Erinnerungsinseln «Was ist das für ein Land, das den anbrechenden Übergang zur Demokratie mit einem Bildersturm beginnt?» fragte Wladimir Miljutenko, als die Denkmale von den Sockeln gerissen wurden. Und der frühere Chefredakteur von Sowjetunion heute fügte an, in vielen Ländern stünden die Monumente verschiedener politischer Regime und Perioden nach wie vor, in Paris riefe niemand dazu auf, die Place Stalingrad umzubenennen: «In Rom zeigt man den Besuchern außer dem Kolosseum und dem Forum den Stadtbezirk mit der sogenannten faschistischen Architektur, Gebäude einer steingewordenen Parodie auf die Antike. Jeder versteht sofort den Unterschied zwischen Benito Mussolini und Augustus.» Helmut Bucher schrieb in dieser Zeit: «Genosse Uljanow, es soll dir auch nicht bitter aufstoßen, daß Leute wie Bismarck oder Hindenburg oder die unseligen Hohenzollern hier weiterhin verewigt bleiben und sogar der Schicklgruber fröhliche Urständ' feiert, während deinesgleichen verdammt werden.» In seinem 1991 gesendeten Rundfunkbeitrag erinnerte Hans-Ernst Mittig daran: «Zur Zeit wird in Koblenz sogar ein Denkmal für Kaiser Wilhelm I. wiedererichtet, der die letzten demokratischen Aufständischen von 1848/49 in Rastatt hatte zusammenschießen lassen.» Kunstwerk oder nicht Kunstwerk, das ist nicht die Frage dieser Erinnerungsinsel, sondern: Revolutionärer oder restaurativer Bildersturm? Weil der Tenor ein ganz anderer ist, weil die vielfach in die, auch politische (sic!), Diskussion eingebrachte Frage, ob's denn nun Kunst sei oder nicht, darin eher peripher behandelt wird, weil es vielmehr darum geht, was Wladimir Miljutenko mit «Wir dürfen nicht geschichtslos werden» überschrieben hat. «Hier ging es nicht um den Abriß von Kunstwerken», so Robert Halbach in Demontage ..., «hier wurde tatkräftig mit einer Ideologie abgerechnet.» Halbach, einer von dreiunddreißig Autorinnen und Autoren, die sich in dieser Dokumentation mit der Denkmalstürmerei in der ehemaligen DDR und anderen sozialistischen Staaten auseinandersetzen, sieht im Fall des geköpften Friedrichshainer Lenins «eine Form des rituellen Mordes» und verbindet dies mit dem Erfurter Vorfall, bei dem, sozusagen im Gegenzug, dem Christentum gegenüber nicht eben Wohlgesonnene eine Jesus-Statue vom Kreuz gerissen hatten. «Köpft ihr unseren Lenin, reißen wir euren Christus vom Kreuz», auf diese Formel bringt er, nicht ohne Bitterkeit, der Gegenradikalen Stimmen. Ute Raßloff geht noch einen Schritt weiter, indem sie die Abrißwut, von der offensichtlich mehr die Politiker denn die breite Bevölkerung befallen sind, «eine Art neuzeitliche Inquisition» nennt. Ihrer Meinung nach ist es «möglich», diese massenweise im Osten herumstehenden mehr oder minder monströsen Gebilde «als Objekte der bildenden Kunst zu betrachten», denn: «Die bildende Kunst blieb bis in die Neuzeit, bis in unsere Gegenwart hinein Zutat eines (religiösen) kopierfähigen Rituals und damit Hilfsmittel einer ideologischen Indoktrination ...» Daß es von historischer Bedeutung sei, die Zeit der totalitären Systeme nicht nur in Büchern zu reflektieren, sondern durchaus beispielsweise in Bildnissen von Lenin, dessen Philosophie pervertiert wurde von den Stalins, Ulbrichts und Honeckers, oder aber mit seinem Denkmal als Wächter gegen seine eigene Wiederkehr zu operieren, dafür wird in Demontage ... plädiert. Auch Lenins Lager des Künstlers und Kunsthistorikers Rudolf Herz weist darauf hin. Sein im Buch aufgegangenes Projekt ist eine «ketzerische Kritik an den staatspolitischen Aufarbeitungsritualen nach dem Fall der DDR, ein anstößiges Erinnerungsstück mit politischen und ästhetischen Reibungsflächen ...» Ausgangspunkt war: «Die Dresdener Stadtverordneten haben am 3. September 1991 entschieden, ihr unliebsam gewordenes Lenin-Denkmal aus dem Stadtbild zu entfernen und zu verschenken. Die Folgen der Säuberungsaktion sind evident. Das geschmähte Denkmal wird dem Blick entzogen, ein Ausgangspunkt für kontroverse Diskurse über die jüngste Vergangenheit ist beseitigt.» Von «Erinnerungsinseln», etwa beim Münchner Abel-Plan, wurde in der westlichen Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gesprochen, als es um den öffentlichen Raum in den Städten ging. Damit sollte auch denkmalerisch Geschichtsschreibung betrieben werden. Aber die Deutschen wollen lieber ihren alten Kaiser Willem wiederhaben. Nur noch Älteres mögen sie noch lieber, ob das nun echt oder falsch ist, das ist ihnen dann egal. Gut ausschauen sollte es eben, die Blicke auf häßlichen Vergangenheiten verstellen. Ursprünglich verfaßt für Orte. Zeitschrift für Plastik — und hier aufpoliert wieder aufgestellt, da es kaum noch Erinnerungsinseln gibt, auf die man sich retten könnte. Ausgelöst wurde die Wiederaufstellung durch eine gestern verfolgte TV-Diskussion, in der unter anderem einmal mehr versucht wurde, der Idee eine möglichst tiefe, nicht mehr sichtbare Grabstätte zu errichten, Sozialismus oder schlicht Sozialdemokratie und Wohlstand für alle sei eine conditio sine qua non.
Der Streit ist alt...
und die Diskussion darüber immer wieder neu. Ich selbst bezweifle, ob sogenannte Denkmäler einem Geschichtsbewusstsein dienen und dem Betrachter mit dem Blick in die Vergangenheit den Standpunkt für einen Blick in die Zukunft verbessern. Allzu oft handelt es sich hier nur noch um versteinerte Rituale, deren eigentliche Bedeutung verloren gegangen ist. Eine persönliche Beziehung zu diesen Sieges-, Kriegerdenkmälern und Bismarckbüsten bleibt mir fremd. Volkeszorn kann ich schon verstehen, wenn man sich durch Zerschlagung einen Neubeginn erhofft. Keine Frage, dass dieser Volkeszorn barbarisch ist, wenn zum Beispiel Jahrhunderte alte Buddha-Statuen in Afghanistan zerschossen, Heiligenfiguren in den mittelalterlichen Kirchen Frankreichs während der Revolution geköpft , oder die Nationalbibliothek Sarajevos in Brand gesteckt wurde. Deshalb: Lange, wirklich lange überlegen und diskutieren, ob ein Denkmal überhaupt errichtet und noch länger diskutieren und nachdenken, ob ein Denkmal niedergerissen werden sollte.geschichtsbewußtsein
das sehe ich ganz anders. ich glaube, dass man manchmal auch was greifbares braucht. um mal bei dem bild zu bleiben, der good-bye-lenin hatte was. und ohne den abbau hätte diese inszenierung nichts, naja. für mich würde das nicht entfernte "denkmal" erlebbare geschichte bedeuten, das man ja durchaus inszenieren könnte. oh, natürlich könnte es auch eine pilgerstätte werden, gott bewahre. wozu das tilgen. was verschwindet damit? was sollte denn noch mehr verschwinden als das bebilderte/in stein gehauene, für das es stand? (die frage/phantasie nachfolgender, wofür es stand, nimmt man.) entfernen, als "der ideologische sieg", macht die auseinandersetzung jedenfalls überflüssig. das ist die wirkung, vielleicht auch die absicht. im kleinen muss man so etwas lernen, im großen ist es wohl nicht die lösung: mal was stehen lassen zu können, im wahren sinne des wortes. Weise Worte.
Dank dafür. Wenn ich zurück bin am Schreibtisch, komme ich darauf zurück.>> kommentieren Wenn Denkmal,
dann, meines Erachtens, in der Weise, wie Jochen Gerz zusammen mit Esther Shalev in Hamburg-Harburg, später mit anderen vor dem Saarbrücker Schloß oder anderswo welche errichtet hat, sozusagen abgesenkt oder unterirdisch, das Verschwinden durch Vergänglichkeit festgemauert in der Erden ... (Gerz hatte auch am Berliner Wettbewerb teilgenommen, der Peter Eisenman zugesprochen wurde. Er hat seinen Beitrag zurückgezogen, da ihm die Diskussion unangenehm geworden war.) Zur Verherrlichung von etwas oder jemandem sollte gleich gar nichts aufgestellt werden, dann muß man es auch nicht niederreißen. Eine Demokratie sollte mit solchen Gedanken erst gar nicht in Berührung kommen (müssen). Auch Büsten et cetera – nun ja, ich muß dabei immer irgendwie daran denken: Es ist so schön, wie das Goethe-Denkmal durch die Bäume schillert.Mir ging es seinerzeit
auch eher um diese Sichtweise: «... daß Leute wie Bismarck oder Hindenburg oder die unseligen Hohenzollern hier weiterhin verewigt bleiben und sogar der Schicklgruber fröhliche Urständ' feiert, während deinesgleichen verdammt werden.» Von daher sind wir uns sicher einig: «Mal etwas stehen lassen zu können ...»das gefällt mir
„Als Spiegelbild der Gesellschaft ist das Monument im doppelten Sinn problematisch, da es die Gesellschaft nicht nur an Vergangenes erinnert, sondern zusätzlich – und das ist das Beunruhigendste daran – an die eigene Reaktion auf diese Vergangenheit.“gleichwohl braucht es nichts, das sehe ich auch so, etwas oder jemanden zu verherrlichen. das lenin-museum (in moskau in den 80ern, ob es heute noch so ist, weiß ich nicht) war mir so befremdlich wie lächerlich. lenin denkend, gehend, stehend, schreibend - kurzum lenin in allen lebenslagen - aber warum nur? tja. Ob Lenin oder andere,
dieses Street ... – ich komme schon völlg durcheinander bei dieser Durchblickdebatte, diesem völlig verkehrten Nieder mit den Alpen, freier Blick aufs Mittelmeer oder der öffentlichen Wagner-Beschau am Grünen Hügel –, dieses Public Viewing also ist immer irgendwie grotesk. Ich schäme mich bei solchen Veranstaltungen auch schonmal für andere, wenn es mir nicht gelingt, mit der Ironiebürste darüberzugehen. Ob Moskau mit Lenin (das hat sich geändert, die Verordnungen lauten heute anders) oder die Küste der Normandie mit den unzähligen aufgebahrten Panzern, ich empfinde das alles nur als peinlich. Es gibt wenige Monumente, bei denen ich auch schon mal etwas tiefer ins Gedenken rutsche. Bücher AbissZ hat dieser Tage ein erwähnenswertes Beispiel gebracht. Ich habe bei Denk-Mal eben andere Assoziationen.Es geht jedoch nicht an, einfach alles auszuradieren, abzureißen oder in die Luft zu jagen, was einem nicht ins Tinnef-Regal eigener Geschichtsschreibung oder zumindest -vorstellung paßt. Das ist Klitterung. Gerade weil die meisten derartige Tllgungen nicht oder nur am Rand mitbekommen. Man muß auch mal was aushalten können, wenn man ständig den Demokratiegaul reitet. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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