Chinesisch-amerikanischer Kulturaustausch

Wieder(ge)sehen

Cosmo Vitelli, Besitzer eines Sunset-Nachtclubs, hat die letzte Rate für sein Unternehmen an den Kredithai gezahlt. Um das Ereignis gebührend zu feiern, besucht er eine Spielhölle. Es geht schief, er unterschreibt einen Schuldschein über 113.000 Dollar, die er jedoch nicht zahlen kann. Bargeld steckt er immer gleich in seinen Club, in dem neben den Tänzerinnen noch ein grotesker Mister Sophistication Provinzler und manchmal einen verirrten Geschäftsmann platt unterhalten. Vitelli soll seine Schulden ‹abarbeiten›, einen chinesischen Buchmacher umbringen: «Nur einen Chinesen!» Nach anfänglichem Zögern wird er schließlich handgreiflich von dieser für ihn einzigen Lösungsmöglichkeit überzeugt. Kriegserfahren schleicht er sich in die unmittelbare Nähe des stark bewachten Chinesen. Der sagt noch «Ich war ein schlechter Mensch», und Cosmo ist seine Schulden zunächst mal los. Da er jedoch auch noch einige der Leibwächter des Chinesen erschießt, ist er der kriminellen Spielhöllenclique ein zu großer Risikofaktor geworden. Es sterben noch einige, Cosmo jedoch nicht. Zwar verliert er seine Freundin, eine der Tänzerinnen seines Clubs, da deren Mutter Angst vor der Polizei hat, aber er hat ja noch seinen Nachtclub, und den liebt er. Und sonst gar nichts. Dorthin geht er und sagt, wie üblich, die letzte Nummer selbst an.

Das klingt zunächst alles nach Massen-Krimi-Produktion à la USA. Hollywood ist es auch, aber eher aus der Gegenrichtung, also ebenfalls spannend, aber ruhiger, erzählerischer. Doch es geht Cassavetes ohnehin nicht um diese eher schlichte Geschichte. Es geht ihm um das Milieu und um die Person des Cosmo Vitelli, den er mit psychologischer Sorgfalt und Feinfühligkeit ebenso zeichnet wie diesen somnambulen Glitterkosmos, in dem der ein kleines Reich beherrscht. Eine gedimmte Welt ist das, deren Nachtbeleuchtung kein genaues Erkennen der Hintergründe mehr zulassen will; eine, in der Höflichkeit verkommen ist zum Bruderkuß vor dem Dolchstoß in den Rücken; eine, in der die Masse Mensch längst zur Masse Ware reduziert ist. Die Optik von Cassavetes ist identisch mit dem Schummerlicht dieser Nachtwelt: knapp vor der absoluten Dunkelheit; Farben, wie man sie nur sieht, wenn man sich eine Zeitlang in solcher Umgebung aufgehalten hat, an die man sich eben erst langsam gewöhnen muß. Diese Spannung hat John Cassavetes mit genauester Ungenauigkeit gemalt. Die Kamera von Fred Elmes und Mike Ferris hat genau den Blickwinkel dieser unterhalb eines wohlanständigen Lebens treibenden Menschen, das jedoch nicht minder seine Ordnung hat.

Ben Gazzara spielt den Hüter seiner selbstgeschaffenen Realität fast literarisch konzis. Sein Gesicht zeigt immer die Anspannung solchen Lebens, seine schauspielerische Leistung läßt Cassavetes' Absicht, diese scheinbar traumhaft dahintreibende ‹andere› Wirklichkeit einer völlig materialisierten Welt zu zeigen, geradezu plastisch werden.

Ein Ausschnitt US-amerikanischen Nachtlebens, wie es über die Massenproduktionen zwar hektisch und laut, aber letztlich einförmig und -tönig vermittelt wird, ein Land eben, das auch nur über begrenzten Möglichkeiten zu verfügen scheint. Cassavetes eigenartiger Film mit außergewöhnlichen Schauspielern zeigt jedoch auf eine still-aufregende Weise, daß es es filmisch noch ein anderes Amerika gibt, sogar im Norden des Kontinents.

Mord an einem chinesischen Buchmacher
(The Killling of a Chinese Bookie)
Drehbuch und Regie: John Cassavetes
Kamera: Fred Elmes, Mike Ferris; Musik: Anthony Harris; Länge: 3.100 m (115 Min.); USA 1976
Darsteller: Ben Gazzara, Robert Philips, Meade Roberts, Azizi Johari

Abbildung: © Koch Media Deutschland GmbH

Flohmarkt: savoir-vivre 1977

 
Fr, 01.04.2011 |  link | (2094) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kamerafahrten


kid37   (01.04.11, 17:07)   (link)  
Ein kleiner schmutziger Klassiker, diffus, nervtötend manchmal, aber in seiner ungeschliffenen, improvisierten Collagenform auch packend. Milieufilme, wie es sie heute kaum noch gibt.


jean stubenzweig   (01.04.11, 18:05)   (link)  
Nervtötend. Inwiefern?
Der langen, anhaltenden Sequenzen wegen? Überdehnt?

Ich habe ihn nach langer Zeit wieder gesehen und war erstaunt, wieviel Details mir in Erinnerung geblieben waren. Das kann ich von Filmen, die ich zwei- oder gar dreimal gesehen habe, nicht unbedingt sagen. Und nun bei einem Stoff, der mir inhaltlich nicht unbedingt zu Herzen geht. Ich bin einer von denen, die Kino mögen, in dem so gut wie nichts passiert und wo so schrecklich viel geredet wird.


edition csc   (02.04.11, 20:54)   (link)  
Eine tolle Truppe
war das aber auch: Peter Falk, Seymour Cassel, Ben Gazzara oder Gena Rowlands. Bei der kommt frau nicht an Gloria vorbei. Das war doch auch so ein Film für einen gestandenen Kino-Anti-Amerikaner. Einer der ersten Frauenfilme (vielleicht ein bißchen im Sinn von Frau-TV Brigitte, also mit dem männlichen Blick).

„Ich mache gern schwierige Filme, bei denen die Leute schreiend rauslaufen. Ich bin schließlich nicht in der Unterhaltungsbranche.“ (John Cassavetes) Zum Rauslaufen war da aber nix. Und unterhalten hat er auch. Aber halt nicht hollywoodesk.

–cabü


jean stubenzweig   (03.04.11, 09:37)   (link)  
Den würde ich mir
sicher auch nochmal anschauen. Ich weiß gar nicht, drehen die USAmis überhaupt noch solche Filme? Oder gibt es nur noch diese schlimmen Allerweltsstreifen?















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