Hummersalat, Château Margaux, Pilsner und kostspielige Frauen



Von Karl Marx und Friedrich Engels wurde während meiner jugendlicheren Zeit viel, beinahe ausnahmslos gesprochen. Gott wurde mit dem verständlicherweise, weil er unter das Leseverbot fiel, mißverstandenen Friedrich Nietzsche, für tot erklärt, die etwas jüngeren Götter zu neuem Leben erweckt. Wer die Heiligen Schriften der beiden tatsächlich gelesen und wenn, sie dann auch verstanden hat, das mag dahingestellt bleiben. Bei manchen Expertisen späterer postmoderner einsetzender Datierungen konnte man sich jedenfalls so manches Mal des Eindrucks nicht erwehren, die Fachleute hätten sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Klappentext zu lesen. Der marxistische Sitzredakteur des Laubacher Feuilleton, den ich zu postmarxistischen Zeiten fragen konnte, wenn ich beispielsweise nach der Lektüre von André Glucksmann und Bernard-Henri Lévy sowie anderer, die ihrer Meinung nach den Trierer auf die Füße gestellt hatten, in Verwirrung geraten war, da konnte ich mich vertrauensvoll Manfred Jander zuwenden, der sich noch vor dem Studium unter anderem der Geschichte mit dem ersten Großkritiker des Kapitalismus mehr als intensiv beschäftigt hat, der mindestens so bibelfest war wie der ehemalige Hüter der Glaubenskongregation und jetzige Herrscher über fast alles in der Welt, dem Sohn des Gendarmeriemeisters Joseph Ratzinger. Unser unter maj gekürzelter Bibel-Exeget zitierte 1992 in Marxismus als Restgröße den nach Meinung vieler offensichtlichen Begründer des Kommunismus,
«wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden».
Und er unterließ es selbstverständlich nicht, die allgemeine Stimmungslage oder -mache gegen solche unseriösen, sich von diesen Filmbrüdern abhebenden Marxistereien zu unterstreichen.
«Diese ‹hübsche› Stelle muß unseren Spiegel-Kritikern entgangen sein. Nein, nein, nicht wie gemeinhin üblich als Beleg für die unseriösen Träumereien eines vielschreibenden Phantasten. Vielmehr ließe sich mit der obigen Methode doch sehr ‹schön› eine stringente Entwicklung von Marx hin zur real existierenden DDR und UdSSR zeigen: Unser Jäger bewegt sich mit Honecker in der streng abgeschirmten Schorfheide, der Fischer schaut mal eben bei dem VEB Fischfang Rostock vorbei, ob der Plan auch eingehalten wird, unser Hirte faulenzt auf seiner Kolchose der allgemeinen Hungersnot entgegen, und unser kritischer Kritiker übt nach dem Essen vor dem Parteikollektiv Selbstkritik.»
Das war die Zeit, als der kommunistische Staatsterrorismus des Ostens endlich niedergeschlachtet war und die Schmierölindustrie des Westens den des Konsums endgültig in die Freiheit des Liberalizismus entlassen hatte. Da sprach kaum noch jemand von den fröhlichen Urständ' dieser Bewegung, die in den Sechzigern bis weit in die Siebziger sogar Deutsche dazu bewog, an den levantischen Rand Nordostafrikas zu reisen, um dort zu kibuzzieren. Das waren nicht nur diejenigen, die meinten, gegenüber dem allein wegen einer Religion gegründeten Staat Israel seine Schuldigkeit abarbeiten zu müssen, sondern auch solche, die sich von dieser Gesellschaftsform beeindruckt zeigten, die sich gegen den heute fröhliche Urständ' feiernden Erzkapitalismus des 19. Jahrhunderts richteten, vielleicht sogar der heilsbringenden Lebensform zugeneigt waren, in der es keine Klassen gab und infolgedessen auch keine Macht und deren Mißbrauch durch konsumistische Lockmittel wie das Laubgebläse, den Rennrasenmäher oder den Wegwerfgrill, weil der nach der Schwarzröstung der zweiten Billigheimerbratwurst in den Müll entsorgt werden muß. Doch selbst vom großem Kritiker der Überproduktionsgesellschaft Marx ist mittlerweile immer weniger die Rede, auch wenn immer mehr sich über die herrschenden Zustände beklagen. Einige können's allerdings nicht lassen. Irgendetwas muß doch an seinen Schriften dran sein.

Von dessen Bruder im Geiste allerdings war und ist noch weniger die Rede, geschweige denn die Schreibe. Es war auch früher bereits so, daß er nicht eben in aller Munde war, da hieß es eher, man gehöre eingesperrt bis ohnesorglich totgeschossen von den Herren Kurrat beispielsweise, im moderatesten Fall, man solle doch nach drüben gehen. Allenfalls in fast kriminellen Kreisen kam es zu Annäherungen, etwa bei mir, der ich zu meiner anfänglichen Studienzeit der Weltpolitik Kontakt zur SEW, der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, hatte, dem ich jedoch rasch wieder enteilt bin, da mir dort vor allem zuviel Hierarchie herrschte, vielleicht vergleichbar mit einer westlichen Gewerkschaft, der ich später rund dreißig Jahre angehören sollte.

Friedrich Engels klärte beispielsweise auf in seinem Aufsatz Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, (Marx-Engels-Werke, Band 21, also nicht nur sechsbändig wie bei mir Klappentextleser), laut Wikipedia «diese Zeit der ‹Wildheit› vor dem Aufkommen des Privateigentums als Urkommunismus. In diesen Gesellschaftsformationen nimmt er weder persönliches Eigentum noch Familie, soziale Differenzierung, Herrschaft, Überproduktion oder Ideologie an». Einer hat sich nun allerdings ins Wort begeben. Klaus Bittermann, zu dem ich bereits zu Feuilleton-Zeiten als nach wie vor beachtlichem Kleinverleger der Edition Tiamat einen kleinen Kontakt hatte und bei dem ich gerne immer wieder lese, hat sich Marx' Bruder im Geiste angenommen. Er ist auch die Ursache meiner heutigen elektrischen Plapperei, denn als ich bei ihm reinschaute, fand ich nicht wie häufig Expertisches zum dortmunderischen Gekicke vor, sondern mich alternden Lüst- und Genüßling überfiel die Überschrift Hummersalat und Châteu Margaux, worauf ich begierig weiterlas.
Heute spricht kaum mehr jemand von Engels, denn im Unterschied zu Marx sind seine Aktien gefallen, weil man ihn »als Mann des Apparats und wissenschaftsgläubig abtat«, der die Staatsverbrechen kommunistischer Regimes legitimiert hätte. Er wurde zum »Prügelknaben«, dem man die »Sünden« des Marxismus aufbürdete, aber auch wenn die Schriften von Engels nicht die Bedeutung haben mögen wie die von Marx, so erwies sich Engels als ein Mann mit außergewöhnlicher Bildung, der sich ohne ideologische Scheuklappen mit allen Wissenschaften auseinandersetzte, die im 19. Jahrhundert Furore machten. Noch bemerkenswerter war, dass Engels mit gesellschaftlichen Konventionen nicht viel am Hut hatte und bereits in seinem Alltag nach den kommunistischen Prinzipien lebte, die ihm vorschwebten, und der gleichzeitig den Genüssen des Kapitalismus durchaus einiges abgewinnen konnte. Er nahm an Fuchsjagden der High Society teil, war Textilfabrikant und Mitglied der Börse von Manchester, und gleichzeitig ein »draufgängerischer, lebensfroher, dem Alkohol zugeneigter Liebhaber der schönen Dinge im Leben: Hummersalat, Château Margaux, Pilsner und kostspielige Frauen. Daneben unterstützte er aber auch seit vierzig Jahren Karl Marx, kümmerte sich um dessen Kinder, besänftigte seine Launen« und war Mitautor des »Kommunistischen Manifests«. Nicht schlecht für ein Leben, das in einer wohlhabenden preußisch-kalvinistischen Kaufmannsfamilie begann.

 
Mi, 11.07.2012 |  link | (1580) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Aus der andern Welt


cut   (13.07.12, 12:29)   (link)  
Nicht schlecht
Wir bleiben also Optimisten:

"Erst sie (Anmerkung: die Bourgeoisie) hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge ...

... Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen."



jean stubenzweig   (14.07.12, 14:10)   (link)  
Ich glaube zwar nicht.
Aber es geht schließlich auch nicht um Glaubensfragen. Oder wahrscheinlich dann doch wieder. Ich als einer, der zu wissen meint, meine also, daß diese Gesellschaftsform des Miteinanders nie bei denen angekommen ist, die es noch am ehesten angeht, da sie nie darüber nachgedacht haben, geschweige denn ernsthaft, da sie immer um ihre paar Habseligkeiten besorgt waren, die ohnehin nie ihnen gehört haben, da sie nahezu ausschließlich anderen verpfändet waren und sind. Und auch das vielzitierte, das immerzu herbeigesehnte Individuum, wie die Moderne ein Produkt des 19. Jahrhunderts, artikuliert sich heutzutage bei den meisten über Äußerlichkeiten ausdrückt, die wiederum mit Besitz, mit der Freiheit, alles mögliche kaufen, konsumieren zu können. Ich Kulturpessimist will also mal Optimist sein und wiederholt festhalten, daß diese

«Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.»

Aber dann müßte tatsächlich das geschehen: «Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.» Davor haben die meisten, diese Gläubigen Angst. Womit ich wieder zum Pessimist geworden wäre. Denn ich befürchte tatsächlich, daß die Masse ihren Glauben nicht aufzugeben bereits ist. Selbst dann nicht, wenn, mal nicht aus positivistischen Erwägungen heraus interpretiert, der Kommunismus urchristliche Wurzeln hätte, was ich allerdings nicht einmal auf den humanistischen Religionsersatz nach Auguste Comte beziehe, sondern in der Erkenntnis sehe, nach der der Mensch nicht gerne allein sei oder auch, daß noch vor den ersten Kultivierungen zur Bildung von Communen kam. Richtig arg wurde es meines Erachtens erst, als sich die Macht nur noch auf einen, diesen Herr Gott, konzentrierte. Von da an gab's nur noch Krieg. Was sind die Überfälle der einen auf die anderen denn anderes als Glaubens- und damit verbundene Besitzfragen? Die Aufklärung des 17. Jahrhunderts ist, wie allüberall sichtbar, noch immer nicht angekommen. Und wird es wohl auch nie. Denn wir nähern uns eher allenthalben zurück zu dem, meines Erachtens nach fehl- oder auch falsch interpretierten, möglicherweise gar reformatorisch übersetzten biblischen Prinzip Auge um Auge.















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