhelminismus erschienen wäre. – 1969 wurde der Paragraph gestrichen. Das sind (scheinbar) Unwesentlichkeiten. Die Studentenbewegung dieser Zeit hat Bewegenderes hervorgebracht. Dazu könnte unter Umständen auch gehören, was Sie mit Schleiermacher andeuten bzw. meinen könnten: eine Hinwendung zu dem, was gerne als Moral bezeichnet wird. Etwa zehn Jahre liegt es zurück, da saß ich neben einer großen Runde von Langhansens und Zachers samt Nachkommenschaft, die verkündete, sich fortan wieder verloben und anschließend heiraten zu wollen. Ich wollte noch vorschlagen, das Kranzgeld* wieder einzuführen, ließ es dann jedoch, da ich mitsamt den ziemlich bedröppelt oder auch peinlich berührt dreinschauenden Exkommunarden wußte, hier ist etwas zu schnell gegangen, um es von der nachfolgenden Generation verarbeitet werden zu können. Möglicherweise ist daraus auch dieser Egoismus entstanden, der heutzutage Individualität genannt wird. Und eben auch die erwähnte Wiederbelebung der Moral, worunter aber eben häufig weniger ein politisches Gewissen im Sinne von Gerechtigkeit etc. gemeint ist, sondern Anstand und Benimm. Auch schließe ich mich durchaus an, was weitere Ungereimtheiten betrifft, die aus dieser Zeit hervorgegangen sind, verweise ich auf den hinkenden Boten G., hier oben. Da kann einem schon Angst und Bang werden. Aber ein paar andere sind schon noch übriggeblieben; wenn die auch auszusterben scheinen ... * Kranzgeldparagraph? § 1300 BGB: «Das Kränzel reißen die Buben ihr ...», Gretchen und Liesel im Faust I, oder auch «Der Bräutigam schaut ganz verwundert, die Braut, die klagt aus Dreizehnhundert». Eheversprechen. Am Ende gar «Raub der Jungfernschaft». Noch Ende der Sechziger sollte ich dessen beklagt werden. Ein Richter hat es zwar abgelehnt, aber Ende der Neunziger – kurz vor meiner Teilnahme an der trauten Kommunardenrunde – erst wurde er dann tatsächlich abgeschafft. Ich
habe die Studentenbewegung nicht grundsätzlich angegriffen....Im Gegenteil. Heute werden die Studenten, wie die Hartz 4ler verwaltet. Das Diktat hantiert mit der Not wider die Faulpelze und Schwerenöter: Siehe Artikel in der ZEIT 55, Feuilleton: "Der deutsche ´Professor nach neuem Wunschbild ist ein apparatschikhaft vernetzter Großorganisator von Studiengängen, Graduirtenkollegs und Sonderforschungsbereichen, der pflichtgemäß allerlei uninspirierte Sammelbändchen herausgibt, um seinen Brotgelehrtenfleiß zu dokumentieren. Ihm entspricht der Stundent, der sich nicht mehr um zwei Uhr nachts noch in Nabokovs Romane vertieft, sondern der um ach Uhr morgens frisch rasiert den Hörsaal betritt um seinem Workload gerecht zu werden. Der auch nicht mehr - sofern er engagiert und begabt ist - das Privileg genießt, von einem Dozenten frühzeitig in ein Oberseminar eingeladen zu werden, sondern der lemminghaft die für seine Alterskohorte vorgesehenen Pünktchen sammelt." (Peter Kümmel) Leidensgenosse, war insofern ironisch, als dass ja kein Leid besteht, für den der ignoriert. Sei es auch das flachste Händi mit dem stereo-klingelton, multifunktional als Navi, Rasierapparat, Mini-Pc oder Vibrator-Effekt. Also nur auf den Terror der Technik bezogen. ;-) Ich würde mir insofern eine andere Art von Diskussion wünschen, ausser der die begreift, was uns ergreift - in Hinblick auf die moderne Mathematik, Physik, Quantentheorie, Chaostherie etc. Aber das ist fürwahr ein weites Feld. Wer war das?
Ich meine: Wer hat das geschrieben? Peter Kümmel, der Theatermann? Das kann ich mir nicht so recht vorstellen.«... der Student, der sich nicht mehr um zwei Uhr nachts noch in Nabokovs Romane vertieft ...» Was ist denn das für eine fast schon wieder komisch klingende Veridealisierung studentischen Lebens früherer Zeiten? Auf jeden Fall scheint mir der Autor oder die Autorin sozusagen nicht aus dieser Zeit. Oder es war ironisch gemeint, vielleicht gar im Zusammenhang eines damals «fehlenden» Internets, mit dessen Hilfe man sich eben mal ein bißchen «Erotik» runterholen konnte. Dann kämen wir dem Zustand dieser Zeit näher. Wenn Nabokov damals durch die Gazetten geisterte, dann meist via Lolita oder Ada und das Verlangen, wessen auch immer. Aber hochgeistige Literatur? Damals? Jedenfalls nicht in der studentischen breiten Masse. Die betete die Bibeln Maos oder anderer Heiliger dieser Art herunter. Ob man sie verstand oder auch nicht. Selbstverständlich gab es auch diejenigen, die mit Spaß an der Freude in Literatur et cetera herumwühlten und sich dort hineinvertieften. Dann waren es allerdings diejenigen, die in den entsprechenden Geisteswissenschaften belegt hatten (nicht diejenigen, die an Gittern rüttelten und schrieen: Ich will hier rein!). Und die dann meistens irgendwie unterkamen an den Bühnen, im Journalismus, in den Verlagen und so weiter. Manch einer schaffte es sogar in die Politik oder begann, sich als Gewerkschaftsfunktionär Schwielen den Hintern zu sitzen. Bis auf einige Exoten wie die Ethno- oder Sino- oder auch Soziologen. Die fuhren nach dem Doktor im dreißigsten Semester dann US-Limonade aus oder einen im Taxi herum. Was zu manch einem Gespräch führen konnte, das einen die angestrebte Zugverbindung schonmal vergessen ließ. Ja, das wäre es, was ich meine – und vermutlich ansatzweise wir beiden meinen – mit dem Unterschied zu heute. Intellektualität war kein Schimpfwort, sondern verwies auf das, was man unter anderem an einer Universität (aber durchaus auch anderswo; ich habe einige hochintellektuelle Menschen ohne Hochschulstudium kennengelernt, allerdings auch manche mit einem solchen, die nicht unbedingt begabt waren) lernen konnte: von intellegere, erkennen, verstehen, unterscheiden und das mitteilen können. Eben diejenigen, die unter anderem eine Verbindung herzustellen wußten zwischen Mathematik, Physik, Chaos-, oder Quantentheorie et cetera beziehungsweise Literatur, Philosophie und all dem, was sonst noch dazugehört. Mir beispielsweise macht es seit vielen Jahren Freude, Harald Lesch zuzuhören, der, nun wirklich kein Alt-Achtundsechziger, sich erst kürzlich zu den unhaltbaren Zuständen an den heutigen Universitäten geäußert und mehr Freiheit des Denkens beziehungsweise die dafür erforderliche Zeit respektive die dringend notwendige Reparatur Bolognas eingefordert hat. Im besonderen meine ich damit seine Gespräche mit Wilhelm Vossenkuhl, die hin und wieder in frühen Morgenstunden auf BR alpha wiederholt werden. Diese anregenden Plaudereien sind für jemanden wie mich, der sich leicht im kleinsten naturwissenschaftlichen Schlaglöchlein das Hirn bricht, weil er ihm früher grundsätzlich ausgewichen ist und deshalb fachliche Nachhilfeversorgung vom Nachwuchs benötigt, genau das Richtige. Was mich allerdings nicht unbedingt zum Mitdiskutanten befähigt. Pöh.
Soll ich Ihnen den Artikel von Herrn Kümmel zuschicken, Sie Zweifler?;-) Wann haben Sie denn studiert, Herr Stubenzweig? Vielleicht sind wir biographisch auseinander? Inhaltlich scheinen wir doch recht nahe beiander zu sein. Leichte Zweifel
kamen tatsächlich in mir auf – was mich hat ein wenig suchen lassen: Das Archiv der Zeit weist als Autor des von Ihnen zitierten Artikels Adam Soboczynski aus; laut Perlentaucher, Goethe-Institut und anderen Redakteur beim Zeit-Magazin: Nieder mit Bologna! heißt es da. Allerdings habe ich doch ein wenig Zweifel an der Richtigkeit dieser Angabe, zumal die Zeit-Dokumentation sich recht bedeckt hält mit biographischen Angaben zu Soboczynski; weshalb auch immer. Und irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, daß der 1975 geborene Soboczynski diesen Text verfaßt hat, gleichwohl er sich, im Gegensatz zum nahezu ausschließlichen Theaterautor Peter Kümmel, auch schon mal zum Thema Hochschulen geäußert hat. Peter Kümmels letzter Text stammt laut Zeit-Archiv aus der Ausgabe 47/2009 vom 16. November 2009 und befaßt sich mit Woody Allens neuestem Film Scoop.Nein, ich zweifle Sie nicht wirklich an, Sie haben sicher die papierne Ausgabe vor sich liegen, mit der Sie die Irrungen und Wirrungen der Archivare belegen, die vermutlich auch keine Zeit mehr haben. Ich bekomme das Blatt seit Ende 2006 nicht mehr. Hin und wieder kaufe ich mal eine Ausgabe. Aber Kümmel ist mit fünfzig Jahren auch fast noch etwas zu jung, um in diese Zeit einzutauchen. Andererseits waren die Achtziger an den Universitäten auch noch sehr viel «ruhigere» Zeiten, und alles andere ist eben den Archiven zu entnehmen, zum Beispiel denen der Zeit, die dann nachweisen, daß man sich damals nächtens in Nabakov vertiefte und nicht etwa vor Fabriken herumlungerte, um Arbeiter von der anstehenden Revolution zu überzeugen. Ich muß dafür nicht in den Keller steigen, allenfalls in den der Erinnerung. 1963 habe ich erste Anläufe genommen und 1973 begonnen, mehr oder minder ernsthaft über ein Leben im oder mit Beruf nachzudenken. In dem Alter sitzt man heutzutage ja längst in irgendeinem Vorstand oder wird mindestens Minister. Ach, jetzt doch wieder Erzählung von damals, vom letzten Krieg ... Nachtrag: Interessant sind auch die Kommentare zu «Nieder mit Bologna!». Ja
habe ich gelesen.Ich bin Jahrgang 1963. Meine Eltern sind Jahrgang 1942 und haben 1963 in Heidelberg studiert. Den Artikel kann ich gerne mal einscannen und übersenden. Ich hatte die Zeit früher auch im Abo, dann nicht mehr die Muße und vielleicht auch nicht mehr das Interesse. Aber die anderen Printmedien finde ich derartig unterirdisch, dass ich mir die Zeit wieder regelmässig kaufe, als Alternative zum "online" Lesen von Seiten wie Telepolis etc., irgendwie mag ich das. Ich würde mich nie Sonntags mit dem Laptop ins Bett - oder auf die Couch legen. Ich denke auch, ich bin kein Freund von Hörbücher oder digitalen Büchern. Ich mag viel zu sehr die Drückerschwärze, das Papier, oder den Einband. Meine Kinder sind soweit aus dem Haus, oder recht flügge, nach langer Zeit habe ich die Muße zum Lesen, zum Malen, in Ausstellungen zu gehen - all die Freiräume, die in den letzten Jahren doch arg zurück standen. Was haben sie studiert, wenn ich fragen darf? (Sollte die Frage zu neugierig oder aufdringlich sein - übergehen Sie sie einfach). >> kommentieren apostasia (04.12.09, 02:04) (link) "So sieht also Aufruhr aus."
„Diese Veranstaltung ist aufgelöst. Der Saal ist zu räumen“ – „Dürfen wir vorher noch aufräumen?“ – „Geht klar.“ Mögen wir ihren heldenhaften Kampf, ihr Opfer für das Wohl der Gesellschaft niemals verleugnen. Niemals vergessen!Gelesen in Gonzosophie
sehr wohlfeil, sich darüber lustig zu machen.
hausfriedensbruch ist ein privatklagedelikt, das "nur" auf antrag verfolgt wird. und aus irgendwelchen gründen ist die pozilei ja da. bei darauffolgend einsetzender staatlicher verfolgung bedeutet das ganz sicher das ende der ein oder anderen berufswahl . vor diesem hintergrund halte ich es für ausgesprochen legitim, namenlos zu bleiben und sich gepflegt zu verpfeifen.. >> kommentieren glauben sie mir: an sie hatte ich dabei auch keinesfalls gedacht. (ich muss ja schon selbst aufpassen, dass ich nicht immer So arg gedrückt
hat mich dieser Schuh letztlich nicht, den Sie hingestellt hatten. Aber ich war ja auch nur ein wenig hineingeschlüpft.>> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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