Tanken und beten

Photographie: tpmartins CC

Erst wenn die letzte Shell-Tankstelle geschlossen ist und die letzte Plattform im Meer versenkt, werdet ihr merken, daß Greenpeace nachts kein Bier verkauft.
Aus einem Flugblatt, das Anfang der neunziger Jahre eines vergangenen Jahrtausends in der Mensa der Universität zu Kiel auslag. Heutzutage aber bleibt einem nichts als Tanken & Beten. Von Lisa Fitz habe ich dieser Tage eine bemerkenswert logische Eloge auf ihren alten Amischlitten gehört. Nicht nur, daß sie aufgezählt hat, was die Herstellung eines Neuen an Ressourcen verbraucht, auch der dezente Hinweis darauf, daß man an dem chipfreien Alten auch noch selbst Hand anlegen könne, hat mich gut schmunzeln lassen.

Interessant sind die sprit(z)igen Preise, die der scherzende Künstler in sein obiges Bild hineingezaubert hat. Möglicherweise greift das randeuropäische Portugal mittlerweile auch auf global Gedenglishtes zurück und nennt es handyleicht ebenfalls Flatrate-Tanken. Aber zum «Aufnahmedatum» Juni 2009 kostete auch dort der Liter Benzin durchschnittlich einen Euro dreißig. Hier dürfte es sich also um ein retrospektives Traumbild handeln — das mich an die gute alte Zeit erinnert, als ich mir mit meinem sich kurzzeitig in meinem Besitz befindlichen Oldsmobile Cabriolet während der zwanzig winterabendlichen Ku'damm-Runden die dreißig Liter à fünfzig Pfennige noch leisten konnte. Aber damals (!) hieß ich auch noch Student und nicht Studierender. Vielleicht hätte ich doch etwas Anständiges lernen sollen. Kabarett zum Beispiel. Oder Comedian, wie die vielen Nachkommen von Heinz Erhardt sich heute polyglott zu nennen pflegen. Klar, der Urvater war auch immerzu klamm und sein Publikum bereitwillig lustig vorgestimmt. Aber bei den vielen und hohen Gagen wäre ich vermutlich nie Entenpilot geworden.
 
Mi, 08.09.2010 |  link | (1685) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs


nnier   (08.09.10, 22:23)   (link)  
Das wird ja immer interessanter, über welchen Fuhrpark Sie im Lauf der Zeit schon verfügt haben! Oder ist "Besitz" hier im wörtlichen, juristischen Sinne gemeint? Schließlich kann man, so verstanden, auch etwas besitzen, das einem gar nicht gehört. So oder so, die Ente hätte da ja fast in den Kofferraum gepasst. Und mit "dreißig Liter(n) à fünfzig Pfennige" blieben Sie trotzdem noch locker unter der besten aller Flatrates: Des Benzin derf ruhisch teurä wärn, isch tank eh immä bloß füä zwansisch Mack.


jean stubenzweig   (09.09.10, 11:29)   (link)  
Wirtschaftseigentümer
heißt das, wenn einem was nicht gehört, man aber trotzdem so tut. Mein Steuerberater hatte mir diese Eigentümlichkeit so erklärt, als ich dazu übergegangen war, mich von überwiegend französisch rostendem Besitz zu lösen und Leasingnehmer wurde (was sich nur lohnt, wenn man Inhaber einer Firma, also haupt- oder auch nebenberuflich selbständig ist und Kosten benötigt, um zu versteuerende Gewinne zu vermeiden). Über verschiedene Autos bis zu meiner wunderbaren schwäbischen Staatskarosse habe ich das so betrieben, mit der ich jährlich fünfzigtausend Kilometer und manchmal noch mehr unterwegs war und die winterinnerstädtisch fast soviel soff wie dieser Ami (aber von südlicher Sonne erwärmt und dahinrollend nur noch zehn Literchen nahm). Auch meine heutige Ente ist geleast, seit zehn Jahren mein Wirtschaftseigentum. Auch wenn mir das zu glauben kaum jemand bereit ist. Wenn sie Entenleasing hören, gackern die meisten wie besoffene Hähne.

Dieses mehrhundertpferdige, aber nicht flott um Kurven zu kriegende, weil starrachsige Gerät gehörte tatsächlich mir. Das, was Frau Fitz heute betreibt, trieb in jungen Jahren auch mich an, wenn vermutlich auch aus anderem Antrieb. Auch ich fand mal was geil, zum Beispiel, den Ku'damm rauf und runter zu – heute nennt man das cruisen. In Rolf Edens nächtlich rollenden Fahrzeugen hatte ich immer so viele mehr oder minder feine junge Damen gesehen, so daß ich meinte, das müßte auf diese Weise auch funktionieren. Aber Rolfs-Royce ist dann doch was anderes. Ein Bekannter hatte mich zum anfänglich überaus glücklichen Besitzer dieser rotgepolsterten, leuchtend weißen, ziemlich longen Chaise gemacht, deren größter Vorzug die hervorragende Heizung war, so daß man im Winter bei sich imposant wie von Geisterhand öffnendem Verdeck enorm brillieren konnte. Lange, nachdem ich dieses ansonsten zu nichts zu gebrauchende Vehikel nach etwa vier Wochen desillusioniert abgestoßen und mich reumütig wieder wie pâte feuilletée vor sich hinrostenden Franzosen zugewandt hatte, da ich einsah, mich doch eher den Existentialisten zugehörig fühlen zu müssen, gestand mir der Vorbesitzer, er habe es mir angedreht, weil man ständig einen mit Benzin gefüllten Anhänger mitziehen mußte, da es so unbändig soff. Das tat es allerdings nur, weil ständig irgendwelche Piloten niedlicherer Boliden mit GT-verziertem Kofferraumdeckel neben ihm an der Ampel standen und mit hochgedrehtem Motor die Potenz des Nachbarn prüfen wollten. Ließ man sich, irgendwann gelangweilt von diese Gehabe und souverän werdend, nicht mehr darauf ein, ging der Verbrauch auf die von Frau Fitz erwähnten schlappen zwanzig Liter pro hundert Kilometer zurück.

Die Ente im Kofferraum – so klein ist die nicht, das täuscht. Dafür benötigt man andere Fahrzeuge. Tatsächlich habe ich es erlebt, daß kurz nach der Einverleibung des Ostens durch das Kapital des Westens, als ich beim ansonsten dezenten Schwaben wie üblich alle zwanzigtausend Kilometer die hinteren Reifen erneuern lassen mußte und er mit der Bühne aufgehoben wurde, ein frisch aus dem Osten Eingestellter in breitestem, von köstlichem Mutterwitz untermauerten Sächsisch meinte: Meine Gühde, da gann man ja'n Trabbi als Aschenbescher nähm'n.

Aber mittlerweile fahre ich gar nicht mehr so gerne. Bald werde ich mich ohnehin nur noch chauffieren lassen, selbstverständlich französisch. Der Inhaber oder auch tatsächliche Besitzer oder auch Eigentümer dieser überaus bequemen Voiture ist derart francophil, daß er für eine Fahrt ins Blaulicht auch alte Francs nimmt. Womit wir annähernd bei den «zwansisch Mack» wären.


edition csc   (10.09.10, 12:46)   (link)  
Den Kurvenrausch verhindern
bei solchen sogenannten Straßenkreuzern – eine früh mißratene Übersetzung von cruisung? – neben Starrachsen mehr noch die Blattfedern. Aber diese Tankwagen wurden schließlich nicht für Bergrennen im Harz gebaut, sondern für die gemütliche Shopping-Tour in die nächstgelegene, zwei bis drei Autostunden entfernte Einkaufsstadt. Und die vielen SAE-Pferde hätte es ebenfalls nicht gebraucht, wäre da nicht die historische Liebe der Nordamerikaner für die Kavallerie, die als «Kavaliersstart» Einzug hielt in die deutsche Sprache. Das dürfte mittlerweile allerdings ebenfalls Legende sein, da auch den US-Kauboys der Sprit ausgegangen ist. Auch wenn sie trotzdem noch immer weniger bezahlen müssen als in der träumerischen Flatrate-Tankstelle angegeben. Jetzt fahren sie eben nach Canada und tanken Sand.


jean stubenzweig   (10.09.10, 20:27)   (link)  
Bei Blattfedern denke ich
schon wieder an Blätterteig. Und bei Sand an Kuchen. Ach nee, den mag ich ja nicht, der ist so trocken, hat keine Crème zwischen dem Marmor. Und was interessieren mich die Spritprobleme der Amis oder sonstwem. Benzin kommt schließlich aus der Zapfsäule.


aubertin   (11.09.10, 01:27)   (link)  
Pâte feuilletée ? Coc au vin ?
à la Jean ? Blanc ! Onctueuse !


damenwahl   (13.09.10, 11:10)   (link)  
Schönes Bild, über das man eine Weile nachdenken kann. Danke.

PS: Wer zum Teufel kauft in Tankstellen Bier? Vieiieieiel zu teuer!


jean stubenzweig   (13.09.10, 15:33)   (link)  
Der Teufel Greenpeace
(in Sachen PS)? Nein. Der verkauft ... Nochmal nein. Das tut er eben nicht. Jedenfalls nicht nachts. Aber ich als Ganzwenigbiertrinker kenne mich da auch nicht sonderlich gut aus. Aus früheren Zeiten, als ich noch bis in die frühen Morgenstunden Pétanque gespielt habe, weiß ich allerdings, daß es Menschen gibt, die immer dann den größten Durst haben, wenn alle Läden geschlossen haben. Und wer leidet, zahlt offensichtlich jeden Preis.

Aber verkaufen Tankstellen, die Frage stellt sich mir seit ungefähr fünfzehn Jahren, außer Bier, Blumen und Brötchen überhaupt noch was anderes? Tatsächlich noch Benzin? Gibt's denn überhaupt noch welches? Das da oben ist schließlich ein Traumbild.















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