Cabaret, Cabaret

Oft genug ärgere ich mich über Wiederholungen im Fernsehen. Vor allem, wenn es zu wiederholten Neuaustrahlungen kommt, deren Inhalte längst von neueren Erkenntnissen eingeholt worden sind und man sich nie auch nur ein wenig Mühe macht, darauf hinzuweisen. Manch einer, der nicht über den entsprechenden Informationsstand verfügt, wird so in die Irre geführt. Ich bin ohnehin der Meinung, die öffentlich-rechtlichen Multiplikatoren oder auch Erzeuger der Langeweile hätten sich zusätzliche Kanäle nur geschaffen, um all das in einer Art Endlosschleife zu senden, um dort Kosten für ihren Bildungsauftrag zu reduzieren, um anderswo fetten Gänsen die Ärsche zu schmieren. Fußball wäre solch ein erheblicher Kostenfaktor. Als Alternative zu dem hat die Kopfschüttlerin denn auch ein, ohne Zweifel völlig sachliches, Fragezeichen gesetzt. So stand es für mich außer Frage, was wichtiger sein könnte, dieses unsägliche Ballgeschiebe oder die sich allein durch das Stichwort Kabarett ankündigenden filigranen Kurzpässe. Es war eine Wiederholung, genauer: eine fein abgestimmte Zusammenstellung von Wiederholungen aus bis in die frühen Sechziger reichender Kleinkunst.
Für sein Projekt Freßtheater hätte der Kabarettist Helmut Ruge 1977 gern 8.000 Mark aus dem Steuersäckel gehabt. Dem Münchner Stadtrat war dies ein suspektes Anliegen, ein plebejisches zudem. In der Verbindung von Völlerei und Kunst vermochten die Stadtväter und -mütter nichts Förderungswürdiges zu entdecken! Ein kategorisches Nein fegte diesen allerdings kulturhistorisch bedeutsamen Vorschlag vom Tisch.

Essen, Trinken und Theater unter einem Dach war nämlich bereits vor der Jahrhundertwende das Rezept für ein Unterhaltungsmenü, das unter dem Begriff Kleinkunst populär wurde. Chat noir nannte Monsieur Rudolphe Salis sein am 18. November 1881 auf dem Pariser Montmartre eröffnetes Cabaret, seine Kleinkunstbühne. Cabarets hießen die kleinen Wirtshäuser, in denen die Gäste ihre Speisen in bunter Reihenfolge auf sogenannten Fächerschüsseln serviert bekamen. Während man in der Wirtsstube aß und trank, agierten auf der Bühne Akteure aller Gattungen der Kleinkunst: Karikaturisten, Schnelldichter, Grotesktänzer, Klavierakrobaten, Bänkelsänger, Magiere und Rezitatoren. [...]
Minnesang und Tingeltang

Unter dem Begriff Variété firmiert in Frankreich das gesamte Schlagertralala.
Und selbst für mich als langjährigem Beobachter der sogenannten kleinen Kunst waren es teilweise Erstauffühungen. Aber die Dokumentation aus dem Jahr 2010 an sich war neu für mich. Man sollte sich nicht übermäßig festlegen. Ein Lob der Wiederholung also.

Allerdings gleich wieder Wasser in den Wein, ein Tröpfchen zumindest, ein Widerwörtchen. Was ist das für eine Pressearbeit?! Nur andeutungsweise ist in der Ankündigung darüber zu lesen, um welches Format es sich dabei handeln könnte. Eine Aufreihung von Namen, abschließend ein Zitatchen von Dieter Hildebrandt, vermutlich als Zugpferd. Dann noch: «Länge: 89 Minuten.» Ende. Hat man mittlerweile sogar im Kulturkanal 3sat Angst vor der eigenen Wirkkraft? Will man dem «mündigen Bürger» letzlich nicht zumuten, mehr als vier Zeilen zu lesen? Befürchten die Pressearbeiter des Themas — Praktikanten U 25 allesamt? Viel zu sehr mit Fußball beschäftigt? Da kuckt ohnehin niemand rein? —, ein Fitzelchen mehr an Information könnte abschreckend wirken?

Der Dokumentarfilm von Josef Rödl zeigte nämlich eine ganz andere als zu vermutende Richtung, also keine Ansammlung immerfort wiederholter Wiederholungen wie etwa die eintausend-dreihundertdreiundneunzigste Andacht an den großen Comedian, den Komödianten Dieter Krebs. Auch gab es keine Reihung wie beispielsweise die hinlänglich bekannten Nummern aus der Lach- und Schießgesellschaft oder Wolfgang Neuss. Den wie immer leisen Rödl beschäftigten im Vordergrund die Fragen: Existiert(e) eine Zensur? Was kann Kabarett bewirken?

So schnitt er beispielsweise in seine Dokumentation mehrfach Szenen von Siegfried Zimmerschied ein, die meines Wissens im Fernsehen — das dieser Passauer Teufel lange mied wie das Weihwasser — nie gezeigt wurden, darunter aus seinen Programmen, die er Ende der siebziger und dann in den achtziger Jahren in seinen Stammhäusern, in Münchens Fraunhofer, der Drehleier sowie im Scharfrichterhaus von Passau darbot, wo die Oberzensoren Kirche und Stadtrat und sonstiges Volk für heutige Verhältnisse unvorstellbar grausam wirkten. Er bewahrte denen gegenüber nicht nur Haltung, er blieb seiner Überzeugung treu, innerhalb der Region, also letztlich im einzelnen etwas gegen diese Übermacht bewirken zu wollen. Wie heute ist mir sein Mia druckn ois, nur des, des druck ma ned in Erinnerung, womit er einen Druckereibesitzer nachstellte, der die Vervielfältigung solch «linken» Dreckszeugs ablehnte, das zum Aufruhr gegen den niederbayerischen Kirchen- und gleichermaßen Kleinstaat aufforderte.

Zimmerschied war es auch, der die markante Erkenntnis prägte: «Die Satire ist nicht in der Lage, die Realität einzuholen.» Und letztere war hart zur Zeit von Der Kandidat. Der Bayerische Rundfunk als Wahrer des Edlen, Guten und Schönen wollte seinen Zuschauern nicht nur den hildebrandtschen Scheibenwischer nicht zumuten. Jochen Busse, Henning Venske und andere erzählten von kleinen Sendern, deren Namen hier nichts zur Sache täten, in denen man ihnen bedeutete, bestimmte Namen nicht zu nennen, da ansonsten Verträge nicht verlängert werden könnten et cetera. Urban Priol machte, mit einem zufriedenen Lächeln und auch sichtlich mit ein wenig Stolz, darauf aufmerksam, es sei durchaus erhebend, nach siebenundzwanzig Jahren ohne (politisches) Kabarett im ZDF mit dem 2007 erstmals gesendeten Neues aus der Anstalt die Kleinkunst auf die dortige Bühne zurückgebracht haben zu dürfen. Auch die DDR geriet nicht in randgelegene Vergessenheit. Ernst Röhl und Peter Sodann berichteten, belegt von juristischen oder auch sicherheitsministeriellen Begleitschreiben, von den gegen sie ergangenen Urteilen von einem Jahr beziehungsweise zwanzigmonatiger Haft wegen Staatszersetzung. Dabei sei es, so Sodann, ihnen um den Erhalt des Sozialismus gegangen, habe die kabarettistische Kritik lediglich mit zu dessen Verbesserungen beitragen wollen.

Was die kleine Kunst gegen die große Politik ausrichten könne, erwies sich als zweite zentrale Frage. Viele der von Rödl Befragten äußerten sich eher resignierend. Der bedachte Ottfried Fischer, ich sah ihn in den Neunzigern, aber auch weitere sahen sich zudem erdrückt vom aktuellen medialen Überangebot, einer Reizüberflutung wie etwa durch die sogenannten Comedians, das die Wirkung des Brettls eliminiere, das abstumpfe. Luise, die (Kin)Seherin, zeigte sich überzeugt vom Theater. Ihr nachdenkliches Wort ging einher mit der finalen Stimmung von Dieter Hildebrandt, wenn sie, die Kabarettisten, den Zuschauern und -hörern nur ein wenig auf den Nachhauseweg mitgeben könnten, dann hätten sie ihre Aufgabe bereits erfüllt. Es fiel, ich erinnere mich nicht mehr genau, von wem es kam, es klingt nach Henning Venske, der alte Spruch der Achtundsechziger, der APO, der Außerparlamentarischen Opposition: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.

Kabarett, Kabarett — ein großes Kleinkunststück gesamtdeutscher (Bühnen-)Geschichte. Wat ham wer jelacht bei de Beerdijung. De Kinner wollten in Sarch rin.
 
So, 17.06.2012 |  link | (2328) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau


kopfschuetteln   (17.06.12, 20:51)   (link)  
auch wenn ich leider diese sendung nicht gesehen habe, weiß ich jetzt wenigstens woher das kommt: Essen, Trinken und Theater unter einem Dach.

ich dachte spontan an die bar jeder vernunft, in der ich schon manche vergnügliche stunde verbrachte.


jean stubenzweig   (18.06.12, 12:40)   (link)  
Die Bar jeder Vernunft
ist schließlich im Prinzip das, was Monsieur Salis seinerzeit beabsichtigte und was, hier zur Verdeutlichung zitiert, wie beschrieben ab den Achtzigern und sehr viel verstärkter im neuen, nicht mehr insulanierten Berlin zur höchsten, im besten Wortsinn, Konjunktur wurde. Auch ich habe durchaus Freude an dieser Fröhlichkeit des gemischten Gewusels, das Weiße Rößl habe ich in endlos schmunzelnder Erinnerung. Es gab einige Leutchens, die meinten, das sei ihre Erfindung. Nicht zuletzt kommt mir dabei Wodarz und sein Pomp, Duck and Circumstance sozusagen ins Sinnliche, dieses Mal aber unerfreulich, da sich dabei der Schwerpunkt auf das Pompösere ausrichtete, was wiederum mit dem Glanz des Geldes verbunden war, was ich nicht eben goutiere, da es mit meiner sich weniger am Kapital der Besserverdienenden ausgerichteten Auslegung der Fächerschüssel im Chat noir eher weniger zu tun hat.

Nebenbei: Das Volkslexikon Wikipedia deutet in seiner Erläuterung der Erlebnisgastronomie nicht einmal im entferntesten an, wo diese auch ihren Ursprung haben könnte. Denen fällt historisch nicht mehr ein als die Verbindung zu Kurt Kluge. Das kann ich nicht einmal als Viertelwissen bezeichnen.


kopfschuetteln   (18.06.12, 20:59)   (link)  
mit letztem mögen sie recht haben.

allerdings; ich habe mal ein bißchen hin- und hergelesen, mich irritierte das sehr, wenn ich bei erlebnisgastronomie sofort an die bar jeder vernunft dächte. eine dinnershow (fast hätte ich mir das mal angesehen, aber es sollte nicht sein.) paßt schon eher dazu.
wie heißt es so schön ein einem artikel vom tagesspiegel: "Menschenkunst statt Kunstmenschen."


jagothello   (18.06.12, 20:04)   (link)  
Störungen vermeiden
Ich denke nicht, dass Pressemitarbeiter die von Ihnen vermuteten Befürchtungen hegen. Sie unterliegen wohl eher schlicht demselben Formatierungswahn wie der gesamte behördlich gesteuerte Unterhaltungsapparat: Immer exakt 45 oder 90 Minuten, immer exakt derselbe Sendeplatz für immer exakt dieselben Darsteller, Plots und Storys. Da könnte es zu größeren Irritationen kommen, textete die PR ein wenig kreativer. Störungen vermeiden: Das ist schließlich nicht nur oberste Doktrin totalitärer Staaten oder der UEFA, sondern auch des ZDF!


jean stubenzweig   (19.06.12, 16:18)   (link)  
Recht könnten Sie haben.
Aufgrund dieser Ankündigung dürfte sich auch eine Vielzahl weniger an potentiellen Störenfrieden zugeschaltet haben, die die Redaktion mit dem Beantworten von Zuschauerbriefen übermäßig hätten beschäftigen können.















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