Ach, Caterine aus Swerdlowsk

Im laizistischen Frankreich hat man quasi religions-, genauer: catholiquechangierend den Geburtstag sozusagen zum heiligen Tag erklärt. An ihm, ausgenommen vielleicht am Revolutionstag 14. Juli, wird, wie vermutlich in keinem anderen Staat, gefeiert, als hätte ein Heiland das Licht der Welt erblickt oder die Rénaissance wäre ausgerufen worden. In zunehmendem Maß ist das mittlerweile auch in den anderen Ländern zu beobachten, in denen Wirtschaftswachstum zur neuen Religion umgestaltet wurde. Das nimmt teilweise Formen an, daß der eine oder andere darüber nachdenkt, dem Atheismus adieu zu sagen und tief in den Katholizismus einzutauchen, um nur noch am Namenstag Huldigungen entgegennehmen zu müssen.

Ach ja, die Medici. Ohne die's, via Caterina, in Frankreich keine ordentliche Cuisine* gäbe. Hier (und als ganztägig währendes Menu im Palazzo Strozzi unbedingt zu empfehlen): «kein Heilereignis, sondern ein rein gesellschaftliches, ein recht frivoles überdies».


Da kann ein ritualitätsverweigender, sich schlicht nach weniger Rummel sehnender, am 24. Dezember geborener Mensch geradezu froh sein über seinen Geburtstag.

* Jede gute Küche wird bestimmt von ihren einheimischen Zutaten beziehungsweise den Ahnen der Rezepturen. So, wie die vielgepriesene französische Cuisine aus Italien stammt (wie der gute italienische Café aus Frankreich). Der grand maïtre hört es zwar nicht so gerne, aber die Florentinerin Medici war es schließlich, die sie eingeschleppt hatte, die nämlich gesagt haben soll: Diese gallische Bauernfraße iche nixe fresse.

Nein, hier gibt es keine Geburtstage.

 
Do, 25.11.2010 |  link | (4880) | 12 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unglaubliches


kopfschuetteln   (25.11.10, 19:43)   (link)  
hach
ich bin dann morgen ab 08.30am bereit zum "beamen".
firenze ...
(ich war immer beschämt, hernach darüber, dass ich florenz so scheußlich fand, damals.)


jean stubenzweig   (25.11.10, 21:08)   (link)  
Dieses damals liest sich
wie Zwangsspaziergang im Sonntagskleidchen an elterlichen Händen entlang an den Schaufenstern der Stadt, nach einem Alter also, in dem man sich für alles interessiert, nur nicht für Schönheit, Geschichte und so'n Kram.

Firenze ist 'ne Wucht. Aber so ist das eben, wenn einem die Toskanafraktion die Geschichte geklittert hat, unter anderem in Gestalt von Eingewiesenen, die einem die Löchlein abseits des wahren (touristischen) Lebens gezeigt haben, in denen sich das Geheimnisvolle verbirgt.

Fliegen Sie los. Na gut, beamen geht rascher. Da haben Sie anschließend mehr Zeit.


kopfschuetteln   (25.11.10, 21:53)   (link)  
schlimmer. ich war was knapp über zwanzig. ich möchte aber zu meiner entlastung meine ddrnichtvergangenheit belasten.

währenddessen ich mich (wie gewöhnlich) ins büro beame, werde ich an ein "zimmer mit aussicht" denken.


jean stubenzweig   (25.11.10, 23:54)   (link)  
Ansatzweise dächtelte
ich so für mich hin. Andererseits ist knapp über zwanzig schließlich auch noch nicht so das Alter, in dem man über Zeitläufte zu sinnieren bereit ist. Ich will nicht behaupten, in solchen Jahren keine Vergangenheit gehabt zu haben. Aber es war die Zeit, in der ich begonnen hatte, ihr einfach den Rock'n'Roll überzustülpen; damals, im Hochgeschoß des Eurocenters neben dem hohlen Zahn und in dessen Filialen, eine davon direkt neben der Freiheitsverwaltungskanzlei von Otto Schily. Aber der hat mich dann tatsächlich nachdenklich gemacht ...


kopfschuetteln   (26.11.10, 13:05)   (link)  
ein glück, dass sie nicht "kurz können". sehr schön.
lotterleben ... ich mußte spontan an dieses gegenteil denken.


jean stubenzweig   (26.11.10, 16:49)   (link)  
«Urangst des deutschen Bürgertums
Wäre es nicht so ernst und zeigte die schreckliche Wirklichkeit, man, in diesem Fall ich, könnte da fast Ironie herauslesen oder gar Satire:
«Das Konservative zeigte sich in den letzten Jahrzehnten vor allem als Rhetorik und als Stil: Die Alten sprachen von Werten, die Jungen wurden wieder manierlich und zogen sich gewählte Sachen an. Einige lasen sogar Ratzinger. Doch in Wirklichkeit galt: Der ewige Kampf, der seit der Französischen Revolution in jeder Generation zwischen der Partei der Ordnung und der Partei der Bewegung, zwischen Beharren und Fortschritt, zwischen Tradition und Rebellion herrschte, schien kaum irgendwo so befriedet wie in Deutschland. Vor allem nachdem Deutschland erst den linken Terrorismus besiegt und dann den Kalten Krieg beendet hatte. Der Politologe Herfried Münkler hat soeben noch einmal eine riesenhaft verbreiterte Mitte als rundliches Zentrum unserer Gesellschaft ausgemacht. Diese Mitte aber ist so liberal, dass sie eines parteipolitisch geschärften Liberalismus kaum noch bedarf.»
Sag ich's mal so, ich gehöre nicht zu diesen Wendehälsen, über die Frau Behrens berechtigt, aber vielleicht etwas zu verbissen nachdenkt. Mir haben die Sechziger und Siebziger enorm viel gegeben, auch später auf der beruflichen Basis, auf der ich die letzten zwanzig Jahre zunehmend von Botho Straußens umgeben sein sollte, die mir das Leben vergällen wollten. Sie haben mich nicht herumgekriegt, zumal es immer noch ein paar gegeben hat (und gibt), die unter gesellschaftlichem Miteinander anderes verstehen als das, was Gustav Seibt, den ich im übrigen durchaus schätze, da beschreibt.

Allerdings kann ich mich auch des Eindrucks nicht erwehren, daß der Autor der taz etwas fehlinterpretiert oder auch falsch versteht oder auch falsch verstehen will, wenn er die Argumentation von Der kommende Aufstand auf die schlimmen Agamben, Heidegger und Schmitt, also nach Meinung des vielleicht noch etwas zu unausgetobten Johannes Thumfart auf extreme politische Rechtslastigkeit zurückführt. Ich sehe das anders, mir scheinen da doch eher die sozusagen gründerzeitliche attac, Pierre Bourdieu, José Bové sowie die Confédération paysanne und einiges mehr an Sporen darauf-, Myzelien darunterzuliegen oder gar situationistische Einflüsse hineinzuwirken. Solches Getobe fand unter Deutschen ohnehin kaum Verbreitung, dieserer Geist, sich zu wehren, aufzubegehren (warten wir's ab, ob bei den nächsten anfallenden Wahlen die Proteste gegen Atomnergie, tieferzulegende Bahnhöfe oder den freien Blick auf Oma ihr klein' Häuschen zahlenmäßige Wirkung sichtbar wird). In Frankreich verhält sich das etwas anders (wobei es auch dort gelungen ist, ordentlich Gewinnsucht pandemisch zu impfen), allerdings ist die conträrbourgoise Bewegung schon alleine wegen der Entwicklung der letzten Jahre hin zur alten Großherrschaftlichkeit (woran der sozialistische Monsieur le Président François Mitterand, das muß gesagt sein, seinen Teil dazu beigetragen hat) einem ganz anderen Freiheitsverständnis unterworfen.

Nun bin ich zwar wieder von hundert auf tausend gekommen, aber das mußte sein, da das alles miteinander zusammenhängt – was mein anhaltendes, nachhaltiges (das Wort gab's schon vor der Erfindung des Neudeutschen) Verständnis von Gesellschaft betrifft. Außerdem kann ich, wie Sie richtig feststellten, nicht kurz.

Ich lege mich jetzt erholen. Denn vor ein paar Minuten fiel am Telephon der Begriff Weihnachtsmarkt. Da kam ich direkt ins Taumeln. Ich habe da so seltsame, vielleicht sogar komische Erinnerungen.


kopfschuetteln   (26.11.10, 21:33)   (link)  
ja, dächteln sie, nur ...
und ich habe eine gewisse hysterie herausgelesen. nicht eine des autors (gustav seibt) sondern eine, die tatsächlich dazu sein scheint:“spiel nicht mit den schmuddelkindern“. denn das ist kein spiel. den letzten artikel zeigte ich meiner kollegin, die ein kind in klasse vier hat. es ist so, sagt sie. kopfschütteln.

naturgemäß liegt mir dieses thema auch am herzen. meine (viel) bessere hälfte und ich fragen uns nicht nur jetzt, ob wir alles “richtig” machen, es kann also noch schlimmer werden. wobei im grunde ist nichts schlimmer wäre, als in diesem sinne konservativ zu sein, aber immer die frage als vorwurf im raume steht, nicht konservativ genug zu sein.

“Sie haben mich nicht herumgekriegt, zumal es immer noch ein paar gegeben hat (und gibt), die unter gesellschaftlichem Miteinander anderes verstehen als das, was Gustav Seibt, den ich im übrigen durchaus schätze, da beschreibt.”
das müßte ein wunderbarer, weil wertfreier ansatz sein. assimilieren und behalten und teilen. aber die menschen scheinen nichts voneinander “haben” zu wollen.

“wir haben die erde nur geliehen” hier fehlt mir der hinweis, dass es wohl ein bemühen um nachhaltigkeit gibt, aber dann bitte einen widerspruch zum suv.

(wenn ich darf. für interessierte oder/und geschockte eltern: brandeins, heft 12 “das outgesourcte kind” und “”ein nachteil ist kein defizit”, genußlektüre, sozusagen.)

der autor der taz hat ja “replik“ erhalten: “tausend waldgänger” sz vom 25.11.2010. aber auch hier hätte ich, (fast) das gleiche zu meckern. “nein, die feinde unserer modernen massendemokratie kapitalistischen zuschnitts, die so bleiern wie alternativlos ist …” schreibt er … nein! alternativlos ist gar nichts, und schon gar nicht der dieser(tage) kapitalistische zuschnitt.

wendehälse?
»wer in der jugend nicht kommunist war, hat kein herz. wer es im alter immer noch ist, hat keinen verstand.« (bertrand russell)


jean stubenzweig   (27.11.10, 18:57)   (link)  
Die Brandeins-Artikel
täten mich durchaus interessieren, aber ich habe die Zeitschrift leider nicht. Kurzzeitig hatte ich sie sogar mal abonniert. Aber das ist recht lange her. Eines Tages kam ich eben zu der Einsicht: Das bißchen, das ich lese, das kann ich mir auch selber schreiben.

Nun gut, ich bin ja nicht ganz so altersstarrsing und bin lesebereit. Aber ach, auch die SZ habe ich 2008 nach fünfunddreißig Jahren als letzte Tageszeitung abbestellt. So erreiche ich auch diese Empfehlungen nicht.

Doch möglicherweise liegt die Unerreichbarkeit daran, daß ich ohne Javascipt, überhaupt nur noch im Privatmodus internetze, seit Herr Nnier das mal angeraten hat. Wer mich nicht will, hatte ich anschließend angemerkt, den will auch ich nicht. Schon gar keinen, der in meinem Revier fischen will. Dann sollen die eben das bißchen, das sie geschrieben haben, selber lesen. Andere haben auch schöne Seiten.


schmollsenior   (26.11.10, 19:33)   (link)  
Zu Ratzinger und «Wendehälsen»
fällt mir ein: Dessen Hofberichterstatter, der sich gerade wieder durch die Rezensionspalten jagen läßt, den habe ich vor gut dreißig Jahren kennengelernt als einen der glühendsten Marxisten überhaupt, der obendrein in der Passauer Kleinen Zeitung* (von den Wikipedia-Autoren als, nun ja, «linksradikale Wochenzeitung» bezeichnet) einen aufklärerischen Journalismus gegen die Priesterschaft an der kleinen Stadt am Zusammenfluß von Donau, Inn und Ilz und dem Katholenfilz anschrieb. Als ich das vor einigen Jahren mitbekam, daß der das Nachbeten begonnen hatte, war ich in meinem, hier paßt das Wörtchen mal genau, Glauben ernstlich erschüttert. Und irgendwie habe ich mich bis heute davon auch noch nicht erholt.


* Passauer Kleine Zeitung 1976-1978
David gegen Goliath
Eine Dokumentation des Passauer Stadtarchivs unter Leitung von Richard Schaffner
Die PKZ unternahm den mutigen Versuch, gegen den Riesen Passauer Neue Presse anzuschreiben. Sie war Teil einer Aufbruchsstimmung (PKZ, Zimmerschied, Jonas, Scharfrichterhaus und erste Bürgerinitiativen). Die beiden Herausgeber Peter Seewald und Stefan Weber eröffnen die Dokumentation.



jean stubenzweig   (26.11.10, 20:49)   (link)  
Ach du mein Gütegott!
Da wird mir so richtig warm ums Herz. Vor allem hierbei: «[...] und ich gehöre keiner kirchlichen Gruppierung an. [...] Die braucht er nicht, um auszumachen, dass die sogenannte Renaissance der Religion nicht tief genug gegriffen hat. Dass die Gesellschaft an einem Scheideweg steht, wenn nicht am Abgrund. Dass sie überhaupt noch funktioniert bei all dem Müll, mit dem sie sich besudelt – das hält Peter Seewald für ein echtes Wunder, über das man sich nicht genug wundern kann. Dabei könnte die Wiederentdeckung der christlichen Wurzeln, des Evangeliums, wahre Wunder bewirken, so in etwa, wie es ihm einst geschehen ist. [...]» Aber immerhin, anders als die Ungläubigen von Wikepedia, «ein linkes Stadtmagazin».

«Hier ist ein Mensch.» Hier darf er's sein.


edition csc   (26.01.11, 13:29)   (link)  
Alles Lüge !
Wie uns dieser Tage zugetragen wurde, soll auch diese Anekdote um die Florentinerin Medici als Créatrice der nouvelle cuisine der französischen Renaissance erstunken und erlogen sein – wahrscheinlich von diesen Italienern, die den Froschfressern ein Bein ihrer Geschichte amputieren wollten. So auf dieser Ebene:

„Die Franzosen schienen Affen zu sein, die rückwärts von Ast zu Ast auf einen Baum hinaufklettern und oben angekommen den Hintern zeigen."

Historiker haben herausgefunden, daß die spätere Königin von Frankreich auch nicht besser gegessen hat als ihre adeligen Untertanen.

Salut
Caterine aus Swerdlowsk

Übrigens hat doch ebenfalls dieser Tage im deutschen Bildungfernsehen tatsächlich jemand mehrmals gesagt: Jekaterinenburg.


jean stubenzweig   (26.01.11, 18:18)   (link)  
Keine Klitterei!
Es dürfte hinlänglich bekannt sein, daß diese Affigkeit von einem Franzosen stammt und die hier, am Ende dieses Beitrags, nachzulesen ist (das Zitat habe ich allerdings vor ein paar Minuten nachträglich ergänzt).

Und den Froschfresser mit dem appen Bein verstehe ich als Anspielung auf einen ebenfalls hier erschienenen Beitrag.

Einen Froschschenkel bitte















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