Knödelnde Kauboys

erobern am 25. November (1978) die Jahrhunderthalle in Frankfurt-Höchst. Bands und Barden kommen freilich nicht aus dem Holy-Filterkippen-Land, sondern eben aus deutschen Landen auf den Tisch. In Ausscheidungskonzerten von Hamburg bis München haben die Veranstalter insgesamt hundertzweiundzwanzig Bewerber gesiebt. Die Gruppe, der am meisten applaudiert wird, fliegt für zwei Wochen nach Nashville, in die Metropole der Country- und Western-Orchester. Den Flug stiftet die deutsche Zigarettentochter, die ihre gefilterten US-Glimmstengel in Deutschland mit Freie-Welt-Romantik zur Marke des männlichsten Mannes rollen konnte und damit für höchsten Wohlklang wenigstens in den Kassen sorgte.

Der Reklame-Rummel hebt ins Rampenlicht, daß Bundesdeutschland innerhalb von dreißig Jahren eine Western-Kolonie geworden ist. Seit der US-amerikanische Soldatensender AFN seine singenden Kuhhirten in der Alpenregion, am Rhein und an der Spree reiten läßt, hat sich hierzulande allmählich eine Hillbillie-Folklore entwickelt: Mittlerweile bewohnen die Deutschen das sangesfreudigste Country außerhalb der Staaten. Es hat den Anschein, als träte bald ein neuer Stern neben die Streifen der Flagge.

Schon 1977 schwappte die Trendwelle über den großen Teich zurück. Die beim Nashville-Festival bejubelte Truppe Truck Stop kam vom harburgischen Seevetal. Mittlerweile verbreitet die Musikalienfirma Bear Family in Bremen sogar den falschen Mythos, daß der Vorsänger Johnny Cash, seinerzeit GI in Deutschland, in den fünfziger Jahren hier im Osten erstmals Gitarre geklampft hätte. Wahr ist, daß um diese Zeit — ohne Cash — die deutsche Westlandlied-Szene in Bewegung geriet. 1956 gründete der Schweizer «Chuck» Steiner die Zeitschrift Country Singin' & Pickin' News, die unter dem Titel Hillbilly heute noch erscheint. Im Beatles-Jahr 1963 trafen sich dann die auf Western-Art fiedelnden und Banjo zupfenden Deutschen beim ersten Country & Western Festival in Neu-Südende bei Oldenburg, wie seither jedes Jahr zu Pfingsten. Dort wurde auch Country Corner initiiert, eine Zeitschrift, die unsere Provinz über die Volksmusik der Nordamerikaner zwischen Maine und Kalifornien unterrrichtet und im Süddeutschen Rundfunk mit ihren Mitarbeitern eine gleichnamige Sendereihe bestreitet.

Mittlerweile sind deutsche Kuhmusik-Freunde nicht mehr auf die ärmlichen zwei Stunden angewiesen, die der Soldatenfunk American Forces Network, bekannter als AFN, täglich dudelt. Deutschsprachige Sender, wie etwa Österreichs ORF, die schweizerische SRG sowie das Rödel-Radio Luxemburg, musizieren sechsundvierzig Stunden monatlich im westlichen Stil. Der gerne auch als der «häßliche» bezeichnete Hessische Rundfunk ermittelte per Hörerumfrage vom März 1978 die beliebtesten Country-Interpreten: Neben Johnny Cash und Emmylou Harris kam Deutschlands Truck Stop auf die vorderen Plätze. Mit deutscher Heimarbeit füllten die Seevetaler Fiedler und Trommler des Gülledufts bereits zwei Langspielplatten. Konkurrenten sind die Emsland Hillbillies und deutsch-amerikanische Freundschaftsformationen wie Canned Leather, während der geübte Trendreiter James Last mit seiner Scheibe Western Party dazu die flashige Barbecue-Soße liefert. Ein noch autarker deutscher Plattenhersteller hat sich Johnny Cashs Stieftochter Rosanne weltexclusiv eingefangen, und inzwischen singt sogar schon die Griechin Nana Mouskouri Westernballaden der Deutschen auf deutsch. Nicht zuletzt schürft im hiesigen Country-Claim ein Gunter Gabriel, der gerne Texte des Tausensassas Shel Silverstein nölt, und Volker Lechtenbrink geht mit eingedeutschten Liedern von Kris Kristofferson auf den Treck.

Deutsche Plattenfirmen und prachtvoll ausgestattete Töchter US-amerikanischer Record Companies haben erkannt: Hier gibt's noch manche Scheibe runterzuschneiden. Stagnierte der Marktanteil der Landluftmusik in der BRD bis vor zwei Jahren noch bei einem Prozent, melden einige der Verkäufer mittlerweile das Fünf- bis Zehnfache. Deshalb gibt es jetzt schon Spezialisten wie das Nashville Music Studio in Leverkusen, dessen Musiker auf den spezifischen Klang der Steelguitar geeicht sind.

Der Kommerz entdeckt eine Klientel, die sich längst gut organisiert hat. So veranstaltet der fünfundvierzigjährige Walter Vogelstein aus Ingolstadt mit seinem Country Music Club Bavaria jetzt zum sechstenmal eine Pilgerfahrt nach Nashville. Aus Wien bedient Country Music Informations die Begierigen mit Platten-Bestellnummern, Liedtexten, Musikanten-Biographien und Lteraturangaben. Vom Münchner MUH bis zum Hamburger Klub Country Castle drängen die Westerner ins folkloristische Programm von etwa sechzig Bühnen.

The best of deutscher Westliedkunst ist (für zwanzig Doller Jahresbeitrag) Mitglied der in Hollywood gegründeten Academy oft Country Music. Die Mitgliedsnummer 2608 ziert den dreiunddreißigjährigen Beamten Manfred Vogel aus 2584 Zwesten 3, der hat vorbeugend von drüben einen Stapel Blankoausweise mitgebracht. Er rechnet eben fest damit, daß nach dem Frankfurter Festival diese Musik zum nationalen Kulturgut ausgerufen und damit die Zugehörigkeit zu Good's own country endgültig besiegelt wird.


Flohmarkt: Savoir-vivre, etwa zum Weihnachtskaufrausch von 1978
 
Do, 23.12.2010 |  link | (3810) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ohrensausen


terra40   (23.12.10, 19:03)   (link)  
Unterschiede gibt es
Ich weiß sehr wenig über das worüber Sie hier schreiben - eigentlich gar nichts, aber ich lasse es mir nicht anmerken -, aber mir scheint der Unterschied zwischen Bundesdeutscher Landluftmusik und US Country&Western nicht sehr groß. (In beiden Fällen gibt es karrierte Holzhackerblusen, glaub ich zu wissen. Und was unterscheidet TennesSee vom Starnberger See?)
Aus meinen jungen Jahren erinnere ich mich schon eine junge Dame die laut ihr Verlangen nach einem Kauboy als Mann zu kennen gab. Aber Freddy Quin hat sie wohl nicht gemeint.
Sei es drum, mit oder ohne AFN oder Nashville wünsche ich Ihnen ein frohes Fest.
Gruß, T.


jean stubenzweig   (24.12.10, 09:05)   (link)  
Diese Dame mit dem Kauboy,
war, ist das nicht die Gitte aus Dänemark? Wahrscheinlich hat sie zu dieser Zeit noch keinen Blick gehabt für einheimische Rindviecher und Landschaften und hat sich deshalb deutschgesangig der weitverbreiteten Sehnsucht nach dem (lager)feurigen freien Westen angeschlossen. Und ja, des anderen Herrn Sehnsucht war seinerzeit das Meer, die vermutlich deshalb so ausgeprägt war, weil er aus Österreich stammt. Irgendwo habe ich mal gelesen, daß besonders viele Menschen aus gebirgsnahen Regionen vom Meer angezogen sein sollen. – Aber gestatten Sie mir bitte die Frage: Hat man in den Niederlanden in den Sechzigern und später keine Hillbillie-Musik gehört? Und richtig, aus Frankreich oder Italien oder Spanien beispielsweise sind mir solche Töne ebenfalls kaum bekannt. Daraus ließe sich schließen, es könnte tatsächlich ein fast deutsches Phänomen gewesen sein, das seine Wurzel in der Befreiung von den Nazi durch die US-Kultur-Hilfe hatte.

Ich danke für die Wünsche. Mir ist das zwar kein frohes Fest, weil ich es nicht feiere, aber Ihnen, das weiß ich. Deshalb wünsche ich gerne zurück.


gorillaschnitzel   (26.12.10, 00:17)   (link)  
Na da schreiben Sie doch wörtlich:
Deutschsprachige Sender, wie etwa Österreichs ORF, die schweizerische SRG sowie das Rödel-Radio Luxemburg

Hättense da noch einen klitzekleinen Beleg hinsichtlich nichtausländischer dennochdeutschsprachiger Sender?


bueddenwarderin   (26.12.10, 14:39)   (link)  
Wer hört das denn noch?
Außerdem werden selbst in Büttenwarder längst die Kühe geritten, um die Pferde der "Stadtschinken" in ihre gemütlichen Ställe zu treiben – aber von jungen Mädchen. Auch hierbei sind die Jungs also längst zur Randerscheinung geworden.


jean stubenzweig   (27.12.10, 08:17)   (link)  
Ein einzig Trauerspiel!
Sogar in und mit Büttenwarder. Wo ist sie hin, die gute alte Welt?


diplomuschi   (27.12.10, 17:07)   (link)  
In Büttenwarder
wurde sie zwar noch nicht gesehn, aber wenn das so weiter geht – denn die sinkt auch noch. Wir haben einen, der ihr immer zuhört. Und wahrscheinlich ist er nicht der Einzige.


jean stubenzweig   (27.12.10, 22:57)   (link)  
Ach du gute Güte!
Die gibt's (oder sinkt) immer noch. Aber tourte die nicht ohnehin mal mit einem Luxury Liner? Nun fährt sie wohl auf dem Alternativ-Musik-Dampfer.

Doch ich will auch gestehen: Sie gehörte nach meiner Erinnerung noch zu den wenigen, denen auch ich manchmal ganz gerne zugehört habe, als man mir seinerzeit die alle zum Pflichtkonsum machte.


jean stubenzweig   (28.12.10, 02:11)   (link)  
Don't bogart that joint
zog mir soeben noch durch das Erinnerungshör zur Musik des Landes. Als ich den Film gesehen hatte, wußte ich noch nicht, welche Landler ich mir ein paar Jahre später noch würde anhören müssen. Aber für diese vorausgegangene (und anhaltende ?) politische Entwicklung ist Frau Harris wohl kaum verantwortlich zu machen.

Ach, na ja, es ist spät. Gute Nacht.


jagothello   (30.12.10, 10:48)   (link)  
Kommerz? Aber sicher!
Im iTunes tummeln sich rund 100 Sender, die sich ausschließlich solche Landmusik auf die Fahnen geschrieben haben, teils gar sendet man direkt aus Nashville. Etliche weitere Senderverwandte firmieren dort unter dem Label "Folk" oder "Acoustic". Wie viele Menschen sich da kreativ betätigen, um all diese Stationen zu füttern! acoustic.com dudelt bei mir oft ganze Tage lang so vor sich hin und ungefähr bei jedem 20. Stück notiere ich Titel und Interpret, die es dann unter Garantie auch im iTunes-"Shop" (bitte verzeihen Sie die verschämten Anführungsstrichelchen, aber es ist mir IMMER noch peinlich, mich vom Marketingindustrie-Jargon so dermaßen (!) vereinnahmen zu lassen) zum Kaufen gibt. Besser als vor Jahren ist das, als man noch nach Äonen hinter Musik herlief, die kein Mensch kannte und die man dennoch unbedingt auf der "best of irgendwas" MC haben musste.















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