Therapeutische Höhenflüge Zum Therapie-Bulletin entwickelt sich dieses mein hiesiges elektrisches Wochenbüchlein zusehends. Allerdings verdiene ich damit auch noch Geld, und zwar nicht eben wenig, lege ich die Gebührenordnung für Therapeuten zugrunde, die zweifelsohne mit der mehr oder minder serlöser Finanzberater vergleichbar sein dürfte, wobei mir in Unkenntnis der Tarife letzterer die möglichen Verluste verborgen bleiben. Während also andere unentwegt bemüht sind, mittels der seltsamsten Anfragen oder auch Angeboten letztlich mit kaum prüfbaren Fremdklickereien ausgerechnet bei mir ihren Haben-Saldo in Richtung schwarzer Null, also den mittlerweile die gesamte webweite Welt bewegenden Break-even-Point zu bewegen, klingelt's bei mir ständig. Eben gerade wieder, fällt mir doch genau zu diesem Punkt ein, daß diese Musik mir einmal zur völlig geldabgewandten Seite der Erde verhalf, was ja unbedingt als ein feines Plus gebucht werden will. Über den anschließenden Ärger mit dem damaligen Noch-Ehemann — die Gerichte kamen aufgrund des neuen Eherechts damals nicht so recht nach mit den Scheidungen — schweige ich jetzt lieber ein bißchen, weil ich sonst zuviel verraten würde und damit ein abgeschlossener Roman hier vorläge, wie mich bereits Mitte der Siebziger der hochgeschätzte Michael Krüger lehrte, was so dann auch wieder nicht recht stimmt, schreibt man doch «als Fortsetzung des Lesens», wie er seinerzeit weiterphilosophierte, ohnehin immer so weiter und so fort. Ich also gewinne fortwährend. Bedanken muß ich mich für diesen Kapitalzuwachs vor allem bei Herrn Nnier (die vorliegende Notiz kann also zugleich als Teil der angekündigten und getätigten Blogrolle vorwärts erachtet werden). Zwar ist er kein Therapeut, aber eben doch so etwas ähnliches. Mehrfach ist es ihm gelungen, erhebliche Verluste auf meiner Seite auszugleichen. Das bezieht sich in erster Linie auf Kindheitserinnerungen, die mir fast ausnahmslos abgehen, aus welchem Grunde auch immer, möglicherweise, da ich ein früher Herumtreiber war, die ja bekanntlich allesamt irgendwie therapiert gehören. Es funktioniert völlig komplikationslos: Er erinnert sich, und bei mir erhöht sich durchweg am darauffolgenden Tag das Haben-Konto, nicht nur monetär wegen des kostensenkenden, nicht mehr erforderlichen Besuchs beim Therapeuten. Entscheidend dabei ist, daß jeweils lediglich ein paar träumerische Sekunden oder Minuten folgen müssen, die mir allerdings immer wie Stunden vorkommen, während der mir der Weg zum Gewesenen ein-, mir sozusagen heimgeleuchtet wird. Gestern war er auf dem Rummelplatz, mein virtueller Therapeut. Schemenhaft erinnerte ich mich dessen, das mich heutzutage immer wieder erschaudern läßt, schaue ich den jungen Menschen zu, was die sich alles antun. Das letzte Mal fand das zu dem Zeitraum statt, als der Wein rot glühte, es von oben herunter unablässig kübelnaß kam und dazu die Glocken läuteten, begleitet von süßen Schlagerchorälen der fünfziger Jahre aus dem Resonanzkörper eines Kinderkarusells. Unseren Mittleren focht das nicht an, er wollte hüpfen vor Freude. Aber er kam nicht gleich dran, der junge Vater von mittlerweile knuddeligen zwei selbst erzeugten und weiteren zwei zärtlich angenommenen Kindern. Es war ein Kleinstadtrummel, da kommt es schonmal zu Engpässen beim Vergnügennehmen. Ein Jüngelchen im Alter von geschätzten drei, höchstens vier Jahren wurde von seinem begeisterten Großvater, es mag auch der fortgeschrittene Erzeuger persönlich gewesen sein, wurde fest in Gurte verzurrt und dann mittels flexiblem Gummiboden in die Luft geschleudert. Der Lütte genoß es, nach zögerlichen Anfängen, sichtlich, in den Himmel geschossen werden, wieder auf der Abschußrampe anzukommen, um sich anschließend umgehend wieder in die Lüfte zu begeben. Begeisterte Lustschreie begleiteten das Geschehen, die allerdings überwiegend von den weinglühenden Stimmbändern des erziehungsberechtigten Begleiters des jungen Hüpfers kamen. Als dann der sehr viel jüngere Erziehungsbrechtigte dran war und seinen vielen Kindern demonstrierte, welche Salti man in solchen Gurten schlagen konnte, wandt ich mich lieber ab, auf daß mir nicht schlecht werde vom Zuschauen, suchte lieber Stand auf der Festigkeit vorweihnachtlichen Alkohols. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß auch sogenannte Erwachsene dazu neigen, sich in beziehungsweise von solchen Gerätschaften lustvoll quälen zu lassen. Denn trotz aller leidvoller Kindheitserfahrung habe ich mich noch einmal dazu verführen lassen, mich in eines dieser, von meinem virtuellen Therapeuten zwar sanft, aber letztlich mit Nachdruck geschilderten Folterinstrumente zu begeben. Und das auch noch in Breiten, wo man so etwas wie technische Überwachung nicht einmal vom Hörensagen kennt. Meiner jungen brasilianischen Begleiterin gegenüber nahm ich allen meinen Mut zusammen, um meine jugendliche Unerschrockenheit unter Beweis zu stellen, was dazu führte, daß sie fast im Anschluß an diese Gemeinsamkeit in ihr (ohnehin mehr von natürlicher Wildheit geprägtes) heimatliches Recife zurückreiste und ich mich mehr weniger bewegenden Lustbarkeiten zuwenden sollte. Ach ja, richtig, die Kindheitserfahrung, um ein Haar hätte ich mich wieder verloren. Etwa im Alter des oben erwähnten sehr jungen Hüpfers, aber eher noch jünger, denn ich konnte noch nicht richtig sprechen, das verriet mir der letzte Erinnerungstraum, setzte meine Mutter, die von ihrem Naturell her eigentlich nicht unbedingt zu körperlichen Abenteuern neigte, mich vermutlich ersatzweise in ein Kettenkarusell wie einige Zeit später auf eine ungesattelte Kuh. Offenbar schätzte ich schon damals solche Schleudertraumata nicht, denn ich schrie, als sollte ich zum Götteropfer vorbereitet werden. Es nutzte nichts, ich kam in die Zentrifuge. Die fliehende oder auch mir fehlende Kraft zum Festhalten bewirkte die frühe Selektion vergnügungsunfähiger Menschen. In hohem Bogen wurde ich aus dieser Rundflugmaschine herausgeschleudert. Glücklicherweise war es keine allzu riesige. Aber etwa zwanzig Meter waren es durchaus, die mir diese frühe Erfahrung angewandter Physik erbrachte. Das Erkennungsmerkmal an der Stirn ist ziemliche sechzig Jahre danach noch zu sehen. Allerdings dürfte damit, nicht zuletzt dank meines virtuellen Therapeuten, auch definitiv geklärt sein, woraus meine bisweilen kruden und krausen und nicht endenwollenden Sätze resultieren.
apostasia (08.04.10, 16:50) (link) Ein neues Eherecht?
Brauchte es das, um mit einem Noch-Ehemann Ärger zu bekommen? Das geht doch mit Sicherheit auch ohne Recht.Wandele ich
die damalige Bardin des harten politischen Protests ein wenig romantisierend ab: Ärger gibt es immer wieder. Auf das, worüber junge Menschen sich heute wundern dürften, geht es um Ehe und und Streit, gehe ich demnächst ein.>> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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