Die Quintessenz des Buches

Vor ein paar Minuten in meinem Elektrobriefkasten gelandet, klebe ich Freund und freudvoller Besitzer einiger Exemplare des Künstlerbuches die Einladung von Rosa M Hessling gerne auf meine kleine Litfaßsäule:

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten Sie herzlich zur Eröffnung der Ausstellung:

Blätterwald oder Die Quintessenz des Buches




am Freitag, dem 30. März 2012, um 19 Uhr in den Projektraum des Deutschen Künstlerbundes, Rosenthaler Straße 11, Berlin-Mitte einladen.

«Das Künstlerbuch erschließt sich in der Sequenz erst in der Zeitdimension. Der Unterschied zum herkömmlichen Buch besteht einzig und allein darin, daß es sich hier um eine Sequenz des Bildens handelt und daß die Gesamtheit Künstlerbuch ein eigenständiges Werk darstellt.»
aus: Künstlerbücher, mehr als fünf Sinne: ein Gespräch mit Guy Schraenen, in: Lutz Jahre: Unlimited Edition, Salon-Verlag, Köln 2001, S. 276

Im Frühjahr lädt der Deutsche Künstlerbund seine Mitglieder und Gäste ein, Künstlerbücher in eine Studioausstellung einzubringen. Bücher beschäftigen Künstlerinnen und Künstler schon immer; das Künstlerbuch stellt eine eigenständige Gattung in der bildenden Kunst dar. Die Bandbreite und Erscheinungsform von Künstlerbüchern ist groß: mit Text, ohne Text, mit Farbe, ohne Farbe, als Unikate oder Multiples, in kleinen oder größeren Auflagen, in Buchform, als Blättersammlung in einer Schachtel, als Leporello oder auch ganz anders — aber immer mit dem Verweis auf das Buch.

Die Anfänge des Künstlerbuches liegen in der Verknüpfung von bildender Kunst und Literatur (z. B. William Blake, Edouard Manet, Pierre Bonnard, Hermann Struck). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts experimentieren zunehmend Künstlerinnen und Künstler — allen voran die Dadaisten — mit dem «Objekt» Buch, wobei nicht nur die ursprüngliche Intention eines Buches, sondern vor allen Dingen die Erscheinungsform Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung wurde. Dabei wird die klassische Form des Buches aufgebrochen, moduliert, verändert und modifiziert.

Das Ausstellungsprojekt Künstlerbücher ist Aufforderung und Anregung wie Sammlung zugleich, um dem Betrachter einen eigenen Blick auf die Möglichkeiten und das Facettenreichtum von zeitgenössischen Künstlerbüchern zu geben. Eine Besonderheit der Ausstellung ist sicherlich, daß das Blättern in vielen der Werke möglich ist.

Konzipiert wird die Ausstellung von Carola Willbrand (geb. 1952) und Katharina Jesdinsky (geb. 1972). Die beiden Künstlerinnen arbeiten sowohl inhaltlich als auch formal sehr unterschiedlich: Carola Willbrand arbeitet vorzugsweise mit der Nähmaschine. Auf Materialien des täglichen Gebrauchs (z. B. Tapeten) gestaltet sie Zeichnungen und Texte über das tägliche (Frauen-)Leben. Diese Buchformate können durchaus performativen, skulpturalen Charakter einnehmen. Katharina Jesdinsky gründete 2005 einen kleinen Verlag für Künstlerbücher und eine Werkstatt für Buchdruck (Umtriebpresse, Verlag für Künstlerbücher und Editionen).

Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler:

Jochem Ahmann | Susanne Ahner | Bettina von Arnim | Monika Bartholomé | Johanna Bartl | Horst Bartnig | Christoph Bartolosch | Matthias Beckmann | Hella Berent | Georg Bernhard | Monika Brandmeier | Silvia Klara Breitwieser | Claudia Busching | Karlheinz Bux | Costantino Ciervo | Bignia Corradini | Joachim Czichon | Heinz H. R. Decker | Claudia Desgranges | Madeleine Dietz | Stefan Eberstadt | Dörte Eißfeldt | Siddhartha Y Fongi | Helga Franz | Stephan Fritsch | Anett Frontzek | Bernhard Garbert | Rolf Gentz | Johannes Gervé | Rolf Giegold | Harald Gnade | Karl-Heinrich Greune | 431art – Torsten Grosch | Rita M. W. Große-Ruyken | Marion Gülzow | Barbara Hammann | Ingrid Hartlieb | Heinz Hausmann | Susanne Hegmann | Ulrich Heinke | Marikke Heinz-Hoek | Thomas Helmbold | Dietrich Helms | Bernd Hennig | Mario Hergueta | Charlotte Herzog von Berg | Rosa M Hessling | Setsuko Ikai | Nikola Irmer | Constantin Jaxy | Birgit Jensen | Katharina Jesdinsky | Horst Egon Kalinowski | Petra Kasten | Joachim Peter Kastner | Annebarbe Kau | Barbara Keidel | Ulrike Kessl | Jean Kirsten | Reinhard Klessinger | Wolfgang Kliege | Beate Klompmaker | Doris von Klopotek | Bernd Klötzer | Kirsten Krüger | Ulrich Langenbach | Jürgen Liefmann | Julia Lohmann | Reiner Maria Matysik | Uwe Meier-Weitmar | Katharina Meldner | Nanne Meyer | Reiner Nachtwey | Susanne Nickel | Klaus Noculak | Karin Radoy | 431art - Haike Rausch | Bettina Rave | Jane und Werner Reichhold | Myriam Resch | Dagmar Rhodius | Rolf Rose | Ulrike Rosenbach | Susi Rosenberg | Karin Sander | Hella De Santarossa | Nora Schattauer | Sigrid Schewior | Birgit Schlieps | Andreas Schmid | Klaus Schmitt | Michael Schoenholtz | Eva-Maria Schön | Johanna Schwarz | Helmut Schweizer | Kerstin Seltmann | Roger David Servais | Robbin Ami Silverberg | Dietlinde Stengelin | Roland Stratmann | Markus Strieder | Volker Thies | Myriam Thyes | Alexandra Trencséni | Wolfgang Troschke | Maria Vedder | Klaus Vogelgesang | Bernd Völkle | Herbert Wentscher | Hans Wesker | Suse Wiegand | Carola Willbrand | Barbara Wille | Andrea Zaumseil | Bernd Zimmer | Isabel Zuber

Eröffnung: Freitag, 30. März 2012, 19.00 Uhr
Dauer: 30. März bis 1. Juni 2012
Öffnungszeiten: Dienstag – Freitag, 14.00 – 18.00 Uhr
und nach Vereinbarung
Ort: Deutscher Künstlerbund – Projektraum
Rosenthaler Straße 11 | 10119 Berlin
Telefon: +49 (0) 30 26 55 22 81
Deutscher Künstlerbund
 
Mi, 21.03.2012 |  link | (6428) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges


kopfschuetteln   (21.03.12, 20:28)   (link)  
das ist ein wunderbarer tipp.
(ich habe im april ein, zwei tage urlaub, von denen einer schon verplant ist.)


jean stubenzweig   (22.03.12, 15:31)   (link)  
Es mag weit entfernt
davon klingen, aber ich assoziiere dabei In des Künstler Lande gehen, ein wunderschönes Buch des leider viel zu früh verblichenen Günter Metken. Beim Künstlerbuch nähere ich mich häufig mehr als sonst den Artisten, ich fühle mich wie in ihren inneren Gemächern. Na, das vielleicht nicht, aber zumindest wie bei einem Atelierbesuch, den früher und sicherlich auch heute noch oder wieder manche Professionelle gemieden haben beziehungsweise meiden, da die Kunst mehr denn je als Markenprodukt gehandelt wird, also jede Nähe zu fehlen scheint. Bisweilen kommt bei mir dabei so etwas wie Intimität auf wie etwa bei diesem Beispiel von Hella Berent, die für ihre Zeichnungsücher aus in Italien entdecktem, speziell für Gerichtsakten gefertigtem Seidenpapier binden ließ:

Quelle © Hella Berent

Gerhard Richter ist sicherlich ein Muß. Dabei sollten Sie dem Versuch widerstehen, den Blick auf den vielfach zitierten «teuersten Maler der Welt» zu konzentrieren, ist das doch nichts anderes als Hysterie. Vor noch gar nicht so langer Zeit kannten ihn gerademal ein paar Esoteriker, also Kunstsachverständige. Heutzutage kaufen sich Lieschen und Fritzchen Sparkassenfilialleiter zu völlig unverständlichen Preisen von ihm signierte Plakate und meinen mit ihrer Aktie an der Wand einen Lottogewinn gekauft zu haben. Diese Werkschau präsentiert nämlich einen anderen, den wirklichen Richter, seine außer-ordentliche Vielfalt, vor allem aber die Kontinuität seiner Entwicklung. Sie ist es, die in näheren Augenschein zu nehmen sich lohnt. Ulrich Wilmes hat sie in einem bemerkenswerten Aufsatz in der dritten Quartalsausgabe des Jahrgangs 1988 des Kritischen Lexikons der Gegenwartskunst angerissen, sie ist es meines Erachtens, die bis heute auf seine Bedeutung als Künstler verweist und das einzelne, am Markenmarkt höchstgehandelte Bild in den Hintergrund treten läßt:
Die Funktion des Bildes war in unserem Jahrhundert ohne Zweifel fundamentalen Veränderungen ausgesetzt. «Tagtäglich macht sich unabweisbarer das Bedürfnis geltend, des Gegenstands aus nächster Nähe im Bild, vielmehr im Abbild habhaft zu werden. Und unverkennbar unterscheidet sich das Abbild, wie illustrierte Zeitungen und Wochenschau es in Bereitschaft halten, vom Bilde»1, schrieb Walter Benjamin 1931 über eine Entwicklung, die sich erst nach dem 2. Weltkrieg in ihrer ganzen Tragweite entfalten sollte. Neue, revolutionäre, fotomechanische und elektronische Reproduktions- und Übertragungstechniken haben das Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit entscheidend verändert, ja neu definiert. Die technischen Medien liefern das nahezu perfekte Abbild einer Welt, in der gleichwohl weniger denn je eine einfache ‹Wiedergabe der Realität› etwas über die Realität aussagt«2, wie Bertolt Brecht mit Blick auf die Entwicklung der immer mehr funktional ausgerichteten Gesellschaft bemerkte. Die Folgen für die Wahrnehmungs- und Rezeptionspraxis des Betrachters waren beträchtlich, war er doch nun mehr in die Lage versetzt, sowohl die Wirklichkeit ohne zeitlichen Verzug vermittelt zu bekommen, als auch sich selbst mittels einfacher Kameratechnik ein Bild seiner Umwelt zu machen. Dies alles führte mit unvermeidlicher Folgerichtigkeit dazu, die Erfahrungen und Wahrnehmungen aus zweiter Hand mit der Wirklichkeit des Erfahrenen und Wahrgenommenen gleichzusetzen.

Für die Kunst und hier vor allem die Malerei mußte zwangsläufig die Frage in den Vordergrund rücken, wie sie dieser veränderten Wahrnehmungspraxis begegnen sollte. Es stellte sich ihr die existentielle Frage nach dem Bildgegenstand oder: was bleibt zu malen? Diese Infragestellung der eigenen Legitimation betraf jedoch nicht nur die immanenten Probleme eines Mediums, das sich seiner ursprünglichen Funktion enthoben sah, es betraf zugleich — spätestens seit Marcel Duchamp — die Legitimation des Mediums als solchem. Und die Konsequenz, die die Kunst um 1960 daraus zu ziehen sich anschickte, hat als «Ausstieg aus dem Bild»3 längst ihre kunsthistorische Formel gefunden — eine Konsequenz, der Gerhard Richter sich zu widersetzen entschlossen war.
Ich halte ihn zwar nach wie vor für überbewertet, aber lediglich in markttechnischer Hinsicht, und da kucke ich ohnehin weg. Nehmen Sie sich Zeit. Es gibt Entdeckungen zu machen. Für mich waren das beispielsweise zuvor nie gesehene Graphitzeichnungen.


kopfschuetteln   (22.03.12, 22:41)   (link)  
lieber herr stubenzweig,
vielen dank für ihre ausführungen.
ich werde an beides ganz unvoreingenommen herangehen.
gerhard richter, ein muß ja. aber nicht weil er der "teuerste" maler oder was auch immer ist. mir geht es tatsächlich um die werkschau, die so vielleicht nur einmal zu sehen ist.
büchern kann ich ohnehin nicht widerstehen, will ich auch gar nicht.
(es ist einfach schön, die möglichkeiten nutzen zu können, mal "raus" oder "rein" zu gehen oder man könnte auch sagen, den geist zu füttern.)















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