Kultisches ohne Ende?

Erinnerungen, ausgelöst durch Belebender Müßiggang.

Leicht abfällig äußerte sich 1996 Niels Höpfner und setzte fort: «Es geht die Mär, Telephonieren via Handy verursache vielleicht ... eventuell ... Gehirntumore: Wie fabelhaft das wäre! Bekanntlich läßt sich der Teufel am besten mit dem Beelzebub austreiben.» Teufel. Beelzebub. «Als ich jedoch kürzlich einer jungen Schönen, ganz en passant, pädagogisch wertvoll zuraunte: ‹Wenn Sie sich so selbst sehen könnten, würden Sie nie wieder auf der Straße telephonieren!›, giftete die bloß keifend zurück: ‹Verpiß dich, alter Sack!›» Ich als mich jung und forschrittlich fühlender ebenfalls alter Sack gehörte zwar zu den zurückhaltenderen Sicht- und Hörbaren, war aber dennoch gemeint.


Kultgegenstand? Das war doch mal, oder? Für mich bedeutet es eher eine Rückblende in die frühen Neunziger, während der ich bei diesem Telephontheater nicht ohne Reiz an neuester Technik mitgespielt habe, bot sie doch einen Teil dessen, den ich heute nicht (mehr) unbedingt unter Freiheit einordnen würde. Ich gab anfänglich noch Rauchzeichen über ein Steinzeitmodell (B-Netz), das nur dann angefunkt werden konnte, wenn der Anrufer wußte, in welchem Vorwahlbereich ich mich aufhielt. Dann hatte ich umgerüstet aufs C-Netz, mit dem ich sogar, von oben her ins Land eintauchend, bis kurz vor Belfort erreichbar war (wo für mich aus der Perspektive des Anstiegs von Nord nach Süd mit der Franche-Comté Frankreich ohnehin erst beginnt), was vermutlich damit zusammenhing, daß der deutsche monopole Anbieter Post auf seiner rechtsrheinischen Seite überall ausreichend starke Sender aufgestellt hatte und auch die Sendekraft des eigenen Geräts unvergleichlich höher war als die heutigen Brusttaschenformate (der Begriff Protest gegen Elektrosmog oder Hirntumor war vermutlich noch nicht erfunden), gleichwohl die Benutzung außerhalb des Sendegebiets untersagt war, bei der Einreise in schweizerisches Honheitsgebiet wurde das Gerät gar behördlich versiegelt). Dann ging meine Horch- und Funkanlage in der Tiefgarage eines Hotels verlustig, man hatte mir das Auto aufgebrochen und die komplette Anlage ausgeräumt (die Empfangs- und Sendestation war zu recht im Kofferraum stationiert, sie hatte entsprechendes Format und etwa das Gewicht eines Trabbi-Motors1). Ich erstand zwar zunächst noch für circa siebentausend (West-)Mark gebrauchten Ersatz, legte mich dann aber endgülitg aufs Mobile (über den Begriff Handy lachten wir uns seinerzeit noch kringelig) fest, weil ich keine Lust mehr hatte, das Auto jedesmal komplett absichern zu lassen, wie das der Réceptionniste eines Pariser Hotels empfahl. Der eiserne Vorhang war durchlässig geworden, und solche Gerätschaften waren überaus begehrt (nicht nur) im Osten.

Aber ich habe es tatsächlich mit wenigen Ausnahmen zu beruflichen Angelegenheiten benutzt, beispielsweise, um in den Anfängen dieses Geräts einigen Leutchens die Möglichkeit zu bieten, der Mama oder dem lieben Frauchen auch mal elektronisch mitteilen zu können, sie mögen gefälligst das Essen auf den Tisch stellen, denn er komme jetzt nachhause. Die Tatsache, daß ich nur mit denen gern telephoniere, die mir auch etwas zu sagen haben, hat mir das sicherlich erleichtert. Seit geraumer Zeit, nicht erst seit ich in den endgültigen Müßiggang des nur noch aus Freizeit Bestehenden übergegangen war — ein Flaneur war ich zuvor bereits, da ich es spätestens seit Ende der Neunziger, seit der (Ré-)Naissance meines anderen Ichs so halte, wie es auch Karlheinz Geißler in Radio Wissen von sich beschrieben und hier auch angerissen hat2 —, von da an war der Communicator (soweit ich mich erinnere, hat ein finnisches Unternehmen sein Hyperspitzengerät gar so genannt) jedoch ohnehin meist ausgeschaltet, genutzt lediglich in sogenannten Notfällen (aber selbst wenn sie eintraten, hatte ich es dann nicht dabei, wie hier aus der Frühzeit erzählt). Kurzum: ganz auf ein solches Notfalltelephon möchte auch ich nicht mehr verzichten, nachdem die Ente sich mal an einem Waldrand auf ihr Recht zu pausieren berufen hatte. Aber ich habe vor ein paar Monaten die alte, seit etwa 1993 bestehende Rufnummer geändert; die kennen nur die Lieben. Mitgenommen wird es nur, wenn ich auf abenteuerliche Zwei-Pferde-Ausflüge gehe. Sogar ich mag nicht eine Stunde oder länger am Waldrand stehend warten, bis das abgesoffene Vieh sich von einem Fettgemischschluckauf wieder erholt hat, verursacht durch einen Fehltritt aufs Gaspedal beim Wiederanlassen nach einer Entwässerungslosung. Dann ist der Notfall eingetreten und will jemand angerufen werden, der einen aus der Waldes(un)lust befreit.

Etwas, wie Sie es so schön nennen, «yahoogeln zu können», nun ja, so mag's den sein. «Aber vorher [...] überlegen, ob es nicht doch was wichtigers zu tun gibt.» Im besseren Fall auch einfach nichts. Oder vielleicht einfach nur Leutchens kucken, möglicherweise was sie mit ihren noch nicht einmal von der stummen Arthrose befallenen Fingerchen an kapriolischer Artistik fabrizieren, vermutlich mittlerweile sogar im altwienerischen «Kaffeehaus» — sofern das nicht auch längst unter einem elektronischen Schirm verschwunden ist wie viele andere gastromischen Betriebe des Fortschritts.

Beim Kaffeehaus fällt mir schlagartig die Geräuschkulisserie ein, auch der, nach Ambrose Bierce, Gestank im Ohr. Man erinnere sich: Eine Zeitlang lagen auf nahezu jedem Kaffehaustisch mehrere von diesen Gerätschaften herum, später vibrierten sie sich dann auch gegenseitig einen runter. Mittlerweile bitten Theater per Leuchtband oder Laufschrift (am Rande eingeblendet, hier darf ich's tun: von Jenny Holzer in den Neunzigern so übermäßig wie die von ihr kritisierend (?) eingesetzten, nach meiner Meinung eher selbstkarikiernd, also unfreiwillig komisch wirkenden Botschaften ohne Selbstironie: Bundestag), vergleichbar mit denen der sogenannten Informationssender, die Zuschauer, ihre Dinger doch bitteschön auszuschalten oder ihre Selbstbefriedigung durch Kommunikation (spricht heute eigentlich noch jemand von Gespräch?) außer Haus (to go?) zu betreiben. So ändern sich die Zeiten. Gestern fuhr man stolz Untertückheim, neuerdings versteckt man den dicken Stern sogar in Deutschland oder tauscht ihn gegen batteriebetriebene Fahrzeuge ein, jedenfalls diejenigen, die nicht unangenehm auffallen wollen, um nicht für einen Proleten gehalten, sondern zur Intelligentja gezählt zu werden.

Niels Höpfner meldet: «der Autor besitzt auch 2009 noch kein Handy.» Er hat das fortschreitende Wirtschaftswachstum nicht behindert. Aber auch meine, unsere hinterherhinkenden Nachdenklichkeiten werden das kaum tun. Die Welt will nicht verbessert werden.


1Der Trabbi findet hier gegenüber dem Deux Chevaux bevorzugte Erwähnung, als er zu dieser Zeit gefragter war; auch, da damals ein in München gastierender Reifenmechanikus an der früheren Voiture meinte: Meene Güte, in den Gofferraum paßt ja'n Trabbi rinne.

2Ich immer eher zu früh bin, fast immer den früheren Zug nehme, immer einen Tag früher losfahre und gern auch einen Tag später wieder weg, ja das geht, man muß es nur wollen, und keineswegs weniger schafft man auf diese Weise, eher mehr, da man in der Regel ausgeruht ist und dadurch das wunderliche Synapsenwerk viel rascher ingang kommt und dem Untergebenen klarere Befehle zu erteilen weiß.

 
Do, 26.01.2012 |  link | (2269) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


edition csc   (26.01.12, 19:06)   (link)  
Niels Höpfner
hat auch eine eigene Seite, die zu durchforsten es sich immer wieder lohnt, nicht nur weil darin Beiträge zu finden sind, die er fürs Laubacher Feuilleton verfaßt hat. Zum Beispiel den über den Faxismus, einem Vorläufer des Emailionismus.

–cabü


enzoo   (27.01.12, 12:22)   (link)  
dazu
passt diese, aus der offiziellen österreichischen nachrichtenmühle orf.at stammende mitteilung, zu der ich allerdings bislang keine entsprechung auf anderen webseiten finden konnte, zwar nur bedingt, aber irgendwie ja doch.


jean stubenzweig   (27.01.12, 17:03)   (link)  
Österreichs Buntfunk
geht offensichtlich ebenso anders wie die nordkoreanische Geschichtsschreibung? Es mag aber auch sein, daß Felix Austria schon immer besser informiert war als der Anders-Deutschsprachige. Man möcht's nicht einmal glauben.


enzoo   (30.01.12, 09:26)   (link)  
dass
die österreichische geschichtsschreibung anders funktioniert als die zb deutschlands, ist offenbar, seit hierzulande der gröfaz zum deutschen, tatata-beethoven hingegen zum ösi erklärt wurde.

dass das leider nicht egal ist, sieht man daran, dass wir hier eine rechtspopulisitische radaupartei mit einem blauäugigen führer version 2.0 haben, denen bei umfragen die gleichen 29% zustimmung wie der kanzlerpartei bescheinigt werden.


jean stubenzweig   (30.01.12, 20:28)   (link)  
Von diesem Herrn,
so vernahm ich's vor etwa drei Stunden in den Nachrichten des mir gut zu Gehör stehenden Berufsjugendlichensenders DR Wissen (ich habe auch mal Jugendfunk gemacht, unter anderem: Don't bogart that joint, my friend, die jungen Knackis in Afghanistan) geht die Kunde, er könne bald die Alpenrepublik regieren. (Für andere Sendeanstalten oder Redaktionen scheint das weniger von Belang, nach dem Motto: Die Österreicher können ohnehin nicht fußballspielen). Und bald auch die Welt? Mir wird ganz anders bei dem Gedanken, gerade im Hinblick auf die Entwicklung in der BRD. Ich habe es zwar nur am Rand mitgekriegt, weil ich zu klein war, aber vom, wie ich meine, viel zu milden Vater, der mir immer wieder klarzumachen versuchte, sie seien nicht alle schlecht gewesen in Deutschland, dann doch zu viele Einzelheiten und Zusammenhänge erzählt bekommen. Es sind zweifelsohne nicht nur die Österreicher. Viele Deutschen kucken nur nicht so genau hin oder weg, vielleicht noch aus verordneter Restscham, aber jubeln wie bei diesem Herrn, das meine ich, täten sie durchaus auch gerne. Ich muß leider annehmen, daß kein noch so intensiver Geschichtsunterricht das aus den Gehirnen zu radieren oder wenigstens auf einen rationalen Weg zu bringen vermag. Der Mensch sehnt sich nach Führung.


enzoo   (31.01.12, 08:55)   (link)  
könnten die österreicher
besser fussballspielen, wäre vieles vielleicht anders, das mag sein, denn dann gäbe es vielleicht mehr internationalen austausch ... ach unsinn.

wenn ich abends manchmal durch die kanäle des fernsehangebotes durchschalte, dann sehe ich zu jeder zeit mindestens ein- oder zweimal schwarzweisse bilder des glücklicherweise doch nicht 1000 jährigen reiches über den bildschirm flimmern. es handelt sich dabei fast ausschliesslich um deutsche sender, selten nur um österreichische. nun könnte man vermuten, die deutschen hätten die vergangenheitsanalyse vielleicht nötiger als die österreicher, aber, obwohl die bis vor wenigen jahren noch offizielle geschichtsversion von österreich als erstem opfer hitlerdeutschlands mittlerweile gestrichen wurde, lebt diese auffassung noch heute in den köpfen der menschen. und "es muss jetzt endlich mal a rua (eine ruhe) sein!" mit diesen "geschichten". diese wortwahl "geschichten" findet sich nicht nur im blaubraunen eck dieses herren sondern quer durch die bevölkerung und alle parteien. als obs geschichten wären, und nicht geschichte.

und dann sagt dieser herr vor wenigen tagen, die demonstrationen gegen den "burschenschafter-ball" in der wiener hofburg am freitag seien "wie die judenverfolgung" gewesen. in deutschland herrscht diesbezüglich einigkeit: jemand, der sowas sagt, ist am nächsten tag weg von der politischen bühne. in österreich gibts einen kurzen aufschrei der medien, und dann gehts weiter mit business as usual. da ist der unterschied schon deutlich erkennbar.















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