Schrillende Schönheit

Unlängst machte sich dieses Gerät, das ich mir eigentlich alleine seiner formalen Ästhetik wegen, es ließe sich auch sagen, ausschließlich seiner äußeren (die innere steht auf einem anderen Blatt) Schönheit zugelegt habe, dieses deshalb altarisch positionierte Edelteil, das trotz des Faktors Kosten wie ein fürs Fahren gedachter Daimler oder fürs Fliegen ersonnener Roll's Royce vor dem quasi sprachlosen Stillstand nicht gefeit ist und von dem die respektlos-unverfrorene und grammatikalisch bisweilen leicht nachlässige Jugend bisweilen äußert: «Aha! quatschst wieder mit dei'm Rasierapparat», obgleich ihr genau bekannt ist, daß ich das Slow Shave-Procedere bevorzuge, dieses Kommunikationsgerät also, das ich alleine der Wahrung der Design-Geschichte wegen und nicht etwa zum Telephonieren erworben hatte, machte sich in seinem klassischen, konträr zur profan-schrillen Internetrummelplatzklingeltonästhetik stehenden Warnruf vor immerfort gesprächsbereiten Menschen kürzlich besonders intensiv oder auch anhaltend läutend bemerkbar. Thema, es lag nahe: Schönheit.

Denn die Stimme am anderen Ende der Leitungslosigkeit war — wie anders? — weiblich. Doch wider Erwarten handelte es sich nicht um die eines dieser Callgirls, das mir circisch seine übertarifliche wonnenweisende Hingabe oder die magentatelegene der öffentlich-rechtlichen Gesellschaftsdame eines ehemaligen Vorstandsvorsitzenden andienen wollte. Ums quasi in die Tiefe gehende Ästhetische sollte das sich anbahnende Gespräch, nein, besser: die anhaltende, atemlose, geradezu entwaffnende stakkatohafte freie Rede gleichwohl handeln.

«Geh sofort los, pack alle Deine kreditwürdigen Karten ein und kauf alles von diesem Theo-, äh ... sophiker, äh, Mensch ... äh, Antroposophen, na dieser chemische Doktor da mit diesem Vertriebenennamen da, diesem schwäbischen Geistesbruder vom deinem Dichter vom Morgenstern, diesem steinernen Urgroßvater der Grünen, als sie noch sonnenblumengrün und nicht pfeffersäckisch kapitalistenrabenschwarz waren. Dieses Kosmetikzeugs ist einfach ...»

Darf ich, wollte ich die hier als Büddenwarderin bekannte und bisweilen schnoddernde Dame fragen, die wegen ihrer furchtbaren jahrzehntelangen Kreuzzüge zur Rettung der pharmazeutischen Industrie ohnehin kurz vor der Verleihung des Ritterinnenkreuzes steht, ich stotterte also an, ob sie sich möglicherweise doch nicht etwa «ein Aktienpaket dieses Schmierageproduzenten, andererseits der doch meines Wissens nicht an der Börse, sondern im braven schwäbischen mittelständischen ...»

«Ach hör doch auf, du immer mit deiner Politik. Das Zeuks ist ja sowas von gut ...»

Darf ich, unternahm ich einen weiteren Versuch eines Gesprächsinterruptus'. Doch ich hätte ihn mir ersparen können, denn wenn diese Damenstimme mal einen Lauf hatte, hörte sie erst bei ihrer Niederkunft auf.

Genau. Besagte Dame ist ja nicht nur selbst mehrfach niedergekommen. Die erste Niederkunft steht kurz vor der Verleihung des Nobelpreises für Mikrobiologie, die zweiterfolgte befindet sich nach der Pensionierung als Kieler Fördegeneral im väterlichen Beschäftigungsvollprogramm, und die etwas jüngere dritte spielt gerade eine Ballade ein, die bereits für den Grammy Award bestimmt ist. Die haltlose Liebe der mehrfach Niedergekommenen zu den Kleinen nun ist allerdings endlos, sie geht so weit, daß sie den ganzen Tag nichts besseres zu tun hat, als sich beispielsweise von ihnen auf die Hand pinkeln zu lassen und dafür auch noch ein löbliches Lächeln zu spendieren. Unsereins sollte das auch nur mal versuchen. Doch von diesen da läßt sie sich gnadenlos maltraitieren, und nicht nur mit ein bißchen Pipi. Würde unsereins den ganzen lieben langen Tag nach Mama rufen ... Aber das ist wohl ein anderes Thema. Eines des Neids? Oder eher eines zur Ästhetik im gesamten? So nach Baumgarten, Na ja ...

Nun, die letzte Wehe deutete sich an: «Das möchte ich nämlich mal von dir hören!»

Ich war mir nicht bewußt, einmal mehr oder wie so oft Damenwichtiges vergessen zu haben. Andererseits: bei Merkfunktionen bestimmter Direktionen verweigert sich mein erinnerungstechnisches Bewußtsein recht gerne.

«Fragt mich eben dieses entzückende, ach, dat seute Deern! Ja, so ein Tag ist so wunderschön. Er ist gerettet. Und knutschen könnte ich. Nein, nicht dich. Doch, dich auch. Aber jetzt ist dieser vertriebenennamige Verschönerungshersteller erstmal dran, der diese Wunder bewirkt. Ihm gebührt die Ehre!»

Darf ich, versuchte ich einen thematisch bedingten Annäherungsversuch. Ich durfte nicht.

«Weißt du, was mich diese zauberhafte Geschlechtsgenossin gefragt hat? Nein, das kannst du nicht wissen, weil du sowas nie fragen würdest.»

«Na», nahm ich einen weiteren Anlauf, «hat sie dich gefragt, ob du die Tante Doktor Blaulicht bist und genau so schnell mit dem Messer wie mit deiner entzückend flotten ostseeigen Schnute?»

«Ignorant, sarkastischer. Du Zyniker! Nein! Dieses Wesen hat mich gefragt, ob ich schon zweiunddreißig bin.»


Yvette aus meiner urmütterlichen Heimat Saverne, der ich meinen Besuch zum choucroute angekündigt hatte, meinte daraufhin: «Demnach hat Deep Thought sich vielleicht ein bißchen in der Tastatur vertan beim Eintippen der Antwort auf die Frage alle Fragen? Nicht 42, sondern 32 muß sie lauten?! Aber es war ja auch ein männlicher Computer. Die können die Welt nicht kennen.»


13.09.08 | 140

 
Di, 09.11.2010 |  link | (1787) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


vert   (09.11.10, 19:04)   (link)  
oh, eine lottchen-geschichte!


jean stubenzweig   (09.11.10, 21:37)   (link)  
Ganz kyrptisch im Kopf
wird mir da. Was, bitte, ist eine Lottchen-Geschichte? Ist das was Germanistisches, gar Historisches? Hat das was mit Tucholsky zu tun? Oder eher was mit Weimar. Oder heißt das Wismar? Ach, ich bin so ungebildet.

Gute Nacht allerseits.


vert   (09.11.10, 23:51)   (link)  
ich mag lisa matthias. tucholsky war sicher genial, aber auch sehr mensch.
die im ausdruck tiefster verzückung vorgebrachten äußerungen von leuten wie f.j.r (von dem man zwischenzeitlich tatsächlich den eindruck gewinnen konnte, dass er ernsthaft glaubte, tucholskys sohn und erbe zu sein), werden recht handfest aber charmant geerdet...


jean stubenzweig   (10.11.10, 07:45)   (link)  
Das Lottchen kann ich nicht
beurteilen, da ich ihre Biographie nicht gelesen habe und auch sonst zu wenig über sie weiß; vielleicht sollte ich da etwas nachholen. Tucho jedoch, in dem ich immer wieder lese, und auch sein «Sohn» haben mich bereichert.


frau braggelmann   (09.11.10, 20:32)   (link)  
mistkerl :-)


jean stubenzweig   (09.11.10, 21:33)   (link)  
Ich weiß, ich weiß,
Sie sind dieser schwäbischen Vertriebenenschmierage auch verfallen.

Aber deshalb müssen Sie hier doch keine Internetbefindlichkeitshieroglyphen anbringen. Ich nehme Ihnen Ihr wutentbranntes Lächeln auch so ab.


frau braggelmann   (10.11.10, 00:24)   (link)  
weniger wutentbrannt als beschwingt belustigt. das schreit nach rache


jean stubenzweig   (10.11.10, 11:14)   (link)  
Hätte ich hinter
die Wutentbrannheit vorsichtshalber doch eine Internetbefindlichkeitshieroglyphe setzen sollen?

Ich erwähne das in der Hoffnung auf eine nicht allzu arge Rache; zu furchtsam bin ich doch.















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