Gut Licht, gut Ton und volle Kassen! Es gab Zeiten, in denen ich häufig ins Kino ging, nicht nur beruflich, wo mich das eine ums andere Mal ein gemütlicher Vorführraum mit bequemen Sesseln und selbst regulierbarer Lautstärke erwartete (zu diesem Privileg gelangte ich durch meine Aufgabe, unter anderem wöchentlich zehn öffentlich-rechtliche Kulturminuten füllen zu müssen, in denen auch Film quasi eine Rolle spielen durfte), sondern auch privat suchte ich gerne diese Illusionskisten auf, aus denen ich oft genug gar nicht mehr rauswollte, sei es wegen Eric Rohmer, diesem langnasigen Liebesflüsterer und weiteren. Abgeschworen habe ich dem Filmtheater, wie es früher mal hieß, nachdem mir der Krach zu arg geworden war. Im Jahr 2000 war das, auf Pani e tulipani, auf den vom Theater her wegen seiner stillen Kraft geschätzten Bruno Ganz hatte ich mich sehr gefreut. Nach zehn Minuten war ich hinausgegangen und hatte die Damen draußen gefragt, ob man denn die Lautstärke nicht etwas vermindern könne. Erstaunt entgegnete man mir, die sei doch normal. Da ging ich von dannen und sah mir den Film später in meinem Pantoffelkino an, einen DVD-Vorführer hatte ich mir bereits zugelegt, Es hatte keine Gültigkeit mehr, was der im April 2007 dahingeschiedene Laurens Straub im Dezember 1980 in der Münchner Filmillustrierten, geschrieben hatte: «... überhaupt wird das Kino und der deutsche Film für so manch einen Entwurzelten langsam zum Familienersatz. Bald kommen wir ohne einander gar nicht mehr aus, und das ist vielleicht ein schönes Motto für Weihnachten ...»Ihm und seinen Mitstreitern verdanke ich kurzweilige Erinnerungen. Auf dem Transparent war zu lesen Heute Preview. Vor rund dreißig Jahren viewte und celebratete das Public noch nicht in Massen Stars der Klassik auf dem Münchner Odeonsplatz, die Freunde der italienischen Oper gingen noch ins Kino., wenngleich es eigentlich ein wagnerianisches Bühnenthema ist. Über dessen Eingang hing der Hinweis, und eine Preview war etwas, was die überwiegend deutschen Filmmenschen aus dem sogenannten Land der unbegrenzten, also durchaus manchmal brauchbaren, bisweilen sogar sinnvollen kulturellen Vorlagen über den großen Teich gerudert haben: eine Vorschau. Man ging ins Kino und harrte der Bilder, die vor einem ablaufen werden. Man zahlte, ohne zu wissen, was man dafür (zu sehen) bekam. Ich nannte das seinerzeit in einer Wochenzeitung, die sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands einst leistete, eine Art Lotteriespiel für Kino-Verrückte. Heutzutage müßte ich vermutlich Bildblinddate schreiben, um von den ständig vor sich hindippelnden Freunden von Frau Braggelmanns Jüngstem sofort verstanden zu werden. Schon mit meiner Preview-Premiere hatte ich, um in meiner Sprache der Altvorderen zu bleiben, ein Glückslos gezogen. Einen Volltreffer sozusagen. Eine der Hauptrollen spielte Richard Harris, und Ray Boulting führte Regie: Ein friedvoller Einzelgänger versucht, über den Verkauf seiner auf Sonnenenergie basierenden Erfindungen seine Familie zu ernähren. Über den Multiplikator Unterhaltung machen Regisseur und Schauspieler virtuos deutlich, daß es Menschen gibt, die solche Alternativen nicht mögen. Von der Art muß es noch ein paar Überlebende geben. Als ich nach dem Ende des Films The last word laut in die Runde hineinresignierte, nämlich, daß es die US-Amerikaner offenbar immer noch am besten könnten, heimste ich mir von ein paar Eingeweihten, die um meine nicht ganz unproblematische Sozialisation wußten, ein verschmitztes Lächeln und einen Fingerzeig ein. Neben mir stand der Mann, der das Drehbuch zu diesem Film 1975 zur Filmförderung eingereicht hatte. Horatius Haeberle erhielt seinerzeit eine Absage. Mir blieb die Hoffnung, daß The last Word ebenso schnell einen bundesdeutschen Verleih finden würde wie Atlantic City von Louis Malle oder A man, a woman, and a bank von Noel Black, die beiden letzten der für die Zukunft angekündigten allmontäglichen Previews im Isabella-Kino (das noch existiert, im Gegensatz zum Türkendolch, das 2001 dem gentrifizierenden Neocafé- und Klamottenwahn in der neuen Maxvorstadt zum Opfer fiel). Diejenigen, die diese Previews veranstalteten und denen neben dem dafür ‹zuständigen› Kino lsabella auch noch der (oder das) Türkendolch in der maxvorstädtischen Türkenstraße gehört, waren insgesamt dreizehn. Offensichtlich dem Aberglauben entgegentretend, gaben sie ihrer Firma einen viel- oder auch allessagenden Namen gegeben: Gut Licht, gut Ton und volle Kassen Kinobetriebs GmbH. Sie waren allesamt ‹Adoptivkinder› von Fritz Falter. Der Filmkunsttheaterpionier und Spiritus rector der Münchner Filmkunstwochen selber hat sie so genannt und ihnen auch die beiden kleinen Kinos verkauft. Damals war ich vom Glauben beseelt, er dürfte frei sein von der Sorge, seine Arbeit könnte über kurz oder lang wieder zerstört werden. Denn seinen dreizehn Sprößlingen, die sich hauptsächlich aus den beiden Münchner Filmverleihen Filmwelt und Prokino sowie dem hannoverschen Impuls-Film rekrutieren, war wehrhaft zumute: Sie wollen eine Lichtung schlagen in den Dschungel einer nicht nur in München grassierenden Verleihpolitik, die einzig Geld meint, wenn sie Kino ankündigt. Wie sich das weiterentwickelt hat und ob es noch Previews gibt, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich nicht mehr ins Kino gehe. Zu dieser Zeit kam dieser begrüßenswerte Verbund von Filmverleih und -vorführung allerdings bezeichnenderweise in der «Weltstadt mit Herz» zustande, deren oberster Ratsherr Erich Kiesl sie so gern als Weltstadt des Films gesehen hätte und beim Startversuch in den eigens dafür mit viel Repräsentationspomp präparierten Löchern hängenblieb. Bei mir hängengeblieben ist lediglich so etwas wie der Bayerische Filmpreis oder das Münchner Filmfest, bei deren posierlichem Gestakse auf roten Läufern und Flickerlteppichen für diejenigen, die gerne mal wenigstens für kurze Zeit hinauswollen aus ihrem tristen Synchronstudio- und Seriennebenrollendasein. Aber ich bin eben eventresistent. Es ging der Firma mit der namentlich-filmischen Variante von Hals- und Beinbruch vor allem darum, dem Kinogänger jedweder Herkunft die Weit des Films ein wenig spaßiger und abseits des meinungsmachenden Feuilletons zu übermitteln. So sollte es im Türkendolch rund um die Uhr ein Programm geben für die Leute, die «sonst in Kneipen und Cafés herumsitzen müßten». Denn, so Laurens Straub weiter in der Münchener Filmillustrierten: «Zweifelsohne lebt derjenige, der schon um elf Uhr ins Kino gehen kann, unter denkbar härtesten Bedingungen.» Und wie diesem in einer Auflage von 40.000 Exemplaren erscheinenden und obendrein kostenlosen Organ dieser fröhlichen Film-Kooperative weiter zu entnehmen war, sind die spät am Abend gezeigten Filme für die Menschen, die nach des Tages Arbeit einen solchen «gerade noch aushalten können». Es wurden also nicht Filme gezeigt nur für sogenannte Cineasten, nur für Intellektuelle, nur für Thriller-Liebhaber und so weiter. Und manch alter Hollywood-Streifen sollte verdientermaßen wieder über eine richtige Kino-Leinwand regnen und nicht aufpoliert im Pantoffelkino laufen: Filme, für die sich kein Verleiher und auch kein Kino(ketten-)besitzer mehr interessiert, würden möglicherweise am richtigen Ort und zur rechten Zeit aus der Asche steigen wie weiland Phönix. Aber so, wie es aussieht, hängt die seinerzeit nach Ignatz Wimmers Ausruf Gut Licht, gut Ton und volle Kassen! benannte GmbH des letzten Verbliebenen der einst glorreichen Dreizehn nach wie vor bei dem alten mythischen Vogel herum. Aber vielleicht schafft Louis Anschütz es ja doch noch, Gehörgeschädigte wie mich vom Sofa zu holen. Denn ich ginge durchaus ganz gerne mal wieder ins Kino.
»Ich halte Kino für unsterblich und für älter als die Filmkunst. Auch wenn die Kinoprojektoren nicht mehr rattern, wird es immer etwas geben, das wie Kino funktioniert.« hat alexander kluge schon vorgedacht.!
unter anderen habe ich (natürlich) die "geschichten vom kino" von ihm im schrank. ich finde es immer wieder erstaunlich, wie unfaßbar produktiv er ist, im besten sinne. und genial (wenn sie erlauben): Eine Revolution bricht eher vor und nach und nicht während der Ernte aus.
Ausgerechnet die Seite
servieren Sie mir nun, auf deren Präsentation ich verzichtet habe, da ich zu dem Denkergebnis kam: Die kennt sie bestimmt schon ...Aber es lesen hier ja noch fünf weitere mit.
hm... soll ich sie wieder raus tun? ich habe tatsächlch an die fünf weiteren gedacht. daß sie das kennen, weiß ich doch.
sorry, wenn ich sie verärgert habe. Verärgert?
Wie kommen Sie denn auf die Idee? Ich ärgere mich eher über mich selbst, die Seite nicht doch verlinkt zu haben – ich, der ich ansonsten gnadenlos keinen Link vermeide, vielleicht, um mich wie Bärbel Höhn zu beweisen: Ich kucke Internet ... Allerdings hat mich auch das Interview ein wenig zurückgehalten, das ich stellenweise wegen seiner Allgemeinplatzigkeit für arg belanglos halte. Neinnein, weiter so. Ich genieße Ihre Vorlesereien. Außerdem hätte es durchaus sein können, daß ich das nicht kenne. Und obendrein sind da schließlich noch die fünf anderen.>> kommentieren Warum
probieren Sie es dann nicht mal mit Woody Allen? Da geht´s durchaus gesittet zu, leise, bilderreich und erzählstark. 1x im Jahr. Und so herrlich europäisch, neuerdings.Woody Allen, ja, gerne.
Ich habe von seinem neuen Film gelesen und gehört. Aber das Problem sind nicht die stillen Stoffe, an denen es ohnehin sicherlich nicht mangelt; da schaue ich mir durchaus auch die fünfte Wiederholung an. Es ist die Lautstärke in den Kinos, von der mir immer wieder von nicht mehr ganz so Frischen erzählt wird, daß sie mitterweile völlig dem allgemeinen heutigen Lärm angepaßt ist. Auf diese Weise verpaßt man auch dem ruhigsten Film ein unfreiwilliges dramatisches Element, das mich davon abhält, es wieder zu versuchen. Alte Kinos also braucht die Welt.
Ich nehm ja mittlerweile Oropax. Da gibt es so spezielle, die gewisse Frequenzen filtern. Hab ich noch aus meiner Weberei-Zeit.
Die sind toll, weil auch kein Chips-knurpseln mehr gehört wird. Pax ihm Ohr?
Ach nee. Das bringt mir nicht den ersehnten Frieden. Ich mag keine fremden Körper in meinem. Der hat mit dem eigenen schon genug Schwierigkeiten.Gut, etwas sachlicher: Mein Gehörschaden seit Kindheit (links noch maximal fünfzig Prozent) läßt mich ohnehin oft genug Geräusche, die von links unten kommen, rechts oben hören. Manche Geräuschkulisserie bringt mein Gehirn in die absolute Konfusion, bereits das Durcheinandergerede in immergleichen Fernsehgesprächsrunden mit Sprachtalgdrüsen, die sich selber ausdrücken, aber auch überfüllte Kneipen bringen mich völlig aus dem Gleichgewicht. Obwohl ich als mehrfacher Opa bisweilen einiges zu hören kriege. Und es reicht bereits aus, jemanden beim Kauf von diesen Knurpseleien zu beobachten, um ein 32-Kanal-Stereogetöse höchster Lautstärke in meinen Windungen auszulösen. Und wenn dann noch etwas in einem meiner Ohren steckt, kann der Eindruck entstehen, Monsieur le Président brülle mir Je t'aime mit einer Flüstertüte von Kärcher in einen Fußknöchel, und ich antwortete als Carla Bruni aus einer unteren Ausbuchtung mit moi non plus. Aber das mit den herausgefilterten Frequenzen, das ist interessant; erstaunlich, wie weit die Medizintechnik mittlerweile ist. Es könnte mir wenigstens dabei behilflich sein, trotz der Kompositionen und Interpretationen sehr junger Sängerinnen und Sänger des Arbeitskreis artifizielle Höchstobertöne mich auf eine Insel der Gelassenheit flüchten zu lassen. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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