Von «extremen Erfahrungen»

lese ich, bei einer Ü-30-Party. Das setzt mal wieder die Erinnerungsmaschinerie ingang.

Einige Male, als ich noch jünger war (knapp Ü 60) habe ich mir die Freude gegönnt, zum ersten Mal nach einem holsteindörflichen Dans op de Deel, eine Kleinstadtdiscothek aufzusuchen, um meine früher durchaus beachtliche Tanzkondition zu überprüfen. Beim ersten Mal wurde ich vom Lächeln einer knapp U-30-Frau eingelassen, die mir in meinen (er)schöpferischen Pausen dann das eine oder andere Wort zur Erholung schenkte. Ob das der Anlaß war, daß sie später einen meiner nicht mehr zu zählenden Söhne heiratete und mir noch mehr Enkel schenkte, scheint derart unter Verschluß gehalten zu werden, so daß ich lediglich darauf hoffen kann, es eines Tages aus so einem Wikinetz herausfinden zu können. Man hat schließlich andere Sorgen (Photographie unten); obwohl die auch schon wieder nicht mehr aktuell, sondern längst zugebaut sind.

Diese Laufübung (ohne die offensichtlich mittlerweile auch von jüngeren Menschen für deren Walkfestigkeit benötigten nordischen Sommerskistöcke) rief rechtes Erstaunen hervor. Aber die jungen Leute waren dann wohl doch zu jung, um zu wissen, daß man sich zu revolutionären Zeiten beim Tanzen richtig bewegte und nicht nur leicht bewegt herumstand. Doch daß so ein Methusalem sich traute, auch noch die hohen Barrikaden der Jugend zu stürmen, brachte ihm durchaus Anerkennung ein, die sich vor allem darin ausdrückte, daß sogar U-20-Menschen mich spät Hinzugezogenen, also auch nach Jahren immer noch Fremden zu grüßen und die Alten beim Dorfest zu tuscheln begannen, als sie mich kommen sahen.

Vielleicht sollte auch die Generation Ü 40 mal darüber nachdenken, ob das möglicherweise die von deren Eltern beklagte, weil abhanden gekommene Ehrerbietung zurückbringt, die sie so schmerzlich vermissen. Ich jedenfalls werde vom Dorfnachbarjungen immer wieder mal gefagt, wann er denn mit mir in der Disco endlich wieder einen trinken darf (er war nach unserem Nachttalk endgültig von Whisky-Cola auf Wodka-Lemmon umgestiegen, also offenbar in die Elite der Erwachsenen erhöht worden). Auf diese Weise verschafft man sich nämlich heutzutage Autorität.
 
Mi, 08.12.2010 |  link | (2138) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben


blindekuh   (11.12.10, 21:29)   (link)  
Was Ihnen aber nur gelungen sein dürfte, da Sie sich wirklich darauf eingelassen haben und Spaß dabei haben. Ich denke, die Jugendlichen haben schon ein erhebliches Gespür dafür, ob sich jemand anbiedert, oder sozusagen „mit Leib und Seele“ dabei ist. Dazu gehört eben, nicht nur zu wissen, dass man selbst mal Kind oder Jugendlicher war, sondern diese Teile des eigenen Ichs nicht erstickt zu haben und sich hin und wieder darauf einzulassen…die Kunst besteht dann wiederum darin, sich nicht komplett lächerlich zu machen. Alles in allem ein ziemlicher Drahtseilakt, der Mut und Einfühlungsvermögen erfordert, aber eben auch reich belohnt wird, wie ich immer wieder sehe.

P.S.: Mein kleines U20 dankt für die Gratulation zum Geburtstag und sendet einen Gruss zurück.


jean stubenzweig   (12.12.10, 00:01)   (link)  
Ohne jeden Zweifel
funktioniert (welch häßliche Vokabel für geistige Bewegung) das nur, wenn wenigstens ab und an die Bereitschaft zum Spaßhaben mit den Jungen vorhanden ist. Die werden ja gerne oder allzu oft nur deshalb nach unten nivelliert und als nicht integrationsbereit gekennzeichnet, weil die Alten in der Regel nicht bereit sind, sich daran zu erinnern, daß sie ebenfalls mal U 20 waren. Wobei eventuell anzumerken wäre, daß viele bereits als Rentner zur Welt kommen; allerdings nie ohne Zutun ihrer Erzeuger. Ich bin nun nicht unbedingt verdächtig, ständig der Jugend das Wort zu reden oder sie gar als dauerhaftes Lebenselexier zu hymnisieren, wie das offensichtlich gesellschaftlich nicht mehr anders zu «funktionieren» scheint. Aber es ist nunmal so: Hin und wieder muß man sich ihren Standpunkt schonmal ins Ohr singen lassen, auch wenn einem die Töne nicht gerade ins Gehör fließen. Wer sich dem verweigert, fällt bei der Prüfung zum Elternführerschein durch.

Nein, man macht sich nicht lächerlich dabei. Wer über ausreichendes, über das sogenannte Erwachsenwerden entstandene Selbstwertgefühl verfügt, der lächelt allenfalls über die sogenannten Erwachsenen. Alleine denen gilt mein Spott und mein Hohn über deren «bewältigtes, hartes» Leben – das jede Erinnerung an das zu tilgen scheint, das sie geprägt hat.*

Aber zugestandenermaßen sei hinzugefügt: Im Theoretischen bin ich, selbst aus der Perspektive der landläufig so genannten Empirie betrachtet, eindeutig versierter. Im nächsten Leben mach' ich alles anders. Auf daß ich endlich diese Führerscheinprüfung bestehe.

Den Geburtstagsgruß habe ich als solchen Festtagen nicht unbedingt Zugeneigter entrichtet, da mir diese dänische Familie zwischen Ost- und Westsee so sympathisch erscheint und ich mich Ritualen eben nicht gänzlich entziehen kann, will ich an meinem alten Ende nicht vollends als Asozialer dastehen. Ich freue mich, daß es dem «kleinen U 20» überbracht und von ihm entgegnet wurde. – Meine Güte, das ist hier ja wie aufm Dorf.

* Das «eigene Ich», das habe ich in den letzten Tagen mitgeteilt bekommen und möge bitte nur als Randbemerkung anderer gewertet werden, sei nichts anderes als eine Erfindung der Soziologen, die nicht ahnen konnten (oder später auch wissen woll[t]en), daß die Neurowissenschaft herausfinden würde, wie wenig es als solches existiert, da es allein einem chemischen Prozeß innerhalb unserer Synapsen unterworfen sei: das Ich sei demnach allenfalls ein philosophisches Problem.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5808 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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