Wiedergängerische Wege im Déja-vu♥ Doch sie verweigerte ihm den Rückzug in sein Innenleben. Ob er sich denn überhaupt nicht an sie erinnere, hakte sie nach, noch etwas forscher als zuvor. Sie sei sich jedenfalls sicher, daß er es gewesen sei, der damals auf Schloß Gottdorf, das zwar nahe Schleswig läge, sie es aber eher, vermutlich aus elterlich verordneter Gewohnheit, Rendsburg zuordne, soviel über sich kreuzende Wege oder Leid auch in der Malerei geredet habe und mit dem sie ins Gespräch gekommen sei. Aber vielleicht hätten die mutmachenden Körne, der noch im gemeinsam aufgesuchten Café angebotene Wein sei angeblich ungenießbar gewesen, ihm seinerzeit bereits den Vorausblick vernebelt. Ihre Direktheit erheiterte ihn und schuf eine Verringerung der Distanz zu ihr. Er entschuldigte sich mit dem Hinweis auf Ereignisse, die ihn in eine Amnesie geschickt hatten, die sich nur langsam auflöste. Doch ihre Gelöstheit half tatsächlich ein wenig bei der Lichtung des Nebels um seine Vergangenheit. Er erinnerte sich an an mehrfache Einladungen jenes Freundes und Kollegen, der ihn mit dem späteren Maler der Kreuzwege bekannt gemacht hatte. Der war für die Kultur mitverantwortlich geworden, die alljährlich in den Räumen der an sich in Schleswig-Holstein nicht eben übermäßig häufigen Renaissancearchitektur stattfand. Einmal war er tatsächlich einer gefolgt. Sie könnte mit zu dem Ereignis geführt haben, das nun als Teil dessen neben ihm saß und etwas behauptete, das klang, als ob man bereits einmal miteinander im Bett oder zumindest nebeneinander in dem eines Krankenhauses gelegen habe. Mit einem Mal kam eine Erinnerung an eine seltsame Begebenheit in ihm auf. Etwa zehn Jahre lag es zurück, daß er sich auf einer Liege befand, wie man sie aus dem Behandlungszimmer eines Allgemeinarztes kennt. Der behandelnde Arzt war jedoch kein solcher, sondern dieser sogenannte Doktor Kutscher war eine Art spirituell operierender Kunstpsychiater. Er hatte eine seiner seit Ende der achtziger Jahren berüchtigten Séances en chambre noire abgehalten. Rund dreißig Menschen des Kulturapparates Deutschland und die Welt hielten im zum Ereignisort umgebauten ehemaligen Stall des ribbentropschen, direkt am Rhein gelegenen Anwesens neben dem zur Kunstkate an- und ausgewachsenen Haus aus der Gründerzeit an einem runden Tisch einander an den Händen und riefen die Geister, die sie beschworen hatten. Nachdem sie ihnen erschienen waren, erfuhr ein jeder der Beteiligten eine individuelle Therapie (wie beim Herzchen mit dem Kursor auf die Ziffer).1 Mir war damals, als ob ich mit lauter Rimbauds händchenhaltend in einer Runde gesessen und ständig die Beschwörungsformel Je est un autre gemurmelt hätte. Und tatsächlich sollte ich ein paar Jahre später ein anderer geworden sein. Langsam kam Erinnerung in ihm auf, verlängerte ihm den Rückblick in die Vergangenheit. Doch noch immer war er amnestiert. Er brachte keinen konkreten und weiterführenden Gedanken an die neben ihm sitzende Frau zuwege. Was sie denn nach Marseille führe, versuchte er sich wegfragend noch ein wenig weitere Nachdenkluft zu verschaffen. Eine lange Geschichte sei das, weitaus länger als die Raterei nach Ursächlichkeiten von einstigen Begegnungen im Irgendwo des Universums. Die erzähle ich beim nächsten Mal. Wenn die Muse so gnädig sein sollte, mich noch einmal zu küssen, auf daß mir Wieder- oder auch Widergängerisches entlockt würde.
Für Fußnotensucher die 1
1Peter Forster, Kustos der Sammlungen des 14. bis 19. Jahrhunderts im Museum Wiesbaden, beschreibt in der Rubrik «Zeit-Werke» in Kutschers Seite, Hintergrund und Vorgang:
Vom Portrait des Systems Kunstbetrieb ist es nicht weit zum Portrait der handelnden Personen dieses Betriebs. Erneut greift Kutscher bei diesem Projekt auf die Technik des Luminogramms zurück.Vollrad Kutscher, Zeit-Werke >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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