(Postpost-)Moderne Zeiten

Mit einiger Verblüffung nahm ich dieser Tage via Ich schau TeVau zur Kenntnis, ein Zulieferer der Kraftfahrzeugindustrie habe sämtliche Roboter nicht nur aus der Produktion, sondern überhaupt aus allem verbannt, was auch von Menschen geschaffen werden kann. Der Hauptgrund für diese Maßnahme sei, so der Fabrikant, der dennoch ein bißchen wie ein golfschlägerschwingender Manager aussah (ich trenne mich ungern von meinen Vorurteilen), die Unzuverlässigkeit dieses ganzen Digitalkrams. Die Störungen und damit letztendlich die Kosten hätten überhand genommen. Nun wuseln da in der Fabrikhalle allüberall Menschen und handfertigen mehr oder minder lächelnd jene Teile, die zuvor in Windeseile von digitalgesteuerten Maschinen produziert worden waren. Wie in modernen Zeiten fahren (wenngleich qualmfreie) Bähnchen mit menschlichen Lokführern durch die Fertigungsstraßen, nehmen auf, liefern ab. Ein entsprechendes Hinweissystem wurde entworfen, mittels gestanzter oder gedruckter Buchstaben. Überhaupt ist alles beinahe eindimensional systematisiert, farblich unterschiedliche Kärtchen zeigen Bedarf und Erledigtes, An- oder Abwesenheit an. Es funktioniere alles prächtig, meinte der Direktor, der sich nicht Manager nannte und äußerlich dennoch ein wenig dem ähnelte, der immer so (Achtung: handelsblattlerische Werbeeinblendung) wie frisch eigepellt durch seine hochherzöglich anmutenden Plattifundien hubschraubert, aber trotzdem seit eh und je abwegig Wirtschaftswunderliches zum besten gibt, der guten Auftragslage werde man problemloser Herr als zu digitalen Zeiten.

Es holt mir Marseille in die Gedankenverbindung. Da gibt es tatsächlich Menschen, die an Bushaltestellen stehend darauf warten, anderen Menschen behilflich zu sein, und sei es, ihnen Luft zuzufächeln, wenn der Bordcomputer der Klimaalage mal wieder den Garaus gemacht hat. Und dabei eben nicht verkaufsgeschult lächeln. Wobei ich nun nicht wirklich weiß, ob die Herren Direktoren ihre Manufakturierenden so miserabel entlohnen, wie das der Standort Deutschland erfordert, wollen sie konkurrenzfähig bleiben gegenüber den Billigheimermächten des Ostens und weiterhin den Beweis erbringen, nur am Lohnmodell Deutschland könne die Welt Europa genesen. Aber das wäre jetzt ohnehin am eigentlichen Thema vorbeigeschrieben. Das lautete nämlich: Wie lange solle es eigentlich noch dauern, bis der Mensch, bisweilen auch Verbraucher genannt, sich seiner Macht bewußt würde ...

Nun ja, Bewußtsein oder -werdung ist ziemlich anstrengend. Vor allem zur Bequemlichkeit neigende, gern älter genannte Menschen seien es, die zwar durchaus an der digitalen Welt teilhätten und auch daran -nähmen, sich aber schlicht weigerten, ein dreihundert Seiten dickes, aus dem Koreachinesischen übersetztes Betriebanleitungshandbuch zu lesen, um dann wenigstens telephonieren zu können. Diese ganzen Apps würden sie nur down machen, auch hätten sie keinerlei Spaß daran, kostenpflichtige Wochenendseminare zu belegen, in denen man ihnen das Einlegen von Beuteln in Staubsauger oder Kartuschen in Drucker beibrächte oder das Ingangsetzen eines Digitalomobils. Bei letzterem hatten sogar Studenten (selbstverständlich auch -Innen) einer Arbeitsgruppe der Fachhochschule Pforzheim angegeben, etwa einen Tag zu benötigen, um das problemfreie Funktionieren quasi begriffen zu haben. Schließlich soll ein Auto nicht nur fahren. Bekanntlich navigiert sich's über viele Wege in den römischen Stillstand.

Hat das Älterwerden letztendlich doch mit Weisheit zu tun? Ich habe mein Mobiltelephon bereits vor einiger Zeit auf die Verkaufshalde des Elektronikmülls gelegt und den seit rund zwanzig Jahren bestehendenden Vertrag mittlerweile sogar gekündigt. Ich fahre jetzt einfach hin, ohne vorher anzurufen. Und photographieren konnte ich damit ohnehin nicht. Der Herr über Mumien, Analphabeten und Diebe scheint auf dem einzig richtigen Weg zu sein. Zumindest arbeitet er daran. Und vermutlich nicht erst, seit er die sarrazynische Gedankenwelt zur Kenntnis genommen hat, in der in Kürze alles früher einmal rein gewesene Deutsche vom Multikulti abgeschafft wird — und dabei auch noch zunehmend vergreist.
 
Mi, 13.10.2010 |  link | (2003) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


jagothello   (13.10.10, 16:45)   (link)  
Man denke nur...
alles funktioniere auf Anhieb barriere- erklärungs- und störungsfrei. Ganze Gewerbezweige könnten einpacken wie die der Call Center etwa sowie die ungezählten Übersetzungsbüros mitsamt all der Fremdsprachenheinis, eigens dazu ausgebildet, IKEA-Bastelanleitungen aus dem Finnischen ins Schwedische und von dort ins Deutsche zu übertragen. Man traut sich ja kaum noch, solchen Murks nicht zumindest "systemrelevant" zu finden.


jean stubenzweig   (13.10.10, 19:45)   (link)  
Dienstleistung und kein Handel
mehr das alles, der schließlich weltweit Wohlstand brachte. Klar, gehandelt wird noch, allerdings bald ausschließlich von ein paar wenigen, die alles kassieren und sich bald auch noch die Fabrikation einverleibt haben werden. Mir ist nicht klar, ob der Pharmaindustrie nicht längst der größte Teil des Großhandels der Präparate gehört, die sie herstellen, und der jetzt mehr Gewinn fordert, wonach auch noch die Dorfapotheke geschlossen werden soll. Doch die Kosten tragen auch hierbei die Verbraucher. Wie bei allen anderen Produkten auch.

Das, was früher ein klein wenig vom großen Kuchen abbekommen hatte, flieht heillos in die Nische Dienstleistung. Und da es an Wissen und Bildung und andersrum mangelt und infolgedessen auch an solidarischer Nachdenklichkeit fehlt, Hauptsache jeder hat seinen Viertflachbildschirm, kommt «Systemrelevanz» heraus, und mag die auch noch so leidenschaftslos zusammengeflickschustert worden sein. Es wird noch lange dauern, bis mir jemand das System Globalisierung im heutigen Sinn wird erklären können. Nein, ich werde das nicht mehr erleben. Denn sie ist erfolgreich vollbracht, die Verdummung der Menschheit. Das ist seit längerem deutlich. Doch der Kultur-Vogel muß schließlich hin und wieder wenigstens mal die Stimmbänder bewegen, den Schnabel aufmachen, auf daß das Organ der Nahrungsaufnahme sich nicht vor dem Ende verschließt.


nnier   (13.10.10, 20:43)   (link)  
Interessant, was Sie da über den Herrscher von Burladingen zusammengetragen haben. Zwar bin ich immer wieder fassungslos über diese Schimpansenwerbung und habe in seinem Reich auch nicht gefunden, was ich suchte. Aber bei allem, was einem kulturell absonderlich erscheint und im persönlichen Kontakt sicher schwer erträglich wäre: Dass es so etwas noch gibt, sollte einen schon nachdenklich stimmen.


jean stubenzweig   (13.10.10, 21:51)   (link)  
Dieser pfauenartige Herr
läuft mir seltsamerweise seit langem über den Weg, zum ersten Mal vor etwa zehn Jahren. Als ungemein abstoßend empfand ich ihn in seinem auf mich unsäglich peinlich wirkenden Habitus – ich leide unter solcher Gespreiztheit (von der die Kunstwelt mit Oberflächenspannung versorgt ist). Daran hat sich bis heute nichts geändert, ich mag ihn nicht. Aber manchmal reiße auch ich mich mitsamt meinen Postvorurteilen zusammen und laufe nicht weg. Solange er mir nicht als Schwiegersohn in der Tür steht und sein rasendes Luxusstreitroß davor. – Nun, denn er verkörperte, nein: praktizierte und praktiziert offensichtlich nunmal ein Unternehmertum, das ich noch am ehesten akzeptieren konnte und kann, nicht zuletzt, weil es gezielt die Region stärkt. Wie er seine ihn teilweise anhimmelnden Verkäuferinnen bezahlt, das entzieht sich meiner Kenntnis, ich will's auch gar nicht wissen, denn dann würde ich mich möglicherweise über diese anderen Globalisierungsgrößenwahnsinnigen noch mehr aufregen, weil denen ohne jeden Gedanken an die Mitwelt einer hochgeht. Das aber hat mir Frau Doktor Blaulicht verboten, von wegen jugendlicher Erregung bei Altersblutdruck. Das wäre so eine Art vorzeitiges Ende wie bei der bläulichen Pille. Also bleibe ich stiller Beobachter und bin weiterhin nachdenklich gestimmt.


bueddenwarderin   (13.10.10, 22:53)   (link)  
Einfach hinfahren?
Dem Alter conforme in der Déesse hinschweben? Da brauchts nichtmal ne Sackkarre. Es gibt ja eine mobile Göttin.


jean stubenzweig   (13.10.10, 23:33)   (link)  
Wenn auch andersartig,
aber La Déesse wurde bereits hier gehuldigt.

Und das ist – ach ja, die Sackkarre bin ja ich.


vert   (15.10.10, 08:38)   (link)  
der kreatör von automobilen stellt sogar mittlerweile wieder autos auf diese weise her - allerdings in romania. ob mit der gleichen begründung?
immerhin haben diese streitwagen aus der alten provinz dakien ziemlich fantastische zuverlässigkeitswerte - was man von renaux nicht immer behaupten konnte...


jean stubenzweig   (15.10.10, 12:17)   (link)  
Da muß ich annehmen,
daß es am Lohngefüge nahe der europäischen Außengrenze liegen könnte. Wobei es sich meiner Kenntnis entzieht, inwieweit der obengenannte Fabrikant an der Schraube dreht, die zum Handelsdefizit anderer Länder und der deutschen Sparsamkeit beiträgt. Wie auch immer: Möglicherweise erinnert man sich daran, daß der Mensch ursprünglich noch anderes konnte als Stütze abholen, und führt deshalb die (Teil-)Handwerkerschaft wieder ein. Vielleicht ist die ja (noch) kostengünstiger als das ständige Reparierenmüssenlassen von Robotern durch mittlerweile auch nicht mehr so billige Fachkräfte aus Indien.















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